Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehlerrüge. Verletzung der Sachaufklärungspflicht. Darlegung. Beweisantrag. neue entscheidungserhebliche Tatsache. Abgrenzung. Beweiswürdigung. unterschiedliche Gutachten
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Verfahrensfehlerrüge wegen Verletzung der Sachaufklärungspflicht muss zur Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags auch dargelegt werden, welche neuen entscheidungserheblichen Tatsachen festgestellt werden sollten; zielt der Beweisantrag nur auf eine andere Diagnosebezeichnung oder eine andere Beurteilung der Auswirkungen von bereits festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen, genügt dies den Anforderungen nicht.
2. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachten gehört zur Beweiswürdigung, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann.
Normenkette
SGG §§ 103, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 26.06.2003; Aktenzeichen L 1 RJ 19/02) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 04.01.2002; Aktenzeichen S 14 RJ 8/00) |
Gründe
Mit Urteil vom 26. Juni 2003 hat das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowie einen Anspruch auf Anerkennung einer Anrechnungszeit verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit und auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Sie sei trotz der vorliegenden Gesundheitsstörungen noch in der Lage, vollschichtig leichte körperliche Arbeiten unter Beachtung einiger - näher aufgeführter - qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Ihren bisherigen Beruf als Zeitungszustellerin könne sie nicht mehr ausüben, doch sei sie nach ihrem beruflichen Werdegang zumutbar auf alle Tätigkeiten des Arbeitsmarkts verweisbar. Soweit die Klägerin unter Berufung auf das Gutachten von Dr. H vom 17. September 2001 die Auffassung vertrete, sie sei nicht mehr in der Lage, vollschichtig zu arbeiten, vermöge der Berufungssenat dem unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. R (vom 25. Oktober 2002) nicht zu folgen. An der Richtigkeit des Gutachtens von Dr. R bestehe für den Berufungssenat kein Zweifel. Die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme durch Dr. H sei nicht erforderlich gewesen, weil nicht ersichtlich sei, welche für den Rechtsstreit erheblichen neuen Erkenntnisse hiermit hätten gewonnen werden können. Auch wenn Dr. H seine Diagnose "Fibromyalgie" aufrechterhalten und seine Leistungsbeurteilung aus dem Gutachten vom 17. September 2001 bekräftigen würde, verbleibe es dabei, dass der Berufungssenat den voll begründeten Feststellungen von Dr. R sowohl hinsichtlich der Diagnosestellung als auch der Leistungsbeurteilung folge.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil keiner der in § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36; BVerwGE 13, 338, 339; BVerwG NJW 1976, 1705; BVerfG NVwZ 1982, 433, 434; BGH NJW 1987, 2442, 2443). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Zweifelhaft ist bereits, ob die Klägerin einen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ordnungsgemäß bezeichnet hat. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160 Nr 45; s auch Fichte, SGb 2000, 653, 654, 656 mwN) muss nicht nur die Stellung eines Antrags selbst, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 der Zivilprozessordnung; s hierzu auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 214) und mit welchem Ziel (s hierzu Fichte, aaO, 658) Beweis erhoben werden sollte und dass es sich bei dem Hilfsbeweisantrag nicht nur um eine Beweisanregung gehandelt habe. Denn anders als eine Beweisanregung (oder ein Beweisantritt) hat nur ein echter Beweisantrag die Warnfunktion, die es rechtfertigt, einen Revisionszulassungsgrund anzunehmen, wenn das LSG dem Antrag zu Unrecht nicht gefolgt ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9, 35; Fichte, aaO, 654 mwN). Im Rahmen eines Rentenverfahrens darf es nicht nur auf eine andere Diagnosestellung ankommen, sondern es muss vielmehr die negative Beeinflussung von weiteren - dauerhaften - Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan werden (vgl hierzu Fichte, aaO, 655 f mwN). Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für die Tatsache (Lüdtke in Binder/Bolay ua, Handkommentar-SGG, 1. Aufl, § 160 RdNr 18).
Die Klägerin trägt vor, das LSG habe "auf die Einholung der zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2003 beantragten ergänzenden Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. H hinsichtlich der Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 29. April 2002 nebst der beigefügten Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten vom 25. April 2002 sowie den Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Dr. R vom 25. Oktober 2002 verzichtet, die offen gelegt hätte, dass die beiden Gutachter Dr. R und Dr. H nicht nur im Ergebnis hinsichtlich der Leistungsbeurteilung der Klägerin voneinander abweichen, sondern der Sachverständige Dr. R zu der Tatsache, dass er hinsichtlich der Diagnose des Fibromyalgiesyndroms bei der Klägerin zu gänzlich anderen Einschätzungen gelangt als sämtliche zuvor im Verfahren gehörten Sachverständige, und zwar nicht nur hinsichtlich des Sachverständigen Dr. H, ohne dies an den wissenschaftlich neuesten Erkenntnissen hierzu orientierend zu begründen, sondern er vielmehr auch Tatsachen weggelassen habe, die vorliegend von entscheidungserheblicher Bedeutung sind, sodass letztlich bestätigt worden wäre, dass bei der Klägerin von Erwerbsunfähigkeit auszugehen ist und ihr die entsprechenden Leistungen gemäß den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren sind."
Mit diesem von der Klägerin bezeichneten Antrag bleibt letztlich unbestimmt, zu welchen Tatsachen im Einzelnen die ergänzende Stellungnahme von Dr. H eingeholt werden sollte, weil sich aus dem Antrag selbst nicht ergibt, welche neuen entscheidungserheblichen Tatsachen festgestellt werden sollten. Bereits aus dem Wortlaut des von der Klägerin wiedergegebenen Beweisantrags ist zu schließen, dass es ihr letztlich nur darauf ankam, eine andere Beurteilung der Auswirkungen der bereits festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen zu erlangen. Damit hat sie aber gerade nicht entscheidungserhebliche Tatsachen unter Beweis gestellt.
Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin die Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags unterstellt, hat sie jedenfalls nicht ausreichend dargelegt, weshalb das LSG sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den von ihr abgelehnten Beweis zu erheben. Hierzu hätte die Klägerin näher ausführen müssen, weshalb das LSG sich auf die von ihm erhobenen Beweise nicht hätte stützen dürfen, weil etwa die vorliegenden Gutachten grobe Mängel (vgl BSGE 1, 91) oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters besteht (s hierzu Kummer, aaO, RdNr 225 mwN; Fichte, aaO, 658) oder wenn die in verschiedenen Gutachten enthaltenen sich widersprechenden Schlussfolgerungen mit entsprechenden Feststellungen einhergehen (BSG SozR 1500 § 103 Nr 24).
Die Klägerin hat zwar vorliegend die Richtigkeit des Gutachtens von Dr. R in Zweifel gezogen, aber nicht hinreichend dargelegt, dass die Zweifel aufgrund innerer Widersprüche oder grober Mängel dieses Gutachtens selbst begründet seien. Sie hat auch nicht dargetan, dass Dr. R etwa nicht alle vorliegenden Unterlagen berücksichtigt habe. Letztlich zeigt sie nur auf, dass Dr. R einige medizinische Befunde anders gewertet habe und dass sich die Gutachten von Dr. H und Dr. R hinsichtlich der Diagnose "Fibromyalgie" und der Leistungsbeurteilung widersprächen. Damit hat sie aber nicht ausreichend dargelegt, weshalb das LSG dem Gutachten von Dr. R nicht hätte folgen dürfen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachten gehört wie die anderer widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung kann aber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde gerade nicht gestützt werden.
Auch mit dem Hinweis der Klägerin, der Sachverständige Dr. R sei kein speziell auf dem Gebiet der Schmerztherapie ausgebildeter Facharzt, ist nicht dargetan, dass das LSG sich aus diesem Grunde zu weiterer Sachaufklärung hätte gedrängt sehen müssen. Da es sich nach den von der Klägerin selbst zitierten Ausführungen des LSG bei Dr. R um einen "erfahrenen Sachverständigen, der als Facharzt für Innere Medizin sowie für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin - in besonderer Weise befähigt sei, sozialmedizinische Begutachtungen zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit zu erheben", handelt, hätte die Klägerin näher ausführen müssen, weshalb trotz dieser Qualifikationen im Hinblick auf die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen derartige Zweifel an der Sachkunde von Dr. R bestanden, dass sich das LSG auf dessen Gutachten nicht hätte stützen dürfen.
Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht ausreichend dargelegt, dass das LSG bei erfolgter Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte kommen müssen, sein Urteil mithin auf der unterbliebenen Beweiswürdigung beruhe. Die Klägerin führt selbst hierzu aus, Dr. H hätte bei erneuter Anhörung seine aus dem vorliegenden Gutachten vom 17. September 2001 bereits bekannte Diagnose "Fibromyalgie" und auch seine Leistungsbeurteilung wiederholt. Damit hat sie nicht dargetan, dass durch eine erneute Anhörung von Dr. H neue Erkenntnisse für die Entscheidungsfindung hätten gewonnen werden können.
Der Vorwurf der Klägerin, das LSG habe seine Beweiswürdigung vorweggenommen, indem es unterstellt habe, dass Dr. H die Diagnose der "Fibromyalgie" aufrechterhalten und seine Leistungsbeurteilung vom 17. September 2001 bekräftigen werde, kann schon deshalb nicht nur Zulassung der Revision führen, weil auch nach Ansicht der Klägerin die von ihr beantragte Anhörung genau dieses Ergebnis gehabt hätte. Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin näher darlegen müssen, weshalb das LSG auch bei einer Bestätigung der bisherigen Beurteilung durch Dr. H zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen müssen. Letztlich zielt der Vorwurf der vorweggenommenen Beweiswürdigung ebenfalls nur auf die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht selbst, das entgegen dem Wunsch der Klägerin nicht dem Gutachten von Dr. H, sondern dem von Dr. R gefolgt ist.
Wenn die Klägerin schließlich noch vorbringt, das LSG sei verpflichtet gewesen, die Gutachter in der mündlichen Verhandlung anzuhören, so kann dieses Vorbringen schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Klägerin keinen entsprechenden von ihr gestellten Beweisantrag aufgezeigt hat.
Im Kern läuft das Beschwerdevorbringen der Klägerin darauf hinaus, dass sie die inhaltliche Richtigkeit des zweitinstanzlichen Urteils angreift. Dies vermag indes die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen; denn zulässiger Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1093722 |
NZS 2004, 504 |
SozR 4-1500 § 160a, Nr. 3 |