Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 24.06.1998) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1998 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.
Kläger sind die Ehefrau und drei minderjährige Kinder des am 4. März 1993 tödlich verunglückten R. … H. … (Versicherter). Zu dem Unfall kam es, als der Versicherte mit dem Firmenwagen seines Arbeitgebers auf dem Wege von der Arbeitsstätte zur Wohnung gegen einen Baum prallte. Nach entsprechenden Ermittlungen lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft gegenüber den Klägern mit Bescheiden vom 22. November 1993 die Gewährung von Leistungen ab, weil die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall nicht gegeben seien. Der Versicherte habe sich zwar auf dem Heimweg befunden. Versicherungsschutz habe aber zur Zeit des Unfalls nicht bestanden, denn der Versicherte habe die Rückfahrt durch einen Aufenthalt in einer Gaststätte um länger als zwei Stunden unterbrochen gehabt. Die Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 27. Juni 1994 zurück. Darin räumte sie zwar ein, die Dauer der Unterbrechung des Heimwegs könne nicht mehr festgestellt werden. Nach den Regeln der Beweislast hätten jedoch die Kläger als diejenigen, die Ansprüche aus dem Unfall herleiten wollten, die Folgen der Beweislosigkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zu tragen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten mit Urteil vom 25. März 1996 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 4. März 1993 als Arbeitsunfall anzuerkennen und den Klägern Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Es habe nicht festgestellt werden können, ob der Versicherte vor dem Unfall seinen Heimweg für mehr oder weniger als zwei Stunden unterbrochen habe. Bei der Frage, ob der Versicherte den Weg länger als zwei Stunden unterbrochen habe, handele es sich um eine anspruchsvernichtende Tatsache. Hierfür habe die Beklagte die Beweislast zu tragen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24. Juni 1998 das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Der zunächst bei der Heimfahrt des Versicherten bestehende Versicherungsschutz sei bei dessen Besuch der Gaststätte entfallen, weil der Gaststättenaufenthalt nicht im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gestanden habe. Ob nach dieser Unterbrechung der Versicherungsschutz wieder aufgelebt sei, lasse sich nicht mehr feststellen. Der Aufenthalt des Versicherten in der Gaststätte könne mehr als zwei Stunden, aber auch weniger als zwei Stunden angedauert haben. Für die Nichterweislichkeit dieser Tatsache hätten die Kläger und nicht die Beklagte die Beweislast zu tragen. Denn der Umstand, ob eine Unterbrechung weniger als zwei Stunden gedauert habe, stelle eine anspruchsbegründende Tatsache dar. Bei der Beurteilung der Frage, wer in diesem Falle die Beweislast zu tragen habe, sei zwischen den tatsächlichen Grundlagen einer nicht betriebsbedingten Unterbrechung und den tatsächlichen Grundlagen, die eine Feststellung der Dauer der Unterbrechung ermöglichten, zu unterscheiden. Das Vorliegen einer nicht betriebsbedingten Unterbrechung beseitige den Versicherungsschutz. Dieser Umstand komme als rechtshindernde Tatsache dem Versicherungsträger zugute. Beim Vorliegen einer nur bis zu zwei Stunden dauernden Unterbrechung lebe der Versicherungsschutz wieder auf. Diese Tatsache komme als rechtsbegründende oder anspruchserweiternde Tatsache dem Versicherten oder seinen Hinterbliebenen zugute. Nach den Grundsätzen über die Verteilung der Beweislast habe derjenige das Risiko für die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu tragen, der aus dem Vorliegen der Tatsache einen rechtlichen Vorteil habe. Demzufolge habe die Beklagte die Beweislast zu tragen, wenn nicht nachgewiesen werden könne, ob ein Versicherter den versicherten Weg unterbrochen habe. Denn es handele sich hierbei um eine rechtshindernde Tatsache. Mache der Versicherte jedoch geltend, die Unterbrechung habe nur bis zu zwei Stunden gedauert und der Versicherungsschutz sei deshalb nach Ende der Unterbrechung wieder aufgelebt, berufe er sich auf eine anspruchserweiternde bzw rechtsbegründende Tatsache, für die der Versicherte die Beweislast zu tragen habe.
Gegen das Urteil des LSG haben die Kläger Revision eingelegt und diese wie folgt begründet:
„Das LSG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Es hat die §§ 589 Abs 1 Nr 3 und 550 RVO verletzt. Der auf dem Heimweg von der Arbeit verunglückte Ehemann der Klägerin bzw Vater der Kläger (= Versicherter) stand entgegen der Ansicht des LSG unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Versicherte hat die Heimfahrt von seiner Arbeitsstätte zu seinem Wohnort unterbrochen und eine Gaststätte aufgesucht. Unter Ausschöpfung sämtlicher Beweismittel kann nicht mehr festgestellt werden, ob der Aufenthalt des Versicherten in der Gaststätte mehr als zwei Stunden, oder auch weniger als zwei Stunden angedauert hat.
Das LSG ist der Auffassung, daß für die Nichterweislichkeit dieser Tatsache die Klägerin bzw die Kläger und nicht die Beklagte die Beweislast zu tragen haben. Diese Auffassung verkennt, daß die Kläger die Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen tragen und insoweit bewiesen ist, daß sich der Unfall des Versicherten auf dem direkten Heimweg von der Arbeitsstelle ereignet hat, da der Tod durch den Unfall auf dem Weg eingetreten ist.
Bei der Frage, ob der Versicherte den Weg länger als zwei Stunden unterbrochen hat, handelt es sich demgegenüber um eine anspruchsvernichtende Tatsache. Hierfür hat die Beklagte die Beweislast zu tragen.
Da nicht bewiesen werden kann, für welchen Zeitraum der Versicherte seinen Heimweg unterbrochen hat, ist davon auszugehen, daß er die Heimfahrt weniger als zwei Stunden unterbrochen hat.
Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben”.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 24. Juni 1998 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 25. März 1996 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen der Kläger sind unzulässig, weil ihre Begründung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt.
Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision zu begründen. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung dieses Rechtsmittels soll eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleisten. Daher muß nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist, die Revision sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei begründet sein (vgl ua BSG SozR 1500 § 164 Nrn 12, 20, 25; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 9; BSG SozR 3-5555 § 15 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 12; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4, jeweils mwN; BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17). Die Bezeichnung allein der verletzten Rechtsnorm genügt diesen Erfordernissen nicht. Es ist vielmehr darzulegen, daß und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen. Die Revisionsbegründung muß nicht nur die eigene Meinung des Revisionsklägers wiedergeben, sondern sich – zumindest kurz – mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, daß und warum die als verletzt gerügte Norm des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl schon BSG SozR 1500 § 164 Nr 12). Aus dem Inhalt und der Darlegung muß sich ergeben, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat, und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist. Hierzu reicht es nicht aus, lediglich Rechtsansichten der Vorinstanz als unrichtig zu bezeichnen, vielmehr ist hinzuzufügen, warum sie nicht geteilt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vorinstanz ihre Rechtsauffassung näher begründet hat; in diesem Fall ist ein Eingehen auf den Gedankengang des Berufungsgerichts unumgänglich (BSG SozR 1500 § 164 Nr 20; BSG Beschluß vom 4. Februar 1997 – 2 RU 43/96 und BSG Beschluß vom 24. März 1998 – B 2 U 7/97 R).
Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung der Kläger nicht gerecht. Sie geht in keiner Weise auf den die Entscheidung des LSG tragenden und ausführlich begründeten Rechtssatz ein, daß bei festgestellter nicht betriebsbedingter Unterbrechung einer Heimfahrt die Beweislast dafür, daß die Heimfahrt innerhalb von zwei Stunden fortgesetzt wurde, beim Versicherten oder dessen Rechtsnachfolgern liegt. Dieser Rechtssatz hat das LSG veranlaßt, die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zuzulassen, weil nach seiner Auffassung die angefochtene Entscheidung insoweit vom Urteil des BSG vom 20. August 1987 (BSGE 62, 100 = SozR 2200 § 550 Nr 75) abweicht. Statt sich rechtlich mit dem genannten Rechtssatz und seiner eingehenden Begründung auseinanderzusetzen, führen die Kläger in der Revisionsbegründung hierzu nur aus, es handele sich bei der Frage, ob der Versicherte den Weg länger als zwei Stunden unterbrochen habe, um eine anspruchsvernichtende Tatsache, für die die Beklagte die Beweislast zu tragen habe. Warum die Frage der Unterbrechungsdauer nach ihrer Auffassung eine anspruchsvernichtende Tatsache und keine – wie das LSG meint – anspruchserweiternde bzw rechtsbegründende Tatsache darstellt, haben die Kläger nicht einmal ansatzweise dargelegt. Eine solche Darlegung wäre aber erforderlich gewesen, um aufzuzeigen, weshalb die Kläger bei der Auslegung des angewandten Rechts anderer Auffassung sind und worin genau sie die fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts durch das LSG erblicken. Auf diese Anforderung kann auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die Revision wegen Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) zugelassen worden ist. Insofern ist den Klägern die Begründung ihres Rechtsstandpunktes sogar dadurch erleichtert worden, daß das LSG das Urteil des BSG, von dem es nach seiner Meinung abgewichen ist, in der angefochtenen Entscheidung mit Fundstelle zitiert hat und die Kläger daraus Gegenargumente entnehmen konnten. Stattdessen haben sie in der entscheidenden Rechtsfrage von jeglicher Begründung ihrer Auffassung abgesehen und sind damit deutlich hinter den Mindestanforderungen an eine Revisionsbegründung zurückgeblieben.
Die nicht hinreichend begründeten Revisionen der Kläger mußten daher als unzulässig ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verworfen werden (§ 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen