Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung bzw Bezeichnung von grundsätzlicher Bedeutung, Divergenz und Verfahrensmangel. Wiedergabe des Sachverhalts
Orientierungssatz
Zu den Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde (hier insbesondere Wiedergabe des der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalts als Mindestvoraussetzung).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Anschlußarbeitslosenhilfe (Anschluß-Alhi), die die Beklagte wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt hat (Bescheid vom 21. Juli 1994; Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1994). Während das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt hat, hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen (Urteil des SG vom 28. Juni 1996; Urteil des LSG vom 16. September 1998).
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine Abweichung des LSG von Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG), indem es "zu unrichtigen Feststellungen gelangt sei und hierdurch § 6 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) unrichtig angewandt habe. Außerdem habe die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung, welche Kriterien vorliegen müßten, um iS von § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV eine geeignete Anlageform zur Alterssicherung zu wählen. Schließlich habe das LSG ihre (der Klägerin) Äußerungen interpretiert, ohne sie zum Sachverhalt nochmals zu befragen und ihren Ehemann als Zeugen zu hören. Hierin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.
Im einzelnen führt die Klägerin aus, das LSG sei zum Ergebnis gelangt, daß die Verwertung des ihr und ihrem Ehemann gehörenden Baugrundstücks zumutbar gewesen sei, obwohl ein Privilegierungstatbestand iS des § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 7 AlhiV vorgelegen habe, weil Vorbereitungen zur Verwirklichung der Bauabsicht zum Zeitpunkt der Alhi-Antragstellung getroffen worden seien (vgl BSG, Urteil vom 14. Februar 1989 - 7 RAr 62/87 -, veröffentlicht in DBlR 3498a zu § 137 AFG). Das LSG habe objektive Umstände nicht gewürdigt. Anders als das SG habe es sie (die Klägerin) in der Verhandlung über ihre Bauabsicht nicht befragt. Das LSG habe ihr vielmehr unterstellt, wegen der Arbeitslosigkeit die Planung geändert zu haben. Insoweit sei das LSG vom bezeichneten Urteil des BSG abgewichen, als es die "alsbaldige" Befriedigung eigener Wohnbedürfnisse abweichend verstehe. Eine Verwertung des Baugrundstücks sei ohnedies offensichtlich unwirtschaftlich gewesen (§ 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV).
Das LSG komme auch zur Auffassung, ein vorhandenes Bankguthaben in Höhe von insgesamt 175.000,00 DM sei - wenn auch nur eingeschränkt - verwertbar. Hier verschließe sich das LSG den wesentlichen Aussagen in der Entscheidung des BSG vom 20. Februar 1991 (11 RAr 35/89, veröffentlicht in AuB 1991, 347) und weiche hiervon ab. Vorliegend sei eine Verwertbarkeit wegen Verpflichtung zur Schuldentilgung zu verneinen.
Gemäß § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV sei die Verwertung des Vermögens auch nicht zumutbar, wenn es für eine alsbaldige Berufsausbildung, zum Aufbau oder zur Sicherung einer angemessenen Berufsgrundlage oder zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt gewesen sei. Insoweit werde auf die Entscheidungen des BSG hingewiesen, wonach für eine Einzelperson ein Betrag von 30.000,00 DM als zur angemessenen Lebenshaltung bestimmt angesehen werde (BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 4), bzw daß zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Lebensgrundlage auch ein Vermögen von 70.000,00 DM dienen könne (BSG SozR 4100 § 137 Nr 1; vgl auch BSGE 68, 148, 154). Die vom LSG erwähnten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Zweckbestimmung "Alterssicherung" seien nicht nachvollziehbar; hierzu hätten sie und ihr Ehemann gehört werden müssen. Das LSG habe auch nicht auf die Rechtsinhaberschaft über die 175.000,00 DM abgestellt (sie oder ihr Ehemann).
Der bislang nicht entschiedenen Frage, welche Anlageformen zur Regelungsvariante "Alterssicherung" ausschieden, komme grundsätzliche Bedeutung bei.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das gilt sowohl für den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) als auch für den der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Den Anforderungen an die Beschwerdebegründung wird der Vortrag der Klägerin schon deshalb nicht gerecht, weil er nicht einmal ansatzweise den der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalt schildert. Dem Senat ist es deshalb überhaupt nicht möglich, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Vortrags der Klägerin ein Bild über Streitgegenstand und rechtliche wie tatsächliche Streitpunkte zu machen. Aufgabe der Revisionsinstanz ist es indes nicht, sich den für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Sachverhalt selbst aus dem Urteil des LSG bzw den Leistungsakten herauszusuchen. Die Wiedergabe des der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalts ist deshalb Mindestvoraussetzung für eine Entscheidung des Senats über die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde.
Für die erhobene Divergenzrüge gilt dies deshalb, weil Divergenz nur dann vorliegt, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (vgl BAG AP Nr 11 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 163 ff mwN). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (siehe nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet also die Zulassung der Revision wegen Abweichung (BSG aaO).
Bezogen auf die Darlegungspflicht für eine Divergenzrüge bedeutet dies zunächst, daß die Beschwerdebegründung erkennen lassen muß, welcher abstrakte Rechtssatz im Urteil des BSG enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29 und 67). Der Rechtssatz des BSG, der genau zu bezeichnen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14; BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 48; BFHE 99, 25, 26; 138, 152, 153; BAGE 1, 10, 12), muß rechtserheblich gewesen sein; Abweichung setzt nämlich voraus, daß die gegenüberzustellenden Entscheidungen eine bestimmte Rechtsfrage nicht nur erwogen, sondern tatsächlich auch beantwortet haben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 61; BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 86). Weil das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruhen muß, verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz schließlich eine Darlegung, daß das Urteil der Vorinstanz bei Zugrundelegung der Auffassung in der Entscheidung von der abgewichen worden sein soll, anders hätte ausfallen müssen, der divergierende Rechtssatz des angefochtenen Urteils also entscheidungserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). Ohne Wiedergabe des der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalts ist indes eine Beantwortung all dieser Fragen nicht möglich. Die Beschwerdebegründung der Klägerin beschränkt sich demgegenüber auf punktuelle Kritik an der Entscheidung und dem Verfahren des LSG und ermöglicht es dem Senat nicht einmal, den Streitgegenstand genau zu erfassen. Darüber hinaus trägt die Klägerin gerade nicht vor, daß das LSG einen von einem Rechtssatz des BSG abweichenden eigenen Rechtssatz aufgestellt hat; die Ausführungen der Klägerin beinhalten lediglich den Vorwurf, daß die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat.
Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt die Wiedergabe des streiterheblichen Sachverhalts. Grundsätzliche Bedeutung hat nämlich eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muß daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Mit anderen Worten: Es müssen Rechtsfragen formuliert und deren abstrakte Klärungsbedürftigkeit und konkrete Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren Breitenwirkung dargelegt werden.
Insbesondere die Klärungsfähigkeit kann ohne entsprechenden Vortrag über den Sachverhalt nicht beurteilt werden. Denn klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31; BFHE 105, 335, 336). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müßte das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 39 und 53 und § 160a Nr 31; BVerwG Buchholz 310 § 75 VwGO Nr 11; BFHE 96, 41, 44). Dies erfordert, daß der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Ob und inwieweit es auf die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, welche Kriterien vorliegen müssen, um iS von § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AlhiV eine geeignete Anlageform zur Alterssicherung zu wählen, überhaupt ankommen wird, läßt sich vom Senat ohne Umschreibung des Streitgegenstands und des Sachverhalts jedoch nicht beurteilen (vgl zu der aufgeworfenen Rechtsfrage die Senatsurteile vom 22. Oktober 1998 und 25. März 1999 - B 7 AL 118/97 R und B 7 AL 28/98 R -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen).
Auch hinsichtlich der gerügten Verfahrensmängel, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), ist die Wiedergabe des entscheidungserheblichen Sachverhaltes unverzichtbare Voraussetzung. Macht ein Beschwerdeführer nämlich das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann, müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist Darlegung zu verlangen, daß und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14 und 36; BVerwGE 13, 338, 339; BGH NJW 1987, 2442 f), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 551 Zivilprozeßordnung der Einfluß auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8). Soweit der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gestützt wird, muß außerdem dargelegt werden, daß beim LSG ein Beweisantrag gestellt worden ist, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Bei den von der Klägerin erhobenen Vorwürfen des Verstoßes gegen § 103 SGG und einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) handelt es sich nicht um absolute Revisionsgründe. Die Nichtzulassungsbeschwerde müßte mithin - vom Vortrag über den beim LSG gestellten Beweisantrag einmal abgesehen - folgende Begründungselemente aufweisen:
1. die genaue Darlegung des behaupteten Verfahrensmangels unter Wiedergabe des ihn begründenden Sachverhalts, 2. eine Darlegung der Rechtsansicht des LSG, 3. Ausführungen zur Möglichkeit einer Urteilsbeeinflussung durch den Verfahrensfehler.
Dies erfordert zwangsläufig eine Wiedergabe des der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalts. Denn ohne eine solche Schilderung ist es dem Revisionsgericht überhaupt nicht möglich eine sog Schlüssigkeitsprüfung dahin vorzunehmen, ob bei Unterstellung der Behauptungen der Klägerin als richtig ein Verfahrensfehler vorliegt, der dann erst (im Rahmen der Begründetheitsprüfung der Nichtzulassungsbeschwerde) verifiziert werden müßte.
Entspricht mithin die Begründung in keinem Punkt den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen