Beteiligte
Rheinischer Gemeindeunfallversicherungsverband |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. September 1998 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der im Jahre 1961 geborene Kläger befuhr mit seinem Motorrad am 4. Juni 1995 in Norwegen die sieben Meter breite Landstraße 13 in Richtung T.. Gegen 14.00 Uhr lenkte er auf die Gegenfahrbahn, um dort bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h zwei vor ihm in Kolonne fahrende Pkw und einen davor fahrenden Radfahrer zu überholen. Als er sich auf der Höhe der Pkw befand, zog der Radfahrer, ohne sich nach anderen umzusehen und ohne Vorankündigung, blitzschnell nach links auf die vom Kläger benutzte Fahrbahnhälfte. Der Kläger machte daraufhin mit seinem Fahrzeug eine Ausweichbewegung, wie er angab, nach links. Trotzdem erfaßte das Motorrad das Fahrrad zwischen den Pedalen und dem Hinterrad. Bei dem hierdurch verursachten Sturz zog sich der Kläger eine Querschnittslähmung zu. Der Radfahrer erlitt nach den vom Landessozialgericht (LSG) in Bezug genommenen Verwaltungsakten der Beklagten einen Wadenbein- und Schlüsselbeinbruch.
Im Juli 1995 meldete der Kläger unter Schilderung des Unfallgeschehens beim Beklagten Entschädigungsansprüche an mit der Begründung, er sei bei einer Rettungshandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) verunglückt. Der Beklagte holte daraufhin schriftliche Erklärungen der beiden Insassen des hinteren Pkw der Kolonne ein und zog einen Vermerk des Klägers über einen Dienstreisebericht vom 27. Juli 1995 sowie die Ermittlungsakten der norwegischen Polizei bei, die Aussagen des am Unfall beteiligten Radfahrers sowie der Fahrerin des vorderen Pkw zum Unfallhergang enthalten. Sodann lehnte er mit Bescheid vom 15. Juli 1996 die Entschädigung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, weil eine auf Rettung abzielende Unternehmung beim Kläger nicht festzustellen sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, durch den verkehrswidrig und rücksichtslos durchgeführten Abbiegevorgang des Radfahrers sei eine unvorhergesehene Gefahrensituation entstanden. Er habe als erfahrener Verkehrsteilnehmer erkannt, daß eine Vollbremsung den drohenden Zusammenstoß nicht hätte verhindern können, und habe sich deswegen bewußt zu einem Ausweichmanöver entschlossen, um den Radfahrer zu schützen. Eine Kollision mit diesem ohne ein Ausweichen hätte, wie er damals erkannt habe, mit hoher Wahrscheinlichkeit dessen Tod zur Folge gehabt. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 1996 zurück. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere der Untersuchungsergebnisse der norwegischen Polizei, fehlten hinreichende Gesichtspunkte dafür, daß der Kläger überwiegend in Rettungsabsicht gehandelt habe.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 1998). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 29. September 1998). Nach den Ermittlungen des Beklagten und der norwegischen Polizei sowie unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers stehe fest, daß ihm für ein mehr als „automatisches” Ausweichmanöver keine Zeit geblieben sei. Solche spontanen, reflexartigen oder „automatischen” Ausweichbewegungen schlössen den Versicherungsschutz allerdings nicht aus. Die automatische Handlung müsse dann aber wesentlich von der inneren Absicht gesteuert worden sein, in bestimmten Situationen lebensrettend zu handeln. Dies lasse sich hier nicht feststellen. Bei der hierzu notwendigen Einzelbetrachtung sei auf die konkrete Gefahrenlage abzustellen, in der sich die Verkehrsteilnehmer befunden hätten. Diese müsse bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv geeignet sein, eine Rettungshandlung auszulösen, wobei das Ausmaß der Gefährdung der beteiligten Verkehrsteilnehmer von besonderer Bedeutung sei. Sei die Gefährdung gleich groß, müßten zusätzliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, damit eine Ausweichaktion nicht lediglich als instinktives Abwehrverhalten oder als automatische Fluchtreaktion zu qualifizieren sei. An solchen Anzeichen fehle es hier. Die Situation habe für den Kläger ein erhebliches, dem des Radfahrers nicht nachstehendes Verletzungsrisiko in sich geborgen. Darüber hinaus seien auch sonstige Umstände nicht ersichtlich, die eine Rettungsabsicht belegen könnten. Insbesondere könne angesichts seiner reflexartigen Handlung nicht angenommen werden, daß er ein Geradeausfahren oder alternative „Rettungstechniken” erwogen und verworfen habe, um den Radfahrer zu schützen. Eher sei die von ihm geschilderte Ausweichbewegung nach links auch für den Radfahrer gefahrsteigernd gewesen. Auch wenn die Ausweichbewegung anders verlaufen wäre, ergäbe sich kein Hinweis darauf, daß sie wesentlich von der inneren Absicht gesteuert worden sei, das Risiko des Radfahrers zu mindern; denn mit einem solchen Ausweichmanöver hätte der Kläger noch am ehesten eine Kollision und damit den eigenen Sturz verhindern können. Da eine Rettungshandlung nicht feststellbar sei, könne offenbleiben, ob der Unfall ohne eine solche anders verlaufen wäre und welche Bedeutung dies für den Versicherungsschutz hätte.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO. Die bisherige Rechtsprechung zu Ausweichmanövern von Zweiradfahrern schenke dem Ausmaß der Gefährdung der beteiligten Verkehrsteilnehmer eine zu große Bedeutung. Das gelte insbesondere in Fällen, in denen – wie hier – die beteiligten Verkehrsteilnehmer gleich oder annähernd gleich stark gefährdet seien. Der Zweiradfahrer sei in der konkreten Situation allein auf sich gestellt. Der Schutz, der ihn umgebe, sei in der Regel zu dürftig, um von Sicherheit zu sprechen. Gleichwohl müsse es auch einem solchen Verkehrsteilnehmer möglich sein, in Rettungsabsicht zu handeln und dies zu belegen. Wenn die Rechtsprechung zur Klärung der Rettungsabsicht insbesondere auf das Moment der Eigengefährdung abstelle, erscheine dies höchst bedenklich. Denn es könne nicht demjenigen eher eine Rettungsabsicht unterstellt werden, der im Fall einer geringeren Eigengefahr tätig werde, als demjenigen, der unter Einsatz seines Lebens Hilfe leiste. Das angefochtene Urteil gehe auch fehl in der Annahme, es seien keine weiteren „sonstigen Umstände” ersichtlich, die für eine Rettungsabsicht sprächen. Dabei sei nicht berücksichtigt worden, daß ihm als einem besonders geschulten Motorradfahrer in der konkreten Unfallsituation Alternativmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, wie etwa ein Geradeaus-Weiterfahren, um das Motorrad stabil zu halten und so den Sturz für sich abzumildern, oder ein in seiner Ausbildung gelernter Absprung. Der Verzicht auf den Einsatz dieser Alternativen spreche für die Rettungsabsicht. Auch die Schnelligkeit seiner Ausweichbewegung lasse keinen Rückschluß auf sein Motiv zu. Die gegebene Verkehrssituation habe eine blitzartige Reaktion erfordert, die sich mit dem Lenken der Maschine nach links konkretisiert habe. Ihm sei nur diese eine Lenkbewegung geblieben, um seinen Rettungswillen bei dem Unfallgeschehen nach außen zu tragen. Er habe diesen Rettungswillen auch kurz nach dem Unfall kundgetan. Wenn aber ein Zweiradfahrer bewußt und zielgerichtet ausweiche und keine Umstände dafür ersichtlich seien, daß dieses Verhalten überwiegend dem Eigenschutz oder einem instinktiven Verhalten entspreche, so lägen ausreichende Umstände vor, die eine Rettungsabsicht nahelegten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. September 1998 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. Februar 1998 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. September 1996 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen des Unfallereignisses vom 4. Juni 1995 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Das LSG hat rechtlich zutreffend entschieden, daß der Unfall des Klägers vom 4. Juni 1995 kein Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 RVO war.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der dafür maßgebliche Unfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Im vorliegenden Fall beurteilt sich der Versicherungsschutz allein nach § 539 Abs 1 Nr 9 Fall 2 RVO, der gemäß § 539 Abs 3 Satz 2 RVO für im Inland wohnende oder sich gewöhnlich aufhaltende Personen auch im Ausland gilt. Danach sind Personen, die bei Unglücksfällen einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen, in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall versichert. Dabei muß es sich nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum um ein aktives Handeln zugunsten eines Dritten, um eine auf Rettung abzielende Unternehmung handeln (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 2200 § 539 Nr 34; BSGE 44, 22, 24 = SozR 2200 § 1504 Nr 4; BSGE 54, 190, 191 = SozR 2200 § 539 Nr 87; BSGE 64, 218, 219 = SozR 2200 § 539 Nr 130; Brackmann/Wiester, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, 12. Aufl, § 2 RdNr 653; Lauterbach/Schwerdtfeger, UV-SGB VII, § 2 RdNr 433; Schmitt, SGB VII, § 2 RdNr 86; KassKomm-Ricke, § 2 SGB VII RdNr 69; Kater/Leube, SGB VII, § 2 RdNr 307; Hauck/Riebel, SGB VII, § 2 RdNr 179).
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß sich nach dem ermittelten Sachverhalt eine Rettungshandlung im genannten Sinne nicht feststellen lasse. Zwar ist eine solche Rettungshandlung nicht dadurch ausgeschlossen worden, daß die akute Gefahr für den Radfahrer sich allein aus dem drohenden Zusammenstoß mit dem Motorrad des Klägers ergab, der Kläger die Gefahr für Körper und Gesundheit des Radfahrers also mitverursacht hat; denn eine Mitverursachung der Gefahr durch den Helfer ist für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO – abgesehen von hier nicht in Betracht kommendem vorsätzlichen Handeln (vgl Lauterbach/Schwerdtfeger, aaO, § 2 RdNr 428) – unschädlich (BSGE 37, 38, 40 f mwN = SozR Nr 46 zu § 539 RVO). Auch schließt ein reflexartig vorgenommenes Ausweichmanöver eine Rettungshandlung nicht von vornherein aus; entscheidend ist, daß die automatische Handlung im Unterbewußtsein wesentlich (nicht nur in äußerst geringem Maße) von der inneren Absicht getragen ist, lebensrettend zu handeln (BSGE 44, 22, 24 = SozR 2200 § 1504 Nr 4; BSGE 64, 218, 219 f = SozR 2200 § 539 Nr 130). Schließlich kann ein Ausweichmanöver auch als Rettungshandlung gewertet werden, wenn die Gefahr für den zu Rettenden zugleich eine Gefahr für den Retter ist und die Rettungshandlung nicht wesentlich der eigenen Rettung dient (BSG Urteil vom 15. Juni 1976 - 2 RU 151/75 - SozSich 1976, 284; BSGE 64, 218, 220 = SozR 2200 § 539 Nr 130).
Für den Nachweis, daß es sich bei reflexartig vorgenommenen Ausweichmanövern im Straßenverkehr um ein aktives Handeln zugunsten eines Dritten, also um eine auf Rettung eines anderen abzielende Unternehmung handelt, gelten die allgemein von der Rechtsprechung zu § 548 Abs 1 RVO entwickelten Regeln. Danach reicht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit allein zur Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs aus; dagegen ist für alle anderen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls der volle Beweis zu erbringen (BSGE 58, 80, 83 mwN = SozR 2200 § 555a Nr 1; BSGE 61, 127, 128 mwN = SozR 2200 § 548 Nr 84). Das gilt auch für Fälle, in denen – wie hier – eine Rettungshandlung im Straßenverkehr trotz Mitverursachung, reflexartigem Handeln und gleichzeitiger Eigengefahr geltend gemacht wird.
Der Senat hat hierzu entschieden (BSGE 64, 218, 220 = SozR 2200 § 539 Nr 130), daß in derartigen Situationen auf die konkrete Gefahrenlage, in der sich die beteiligten Verkehrsteilnehmer befinden, abzustellen ist. Diese muß bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv geeignet sein, eine Rettungshandlung auszulösen. So wird eine Rettungsabsicht eher anzunehmen sein, wenn die Beteiligten höchst unterschiedlich gefährdet sind, wie zB bei einer unmittelbar bevorstehenden Kollision zwischen einem Lkw und einem Mofa-Fahrer, wohingegen ein Mofa-Fahrer im allgemeinen nicht in Rettungs-, sondern in Selbstschutzabsicht handelt, wenn er einem entgegenkommenden Lkw auszuweichen versucht. Ist die Gefährdung für die beteiligten Verkehrsteilnehmer dagegen – wie hier – annähernd gleich groß, so müssen zusätzliche Anhaltspunkte vorliegen, um eine Ausweichreaktion nicht lediglich als eine automatische Fluchtreaktion zu qualifizieren.
Entgegen der Auffassung der Revision sieht der Senat keinen Anlaß, im vorliegenden Fall von den genannten Grundsätzen etwa in dem Sinne abzuweichen, daß grundsätzlich bei Ausweichmanövern von Zweiradfahrern die Rettungsabsicht unterstellt werde und nur dann zu verneinen sei, wenn Umstände dafür ersichtlich seien, daß das Verhalten überwiegend dem Eigenschutz gedient habe oder einem instinktiven Verhalten entspreche. Für eine derartige Beweisregelung, nach der in Abweichung von dem oben genannten allgemeinen Grundsatz bei Ausweichmanövern von Zweiradfahrern letztlich der Unfallversicherungsträger den überwiegenden Eigenschutz oder das rein instinktive Verhalten nachweisen müßte, fehlt es an der erforderlichen rechtlichen Grundlage.
Die Vorschrift des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a Fall 2 RVO enthält keine Anhaltspunkte für eine derartige Abweichung von den in der gesetzlichen Unfallversicherung angewandten Beweisregeln. Daß nach Maßgabe des § 539 Abs 3 Satz 2 RVO auch Rettungshandlungen im Ausland unter Versicherungsschutz stehen, spricht jedenfalls nicht für eine solche Abweichung; denn dies ist angesichts der Häufigkeit von Ausweichmanövern im Straßenverkehr zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem anderen Verkehrsteilnehmer schon wegen der damit verbundenen hohen Kostenbelastung der zuständigen Unfallversicherungsträger nicht anzunehmen.
Auch aus den Grundsätzen des Anscheinsbeweises, die grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren gelten (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, III, RdNr 28; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl, § 128 RdNr 9), läßt sich das vom Kläger angestrebte Ergebnis nicht ableiten. Dieser Beweis findet Anwendung bei nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensabläufen, in denen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ursachenzusammenhang hinweist. Den gestellten Beweisanforderungen genügt es dann, wenn die den Sachverhalt ergebenden Tatsachen bewiesen sind, die typischerweise auf das Vorliegen der Haupttatsache schließen lassen. Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, daß im konkreten Fall – entgegen dem normalen Lauf der Dinge – ein atypischer Geschehensablauf ernsthaft möglich ist, ist dem Anscheinsbeweis die Grundlage entzogen (vgl BSG SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 N 2). Der Beweisbelastete kann sich dann auf den Ablauf nach der Lebenserfahrung nicht mehr berufen, sondern bedarf zur Durchsetzung seines Anspruchs vollständig des Beweises aller anspruchsbegründenden Tatsachen (vgl BSGE 8, 245, 247; 19, 52, 54 = Nr 62 zu § 542 aF RVO; 41, 297, 300 = SozR 2200 § 1399 Nr 4; BSG Urteil vom 12. Februar 1998 - B 8 KN 3/96 R - HVBG-Info 1998, 2561). Ein solcher typischer Geschehensablauf ist zugunsten des Klägers nicht erkennbar. Insbesondere kann bei einem Ausweichen vor einer drohenden Kollision im Straßenverkehr, durch die auch die eigene Person gefährdet wird, nicht typischerweise davon ausgegangen werden, daß das Ausweichen in erster Linie der Rettung des anderen Verkehrsteilnehmers gilt.
Auch können dem Kläger nicht aufgrund eines Beweisnotstandes Beweiserleichterungen zugebilligt werden. Zwar können nach der Rechtsprechung des BSG Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlaß sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen (BSGE 19, 52, 56 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; 24, 25, 28 f = SozR Nr 75 zu § 128 SGG). Das bedeutet, daß der Unfallversicherungsträger oder das Gericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 58/89 - HV-Info 1990, 2064; BSG Urteil vom 31. Mai 1996 - 2 RU 24/95 - HVBG-Info 1996, 2071). Einen solchen Ausnahmefall hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten (BSG Urteil vom 12. Juni 1990 - aaO -) oder beim Tod eines Seemanns auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit (BSGE 19, 52, 56 = SozR aaO) anerkannt. Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, ohnehin im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Allgemeingültige Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes würden dagegen dem in § 128 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen (BSG Beschluß vom 18. Juli 1990 - 2 BU 37/90 - HV-Info 1990, 1941). Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen eines Beweisnotstands in diesem Sinne nicht vor. Denn über die Einzelheiten des Unfallgeschehens haben nach den Feststellungen des LSG mehrere Zeugen inhaltlich weitgehend übereinstimmend ausgesagt. Auch geben die äußeren Umstände des Unfalls hinreichende Anhaltspunkte dafür, ob das Ausweichmanöver zur Rettung des Radfahrers oder der eigenen Person vorgenommen wurde. Hierzu zählen ua die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs, die Straßenverhältnisse, die Straßenführung, die Verkehrsdichte, etwaige Bremsspuren, die Richtung des Ausweichens und nicht zuletzt die Frage, ob der zu Rettende unverletzt geblieben ist. Im übrigen trifft es jedenfalls bei reflexartigem Ausweichen nicht zu, daß Zweiradfahrer hinsichtlich der Beweisbarkeit einer Rettungshandlung Pkw-Fahrern gegenüber benachteiligt sind; denn für solche blitzartig durchgeführten Manöver ist es stets ausgeschlossen, zuvor den Rat etwa eines Beifahrers einzuholen.
Somit war hier wegen der annähernd gleichen Gefahr, in der sich sowohl der Radfahrer als auch der Kläger befanden, entsprechend der genannten Rechtsprechung des Senats zur Feststellung einer Rettungshandlung zu prüfen, ob zusätzliche Anhaltspunkte vorliegen, um die Ausweichreaktion des Klägers nicht lediglich als ein instinktives Abwehrverhalten oder als automatische Abwehrreaktion zu qualifizieren. Eine solche Prüfung hat das LSG vorgenommen. Es ist insbesondere auch auf die vom Kläger vorgetragenen Alternativmöglichkeiten (weiteres Geradeausfahren, Rettungssprung) eingegangen, dabei jedoch zu dem Ergebnis gekommen, daß auch unter Einbeziehung solcher Möglichkeiten eine Rettungshandlung des Klägers nicht festzustellen ist. Soweit die Revision vorbringt, der Kläger habe unmittelbar nach dem Unfall kundgetan, daß er dem Radfahrer doch habe helfen wollen, beruft er sich damit auf eine Tatsache, die das LSG nicht festgestellt und er bisher auch nicht vorgetragen hat. Im Gegenteil hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid ua ausgeführt, der Kläger habe nie ausdrücklich behauptet, er habe dem Radfahrer ausweichen wollen, um ihn zu schützen. Da der Kläger in diesem Zusammenhang keine Verfahrensrügen geltend gemacht hat, kann sein neuer Tatsachenvortrag wegen § 163 SGG vom Revisionsgericht nicht beachtet werden.
Mit seiner Feststellung, auf eine Rettungsabsicht des Klägers könne angesichts der Umstände nicht geschlossen werden, hat das LSG die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nicht überschritten. Die Beweiswürdigung steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat (BSG Urteil vom 31. Mai 1996 - 2 RU 24/95 - HVBG-Info 1996, 2071; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 19 mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, III, RdNrn 162 f sowie IX, RdNr 286). Von einem Verstoß gegen Denkgesetze kann dabei nur gesprochen werden, wenn aus den gesamten Gegebenheiten nur eine Folgerung gezogen werden kann, daß jede andere nicht „denkbar” ist und das Gericht die allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit den zusätzlichen Anhaltspunkten für eine Rettungshandlung vorträgt, er habe bewußt auf den Gebrauch der Alternativmöglichkeiten verzichtet, mit denen er sich selbst hätte retten können, hat er damit keinen Verstoß gegen die Denkgesetze im obigen Sinne geltend gemacht, weil aufgrund der übrigen Feststellungen (hohe Geschwindigkeit, enge Straße, zwei in der Nähe fahrende Pkw) jedenfalls auch bei Ausführung einer der Alternativmöglichkeiten ein hohes Verletzungsrisiko für den Kläger zumindest denkbar war und daher ein Verzicht darauf nicht notwendigerweise auf altruistische Beweggründe schließen lassen. Selbst wenn eine andere Wertung als die vom LSG vorgenommene möglich wäre, ist der Senat an die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung gebunden; denn dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen selbst die Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (BSG SozR 1500 § 164 Nr 31).
Schließlich hat das LSG auch nicht gegen die Regeln der Beweislast verstoßen. Danach geht die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen – hier die geltend gemachte Rettungshandlung – nach Ausschöpfung aller in Frage kommenden Ermittlungsmöglichkeiten zu Lasten desjenigen, der daraus ein Recht herleiten will (BSG SozR 3-2200 § 548 Nrn 11 und 14, jeweils mwN; Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 328). Das ist im vorliegenden Fall der Kläger, dessen Anspruch auf Entschädigungsleistungen davon abhängt, ob er einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternommen hatte.
Die Revision des Klägers war mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NWB 1999, 4337 |
NZA 2000, 200 |
ZAP 1999, 1139 |
AuA 2000, 35 |