Verfahrensgang
SG Aachen (Urteil vom 28.11.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28. November 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Zulässigkeit einer Befristung der Beteiligung des Klägers an der vertragsärztlichen Versorgung.
Der Kläger ist Leitender Arzt der Abteilung für Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin des Bethlehem-Krankenhauses in S …. Er war vor der Neuordnung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) in einem näher bestimmten Umfang an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung beteiligt.
Nachdem der Zulassungsausschuß die Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung durch Bescheid vom 12. Juni 1989 gemäß Art 65 GRG in eine Ermächtigung umgewandelt und diese bis zum 30. Juni 1991 befristet hatte, nahm die Beteiligungskommission für Ersatzkassen unter Berufung auf § 95 Abs 8 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Bescheid vom 29. September 1989 eine gleichlautende Befristung der vertragsärztlichen Beteiligung vor. Den Widerspruch des Klägers wies die beklagte Berufungskommission zurück (Bescheid vom 6. Dezember 1989).
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Aachen hat in seinem klageabweisenden Urteil vom 28. November 1990 ausgeführt, die Ersatzkassenbeteiligung sei von Gesetzes wegen auf den Umfang beschränkt, den die Ermächtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung habe. Diese aber sei auf der Grundlage des § 116 Satz 2 SGB V und des § 31a Abs 3 iVm § 31 Abs 7 der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) zu Recht von den Zulassungsinstanzen befristet worden.
Der Kläger hat die vom SG im Urteil zugelassene Sprungrevision eingelegt und der Revisionsschrift eine Ablichtung der von der Beklagten erteilten Zustimmungserklärung beigefügt. Das handschriftlich unterzeichnete Original dieser Erklärung befindet sich in den Akten des SG, die nach Ablauf der Revisionsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen sind. Während des Revisionsverfahrens hat die Beteiligungskommission für Ersatzkassen den Kläger mit Bescheid vom 17. Juli 1991 zur weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung bis 30. Juni 1993 ermächtigt.
Mit der Revision wird eine Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Zulässigkeit oder gar – wie das SG gemeint habe – die Notwendigkeit einer Befristung der Ermächtigung lasse sich den im Urteil genannten Rechtsvorschriften nicht entnehmen. Eine Bedarfsprognose, welche die Fristbestimmung rechtfertigen könnte, habe die Beklagte nicht vorgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28. November 1990 aufzuheben und den Beschluß der Beteiligungskommission für Ersatzkassen vom 26. September 1989 (Bescheid vom 29. September 1989) in der Gestalt des Beschlusses der Beklagten vom 6. Dezember 1989 insoweit aufzuheben, als seine (des Klägers) Beteiligung bis zum 30. Juni 1991 befristet worden ist.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig.
Der Kläger hat allerdings die vom Gesetz für die Einlegung der Sprungrevision aufgestellten Formerfordernisse nicht eingehalten. Hat das SG – wie hier – die Revision im Urteil zugelassen, so ist nach § 161 Abs 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die schriftliche Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners der Revisionsschrift beizufügen. Dieser Anforderung ist mit der Vorlage einer bloßen Fotokopie der Zustimmungserklärung nicht genügt. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes sind Rechtsmittelschriften und andere bestimmende Schriftsätze, von bestimmten Sonderfällen wie telegraphischer Einreichung abgesehen, vom Erklärenden eigenhändig zu unterschreiben (GmS-OGB BGHZ 75, 340, 349 = BVerwGE 58, 365 = SozR 1500 § 164 Nr 14 S 24; BSG SozR 1500 § 151 Nr 3 S 6; BAG AP Nr 46 zu § 518 ZPO; BFHE 136, 38). Aus Gründen der Rechtssicherheit soll im Rahmen des Möglichen jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, ob eine für den Gang des Verfahrens wesentliche Prozeßerklärung von der dazu befugten Person tatsächlich abgegeben worden ist und der Erklärende für ihren Inhalt die Verantwortung übernimmt. Das mit dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift verfolgte Anliegen, Klarheit über die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärung zu schaffen, besteht in gleicher Weise bei der Zustimmung des Prozeßgegners zur Einlegung der Sprungrevision. Mit der Zustimmungserklärung, die unwiderruflich ist, verzichtet der Revisionsbeklagte auf das Rechtsmittel der Berufung (§ 161 Abs 5 SGG) und auf die Möglichkeit, Verfahrensmängel zu rügen (§ 161 Abs 4 SGG). Die Erklärung ist deshalb in ihrer Bedeutung und Tragweite der Rechtsmittelschrift selber oder einem sonstigen bestimmenden Schriftsatz vergleichbar.
Der Große Senat des BSG hat aus diesem Grunde bereits mit Beschluß vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 230, 234 = SozR Nr 14 zu § 161 SGG) entschieden, daß den Anforderungen des § 161 Abs 1 Satz 2 (jetzt Satz 3) SGG durch die Vorlage einer einfachen Abschrift des die Zustimmungserklärung enthaltenden Sitzungsprotokolls des SG nicht genügt wird, es insoweit vielmehr einer gerichtlich oder notariell beglaubigten Abschrift bedarf. Dagegen hat es der 3. Senat des BSG für den hier zu beurteilenden Fall, daß die Einwilligung in die Übergehung der Berufungsinstanz nach Zulassung der Revision außerhalb der mündlichen Verhandlung in einem gesonderten Schriftsatz erklärt wird, als ausreichend erachtet, wenn der Revisionskläger die schriftliche Erklärung des Rechtsmittelgegners, daß dieser in die Sprungrevision einwillige, dem BSG innerhalb der für die Einlegung der Revision bestimmten Frist in – unbeglaubigter – Fotokopie einreicht (Urteil vom 13. Februar 1964 – 3 RK 94/59 – in BSGE 20, 154, 155 f = SozR Nr 17 zu § 161 SGG). Auch der 12. Senat hat sich – in einer für die damalige Entscheidung allerdings nicht tragenden Erwägung – in diesem Sinne geäußert (SozR 1500 § 161 Nr 5). Dem vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Die Auffassung des 3. Senats läßt sich, wenn ihr auch formal betrachtet ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt, mit der zuvor erwähnten Aussage des Großen Senats inhaltlich nicht in Einklang bringen; denn es ist kein Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, an eine isolierte Zustimmungserklärung geringere Formanforderungen zu stellen als an eine in der Sitzungsniederschrift protokollierte Einwilligung. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof (BGH) für die mit § 161 Abs 1 Satz 3 SGG inhaltsgleiche Vorschrift des § 566a Abs 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) eine der Revisionsschrift beigefügte Fotokopie der (unterschriebenen) Zustimmungserklärung nicht ausreichen lassen (BGHZ 92, 76 = NJW 1984, 2890). Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht bei der Auslegung des § 76 Abs 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) angeschlossen (unveröffentlichtes Urteil vom 19. September 1985 – 2 AZR 533/84 –). Auch der erkennende Senat geht aus den vorgenannten Gründen davon aus, daß die Vorlage einer einfachen, nicht öffentlich beglaubigten Ablichtung der Zustimmungserklärung dem Schriftformerfordernis des § 161 Abs 1 SGG nicht genügt.
Dennoch muß für das vorliegende Verfahren die vom Kläger der Revisionsschrift beigefügte Fotokopie der Zustimmungserklärung der Beklagten aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes noch als formal ausreichend und damit die Revision als zulässig angesehen werden, so daß sich eine Anrufung des Großen Senats zur Klärung der mit der Rechtsprechung des 3. Senats bestehenden Divergenz erübrigt. Rechtsstaatliche Grundsätze gebieten es, dem Rechtsuchenden in klarer Abgrenzung den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen zu weisen (BVerfGE 49, 148, 164). Das bedeutet, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem jüngst ergangenen Beschluß vom 7. Juli 1992 -2 BvR 1631/90 – (DVBl 1992, 1531 = ZAR 1992, 178) erneut betont hat, daß bei Rechtsänderungen, welche die Zulässigkeit von Rechtsmitteln oder die Modalitäten ihrer Einlegung betreffen, das Vertrauen in den Fortbestand der Zulässigkeit eines bereits eingelegten Rechtsmittels in der Regel zu schützen ist.
Das gleiche muß auch dann gelten, wenn der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch eine Änderung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung erschwert wird. Auch in diesem Fall verlangt das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot des vorhersehbaren und fairen gerichtlichen Verfahrens, daß solche Rechtsmittel, die nach den bisher geltenden Grundsätzen als formgerecht eingelegt anzusehen waren, nicht nachträglich für unzulässig erklärt werden (ebenso Urteil des 9. Senats des BSG vom 18. März 1987 – 9b RU 8/86 – in BSGE 61, 213, 214 = SozR 1500 § 67 Nr 18; zum Vertrauensschutz bei Änderungen der Rechtsprechung zum materiellen Recht: BVerfGE 59, 128, 165 f; BVerfG HFR 1989, 395, 396).
Nachdem die bisher mit der Rechtsfrage befaßten Senate des BSG bei der gegebenen Fallkonstellation übereinstimmend die Vorlage einer einfachen Fotokopie der Zustimmungserklärung als den Anforderungen des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG genügend angesehen haben (vgl auch zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt das Urteil des BSG vom 9. September 1986 – 5b RJ 84/85 –, insoweit in SozR 6050 Anh VI Nr 3 nicht mit abgedruckt), konnte der Kläger und konnten auch andere Rechtsuchende in gleicher Lage davon ausgehen, daß weitergehende Formerfordernisse nicht zu erfüllen waren. Das nötigt dazu, für eine Übergangszeit bis zur Veröffentlichung dieses Urteils in der von den Richtern des BSG herausgegebenen Entscheidungssammlung „Sozialrecht” (SozR) die unter Beifügung lediglich einer einfachen Abschrift der Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners eingelegten Sprungrevisionen noch als zulässig zu behandeln (vgl BSGE 70, 240, 242 = SozR 3-5533 Allg Nr 1 S 2). Eine Enttäuschung des durch die bisherige Rechtsprechung begründeten Vertrauens würde um so schwerer wiegen, als dem Betroffenen damit wegen der Rechtswirkungen des § 161 Abs 5 SGG zugleich auch die Möglichkeit der Berufung genommen würde. Der Senat hat erwogen, dem Gebot der Rechtssicherheit durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Rechnung zu tragen. Hieran sieht er sich jedoch durch die Rechtsprechung des 1. Senats des BSG gehindert, der in seinem Urteil vom 15. März 1978 – 1 RA 33/77 – (SozR 1500 § 67 Nr 11) die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung gegen die verspätete Vorlage einer formgerechten Zustimmungserklärung verneint hat. Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, mag zweifelhaft sein; doch könnte von ihr wiederum nur nach Anrufung des Großen Senats abgewichen werden. Dessen bedarf es nicht, weil dem Kläger unabhängig von der Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung in jedem Fall Vertrauensschutz eingeräumt werden muß.
Die sonach zulässige Revision kann in der Sache keinen Erfolg haben, denn die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Gegenstand der Anfechtungsklage ist der Bescheid vom 6. Dezember 1989, mit dem die Beklagte die zuvor von der Beteiligungskommission verfügte Befristung der vertragsärztlichen Beteiligung des Klägers bis zum 30. Juni 1991 bestätigt hat. Die getroffene Regelung erschöpft sich in der Befristung der bis dahin ohne zeitliche Begrenzung eingeräumten Beteiligung alten Rechts. Die Beklagte hat weder die frühere Beteiligung widerrufen noch deren Umfang verändert. Dementsprechend konnte das Prozeßziel des Klägers nur darauf gerichtet sein, den angefochtenen Bescheid zu beseitigen, weil dann die frühere Beteiligung unbefristet weitergegolten hätte. Dieses Anliegen hat sich durch Zeitablauf erledigt. Für die Zeit ab 1. Juli 1991 hat die Beteiligungskommission die bisherige Beteiligung durch eine – wiederum auf zwei Jahre befristete – Ermächtigung neuen Rechts ersetzt.
Der Ermächtigungsbescheid vom 17. Juli 1991 ist nicht Gegenstand des anhängigen oder eines neuen Gerichtsverfahrens geworden. Nach § 171 Abs 2 SGG gilt zwar ein während des Revisionsverfahrens ergangener Verwaltungsakt, der den angefochtenen Bescheid abändert oder ersetzt, als mit der Klage beim SG angefochten, sofern nicht der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird. Hier hat aber der Bescheid vom 17. Juli 1991 den angefochtenen Bescheid vom 6. Dezember 1989 nicht abgeändert oder ersetzt. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift, die der Senat für geboten gehalten hat, wenn bei Dauerrechtsverhältnissen der nachgehende Bescheid die Rechtsposition des Betroffenen in derselben, mit der Klage beanstandeten Weise regelt wie der Ausgangsbescheid, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Ermächtigungsbescheid auf einer neuen, durch den Arzt/Ersatzkassenvertrag vom 13. September 1990 geschaffenen Rechtsgrundlage beruht.
Da infolge der Erledigung der Hauptsache das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen ist, ist diese unzulässig geworden. Sie kann auch nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 SGG weitergeführt werden (zur generellen Zulässigkeit des Übergangs von der Anfechtungs- auf die Fortsetzungsfeststellungsklage noch während des Revisionsverfahrens vgl BSGE 56, 45, 50 =
SozR 2100 § 70 Nr 1), weil der Kläger den Ermächtigungsbescheid selber mit der Klage anfechten kann und damit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsaktes nicht gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174404 |
Breith. 1994, 72 |