Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung überzahlter Geldleistungen nach dem Tod des Rentenberechtigten. eingeschränkte Haftung der Erben des Verfügenden
Leitsatz (amtlich)
Der gegen den Verfügenden gerichtete Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers bei Rentenzahlungen über den Tod der Rentenberechtigten hinaus stellt keine im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben übergehende Nachlassverbindlichkeit dar.
Orientierungssatz
Der Begriff der Erben iS von § 118 Abs 4 S 4 SGB 6 umfasst auch die Erben des Verfügenden.
Normenkette
SGB I § 57 Abs. 2; SGB VI § 102 Abs. 5, § 118 Abs. 3, 4 S. 1 Fassung: 2002-06-21, S. 4 Fassung: 2007-04-20; SGB X § 39 Abs. 2, § 50 Abs. 2; BGB § 1922 Abs. 1, § 1967; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Streitwert für den Rechtsstreit wird auf 155 871,65 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beklagte begehrt von der Klägerin die Erstattung von Rentenüberzahlungen in Höhe von 155 871,65 Euro.
Die 1920 geborene M. C. (nachfolgend: Rentenberechtigte) bezog nach ihrem verstorbenen Ehemann H. C. eine Witwenrente und eine eigene Altersrente. Die Renten wurden durch den Postrentendienst auf das Konto der Rentenberechtigten bei der Stadt- und Kreissparkasse L. bis zum Monat Mai 2007 gezahlt, obwohl die Rentenberechtigte bereits am 29.10.1991 verstorben war. Hiervon erlangte die Beklagte durch einen Postrücklauf am 12.3.2007 und eine Mitteilung der Stadt L. vom 7.5.2007 Kenntnis. Daraufhin verfügte sie die endgültige Zahlungseinstellung und machte mit Schreiben vom 26.6.2007 und 17.7.2007 gegenüber der Stadt- und Kreissparkasse L. für die Zeit vom 1.11.1991 bis 31.3.2007 Erstattungsansprüche in Höhe von 107 917,56 Euro für die überzahlte Hinterbliebenenrente sowie in Höhe von 114 077,81 Euro für die überzahlte Altersrente geltend. Die Stadt- und Kreissparkasse L. teilte mit Schreiben vom 16.7.2007 mit, den noch auf dem Konto vorhandenen Saldo in Höhe von 65 640,52 Euro zurückzuzahlen und erklärte im Übrigen, dass der Stiefsohn der Rentenberechtigten R. C., der Ehemann der Klägerin, über das Konto der Rentenberechtigten verfügt und bis einschließlich 23.7.2004 Barabhebungen vorgenommen habe. Danach sei über das Konto von Dritten nicht mehr verfügt worden. Im Rahmen der daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Ermittlungen wurde bekannt, dass R. C. am 19.8.2004 verstorben ist. Mit Schreiben vom 19.9.2007 teilte die Stadt- und Kreissparkasse L. mit, dass über das Guthaben auf dem Konto der Rentenberechtigten ausschließlich mittels Barabhebungen verfügt worden, neben der Rentenberechtigten alleiniger Verfügungsberechtigter ihr Sohn bzw Stiefsohn gewesen und das Konto nicht umgeschrieben sowie keine neuen Kontoinhaber eingetragen worden seien. Nach Einholung weiterer Auskünfte machte die Beklagte gegenüber der Stadt- und Kreissparkasse L. mit Schreiben vom 14.2.2008 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 156 354,85 Euro geltend. Nachdem sich das Kreditinstitut auf § 118 Abs 3 S 3 SGB VI berufen hatte, wandte sich die Beklagte an die Klägerin. Im Rahmen ihrer Anhörung zu der beabsichtigten Geltendmachung eines gegen sie gerichteten Erstattungsanspruchs in Höhe von 155 871,65 Euro teilte die Klägerin mit, von dem Konto, auf das Rentenleistungen gezahlt worden seien, weder Kenntnis gehabt zu haben noch über dieses verfügungsberechtigt gewesen zu sein. Sie selbst habe keine Rentenzahlungen in Empfang genommen und auch nicht über diese verfügt. Zudem erlaube ihre wirtschaftliche Situation keine Rückzahlung.
Mit Bescheid vom 25.9.2009 forderte die Beklagte die Klägerin als Erbin des verstorbenen R. C. auf, die Rentenüberzahlungen in Höhe von 155 871,65 Euro zu erstatten. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.8.2010).
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG Leipzig unter Festsetzung des Streitwerts auf 155 871,65 Euro den Bescheid vom 25.9.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.8.2010 aufgehoben. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 30.10.2012 in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung festgestellt, dass ein Streitwert nicht festzusetzen sei, und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte könne den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht auf § 118 Abs 4 S 1 SGB VI stützen, weil die Klägerin über die nach dem Tod der Rentenberechtigten von der Beklagten zu Unrecht geleisteten Rentenzahlungen weder verfügt noch diese in Empfang genommen habe. Ebenso wenig rechtfertige sich ein Anspruch aus § 118 Abs 4 S 1 SGB VI iVm §§ 1922, 1967 BGB. Die Regelungen würden durch die spezielle Norm des § 118 Abs 4 S 4 SGB VI verdrängt. Die Qualität dieser Vorschrift als § 118 Abs 4 S 1 SGB VI iVm §§ 1922, 1967 BGB verdrängende Spezialregelung ergebe sich aus dem in den Gesetzesmaterialien hinreichend zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Dieser habe sich bewusst dafür entschieden, die Erben, soweit sie nicht Verfügende oder Empfänger iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI seien, nicht der verschärften Haftung zu unterstellen und die Bösgläubigkeit des Empfängers oder Verfügenden nicht über die Erbenhaftung weiterzuleiten. Die Auffassung der Beklagten, nach der § 118 Abs 4 S 4 SGB VI nur für die Erben des Berechtigten, nicht aber "für die Erben eines beliebigen verfügenden Dritten" gelte, führe zu dem Ergebnis, dass von der unrechtmäßigen Verfügung und Empfangnahme noch weiter entfernte Personen wegen der Erbenhaftung (nach §§ 1922, 1967 BGB) schärfer hafteten als der näherstehende Erbe des Berechtigten, der sich in seiner Person auf Vertrauensschutz berufen könne. Dies sei weder unter dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte zu rechtfertigen noch mit dem vom Gesetzgeber bezweckten Privilegierungsschutz zu vereinbaren.
Ein Anspruch nach § 118 Abs 4 S 4 SGB VI iVm § 50 Abs 2 SGB X komme nicht in Betracht, weil sich die Klägerin für die rückwirkende Erstattung auf Vertrauensschutz berufen könne und die Beklagte keinerlei Ermessenserwägungen angestellt habe.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 118 Abs 4 S 1 und S 4 SGB VI iVm §§ 1922, 1967 BGB. Die Klägerin sei als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs 1 BGB) erstattungspflichtig. Zu diesen gehöre der gegen ihren verstorbenen Ehemann gerichtete öffentlich-rechtliche Rückforderungsanspruch nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI als Erblasserschuld, der mangels entgegenstehender Vorschriften in entsprechender Anwendung der genannten Normen des BGB beim Erbgang auf die Klägerin übergegangen sei. Auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes komme es daher nicht an. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen werde § 118 Abs 4 S 1 SGB VI nicht durch § 118 Abs 4 S 4 SGB VI im Sinne einer Spezialregelung verdrängt. Insoweit sei zunächst auf das Urteil des 13. Senats des BSG vom 10.7.2012 (B 13 R 105/11 R - SozR 4-2600 § 118 Nr 11) zu verweisen, nach dem die Ansprüche gegen Empfänger/Verfügende gemäß § 118 Abs 4 S 1 SGB VI und gegen Erben nach § 118 Abs 4 S 4 SGB VI prinzipiell gleichrangig und eigenständig seien. Der Anspruch gemäß S 4 könne aber der allgemeinere Tatbestand sein, wenn der Erbe iS des S 1 verfügt bzw den Rentenbetrag in Empfang genommen habe. In diesem Fall sei für den Rentenversicherungsträger die Inanspruchnahme nach Abs 4 S 1 zweckmäßiger, weil der Vertrauensschutz über §§ 45 ff SGB X keine Anwendung finde, sondern die verschärfte bereicherungsrechtliche Haftung greife. Letzteres treffe auf den verstorbenen Sohn der Rentenberechtigten R. C. zu. Dieser Anspruch sei - wie bereits dargelegt - auf die Klägerin im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergegangen. Die Ausführungen des LSG zur angeblichen Spezialität des § 118 Abs 4 S 4 SGB VI gingen daher fehl. Im Übrigen erfasse der Begriff der Erben in dieser Vorschrift nur die Erben des Berechtigten und nicht auch die Erben des Verfügenden bzw Empfängers. Dies ergebe sich daraus, dass § 118 Abs 4 SGB VI die Rückforderung gegenüber diesen Personengruppen - den Verfügenden, den Empfängern und den Erben - regele.
Sollte sie, die Beklagte, nicht berechtigt gewesen sein, ihren gegen die Klägerin gerichteten Anspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen, wäre aus den aufgezeigten Gründen ihrer - zulässigen und statthaften - Eventualwiderklage stattzugeben.
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Die Beklagte beantragt, |
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das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 30. Oktober 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 15. März 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen, |
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hilfsweise, |
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die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 155 871,65 Euro zu zahlen. |
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Die Klägerin beantragt, |
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die Revision der Beklagten zurückzuweisen. |
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht haben SG und LSG entschieden, dass der Beklagten ein gegen die Klägerin gerichteter Anspruch auf Erstattung überzahlter Rentenbeträge in Höhe von 155 871,65 Euro nicht zusteht. Ein derartiger Anspruch ergibt sich weder aus § 118 Abs 4 S 1 SGB VI bzw § 118 Abs 4 S 1 SGB VI iVm § 1922 Abs 1, § 1967 BGB noch aus § 118 Abs 4 S 4 SGB VI iVm § 50 SGB X.
1. Der Entscheidung zugrunde zu legen ist § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 24.8.2010 geltenden Fassung (des mit Wirkung vom 29.6.2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze ≪HZvNG≫ vom 21.6.2002 - BGBl I 2167). Wird ein belastender Verwaltungsakt - wie der hier zu prüfende Erstattungsbescheid der Beklagten - mit der Anfechtungsklage angegriffen, ist für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich der Zeitpunkt seines Erlasses (ggf - wie hier - des Widerspruchsbescheids) maßgeblich (vgl zB BSGE 79, 223, 225 = SozR 3-1300 § 48 Nr 57 S 129; BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 18 S 46; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 2 S 11; BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 17).
§ 118 Abs 4 S 1 SGB VI in der hier anwendbaren Fassung enthält folgende Regelung: Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet.
a) In der Person der Klägerin ist ein Erstattungsanspruch schon deshalb nicht entstanden, weil diese nach den mit der Revision nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) weder Empfängerin noch Verfügende iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI ist.
b) Die Klägerin ist auch nicht als Erbin ihres verstorbenen Ehemanns R. C. zur Erstattung der überzahlten Rentenbeträge gemäß § 118 Abs 4 S 1 SGB VI iVm § 1922 Abs 1, § 1967 BGB verpflichtet.
aa) Zwar ist der Erstattungsanspruch nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI in der Person des R. C. entstanden.
Die Voraussetzungen der Norm sind in seiner Person erfüllt. Mit den Rentenzahlungen für die Zeit vom 1.11.1991 bis (jedenfalls) 31.3.2007 sind für die Zeit nach dem Tod der Rentenberechtigten M. C. am 29.10.1991 Geldleistungen erbracht worden. Diese sind zu Unrecht erfolgt, weil nach § 102 Abs 5 SGB VI ein Anspruch auf Zahlung der Rente nur bis zum Ende des Kalendermonats besteht, in dem der Berechtigte gestorben ist, hier also bis zum 31.10.1991. Die Überweisung der Rente für November 1991 bis März 2007 widerspricht infolgedessen dem Gesetz. Die Bindungswirkung der Rentenbewilligung vermag die Zahlungen nicht zu rechtfertigen, weil sich der diesbezügliche Verwaltungsakt mit dem Tod der Rentenberechtigten auch ohne Aufhebungsbescheid auf andere Weise gemäß § 39 Abs 2 SGB X erledigt hat (vgl zB BSGE 84, 16, 20 = SozR 3-1300 § 50 Nr 21 S 71 f; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 63; BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 9 RdNr 15, Nr 10 RdNr 13 und Nr 11 RdNr 20). Der verstorbene R. C. war auch Verfügender iS des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI. Er war über das Konto der Rentenberechtigten M. C. verfügungsberechtigt und hat bankübliche Zahlungsgeschäfte in Form von Barabhebungen zu Lasten des Kontos vorgenommen. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch davon auszugehen, dass das auf dem Konto vorhandene Guthaben aus Rentenzahlungen herrührte, sodass der verstorbene R. C. über den den erbrachten Geldleistungen "entsprechenden Betrag" verfügt hat.
bb) Der gegen den verstorbenen R. C. gemäß § 118 Abs 4 S 1 SGB VI entstandene Erstattungsanspruch ist aber nicht auf die Klägerin als Erbin gemäß § 1922 Abs 1, § 1967 BGB übergegangen. Diese Vorschriften sind nicht anwendbar.
Nach § 1922 Abs 1 BGB geht zwar das Vermögen des Erblassers als Ganzes auf den Erben über, sodass dieser nach § 1967 BGB für Nachlassverbindlichkeiten, einschließlich der vom Erblasser herrührenden Schulden haftet. Inwieweit öffentlich-rechtliche Forderungen und Verbindlichkeiten in den Nachlass fallen, bestimmt sich aber nicht nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen, sondern nach dem öffentlichen Recht, dem die jeweiligen Forderungen und Verbindlichkeiten angehören (BGH Urteil vom 22.1.1971 - I ZR 132/69 - Juris RdNr 15; BVerwGE 16, 68, 69). Nur soweit ausdrückliche Vorschriften bzw anderweitige gesetzliche Regelungen fehlen, kann der Rechtsgedanke der §§ 1922, 1967 ff BGB auf öffentlich-rechtliche Ansprüche und Verbindlichkeiten entsprechend angewendet werden (BGH aaO; BVerwGE 21, 302, 303; Weidlich in Palandt, BGB, 73. Aufl 2014, § 1922 RdNr 40 und § 1967 RdNr 3). Dies ist hier nicht der Fall.
Eine anderweitige § 1922 Abs 1, § 1967 BGB verdrängende gesetzliche Vorschrift stellt § 118 Abs 4 S 4 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung von Abs 4 (des mit Wirkung zum 1.5.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ≪RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz≫ vom 20.4.2007 - BGBl I 554) dar, nach dem ein Anspruch gegen die Erben nach § 50 SGB X unberührt bleibt. Die nunmehr in S 4 enthaltende Regelung ist seit ihrer Einführung als S 3 des neuen Abs 4 zum 1.1.1996 durch Art 1 Nr 20 des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) unverändert geblieben.
§ 118 Abs 4 S 4 SGB VI normiert in den Fällen einer Zahlung von Renten über den Tod des Berechtigten hinaus eine eigene Regelung für die Haftung der Erben, die diesen Personenkreis bewusst nicht der verschärften Haftung des S 1 unterwirft, sondern zu seinen Gunsten die Anwendung der Vertrauensschutzregelungen des SGB X vorsieht (vgl Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 29.11.1995, BT-Drucks 13/3150 S 42 zu Nr 17). Dieses gesetzgeberische Anliegen würde unterlaufen, wenn der Anspruch nach S 1 eine Nachlassverbindlichkeit wäre, für die der Erbe, ohne die Möglichkeit Vertrauensschutzgesichtspunkte geltend zu machen, nach § 1967 BGB einzustehen hätte.
Der Begriff der Erben iS von § 118 Abs 4 S 4 SGB VI umfasst entgegen der Ansicht der Beklagten auch die Erben des Verfügenden.
Hierfür sprechen zum einen der Wortlaut des § 118 Abs 4 S 4 SGB VI, der allgemein auf "die Erben" und nicht lediglich auf die Erben des Berechtigten abstellt, als auch der sich aus den Materialien ergebende Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Regelung ist in § 118 Abs 4 SGB VI eingefügt worden, um klarzustellen, "dass Rückforderungsansprüche gegen die Erben, die nicht über die Rentenzahlung verfügt haben und deshalb nicht nach Satz 1 haften, nach den allgemeinen Regeln des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch geltend gemacht werden können" (BT-Drucks 13/3150, S 42 zu Nr 17). Die Ergänzung des Abs 4 diente mithin zum einen dazu, die Personen aufzuzeigen, die neben den in S 1 genannten ebenfalls als potentiell Anspruchsverpflichtete in Betracht kommen. Dies sind nicht nur die (nicht verfügenden) Erben des Berechtigten, sondern ebenso die Erben des Verfügenden. Sie können gleichermaßen kraft Erbfalls die überzahlten Rentenbeträge erlangt haben und wären in diesem Fall gleichermaßen potentiell Anspruchsverpflichtete. Zum anderen wollte der Gesetzgeber die nicht über die Rentenzahlung verfügenden Erben privilegieren, indem er zu ihren Gunsten im Gegensatz zu den nach S 1 Haftenden die Anwendbarkeit der Vertrauensschutzregelungen des SGB X vorgesehen hat. Dieser Privilegierungsgrund trifft sowohl auf die nicht verfügenden Erben des Berechtigten als auch die Erben des Verfügenden zu.
Für einen weiten, ebenso die Erben des Verfügenden erfassenden, Erbenbegriff spricht schließlich das Gebot der verfassungskonformen Auslegung, nach dem von mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige den Vorrang hat, bei der die Rechtsnorm mit der Verfassung in Einklang steht (vgl zB BVerfGE 48, 40, 45; 110, 226, 267; 112, 164, 182 f; 124, 25, 39; BSGE 94, 192 RdNr 34 = SozR 4-2500 § 37 Nr 3 RdNr 31).
Ein nur die Erben des Berechtigten erfassender Erbenbegriff iS des S 4 hätte - wie bereits oben dargelegt - zum Ergebnis, dass diese einer milderen Haftung ausgesetzt wären als die Erben des Verfügenden.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet indes, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln und ist verletzt, wenn gesetzliche Bestimmungen, die verschiedene Personengruppen betreffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 102, 41, 54 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 18 - stRspr). Zwischen den genannten Gruppen von Erben bestehen jedoch keine Unterschiede, die eine unterschiedliche Haftung rechtfertigen könnten.
Die Privilegierung der Erben durch eine nur eingeschränkte Haftung nach S 4 in Verbindung mit den Vorschriften des SGB X hat ihren Grund darin, dass diese nicht über die Rentenzahlung verfügt haben (vgl BT-Drucks 13/3150 S 42). Dieser Tatbestand trifft gleichermaßen auf die (nicht verfügenden) Erben des Berechtigten als auch auf die Erben des Verfügenden zu. Beide Personengruppen haben keinen "Zugriff" auf die Rentenüberzahlung bzw den ihr entsprechenden Betrag genommen.
Dem hier vertretenen Ergebnis, dass ein gegen den Verfügenden gerichteter Anspruch gemäß § 118 Abs 4 S 1 SGB VI mangels Anwendbarkeit der § 1922 Abs 1, § 1967 BGB keine Nachlassverbindlichkeit im Sinne letzterer Norm ist, steht § 57 Abs 2 S 2 SGB I nicht entgegen. Dieser ordnet keine Haftung der Erben nach den Vorschriften des BGB für Verbindlichkeiten des Erblassers nach den Sozialgesetzbüchern an, sondern bestimmt lediglich, dass die Einstandspflicht des Sonderrechtsnachfolgers die Haftung des Erben entfallen lässt (vgl nur Zweng/ Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung Teil 1 Bd 1, § 57 SGB I RdNr 22 - Stand 8/10). Abgesehen davon ginge § 118 Abs 4 S 4 SGB VI in seinem Anwendungsbereich allgemeinen Bestimmungen als speziellere Vorschrift vor.
Schließlich widerspricht die Entscheidung des erkennenden Senats nicht dem Urteil des 13. Senats vom 10.7.2012 (B 13 R 105/11 R - SozR 4-2600 § 118 Nr 11), nach dem § 118 Abs 4 S 1 und Abs 4 S 4 SGB VI in der vorliegend maßgeblichen Fassung eigenständige und voneinander unabhängige Anspruchsgrundlagen seien, sodass Erben gleichrangig neben Empfängern bzw Verfügenden in Anspruch genommen werden könnten (aaO RdNr 31). Der erkennende Senat hat in dem hiesigen Verfahren nicht über eine etwaige Rangfolge in der Haftung zwischen den genannten Personenkreisen entschieden, sondern darüber befunden, dass der Begriff der "Erben" in § 118 Abs 4 S 4 SGB VI auch die Erben des (verstorbenen) Verfügenden erfasst. Darüber hinaus hat der 13. Senat im Urteil vom 10.7.2012 (aaO RdNr 38) die Auffassung vertreten, dass die Erstattungsansprüche von § 118 Abs 4 S 1 und Abs 4 letzter S SGB VI iVm § 50 SGB X in einem Verhältnis von Spezialität stehen könnten, wenn Empfänger und/oder Verfügende zugleich Erben seien und die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen erfüllten. Die Erbenhaftung sei in einem solchen Fall der allgemeinere Tatbestand, weil Abs 4 S 1 zusätzlich spezielle Merkmale (Empfänger/Verfügende) aufweise, die zur Erbenstellung hinzutreten könnten. Über eine derartige Fallkonstellation hat der erkennende Senat nicht entschieden. Die Klägerin des hiesigen Verfahrens ist nur Erbin und nicht gleichzeitig auch Verfügende und/oder Empfängerin. Dementsprechend stellte sich nicht die Frage eines Vorrangverhältnisses zwischen § 118 Abs 4 S 1 und Abs 4 S 4 SGB VI, sondern zwischen § 118 Abs 4 S 1 SGB VI iVm § 1922 Abs 1, § 1967 BGB und § 118 Abs 4 S 4 SGB VI. Schließlich führt der 13. Senat in der genannten Entscheidung (aaO RdNr 42) im Zusammenhang mit einem gegen den Erben gerichteten Erstattungsanspruch nach § 118 Abs 4 S 4 SGB VI aus, dass mangels entgegenstehender Vorschriften öffentlich-rechtliche Ansprüche und Verpflichtungen in entsprechender Anwendung der §§ 1922, 1967 BGB beim Erbgang grundsätzlich auf die Erben als Gesamtrechtsnachfolger übergingen. Die Entscheidung betrifft aber einen gegen die (Mit-)Erbin der Rentenberechtigten gerichteten Erstattungsanspruch, sodass sich der 13. Senat nicht zum Verhältnis des § 118 Abs 4 S 1 iVm § 1922 Abs 1, § 1967 BGB und Abs 4 S 4 SGB VI geäußert hat.
2. Der Beklagten steht schließlich auch kein Anspruch gegen die Klägerin aus § 118 Abs 4 S 4 SGB VI iVm § 50 SGB X zu.
a) Zwar war die Beklagte berechtigt, den Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt gemäß § 50 Abs 3 S 1 SGB X gegen die Klägerin als Erbin iS von § 118 Abs 4 S 4 SGB VI geltend zu machen. Denn § 118 Abs 4 SGB VI begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsträger und den in der Vorschrift genannten Personen (BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 2 S 12; vgl auch BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 20).
b) Dem gegen die Klägerin gerichteten Erstattungsanspruch steht auch nicht der vorrangig geltend zu machende Rücküberweisungsanspruch gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI entgegen. Ob dieses gegenüber den in § 118 Abs 4 S 1 SGB VI genannten Empfängern und Verfügenden bestehende prozessuale und materielle Vorrangverhältnis (BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 21 mwN) auch gegenüber den Erben iS von § 118 Abs 4 S 4 SGB VI gilt, bedarf keiner Entscheidung. Gemäß § 118 Abs 3 S 3 SGB VI besteht eine Verpflichtung zur Rücküberweisung jedenfalls dann nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Danach scheidet eine Verpflichtung der Stadt- und Kreissparkasse L. zur Rückzahlung des hier streitigen Betrags aus. Bei Eingang des Rückforderungsverlangens der Beklagten war über die den Rentenzahlungen entsprechenden Beträge bis auf ein Guthaben von 65 640,57 Euro, die das Geldinstitut an die Beklagte zurückgezahlt hat, bereits anderweitig durch den Stiefsohn der Rentenberechtigten R. C. verfügt.
c) Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs liegen jedoch nicht vor.
Nach dem hier allein in Betracht kommenden § 50 Abs 2 S 1 SGB X sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten.
Zwar sind die Rentenzahlungen nach dem Tod der Rentenberechtigten am 29.10.1991 im Zeitraum November 1991 bis März 2007 ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erfolgt, weil sich der Rentenbewilligungsbescheid mit dem Tod der Berechtigten auf andere Weise iS von § 39 Abs 2 SGB X erledigt hat, und die Leistungen mit § 102 Abs 5 SGB VI nicht in Einklang standen (vgl dazu II 1 b aa). Zurückgefordert werden können Leistungen nach § 50 SGB X aber nur von demjenigen, der sie zu Unrecht erhalten hat (BSG SozR 1300 § 50 Nr 16 S 30). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin jedoch von den Rentenzahlungen nichts erhalten.
Über den Hilfsantrag der Beklagten war nicht zu entscheiden. Die Eventualwiderklage iS von § 100 SGG (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 100 RdNr 2) hat die Beklagte nur für den Fall erhoben, dass der Senat eine Berechtigung der Beklagten verneint, gegenüber der Klägerin durch Verwaltungsakt tätig zu werden. Dies ist nach den obigen Ausführungen nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung richtet sich entgegen der Auffassung des LSG nach § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG in Verbindung mit den Vorschriften der VwGO, hier § 154 Abs 1 und 2 VwGO. Weder die Klägerin noch die Beklagte gehören zu den in § 183 SGG genannten Personen. Die Klägerin ist insbesondere nicht Sonderrechtsnachfolgerin der verstorbenen Rentenberechtigten M. C. iS von § 56 SGB I, sondern Rechtsnachfolgerin des ebenfalls verstorbenen Stiefsohns der Berechtigten R. C. Zudem streiten die Beteiligten nicht über fällige Ansprüche der Berechtigten, sondern über einen Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers.
Aus diesem Grund ist gemäß § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG auch ein Streitwert, und zwar in Höhe von 155 871,65 Euro festzusetzen.
Fundstellen