Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Elterngeldbescheid. fingierte Geburt. Erstattungsanspruch. Missbrauch von Amtsbefugnissen durch Behördenmitarbeiter. Anschein rechtmäßiger Amtsausübung. Verwaltungsakt. Nichtigkeit. Rechtswidrigkeit. Bekanntgabe. Überweisung von Sozialleistungen an Dritte. fehlende Einzugsberechtigung. Vertrauensschutz. grobe Fahrlässigkeit. Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Die durch einen seine Befugnisse missbrauchenden Mitarbeiter handelnde Behörde muss sich einen rechtswidrigen Verwaltungsakt zurechnen lassen, wenn dieser den Anschein einer rechtmäßigen Amtsausübung erweckt.
2. Ein Verwaltungsakt ist dem Adressaten auch dann bekanntgegeben, wenn dieser bei Empfang der Sendung ohne Zutun der erlassenden Behörde irrig annimmt, den Inhalt nicht zur Kenntnis nehmen zu dürfen.
3. Überweist der Leistungsträger eine Sozialleistung entsprechend den Angaben des (vermeintlichen) Antragstellers auf das Konto einer Person, der ersichtlich keine Einzugsberechtigung zusteht, so wird die Leistung nicht an diesen "Durchlaufempfänger" erbracht.
Normenkette
SGB 10 § 31 S. 1, § 37 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 40 Abs. 1, 2 Nrn. 4-5, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, § 50 Abs. 2 S. 1; BEEG § 1; BGB §§ 164, 138 Abs. 1; SGG § 170 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 2012 insoweit aufgehoben, als es die Rücknahme der mit Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2008 erfolgten Elterngeldbewilligung sowie die Erstattung der entsprechenden Leistungen in Höhe von 9450 Euro betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung eines Elterngeld bewilligenden Bescheides sowie die Erstattung von Elterngeldzahlungen in Höhe von insgesamt 28 350 Euro.
Der 1988 geborene Kläger wurde im Sommer 2008 von dem damaligen Mitarbeiter der Beklagten, Herrn Z. (im Folgenden: Z.), angesprochen, ob er ihm sein Bankkonto für den Eingang von Geldzahlungen zur Verfügung stellen könne. Z. war dem Kläger durch eine gemeinsame Mitgliedschaft im Sportverein und über eine Freundschaft der Familie der Frau des Z. mit den Eltern des Klägers bekannt. Zur Herkunft des Geldes gab Z. an, dieses stamme von seinem Arbeitgeber bzw seiner Mutter und könne nicht auf sein eigenes Konto gezahlt werden, da seine Frau von dem Geld nichts erfahren solle. Nach Eingang solle der Kläger das Geld an ihn weitergeben. Weiter teilte Z. dem Kläger mit, dass dieser von seinem Arbeitgeber, also der Beklagten, an diesen - den Kläger - adressierte Schreiben erhalten werde, die er ihm ungeöffnet aushändigen solle.
In der Folgezeit fälschte Z. einen Antrag des kinderlosen Klägers auf Elterngeld für vermeintliche Kinder, die Zwillinge Elias und Linus, angeblich geboren am 31.3.2007. Unter Zusammenwirken weiterer Mitarbeiter der Beklagten bewilligte diese dem Kläger mit Bescheid vom 20.6.2008 Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für die Lebensmonate eins bis vierzehn der nicht existierenden Zwillinge in Höhe von monatlich 675 Euro, insgesamt 9450 Euro. Sämtliche an ihn adressierten Sendungen der Beklagten, auch die mit dem Bescheid vom 20.6.2008, öffnete der Kläger (nach seinen Angaben) nicht und übergab sie so dem Z. Am 24.6.2008 wurden in 14 einzelnen Gutschriften auf dem Konto des Klägers die Monatsbeträge in Höhe von 675 Euro unter der Bezeichnung "VERGUETUNG PN:931" sowie mit dem Hinweis "Bundeskasse W., Konto: 0 BLZ: 7 , BEEG 1, LM ≪Angabe der Ziffern 1 bis 14≫ Auszahlung" gutgeschrieben. Anschließend legte der Kläger diese Beträge auf seinem Tagesgeldkonto an und händigte das Geld in der Folgezeit vollständig dem Z. aus, ohne hierfür ein Entgelt oder eine Beteiligung zu erhalten. Dieser lud ihn lediglich ab und zu nach dem Sport "auf ein Bier" ein.
Ende 2008/Anfang 2009 nahm Z. erneut Kontakt zum Kläger auf mit der Frage, ob er ihm nochmals sein Konto für den Eingang von Geldzahlungen zur Verfügung stellen könne. Daraufhin fälschte Z. zwei Anträge nicht existierender Personen, Frau Marylin Alison und Frau Sinem Connor, auf Elterngeld für deren vermeintliche jeweilige Zwillingskinder Dave und Michel Alison bzw Ahmad und Efnur Connor. Als Bankverbindung gab Z. jeweils das Konto des Klägers an, dem hierauf nochmals zweimal 9450 Euro (jeweils 14 mal 675 Euro) zuflossen. Grundlage der Überweisungen waren die Bescheide vom 7.1.2009 und 4.2.2009, die zwar an die fiktiven Personen versandt wurden, jedoch als unzustellbar an die Beklagte zurückliefen. Der Kläger hat in der Folgezeit auch diese Geldbeträge vollständig dem Z. übergeben. Ein Schreiben oder einen Bescheid der Beklagten erhielt er in diesen beiden Fällen nicht.
Z. und die mit ihm zusammenwirkenden Mitarbeiter verursachten durch ihr Vorgehen bei der Beklagten einen Schaden in Höhe von insgesamt 108 450 Euro. Nachdem Z. die volle Verantwortung für sein Tun übernommen hatte und auch gegenüber dem Kläger hatte anwaltlich erklären lassen, die volle Haftung zu übernehmen, nahm er sich im September 2009 das Leben. Die Erben des Z. schlugen das Erbe aus, die Mittäter wurden strafrechtlich verurteilt. Ein Strafverfahren gegen den Kläger wurde nach § 170 Abs 2 Strafprozessordnung eingestellt.
Durch Anhörungsschreiben vom 27.5.2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe ohne rechtlichen Grund für nicht existierende Kinder Elterngeld in Höhe von insgesamt 28 350 Euro erhalten, die zu erstatten seien. Mit Bescheid vom 2.7.2009 nahm die Beklagte dann den Bescheid vom 20.6.2008 zurück und stellte eine Erstattungspflicht des Klägers in Höhe von 28 350 Euro fest. Soweit der Bewilligungsbescheid vom 20.6.2008 nicht bereits wegen Betruges bzw Untreue nichtig sei, werde er für die Vergangenheit zurückgenommen, weil er rechtswidrig sei. Es sei dem Kläger Elterngeld für nicht existierende Kinder bewilligt worden. Dieser könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er grob fahrlässig gehandelt habe. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides sei ihm angesichts der Bewilligung von Elterngeld für nicht existierende Kinder bekannt gewesen. Er sei auch zur Rückzahlung des durch die Bescheide vom 7.1.2009 und 4.2.2009 bewilligten Elterngeldes verpflichtet, da er den fehlenden rechtlichen Grund für diese Überweisungen hätte erkennen müssen. Aus den Angaben auf seinem Kontoauszug habe ihm die überweisende Stelle - die Bundeskasse - und die Gewährung der Leistungen für fortlaufende Lebensmonate bekannt sein müssen. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers, der dabei auf das Protokoll seiner Vernehmung bei der Polizei vom 9.6.2009 Bezug nahm, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31.8.2009).
Die vom Kläger anschließend erhobene Klage ist vom Sozialgericht Karlsruhe (SG) abgewiesen worden (Urteil vom 16.12.2010). Dabei hat das SG die Auffassung vertreten: Die Beklagte habe zu Recht den Bescheid vom 20.6.2008 zurückgenommen und die Erstattung des mit diesem Bescheid bewilligten Elterngeldes sowie die Erstattung des aufgrund der Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 ausbezahlten Elterngeldes geltend gemacht. Der Bescheid vom 20.6.2008 sei ein für den Kläger erkennbarer rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt gewesen, da durch diesen Elterngeld für nicht existierende Kinder des Klägers bewilligt worden sei. Diese Rechtswidrigkeit habe der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Hätte er den Bescheid gelesen, wäre dies ohne Weiteres erkennbar gewesen. Für den Kläger bestehe aber eine Obliegenheit, an ihn gerichtete Bescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Hiervon sei er auch nicht dadurch befreit, dass Z. ihn gebeten habe, die Schreiben ungeöffnet an ihn zu übergeben.
Die weiteren, aufgrund der Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 überwiesenen Beträge habe der Kläger gemäß § 50 Abs 2 SGB X zu erstatten, weil für ihn aus den Angaben auf seinen Kontoauszügen ersichtlich nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht ersichtlich gewesen sei, dass es sich bei der überweisenden Stelle um eine staatliche Stelle gehandelt habe. Somit hätte er den Charakter der Leistung als öffentlich-rechtlich erkennen müssen. Da die Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 nicht wirksam geworden seien, sei dieses Elterngeld ohne Verwaltungsakt an den Kläger erbracht worden. Dieser könne sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er grob fahrlässig nicht erkannt habe, dass die auf sein Konto überwiesenen Beträge weder ihm noch Z. zugestanden hätten. Allein aus der Nennung der überweisenden Stelle, der Bundeskasse W., habe dem Kläger ersichtlich sein müssen, dass die Beträge nicht von der Mutter des Z. überwiesen worden sein konnten. Auch habe sich dem Kläger die Frage aufdrängen müssen, ob es sich wirklich um Lohnzahlungen an Z. gehandelt habe. Insoweit hätte bei dem Kläger Anlass bestanden, bei Z. nachzufragen. Im Übrigen habe die Beklagte das ihr zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Auch könne sich der Kläger nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 13.3.2012 das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten im Wesentlichen aus folgenden Gründen aufgehoben: Sowohl der Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 SGB X als auch der nach § 50 Abs 2 SGB X setze voraus, dass die Beklagte dem Kläger sozialrechtliche Leistungen habe zufließen lassen und ihm auf sozialrechtlichem bzw öffentlich-rechtlichem Gebiet gegenübergetreten sei. Vorliegend sei der Beklagten aber das Handeln des Z. nicht zuzurechnen, weshalb sie gegenüber dem Kläger nicht auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Norm (BEEG) eine öffentliche Aufgabe (Entscheidung über die Bewilligung bzw die Auszahlung von Elterngeld) wahrgenommen habe. Dies gelte auch, wenn Z. im Außenverhältnis befugt gewesen sei, für die Beklagte Elterngeldzahlungen freizugeben und Entscheidungen mit Wirkung für und gegen die Beklagte zu treffen (vgl § 164 BGB). Bei einer bewussten und gewollten Straftat, wie der vorliegenden, überschreite der Mitarbeiter die ihm eingeräumte Befugnis, eine Behörde zu vertreten. Dieses strafbare Handeln könne dem Handeln einer zum Erlass von Verwaltungsakten allgemein nicht befugten Person gleichgestellt werden, sodass es auf die Frage, ob der Kläger die Kompetenzüberschreitung durch Z. kannte oder hätte kennen müssen, nicht ankomme. Damit sei die Beklagte dem Kläger nicht hoheitlich in Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit gegenübergetreten und könne die geleisteten Zahlungen nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Erstattungsregelungen zurückfordern, und zwar weder gemäß § 50 Abs 3 SGB X durch Verwaltungsakt noch im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Eventuelle zivilrechtliche Ansprüche seien nicht Streitgegenstand.
Bei dem Bescheid vom 20.6.2008 habe es sich um einen sog Nichtakt gehandelt, sodass der Beklagten für dessen Aufhebung keine sozialrechtlichen Normen zur Verfügung gestanden hätten. Dieses Schreiben vom 20.6.2008 sei kein Verwaltungsakt nach § 31 S 1 SGB X gewesen, weil es nicht als Maßnahme einer Behörde der Beklagten zugerechnet werden könne. Denn ihre Mitarbeiter hätten insoweit ihre grundsätzlich bestehende Zeichnungsbefugnis bzw Freigabeberechtigung zur Begehung von Straftaten ausgenutzt. Schließlich sei der Bescheid vom 20.6.2008 niemals bekannt gegeben worden und habe daher seine (äußere) Wirksamkeit iS des § 39 Abs 1 SGB X nicht erlangt. Z. habe bei der Freigabe einen wirklichen Willen zum Erstellen und zur Bekanntgabe eines die Beklagte bindenden Bescheides über eine Sozialleistung nicht haben können, sodass durch seine Handlung die Beklagte nicht habe rechtlich gebunden werden können und eine wirksame Bekanntgabe des Bescheides nicht gegeben sei. Handele es sich somit um einen Nichtakt, der der Beklagten nicht zuzurechnen sei, so könne dieser weder nach § 40 SGB X nichtig sein, noch könne die Beklagte den Nichtakt nach § 45 SGB X zurücknehmen. Es liege keine nach den Regeln des SGB X fassbare Verwaltungsentscheidung vor.
Zur Begründung ihrer vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte ua vor: Entgegen der Auffassung des LSG habe Z. innerhalb des Umfangs der ihm zugewiesenen Vertretungsbefugnis gehandelt. Das Risiko, dass der Vertreter von seiner Vertretungsmacht unbefugt Gebrauch mache, trage der Vertretene. Aus der Regelung des § 40 SGB X könne abgeleitet werden, dass auch gesetzlose Verwaltungsakte oder reine Willkürmaßnahmen einer Behörde zuzurechnen seien und damit "Maßnahmen einer Behörde" sein könnten. Die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht finde im Verwaltungsverfahren keine Anwendung. Folge des Missbrauchs der eingeräumten Vertretungsmacht durch Z. sei somit die Rechtswidrigkeit, allenfalls die Nichtigkeit der Maßnahme, unter keinen Umständen jedoch deren Qualifizierung als der Beklagten nicht zurechenbares Handeln im Sinne eines sog Nichtakts. Die unstreitige Tatsache, dass Z. die ihm eingeräumte Vertretungsmacht und Freigabebefugnis dadurch missbraucht habe, dass er die Überweisung von Elterngeld für in Wahrheit überhaupt nicht existierende Kinder bewirkt habe, wodurch der Straftatbestand der Untreue iS von § 266 Abs 1 Strafgesetzbuch verwirklicht worden sei, habe aus den vorstehend erwähnten Gründen nicht zur Folge, dass dieses Verhalten der Beklagten schlechthin nicht zurechenbar wäre. Mit Blick auf die Regelung des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X, die durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für rücknehmbar und folglich nicht für nichtig erkläre, bleibe kein Raum für die Annahme, dass es sich bei Maßnahmen oder Entscheidungen, die auf einer strafbaren Untreue von Behördenmitarbeitern beruhten, um einen der Behörde unter keinen Umständen zurechenbaren Nichtakt handele. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Bescheid vom 20.6.2008 auch bekannt gegeben und habe seine äußere Wirksamkeit iS von § 39 Abs 1 SGB X erlangt. Z. sei im Außenverhältnis zur Freigabe von Bescheiden über Bundeselterngeld und von entsprechenden Überweisungen befugt gewesen. Entgegen dem vom LSG vertretenen Standpunkt sei sein Handeln nicht als Überschreitung dieser Vertretungsmacht, sondern als Missbrauch der ihm eingeräumten Vertretungsmacht zu qualifizieren. Dieses Verhalten sei der Beklagten somit zuzurechnen. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, weshalb es an einem Bekanntgabewillen des Z. gefehlt haben sollte. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Bescheid im Rahmen eines automatisierten Verfahrens erstellt und versandt worden sei. In den Fällen der maschinellen Fertigung eines Bescheides im Anschluss an die "Papierakten gestützte" Bearbeitung werde der Bekanntgabewille bei abschließender Zeichnung der Aktenverfügung durch den zuständigen Amtsträger - hier Z. - gebildet (Hinweis auf BFH Urteil vom 27.6.1986 - VI R 23/83 - BFHE 147, 205).
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 2012 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Dezember 2010 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend ua aus: Ein bewusstes Zusammenwirken der kriminellen Bediensteten mit dem Kläger sei ausweislich der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht gegeben gewesen. Die Qualifizierung der Handlungen der Bediensteten der Beklagten als Nichtakte unterliege keinen Zweifeln, da durch deren in Bereicherungsabsicht konstruierte Scheinfälle kein Handeln vorliege, welches der Behörde als solcher zugerechnet werden könne. In § 44 Abs 2 Nr 6 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sei ausdrücklich erwähnt, dass einem Verwaltungsakt keinerlei Bedeutung oder Wirkung zukommen könne, der gegen die guten Sitten verstoße. Eine entsprechende Wertung enthalte § 138 BGB, wonach sittenwidrige Handlungen grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen entfalten könnten. Insoweit sei für einen Verstoß gegen § 44 Abs 2 Nr 6 VwVfG im Ergebnis ein Widerspruch zu den Mindestanforderungen anständigen und rechtlichen Verhaltens ausreichend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 160 Abs 1 SGG statthaft, weil sie vom LSG mit Urteil vom 13.3.2012 zugelassen worden ist. Einlegung und Begründung der Revision sind ordnungsgemäß erfolgt (§ 164 SGG). Das BSG ist für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Revisionsinstanz zuständig (§ 39 Abs 1, §§ 160 ff SGG). Ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit begründet ist (§ 51 Abs 1 SGG), ist im Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen, nachdem die Zulässigkeit des Rechtswegs von der ersten Instanz in einem Sachurteil bejaht worden ist (§ 17a Abs 5 GVG; vgl BSG Urteil vom 24.7.2001 - B 4 RA 102/00 R - SozR 3-1300 § 50 Nr 24 S 78 = Juris RdNr 12 mwN und Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 165/11 R - SozR 4-1300 § 50 Nr 3 RdNr 9).
Die Revision ist insoweit teilweise begründet, als das Berufungsurteil die Rücknahme der mit Bescheid der Beklagten vom 20.6.2008 an den Kläger erfolgten Elterngeldbewilligung sowie die Erstattung der entsprechenden Leistungen in Höhe von 9450 Euro betrifft. In diesem Umfang ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
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Der Kläger erstrebt mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG) die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2009. Der angefochtene Verwaltungsakt enthält zwei Regelungen: |
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Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 20.6.2008 über die Bewilligung von Elterngeld an den Kläger in Höhe von insgesamt 9450 Euro |
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Feststellung einer Erstattungspflicht des Klägers in Höhe von 28 350 Euro. |
Dabei setzt sich der zu erstattende Betrag wie folgt zusammen: |
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9450 Euro (dem Kläger bewilligtes Elterngeld) |
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9450 Euro (der fiktiven Antragstellerin Marylin Alison bewilligtes Elterngeld, das von der Beklagten "antragsgemäß" auf das Konto des Klägers überwiesen worden ist) |
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9450 Euro (der fiktiven Antragstellerin Sinem Connor bewilligtes Elterngeld, das von der Beklagten "antragsgemäß" auf das Konto des Klägers überwiesen worden ist). |
Dieser Verwaltungsakt ist in formeller Hinsicht rechtlich nicht zu beanstanden. Die grundsätzlich erforderliche Anhörung (§ 24 SGB X) ist erfolgt. Der Verwaltungsakt enthält auch eine ausreichende Begründung (§ 35 SGB X). In materieller Hinsicht ist eine differenzierte Prüfung geboten.
1. Die Beklagte hat die Rücknahme der an den Kläger gerichteten Elterngeldbewilligung im Grundsatz zutreffend auf § 45 SGB X gestützt. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs 2 bis 4 SGB X zurückgenommen werden.
a) Bei dem Bewilligungsbescheid vom 20.6.2008 handelt es sich entgegen der Auffassung des LSG nicht um einen sog Nichtakt, sondern um einen Verwaltungsakt. Gemäß § 31 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Seiner Form und seinem Inhalt nach erfüllt der Bescheid vom 20.6.2008 diese Kriterien. Er ist auf dem Gebiet des Elterngeldrechts ergangen und regelt einen entsprechenden vermeintlichen Anspruch des Klägers. Dass dieser Bescheid von Z. zur Begehung einer Straftat erstellt worden ist, ändert an seiner Qualität als Verwaltungsakt nichts. Diese ist insoweit nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bewerten (vgl BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 13 S 34).
Die in dem Bescheid vom 20.6.2008 enthaltene Regelung ist der Beklagten zuzurechnen. Wie das LSG festgestellt hat, war Z. zur Erteilung von Verwaltungsakten dieser Art befugt. Nach zivilrechtlichen Grundsätzen trägt der Vertretene iS von § 164 BGB grundsätzlich das Risiko, dass der Vertreter die ihm eingeräumte Vertretungsmacht nach außen hin missbraucht (vgl Schramm in Münchner Komm, BGB, 6. Aufl 2012, § 164 RdNr 96; Ellenberger in Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 164 RdNr 1 und 13 mwN). Etwas anderes gilt nur im Falle kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Vertreter und dem Empfänger der Willenserklärung zum Nachteil des Vertretenen wegen sittenwidrigen Verhaltens gemäß § 138 Abs 1 BGB (BGH Urteil vom 17.5.1988 - VI ZR 233/87 - NJW 1989, 26) sowie bei einem für den Empfänger offensichtlichen Missbrauch der Vertretungsmacht (vgl BGH Urteil vom 29.6.1999 - VI ZR 227/98 - NJW 1999, 2883). Diese Grundsätze sind im Prinzip auch bei der Vertretung von Behörden anzuwenden (vgl Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl 2007, § 35 RdNr 1 ff). Ein Grund, hier davon abzuweichen, ist nicht ersichtlich. Ein kollusives Zusammenwirken zwischen Z. und dem Kläger hat nach den Feststellungen des LSG nicht vorgelegen, Z. hat den Kläger über seine wahre Absicht getäuscht.
Von einem Verwaltungsakt zu unterscheiden ist ein sog Nichtakt, also eine Handlung, die von jemandem herrührt, der unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu behördlichem Handeln befugt ist (vgl BFHE 125, 347, 349; 150, 70; BVerwGE 140, 245; BSG Urteil vom 28.1.2009 - B 6 KA 11/08 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 2 RdNr 16, 23 f). Dazu gehören auch erzwungene Handlungen und Scherzerklärungen (vgl insgesamt Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 40 SGB X RdNr 8 mwN). Ein solcher Nichtakt liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat - handelnd durch den dazu befugten Z. - mit dem an den Kläger gesandten Bescheid vom 20.6.2008 den Anschein einer rechtmäßigen Amtsausübung erweckt (vgl auch BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 16; SozR 3-1300 § 50 Nr 13 S 34).
b) Der Bescheid vom 20.6.2008 ist auch gemäß § 39 Abs 1 S 1 SGB X durch Bekanntgabe iS von § 37 SGB X wirksam geworden. Nach der erstgenannten Vorschrift wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der - wie hier - im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 37 Abs 2 S 1 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§ 37 Abs 2 S 3 Halbs 1 SGB X). Die Wirksamkeit iS von § 39 Abs 1 S 1 SGB X betrifft die Außenwirkung des Verwaltungsaktes, nicht dessen formelle oder materielle Rechtmäßigkeit (vgl Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, Stand März 2013, § 39 RdNr 6 ff mwN). Mit seiner Bekanntgabe iS von § 37 SGB X erlangt ein Verwaltungsakt seine äußere Wirksamkeit gegenüber dem Adressaten und wird für die erlassende Behörde bindend (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 13 RdNr 18; BSGE 53, 284, 286 f = SozR 5550 § 15 Nr 1).
Solange ein grundsätzlich dazu berechtigter Mitarbeiter die Bekanntgabe veranlasst hat, sind interne behördliche Befugnisse oder Zuständigkeiten ohne Belang (vgl BFHE 147, 205; 152, 32; BSGE 58, 63, 65 f = SozR 1300 § 45 Nr 16; Steinwedel, aaO, RdNr 8; Krasney in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 37 SGB X RdNr 3; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 37 RdNr 3 mwN), es sei denn, der Verwaltungsakt ist wegen Nichtigkeit (§ 40 SGB X) unwirksam (§ 39 Abs 3 SGB X). Dies umfasst denknotwendig, wie im vorliegenden Fall, auch die durch Computer unterstützte Verfahrensbearbeitung.
Die zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsaktes durch die Behörde gegenüber dem Adressaten stellt eine ausreichende Bekanntgabe iS von § 37 Abs 1 S 1 SGB X dar, auch wenn dieser den Inhalt des Schreibens (Bescheides) nicht zur Kenntnis nimmt. Der Adressat eines ausdrücklich an ihn gerichteten Verwaltungsaktes kann den Eintritt dessen Wirksamkeit nicht durch Verweigerung der Annahme oder Unterlassen der Kenntnisnahme verhindern. Es besteht grundsätzlich eine Obliegenheit, Bescheide zu lesen und deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Anderenfalls wären die Regelungen über Inhalt, Form, Begründung und Bekanntgabe von Verwaltungsakten (vgl §§ 31 ff SGB X) kaum verständlich (vgl BSG Urteil vom 8.2.2001 - B 11 AL 21/00 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 45 S 153 f = Juris RdNr 25 f mwN). Es genügt, wenn der Verwaltungsakt so in den Machtbereich eines Adressaten gelangt ist, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl insgesamt hierzu: Krasney in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 37 SGB X RdNr 3 mwN).
Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der dazu befugte Z. die Versendung des Bescheides vom 20.6.2008 an den Kläger veranlasst. Der Kläger hat "seinen Angaben zufolge" die Sendung des an ihn andressierten Bescheides vom 20.6.2008 erhalten, diese Sendung aber - abredegemäß - ungeöffnet an Z. weitergegeben. Dem entgegenstehende Anhaltspunkte liegen nicht vor. Da die Sendung mit dem Bewilligungsbescheid den Kläger erreicht hat und er sie in seinen Händen gehabt hat, ist von einer erfolgten Bekanntgabe auszugehen, unabhängig davon, ob der Kläger die Sendung geöffnet und den Bescheid gelesen hat.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der angeblich zwischen Z. und dem Kläger getroffenen Absprache, wonach der Kläger die Sendung ungeöffnet an Z. weitergeben sollte. Seinem Inhalt nach sollte durch den Bescheid vom 20.6.2008 dem Kläger Elterngeld bewilligt werden (vgl dazu Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 39 RdNr 19); also war dieser Verwaltungsakt für den Kläger bestimmt. Er sollte diesem bekannt gegeben werden (vgl § 37 Abs 1 SGB X). Diese Bekanntgabe konnte der Kläger nicht durch eine Vereinbarung mit Z. verhindern. Was er mit der ihm zugegangenen Sendung getan hat, fällt in seinen Risikobereich. Dementsprechend ist es unerheblich, ob er sich im Verhältnis zur Beklagten irrtümlich für einen Empfangsbevollmächtigten oder Empfangsboten des Z. gehalten hat. Ein solcher konnte er nur für Sendungen der Beklagten sein, die tatsächlich für Z. bestimmt gewesen wären.
c) Der Bescheid vom 20.6.2008 war auch nicht gemäß § 39 Abs 3 SGB X wegen Nichtigkeit unwirksam, eine solche hat weder gemäß § 40 Abs 1 noch nach Abs 2 SGB X vorgelegen.
Zum einen liegen die enumerativ aufgeführten Voraussetzungen nach § 40 Abs 2 SGB X erkennbar nicht vor. Insbesondere eine Nichtigkeit nach § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X scheidet bereits deshalb aus, weil der betreffende Bescheid von dem Kläger keine rechtswidrige Tat verlangt, sondern diesem lediglich rechtswidrig eine Leistung gewährt. Aus der Tatsache, dass Z. seine Stellung bei der Beklagten missbraucht hat, um sich durch den Erlass des Bescheides vom 20.6.2008 zu bereichern, folgt auch keine Nichtigkeit gemäß § 40 Abs 2 Nr 5 SGB X wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs 1 BGB). Denn die in dem Bescheid enthaltene Regelung der Gewährung von Elterngeld ist zwar inhaltlich unrichtig, weil der Kläger keine Kinder hatte, verletzt aber aus sich heraus nach seinem Regelungsgehalt nicht das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 40 Nr 2 S 18).
Schließlich führt der Umstand, dass der Bescheid vom 20.6.2008 vom zuständigen Sachbearbeiter Z. zur Begehung einer Straftat erlassen worden ist, nicht zur Nichtigkeit gemäß § 40 Abs 1 SGB X. Dieser Bescheid ist zwar inhaltlich unrichtig, weil er Elterngeld für nicht existierende Kinder des Klägers gewährt. Soweit darin ein schwerwiegender Fehler liegt, ist dieser jedoch nicht offensichtlich, da er nicht jedem ohne Weiteres erkennbar ist. Vielmehr bedarf es dazu einer Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Klägers. Darauf ist jedoch nicht abzustellen, zumal auch ein durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkter Verwaltungsakt - wie § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X zeigt - vom Gesetzgeber nicht als nichtig (und damit unwirksam), sondern als rücknehmbar eingestuft wird (vgl dazu Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 40 RdNr 16 mwN).
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d) Eine Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Bescheides vom 20.6.2008 für die Vergangenheit ist nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 SGB X zulässig, der einen weitgehenden Vertrauensschutz vorsieht. Nach § 45 Abs 2 S 3 SGB X kann sich der Begünstigte allerdings auf Vertrauen nicht berufen, soweit |
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er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr 1), |
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der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr 2), oder |
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er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. |
Allein die letztgenannte Bestimmung kommt hier in Betracht. |
Das LSG hat § 45 SGB X nicht als einschlägig angesehen und demzufolge dessen Voraussetzungen nicht geprüft. Insbesondere wird im Berufungsurteil nicht darauf eingegangen, inwiefern der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit den Inhalt des Bewilligungsbescheides und damit dessen Rechtswidrigkeit nicht kannte. Diese tatrichterliche Prüfung kann das BSG nicht selbst nachholen (vgl BSGE 62, 103, 107 = SozR 1300 § 48 Nr 39; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45 S 154 f = Juris RdNr 27 mwN; Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 45 SGB X, RdNr 39 mwN), sodass ihm eine abschließende Beurteilung in diesem Punkt verwehrt ist. Daher ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen.
2. Soweit die Beklagte mit dem angefochtenen Verwaltungsakt das dem Kläger in Höhe von 9450 Euro gezahlte Elterngeld zurückfordert, ist § 50 Abs 1 SGB X einschlägig, weil diese Leistung aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 20.6.2008 erfolgt ist. Da eine Erstattungspflicht des Klägers in Bezug auf diesen Betrag nur besteht, soweit dieser Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, hängt sie davon ab, ob der Bescheid der Beklagten vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2009 insoweit Bestand hat. Dazu kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des LSG noch keine abschließende Entscheidung ergehen. Folglich ist das Berufungsurteil auch insoweit aufzuheben, als es eine Pflicht des Klägers zur Erstattung des ihm bewilligten und gezahlten Elterngeldes in Höhe von 9450 Euro betrifft. Ebenso ist dieser Gegenstand in die Zurückverweisung der Sache an das LSG einzubeziehen.
3. Die Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit diese mit Bescheid vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2009 vom Kläger eine Erstattung des Elterngeldes gefordert hat, das aufgrund der Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 zu Gunsten von zwei fiktiven Antragstellerinnen (Marylin Alison und Sinem Connor) in Höhe von zusammen 18 900 Euro auf das Konto des Klägers überwiesen worden ist. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Erstattungsbescheid insoweit rechtswidrig ist.
Als Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Verwaltungsakt kommt insoweit § 50 Abs 2 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (S 1). Die Regelungen der §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend (S 2). Dabei ist die zu erstattende Leistung gemäß § 50 Abs 3 S 1 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Zwar sind die der Zahlung zugrundeliegenden Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden (§ 39 Abs 1 S 1 SGB X), sodass die Beträge ohne Verwaltungsakt an den Kläger geflossen sind. Soweit die Beklagte jedoch mit dem angefochtenen Verwaltungsakt den Kläger zur Rückzahlung des den nicht existierenden Personen Marylin Alison und Sinem Connor bewilligten Elterngeldes in Höhe von 18 900 Euro verpflichtet hat, kann sie sich nicht auf § 50 Abs 2 SGB X stützen.
Der Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X ist die Kehrseite des Leistungsanspruchs (vgl BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13 S 19). Dementsprechend können gestützt auf diese Vorschrift nur Sozialleistungen iS der §§ 1, 11 SGB I zurückgefordert werden. Elterngeld ist eine solche Leistung (§ 25 Abs 2 SGB I). Die fraglichen Beträge sind von der Beklagten aufgrund der (allerdings nicht wirksam gewordenen) Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 über die Bewilligung von Elterngeld auf das Konto des Klägers überwiesen worden. Es sollte sich mithin um Elterngeldzahlungen handeln, die für die (nicht existierenden) Antragstellerinnen Marylin Alison und Sinem Connor bestimmt waren. Es kann offenbleiben, ob der Kläger die Eigenschaft der Zahlungseingänge als Sozialleistung erkennen konnte. Jedenfalls sind an ihn keine Sozialleistungen erbracht worden.
Nach § 50 Abs 2 SGB X sind Leistungen nur von dem zu erstatten, dem sie erbracht worden sind. Wann ein "Erbringen" vorliegt, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt; insbesondere ist streitig, ob die Leistung im Rahmen eines bestehenden Sozialleistungsverhältnisses bewirkt worden sein muss (vgl dazu Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 50 RdNr 6 mwN). Auf diese Meinungsunterschiede kommt es hier nicht an. Ist nämlich bei der Leistungserbringung lediglich ein "Durchlaufempfänger" dazwischengeschaltet, wird die Leistung nicht an diesen, sondern an die vom Leistungsträger als berechtigt angesehene Person erbracht (vgl Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 50 SGB X RdNr 16). Dies trifft gerade auch dann zu, wenn die Zahlung - wie hier - auf ein vom (vermeintlichen) Antragsteller angegebenes Konto einer anderen Person überwiesen wird, der ersichtlich keine eigene Einzugsberechtigung zusteht (vgl BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13 S 19 f; allgemein dazu auch BSG SozR 1300 § 50 Nr 16, 17; BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 10; BSG SozR 4-1300 § 50 Nr 3).
4. Das LSG wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 5583951 |
BSGE 2014, 180 |