Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Anrechnung von Nebeneinkommen aus selbstständiger Tätigkeit. gewinnerhöhende Auflösung einer Ansparrücklage. Anhörung. Arbeitseinkommen
Leitsatz (amtlich)
Wann die Ansparrücklage eines selbstständig Tätigen steuerlich gewinnerhöhend berücksichtigt wird, ist für die Anrechnung von Nebeneinkommen auf das Arbeitslosengeld nicht maßgeblich; entscheidend ist, wann das dieser Rücklage zugrunde liegende Einkommen erarbeitet wurde.
Normenkette
SGB III § 141 Abs. 1 S. 1 F: 2000-12-21, S. 2 Fassung: 2000-12-21; SGB IV § 15 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1994-07-29, S. 2 Fassung: 1994-07-29; SGB 10 § 24 Abs. 2 Nr. 3; EStG § 7g Abs. 3 Fassung: 1999-03-24, Abs. 4 Fassung: 1999-03-24
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2005 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen für die Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001 und gegen die Forderung der Beklagten, insoweit überzahlte Leistungen in Höhe von 18.154,69 DM (= 9.282,35 Euro) zu erstatten.
Der 1960 geborene Kläger gab bei seiner Antragstellung auf Alg an, seit März 1998 als Großküchenplaner selbstständig tätig zu sein, wobei er diese Tätigkeit auch weiterhin mit einer wöchentlichen Stundenzahl von weniger als zehn Stunden verrichte und kein Entgelt erziele. Er legte der Beklagten eine betriebswirtschaftliche Auswertung per 28. Februar 2001 bezüglich seiner selbstständigen Tätigkeit vor, wonach er im Monat Februar einen Verlust in Höhe von 2.431,60 DM (= 1.243,77 Euro) erzielt habe. Die Beklagte bewilligte ihm im April 2001 Alg ab dem 7. Februar 2001 ohne Anrechnung von Nebeneinkommen (Bewilligungsbescheid vom 4. April 2001). Zum 30. Januar 2002 meldete sich der Kläger aus dem Leistungsbezug ab, da er eine selbstständige Tätigkeit mehr als 15 Stunden wöchentlich ausübe.
Nachdem der Kläger eine betriebswirtschaftliche Auswertung vom Dezember 2001 vorgelegt hatte, hob die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001 in Höhe eines Anrechnungsbetrages von 1.342,46 DM (= 686,39 Euro) wegen unterbliebener Anrechnung von Nebeneinkommen auf und verlangte die Erstattung dieses Betrags (Bescheid vom 29. November 2002). Bezüglich des Zeitraums der Berechnung sowie des berücksichtigten Freibetrags wurde auf das beigefügte “Berechnungsprotokoll Nebeneinkommen” verwiesen. Auf Grund des im Widerspruchsverfahren vorgelegten Einkommensteuerbescheids vom 22. April 2002, der für das Jahr 2001 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von insgesamt 28.779,00 DM (= 14.714,47 Euro) auswies, und der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung vom 1. Januar bis 31. Dezember 2001 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 29. November 2002 dahingehend ab, dass die Bewilligung von Alg in Höhe des Anrechnungsbetrags von 18.154,69 DM (= 9.282,35 Euro) aufgehoben und die Erstattung dieses Betrags verlangt wurde (Bescheid vom 27. Februar 2004; Widerspruchsbescheid vom 1. März 2004). Bezüglich des Zeitraums der Berechnung sowie des berücksichtigten Freibetrags wurde auf das beigefügte “Berechnungsprotokoll Nebeneinkommen” verwiesen. Klage und Berufung, mit denen der Kläger geltend gemacht hatte, die im Jahr 2001 gewinnerhöhend berücksichtigten Ansparrücklagen, die er in Höhe von 20.000,00 DM (= 10.225,84 Euro) sowie im Jahr 2000 in Höhe von 5.000,00 DM (= 2.556,46 Euro) gebildet hatte, dürften nicht als Einkommen gewertet werden, blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 12. November 2004; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21. Februar 2005). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Anrechnung des Nebeneinkommens aus selbstständiger Tätigkeit sei § 141 Abs 1 Satz 2 und Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Das Arbeitseinkommen des Klägers aus seiner selbstständigen Tätigkeit bestimme sich nach Maßgabe des Einkommensteuerrechts, wobei § 15 Abs 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) eine echte Drittbindungswirkung begründe, weshalb spezifisch sozialversicherungsrechtliche Bewertungen unzulässig seien. Mit der Streichung des früheren § 15 Abs 1 Satz 2 SGB IV (“Bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen”) habe der Gesetzgeber eine volle Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht sowohl bei der Zuordnung zum Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens erreichen wollen. Zur Ermittlung des Gewinns sei deshalb auf die Bestimmungen des Steuerrechts zurückzugreifen, wobei § 7g Einkommensteuergesetz (EStG) in Abs 4 bestimme, dass Ansparrücklagen auch im Falle fehlender Investition zwingend gewinnerhöhend aufzulösen seien. Der Kläger könne mit seiner hiergegen vorgebrachten wirtschaftlichen Argumentation nicht durchdringen, auch wenn die Familiengerichtssenate sowohl des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) als auch des OLG Hamm unterhaltsrechtlich die Abschreibungen gemäß § 7g EStG nicht anerkennen würden.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 141 SGB III. Die im Jahr 2001 gewinnerhöhend berücksichtigten Ansparrücklagen in einer Gesamthöhe von 25.000,00 DM (= 12.782,30 Euro) begründeten kein Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV. Die Auflösung der Ansparrücklagen bewirke nur eine fiktive Gewinnerhöhung und stelle nur einen theoretischen Rechnungsposten dar. Ein lediglich fiktiver Gewinn gelte nicht als Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit. Die Vorschrift des § 15 SGB IV sei mithin auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die Sonderregelungen über Ansparrücklagen und deren Auflösungen in § 7g EStG nicht auf § 15 SGB IV übertragbar seien. Da kein anrechenbares Arbeitsentgelt iS des § 141 SGB III vorliege, habe er auch kein Einkommen oder Vermögen gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) erzielt. Auch der Bundesgerichtshof (≪BGH≫, Urteil vom 2. Juni 2004 – XII ZR 217/01) habe entschieden, dass der Zweck der Vorschrift des § 7g EStG durchkreuzt würde, wenn die durch die Bildung der Ansparrücklage erhöhte Liquidität des Unterhaltspflichtigen automatisch auch zu einer Erhöhung seiner Unterhaltsschuld führe. Insofern behandle das LSG wesentlich gleiche Sachverhalte willkürlich ungleich, sodass ein Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz (GG) vorliege. Des Weiteren sei nicht berücksichtigt worden, dass er sich mehr als einen Monat vor Auflösung der Ansparrücklagen am 13. Dezember 2001 telefonisch bei einem Mitarbeiter der Beklagten, Herrn A…, erkundigt habe, ob eine etwaige Auflösung der Ansparrücklagen zu nachteiligen Folgen führe, wobei Herr A… diese Frage verneint habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2005 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 12. November 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und schließt sich den Ausführungen des LSG an.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das LSG ist mit der Beklagten zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der im Jahr 2001 gewinnerhöhend berücksichtigten Auflösung der in den Jahren 1999 und 2000 gebildeten Ansparrücklagen um Arbeitseinkommen handelt, das der Kläger während des Bezuges von Alg (Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001) erarbeitet habe. Für eine abschließende Entscheidung fehlen allerdings ausreichende tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zur Höhe des Alg-Anspruchs, zu den Voraussetzungen des vom LSG angenommenen § 141 Abs 3 SGB III (– hier in der Fassung, die die Norm durch das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21. Dezember 2000 – BGBl I 1983 – erhalten hat) und zum zeitlichen Umfang der ausgeübten Nebentätigkeit des Klägers.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2004 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte zum einen die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001 als teilweise rechtswidrig insoweit zurückgenommen hat, als vom Kläger erzieltes Nebeneinkommen hätte berücksichtigt werden müssen, und mit dem die Beklagte zum anderen die Erstattung des überzahlten Betrages in Höhe von 18.154,69 DM (= 9.282,35 Euro) verlangt hat. Der Bescheid vom 27. Februar 2004 hat den Bescheid vom 29. November 2002 auch ohne ausdrückliche Aufhebung dieses Bescheids in der Sache ersetzt, sodass sich der ursprüngliche Bescheid gemäß § 39 Abs 2 SGB X erledigt hat.
Dass die Beklagte den Bescheid vom 27. Februar 2004 als Änderungsbescheid bezeichnet hat, ist nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist die vom Bescheid selbst ausgehende Wirkung (vgl Urteil des Senats vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R –). Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 enthält eine neue Verfügung (Beschwer) dahingehend, dass für die Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001 (gleicher Zeitraum wie im Bescheid vom 29. November 2002) nunmehr 18.154,69 DM (= 9.282,35 Euro) an Stelle von 1.342,46 DM (= 686,39 Euro) wegen erzielten Nebeneinkommens zu erstatten seien. Dies hat zur Konsequenz, dass sich der Bescheid vom 27. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2004 an den gesetzlichen Vorgaben der §§ 45, 48 SGB X iVm § 330 SGB III messen muss, da vorliegend die Frage im Streit steht, ob der gesamte im Jahr 2001 erzielte Gewinn als Nebeneinkommen auf das Alg anzurechnen ist. Sollte dies der Fall sein, wäre der Bescheid vom 29. November 2002 von Anfang an rechtswidrig gewesen. Da die von diesem Bescheid ausgehende Belastung geringer war als die im nachfolgenden Bescheid festgelegte, handelte es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt iS von § 45 SGB X (vgl BSGE 71, 274, 277 = SozR 3-1500 § 85 Nr 1).
Der Bescheid vom 27. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2004 ist nicht schon wegen mangelnder Anhörung gemäß § 24 Abs 1 SGB X rechtswidrig. Zwar liegt in diesem Bescheid eine weitergehende Beschwer des Klägers (Anrechnung von höherem Nebeneinkommen). Die Beklagte konnte jedoch von einer Anhörung absehen, weil sie die Angaben des Klägers über das erzielte Nebeneinkommen zu Grunde gelegt und insoweit nicht zu Ungunsten des Klägers von diesen Angaben abgewichen ist (§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X; vgl BSG SozR 4-4300 § 128 Nr 1 S 2). Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit eine betriebswirtschaftliche Auswertung Dezember 2001, den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 sowie eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung vom 1. Januar bis 31. Dezember 2001 vorgelegt, wobei die Beklagte im angefochtenen Bescheid von den dort angegebenen Einkünften aus Gewerbebetrieb ausgegangen ist. Dabei ist es unerheblich, dass sie auf Grund der tatsächlichen Angaben zu Ungunsten des Klägers entschieden hat (Krasney in Kasseler Kommentar, Dezember 2003, § 24 SGB X RdNr 27). Der Gesichtspunkt des Abstellens auf die vom Antragsteller selbst stammenden Angaben kommt auch im Hinblick auf die Möglichkeit eines Anhörungsmangels in Bezug auf den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2002 zum Tragen.
Die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 29. November 2002 hängt davon ab, ob auch die für das Jahr 2001 im Einkommensteuerbescheid gewinnerhöhend berücksichtigten Ansparrücklagen als Einkommen zu berücksichtigen waren oder ob dem Kläger auf Grund des zeitlichen Umfangs seiner selbstständigen Tätigkeit mangels Arbeitslosigkeit überhaupt kein Alg zustand. Zweifel am Vorliegen von Arbeitslosigkeit hat das LSG insoweit nicht ausgeräumt, als es trotz der Erkenntnis, dass der Kläger während des Bezuges von Alg eine selbstständige Tätigkeit als Großküchenplaner ausgeübt hat, die genaue Anzahl der Wochenstunden nicht festgestellt hat. Auf die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen (§§ 45, 48 SGB X iVm § 330 SGB III), die für eine Aufhebung insoweit in Betracht kommen, wird noch einzugehen sein.
Für die Anrechnung von zugeflossenem (zu dieser Voraussetzung s Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Juni 2004, § 141 RdNr 51; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 11 f; Marschner in GK-SGB III, Stand Februar 2006, § 141 RdNr 30; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand Juni 2000, § 141 RdNr 10; Hünecke in Gagel, SGB III, Stand Oktober 2005, § 141 RdNr 14; Keller in PK-SGB III, 2. Aufl 2004, § 141 RdNr 15; Brand in Niesel, SGB III, 3. Aufl 2005, § 141 RdNr 7) Arbeitsentgelt (aus abhängiger Beschäftigung) und zugeflossenem Arbeitseinkommen (aus selbstständiger Tätigkeit) im Rahmen des § 141 SGB III ist entscheidend, wann das Einkommen erarbeitet worden ist (BR-Drucks 445/85 S 23 zu Nr 22; BSGE 82, 198, 209 = SozR 3-4100 § 242v Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 3 S 9 f; BSGE 93, 51, 55 f = SozR 4-4300 § 141 Nr 1 S 6 f; anders noch BSG SozR 4100 § 115 Nr 1). Nur wenn das Arbeitsentgelt bzw Arbeitseinkommen während des Bezuges von Alg erarbeitet wurde, kann es gemäß § 141 Abs 1 Satz 1 SGB III auf das Alg angerechnet werden (zur sog “zeitlichen Kongruenz” s Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Juni 2004, § 141 RdNr 49). Eine Anrechnung von Nebeneinkommen gemäß § 141 SGB III kann daher nur dann vorgenommen werden, wenn das monatliche Arbeitsentgelt bzw Arbeitseinkommen tatsächlich einem Alg-Leistungsmonat zuordenbar ist (BSGE 93, 51, 56 = SozR 4-4300 § 141 Nr 1; SozR 4100 § 115 Nr 2 S 13).
Was der Art nach als Arbeitseinkommen anzusehen ist und wie dessen Höhe im Einzelfall zu ermitteln ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus § 141 Abs 1 SGB III. Als Ausgangspunkt kann § 15 Abs 1 SGB IV herangezogen werden (Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Juni 2004, § 141 RdNr 93; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 11 f; Marschner in GK-SGB III, Stand Februar 2006, § 141 RdNr 55; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand Juni 2003, § 141 RdNr 33; Hünecke in Gagel, SGB III, Stand Oktober 2005, § 141 RdNr 22a; Keller in PK-SGB III, 2. Aufl 2004, § 141 RdNr 25; Brand in Niesel, SGB III, 3. Aufl 2005, § 141 RdNr 6). Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit (Abs 1 Satz 1). Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (Abs 1 Satz 2).
Der Gesetzgeber hat insbesondere durch die Streichung des früheren Satzes 2 (“Bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen”) in § 15 SGB IV durch Art 3 Nr 2 des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) vom 29. Juli 1994 (BGBl I 1890) deutlich gemacht, dass das Einkommensteuerrecht prinzipiell auch für die sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Arbeitseinkommens maßgeblich sein soll. Die nunmehr in § 15 Abs 1 SGB IV angeordnete Parallelität zwischen Einkommensteuerrecht und Sozialrecht bei der Definition von Arbeitseinkommen kann jedoch nur dann zum Tragen kommen, wenn die Voraussetzungen der Grund- bzw Verweisungsnorm erfüllt sind (Jachmann, NZS 2003, 281 ff, 284). Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Verweisungsnorm muss dem Begriff der selbstständigen Tätigkeit iS von § 15 Abs 1 Satz 1 SGB IV hier zusätzlich das im Steuerrecht unbekannte Merkmal des persönlichen Einsatzes hinzugefügt werden (vgl BSG SozR 3-2400 § 15 Nr 6 S 15 ff; in Abgrenzung hierzu BSG SozR 4-2400 § 15 Nr 1 mit Anmerkung von Thiemann in jurisPR-SozR 35/2004 Anm 4; kritisch zur Rechtsprechung Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand Dezember 2005, § 15 RdNr 7 mwN).
Die Anrechnung von Nebeneinkommen setzt seit dem 7. Arbeitsförderungsgesetz (AFG)-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484; s hierzu BR-Drucks 445/85 S 23 zu Nr 22) zwingend voraus, dass das Arbeitseinkommen während des Leistungsbezuges (hier Bezug von Alg) erarbeitet wurde. Angerechnet wird mithin nur das Einkommen, das aus einer Nebenbeschäftigung resultiert, die dem Leistungszeitraum zuordenbar ist, sodass es nicht darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt die Nebeneinkünfte dem Arbeitslosen zufließen (Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 11 f; Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Juni 2004, § 141 RdNr 49 ff; Marschner in GK-SGB III, Stand April 2006, § 141 RdNr 29 f; Valgolio in Hauck/Noftz, Stand Juni 2000, § 141 RdNr 9; Hünecke in Gagel, SGB III, Stand Oktober 2005, § 141 RdNr 14; Keller in PK-SGB III, 2. Aufl 2004, § 141 RdNr 15; Brand in Niesel, SGB III, 3. Aufl 2005, § 141 RdNr 3). Entgegen der Ansicht des LSG beruht der im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ausgewiesene Gewinn in Höhe der aufgelösten Ansparrücklagen nicht auf Einkommen, das während des Bezuges von Alg (Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001) erarbeitet wurde; es ist dem Kläger im streitigen Zeitraum noch nicht einmal zugeflossen.
Ansparrücklagen sollen dem Selbstständigen ermöglichen, eine Rücklage für künftige Investitionen zu bilden. Dies wird dadurch erreicht, dass die Ansparrücklage durch ihre Bildung verhindert, dass in bestimmter Höhe erzielte Gewinne besteuert werden (s hierzu Pinkos, DB 1993, 1688). Nach § 7g Abs 3 EStG (idF des EStG 1997 vom 16. April 1997 – BGBl I 821 – geändert durch Art 1 Nr 12 des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 – BGBl I 402 – mWv 1. Januar 1999) können Steuerpflichtige für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsguts iS des § 7g Abs 1 EStG eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden (Ansparabschreibung). Wird die Investition durchgeführt, so muss die Ansparrücklage gemäß § 7g Abs 4 Satz 1 EStG gewinnerhöhend aufgelöst werden. Ist die Investition spätestens am Ende des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres noch nicht abgeschlossen, so muss sie ebenfalls gewinnerhöhend aufgelöst werden (§ 7g Abs 4 Satz 2 EStG; s hierzu Drenseck in Schmidt, EStG, 24. Aufl 2005, § 7g RdNr 24; Lambrecht in EStG-KompaktKommentar, 4. Aufl 2004, § 7g RdNr 48 f; Pinkos DB 1993, 1688, 1690 ff), wobei wegen des nicht erfüllten Investitionsversprechens ein Gewinnzuschlag nach § 7 Abs 5 EStG die in Anspruch genommenen Steuervorteile wieder ausgleichen soll (Drenseck, aaO, § 7g RdNr 25). Die Wirkung der Rücklagenbildung hat zur Folge, dass sie im Jahr der Bildung zu einem buchmäßigen Aufwand führt, unabhängig davon, ob dabei ein Verlust entsteht oder ein bestehender Verlust sich erhöht (§ 7g Abs 3 Satz 4 EStG). Durch die Bildung einer Rücklage erhält der Steuerpflichtige mithin einen Steuervorteil unter der Bedingung, dass er spätestens zwei Jahre nach der (eigenkapitalschonenden) Rücklagenbildung investiert. Die Nichtbesteuerung der erzielten Gewinne in Höhe der Ansparrücklage führt somit dazu, dass beim Steuerpflichtigen im Jahr der Bildung der Ansparrücklage eine erhöhte Liquidität vorliegt. Mit dem Ersparten kann und soll der Steuerpflichtige investieren. Dies bedeutet aber auch, dass der Steuerpflichtige vor der Bildung einer Ansparrücklage Einkommen erarbeitet haben muss. Hieraus folgt, dass der Steuerpflichtige den Gewinn in Höhe der Ansparrücklage tatsächlich im Jahr der Bildung der Ansparrücklage erarbeitet hat (Verwertung und Einsatz der Arbeitskraft). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Fall der fehlenden Investition eine gewinnerhöhende Auflösung der Ansparrücklage spätestens am Ende des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres erfolgen muss.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger – wie vom LSG festgestellt – im Jahr 1999 eine Ansparrücklage in Höhe eines Betrags von 20.000,00 DM (= 10.225,84 Euro) und im Jahr 2000 eine Ansparrücklage in Höhe eines Betrags von 5.000,00 DM (= 2.556,46 Euro) gebildet. Das Arbeitseinkommen wurde somit in den Jahren 1999 und 2000 erarbeitet. Die Bildung der Ansparrücklagen fand nicht während des Bezugs von Alg (Zeit vom 7. Februar bis 31. Dezember 2001) statt. Die Voraussetzungen von § 141 SGB III für eine Anrechnung der erst im Januar 2002 aufgelösten Ansparrücklagen liegen mithin nicht vor.
Dieses Ergebnis entspricht auch Sinn und Zweck der Regelungen des § 141 SGB III. Durch die Zulassung von Nebenbeschäftigungen soll dem Arbeitslosen der Zugang zum Arbeitsmarkt offen gehalten und ihm der weitere Kontakt zur Arbeitswelt ermöglicht werden. Dabei soll die Freistellung eines Teilbetrags des Netto-Nebeneinkommens einen Anreiz bieten, die Arbeitskraft neben dem Bezug von Leistungen einzusetzen, um auf diese Weise die Wiedereingliederung zu erleichtern (BSGE 93, 51, 57 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1 S 8 mwN). Andererseits soll dem Arbeitslosen der hieraus erarbeitete Verdienst nicht in voller Höhe verbleiben (zur “Abschöpfungsfunktion” Marschner in GK-SGB III, Stand April 2006, § 141 RdNr 9; Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 7 f). § 141 SGB III zielt dabei darauf ab, möglichst rasch die zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Beträge zu erfassen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts nach Satz 1 Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Werbungskosten (§ 9 EStG) und bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens (seit 1. Januar 2005) pauschal 30 % der Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben abgezogen werden (es sei denn, der Arbeitslose weist höhere Betriebsausgaben nach). Die sozialrechtliche Ermittlung des für die Lebensführung zur Verfügung stehenden Einkommens deckt sich insoweit nicht mit dem nach dem Einkommensteuerrecht ermittelten Gewinn. Die spezifische Ermittlung des anzurechnenden Arbeitsentgelts bzw Arbeitseinkommens ist daher bereits in § 141 Abs 1 SGB III angelegt. Die vom LSG geteilte Auffassung der Beklagten, bei einer gewinnerhöhenden Auflösung von Ansparrücklagen allein auf den im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinn abzustellen, ohne im Blick zu behalten, wann der Gewinn tatsächlich erarbeitet wurde, wird danach Sinn und Zweck des § 141 SGB III nicht gerecht.
Allein die Verwaltungspraktikabilität rechtfertigt keine andere Beurteilung. Von daher wird in der Literatur auch die Auffassung vertreten, dass einkommensteuerliche Abzugsbeträge, welche die subjektive Leistungsfähigkeit betreffen (ähnlich wie im Unterhaltsrecht – vgl hierzu einerseits OLG Hamm, Urteil vom 18. Januar 2002 – 11 UF 63/01 – FamRZ 2002, 885; andererseits BGH, Urteil vom 2. Juni 2004, – XII ZR 217/01 – FamRZ 2004, 1177) bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen seien (so Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand Juni 2003, § 141 RdNr 33; Jachmann, NZS 2003, 281 ff, 286; wohl auch Keller in PK-SGB III, 2. Aufl 2004, § 141 RdNr 26). Dies muss der Senat vorliegend jedoch nicht entscheiden, da es bereits an dem Merkmal des Erarbeitens während des Leistungsbezugs fehlt.
Das LSG wird bei seiner Entscheidung zu prüfen haben, ob unter den oben genannten Voraussetzungen ein Nebeneinkommen während des Bezugs von Alg erarbeitet wurde, das den sich nach § 141 Abs 1 oder Abs 3 SGB III zu errechnenden Freibetrag übersteigt. Mangels tatsächlicher Feststellungen zur Höhe des Alg-Anspruchs und zu den Voraussetzungen von § 141 Abs 3 SGB III ist der Senat nicht in der Lage, dies zu entscheiden. Die Höhe des Freibetrages ist nur dann nach § 141 Abs 3 SGB III zu berechnen, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruches neben einem Versicherungspflichtverhältnis eine selbstständige Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger von weniger als 18 Stunden wöchentlich mindestens zehn Monate lang ausgeübt hat, sodass dann das Arbeitseinkommen bis zu dem Betrag anrechnungsfrei bleibt, der in den letzten zehn Monaten vor der Entstehung des Anspruchs durchschnittlich auf den Monat entfällt, mindestens jedoch ein Betrag in Höhe des Freibetrages, der sich nach Abs 1 ergeben würde (zur Privilegierung fortgeführter selbstständiger Tätigkeiten neben einem Versicherungspflichtverhältnis s Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Juni 2004, § 141 RdNr 119 ff; Hünecke in Gagel, SGB III, Stand Oktober 2005, § 141 RdNr 81 ff). Das LSG hat nicht festgestellt, ob der Kläger in den letzten zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruchs “neben” einem Versicherungspflichtverhältnis seine Tätigkeit als Großküchenplaner von weniger als 18 Stunden wöchentlich mindestens zehn Monate ausgeübt hat.
Das LSG wird bei seiner Entscheidung ggf auch die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung von Alg im streitigen Zeitraum zu prüfen haben (§ 118 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes ≪AFRG≫ vom 24. März 1997 – BGBl I 594). Der Kläger war im streitigen Zeitraum möglicherweise von Anfang an wegen Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze nicht arbeitslos (vgl zu der insoweit erforderlichen vorausschauenden Bewertung, abgestellt auf den Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit bzw einer maßgeblichen Änderung, nur BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 11 AL 53/99 R – mwN, DBlR Nr 4591a zu § 102 AFG). Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass der Kläger nach Aktenlage bereits seit März 1998 als selbstständiger Großküchenplaner tätig war.
Das LSG wird gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob der Bewilligungsbescheid vom 4. April 2001 auf einer Schätzung nach § 329 SGB III beruht und wenn ja, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen beachtet wurden. Die Beklagte ging offenbar auf Grund der betriebswirtschaftlichen Auswertung per 28. Februar 2001 davon aus, dass der Kläger auch zukünftig negative Einkünfte erzielen wird. Darauf deutet die Tatsache hin, dass die Beklagte ihm Alg ab dem 7. Februar 2001 auf Grund eines endgültigen Bescheids bewilligt hat, ohne von der Option einer vorläufigen Entscheidung nach § 328 Abs 1 SGB III Gebrauch gemacht zu haben.
Sollte sich eine anfängliche Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ergeben, wäre der Umstand, dass die Beklagte den Bescheid vom 29. November 2002 auf § 48 SGB X gestützt hat, für sich alleine nicht ausschlaggebend. Da die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (dazu Senatsurteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a AL 18/05 R mwN zur Rspr).
Das LSG wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen