Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. Witwerrente. Eingliederungsprinzip. Spätaussiedler. Gleichbehandlungsgebot. Echt rückwirkende Rechtsänderung. Rechtsstaatsgebot. Vertrauensschutz. Unklare Rechtslage
Leitsatz (redaktionell)
- Im Verhältnis von § 300 Abs. 1 zu Abs. 2 SGB VI bezeichnet der Begriff “Aufhebung” in § 300 Abs. 2 SGB VI nicht den tatsächlichen Akt der Aufhebung im Sinne der Verkündung des Änderungsgesetzes, sondern den Zeitpunkt für das Außerkrafttreten des alten Rechts, wie er durch Gesetz ausdrücklich oder durch den Zeitpunkt bestimmt wird, zu dem altes Recht ersetzende neue Vorschriften im Sinne von Art. 82 Abs. 2 GG in Kraft treten (Anschluss an BSG, Urteil vom 19.05.2004 – B 13 RJ 46/03 R).
- Ist § 22b Abs. 1 S. 1 FRG a.F. mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG dahin auszulegen, dass beim Zusammentreffen von eigener Rente des Berechtigten mit einer Hinterbliebenenrente die FRG- Anteile der Hinterbliebenrente nicht in die Höchstgrenze von 25 EP einbezogen sind, so handelt es sich bei der Neufassung in § 22b FRG n.F. nicht nur um eine Klarstellung, sondern um eine so genannte echt rückwirkende Rechtsänderung, da sie den Anspruch des Klägers bereits vom Zeitpunkt seines Entstehens an erfasst
Normenkette
RV-Nachhaltigkeitsgesetz Art. 9 Nr. 2, Art. 15 Abs. 3; FRG § 22 Abs. 1-4, § 22b Abs. 1, 3, §§ 1a, 14, 14a, 15; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; SGB VI §§ 64, 66 Abs. 1, 2 Nr. 2, §§ 46, 300 Abs. 1-2, § 97; KfbG Art. 12; BVFG §§ 4, 7; WFG Art. 3 Nr. 5 Abs. 3; GG Art. 116, 14, 6, 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Zahlung einer großen Witwerrente.
Der im Juni 1921 in der ehemaligen Sowjetunion geborene und im November 1996 aus Kirgistan in die Bundesrepublik Deutschland zugezogene Kläger ist als Spätaussiedler iS des § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt. Wie auch seine 1928 geborene und im Juli 1996 verstorbene Ehefrau A… K… hat er keine Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 11. November 1997 Regelaltersrente (RAR) ab 13. November 1996 in Höhe von monatlich 1.098,83 DM. Die für die Berechnung der Rente für Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) ermittelten Entgeltpunkte (EP) waren dabei nach § 22b Abs 1 FRG auf 25 EP begrenzt worden. Unter Hinweis darauf erkannte die Beklagte auf den ebenfalls im November 1996 gestellten Antrag auf Witwerrente in ihrem Bescheid vom 16. Oktober 1998 den Anspruch des Klägers auf große Witwerrente dem Grunde nach, jedoch ohne Zahlbetrag an, da die nach § 22b FRG höchstzulässigen 25 EP vorrangig bei der Rente aus eigener Versicherung zu berücksichtigen seien.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2002 lehnte die Beklagte den vom Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. August 2001 (B 4 RA 118/00 R – BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2) im Juni 2002 gestellten Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 16. Oktober 1998 ab. Sie führte aus, dem Urteil des BSG sei nicht zu folgen, da nach Wortlaut und Zweck von § 22b Abs 1 FRG eindeutig auch die Hinterbliebenenrente erfasst sei.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 10. April 2003 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger – unter Rücknahme des Bescheids der Beklagten vom 16. Oktober 1998 – Hinterbliebenenrente in Höhe von 60 % des RAR-Anspruchs seiner verstorbenen Ehefrau vom 13. November 1996 an zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 29. Oktober 2003 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 16. Oktober 1998 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bestehe nicht, da dieser Bescheid rechtmäßig sei. § 22b Abs 1 Satz 1 FRG sei Ausdruck des vom Gesetzgeber des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) bewusst vollzogenen Systemwechsels hin zu einer bedürftigkeitsorientierten bzw existenzsichernden Grundsicherung auf der Grundlage eines auf den rentenrechtlichen Wert von 25 EP festgesetzten Bedarfs mit der Folge, dass dann, wenn der Rente aus eigener Versicherung bereits 25 EP zum Erhalt der Grundsicherung zu Grunde gelegt worden seien, für eine damit zusammentreffende Hinterbliebenenrente keine EP mehr berücksichtigt werden könnten. Der Senat vermöge im Ergebnis der Rechtsauffassung des BSG nicht zu folgen. Durchgreifend sei dabei der Umstand, dass die Nichtanwendung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente im Ergebnis dazu führen würde, das der überlebende Ehegatte insgesamt 50 EP aus FRG-Zeiten erhalten könne und damit als Einzelperson besser gestellt wäre als die Ehegatten zusammen, bei denen nach § 22b Abs 3 Satz 1 FRG insgesamt höchstens 40 EP zu Grunde gelegt würden. Entgegen den Befürchtungen des BSG habe der Hinterbliebene bei Anwendung des § 22b Abs 1 FRG beim Zusammentreffen mit einer Rente aus eigener Versicherung nicht stets nur ein “leeres” Recht auf Hinterbliebenenrente. Letztere könne jedenfalls dann zu einer Leistungserhöhung führen, wenn zB der Rente des überlebenden Ehegatten aus eigener Versicherung weniger als 25 EP zu Grunde lägen oder wenn von der Begrenzung nach § 22b FRG nicht erfasste EP hinzukämen, die sich ohne Berücksichtigung des Fremdrentenrechts ergäben. Die von der Gegenmeinung angeführte Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente zwinge nicht zu einem anderen Ergebnis. Zum einen könne die Anrechnung gemäß § 90 Abs 1 und § 97 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) auch zur Reduzierung von Witwer/Witwenrentenansprüchen ggf bis auf “Null” führen. Zum anderen komme der Unterhaltsersatzfunktion der Rente im Fremdrentenrecht vor dem Hintergrund des Systemwechsels mit einer an einem pauschal festgesetzten Bedarf orientierten Grundsicherung in Form einer Fürsorgerente keine wesentliche Bedeutung mehr zu. An der vom BSG bereits festgestellten Verfassungsmäßigkeit der in § 22b FRG getroffenen Regelungen ändere sich bei der hier vorgenommenen Auslegung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nichts.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 22b Abs 1 FRG sowie von Art 3 und 6 Grundgesetz (GG). Er trägt vor: Der Ausspruch “Rente wird ab 13.11.1996 (Rentenbeginn) nicht gezahlt” im Bescheid vom 16. Oktober 1998 widerspreche verfassungswidrig der Zuerkennung des Anspruchs auf Witwerrente; denn dieser sei, nachdem der Bescheid bestandskräftig geworden sei, vollumfänglich von Art 14 GG geschützt. Als Spätaussiedler weise er – der Kläger – keine Besonderheiten gegenüber anderen deutschen Staatsbürgern auf, die eine solche Rente bezögen. Sein Anspruch auf Witwerrente richte sich nicht nach dem FRG, sondern nach den allgemeinen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs. Diese nähmen bei Hinterbliebenenrentenansprüchen aus den anerkannten Versicherungen der Ehegatten keine Differenzierungen danach vor, ob es sich um einen Aussiedler oder Vertriebenen oder um einen deutschen Staatsangehörigen handele, der innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in den jetzigen Grenzen gelebt habe. Die bindende, in Bestandskraft erwachsene Entscheidung des Versicherungsträgers, dass der Witwerrentenanspruch dem Grunde nach bestehe, dürfe nicht unter Berufung auf § 22b FRG “annulliert” werden. Es sei noch zu klären, ob danach auf Grund eines “Systemwechsels” die eigene Rente verfassungskonform begrenzt werden dürfe; denn dies führe dazu, dass die Kinder der Spätaussiedler, die Beiträge in die Sozialkassen leisteten, dadurch, dass die “Grundsicherung” ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfe nicht ausreiche, von den Sozialhilfeträgern in Anspruch genommen würden, was unter Berücksichtigung des “Generationenvertrags” eine schwerwiegende Diskriminierung bedeute. Dies könne hier aber dahinstehen, weil der Gesetzgeber hinsichtlich der Hinterbliebenenrente mit dem WFG keinen Systemwechsel vollzogen habe. Der Gesetzgeber habe in keiner einzigen Vorschrift auch nur angedeutet, dass der Hinterbliebene eines Spätaussiedlers Hinterbliebenenrente nach dem FRG nur dann bekommen könne, wenn er keine eigene Rente habe. Der Witwerrentenanspruch sei kein “Anspruch aufgrund versicherungsrelevanter Eigenzeiten”, sondern ein Anspruch, der sich aus der familiären Lebens- und Bedarfsgemeinschaft iS von Art 6 GG ergebe. Bei den Witwen und Witwern allein danach zu differenzieren, ob sie mit einem Spätaussiedler verheiratet gewesen seien, verstoße gegen das sich aus Art 6 GG ergebende Unterhaltsprinzip und gegen Art 3 GG. Damit sei unvereinbar, dass eine Witwe, die 10 EP aus eigener Versicherung habe, mehr als 60 % des Rentenbetrags des verstorbenen Ehemanns erhalte, weil die Auffüllung mit den weiteren EP hierzu führen könne, während eine Witwe, die eigene Rentenansprüche aus 25 EP habe, gar nichts bekomme. Der Interpretation eines “leeren Rechts” hafte von vornherein die Verfassungswidrigkeit an. Es widerspreche auch den allgemeinen Grundsätzen des Rentenversicherungssystems hinsichtlich der Behandlung von Ehegatten. Bei der Hinterbliebenenrente komme es allein darauf an, ob sie gemäß §§ 90 und 97 SGB VI reduziert werden könne. Die inzwischen durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vorgenommene Neufassung von § 22b Abs 1 Satz 1 FRG sei unerheblich, weil dieses Gesetz im Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz noch nicht gegolten habe. Im Übrigen handele es sich dabei um eine Neuregelung im Sinne dessen, was der Gesetzgeber, nachdem die Rechtsprechung die Norm bisher nach ihrem Wortlaut angewandt habe, nunmehr fordere. Diese Neuregelung sei verfassungswidrig; sie verstoße gegen Art 3 und 14 GG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Oktober 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. April 2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, durch Art 9 Nr 2 iVm Art 15 Abs 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz habe der Gesetzgeber im Wege einer authentischen Interpretation durch eine geänderte Formulierung rückwirkend zum 7. Mai 1996 klargestellt, dass – entgegen der Auffassung des BSG – auch für einen einzelnen Berechtigten mit Anspruch auf eigene Versichertenrente und auf eine Hinterbliebenenrente der Höchstwert für alle seine Renten insgesamt auf 25 EP begrenzt werde. Auf Grund dieser Klarstellung der ursprünglichen Regelungsabsicht des Gesetzgebers komme der bisherigen BSG-Rechtsprechung über die entschiedenen Einzelfälle hinaus keine Bedeutung zu. Es handele sich nicht um eine Gesetzesänderung; die Norm sei von den Rentenversicherungsträgern und auch in einer Vielzahl von erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen anders als vom BSG interpretiert worden, und das für die Bestimmung des Regelgehalts einer Vorschrift maßgebende “objektive Normverständnis” könne nicht allein danach beurteilt werden, wie eine Vorschrift höchstrichterlich verstanden bzw ausgelegt werde.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 23. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2002, mit dem die Beklagte über den Überprüfungsantrag des Klägers entschieden und eine Änderung ihres bindend gewordenen Bescheids vom 16. Oktober 1998 zu Gunsten einer Rentenzahlung an den Kläger abgelehnt hat, ist rechtmäßig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, diesen Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe zurückzunehmen und dem Kläger zusätzlich zu seiner eigenen Rente auch Witwerrente zu zahlen. Das LSG hat daher das Urteil des SG zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage geltend gemachte Anspruch des Klägers richtet sich nach § 44 SGB X. Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach § 44 Abs 4 SGB X werden, wenn ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, Sozialleistungen nach den Vorschriften des besonderen Teils dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, an Stelle der Rücknahme der Antrag. Hier sind bereits die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X für die Rücknahme des Bescheids vom 16. Oktober 1998 hinsichtlich des Rentenzahlbetrags nicht erfüllt. Dabei kann dahin stehen, ob die Beklagte bei Erlass dieses Bescheids das Recht richtig angewandt hat; denn sie hätte die Witwerrente an den Kläger jedenfalls zu Recht nicht erbracht. Verfassungsmäßige Rechte des Klägers werden dadurch nicht verletzt.
1. Die Beklagte hat die Zahlung von Witwerrente zu Recht verneint, obwohl sie den Anspruch dem Grunde nach anerkannt hat.
a) Was den Anspruch des Klägers auf Witwerrente dem Grunde nach angeht, sei der Kläger allerdings darauf hingewiesen, dass sich sein Anspruch auf Witwerrente nicht aus der allgemeinen rentenrechtlichen Regelung des § 46 SGB VI ableiten lässt. Danach besteht Anspruch auf Witwenrente und Witwerrente nach dem Tod des versicherten Ehegatten, “wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat”. Die verstorbene Ehefrau des Klägers hat in der Bundesrepublik Deutschland keine Versicherungszeiten zurückgelegt und gehört auch nicht zu den Berechtigten iS des § 1 FRG, insbesondere nicht des § 1 Buchst a FRG in der hier maßgeblichen Fassung durch Art 12 Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2094). Diese Vorschrift erfasst ausdrücklich nur Personen, die selbst als Vertriebene iS von § 1 BVFG oder als Spätaussiedler iS von § 4 BVFG anerkannt sind und erstreckt sich demgemäß nicht auch auf diejenigen, die als Ehegatte eines Spätaussiedlers lediglich unter § 7 BVFG fallen oder überhaupt nicht in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt sind (vgl Senatsurteil vom 23. Juni 1999 – B 5 RJ 44/98 R – SozR 3-5050 § 1 Nr 4 sowie BSG, Urteile vom 16. Mai 2001 – B 8 KN 2/00 KR R – veröffentlicht in JURIS, vom 26. Januar 2000 – B 13 RJ 39/98 R – veröffentlicht in JURIS und vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R – BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2). Allerdings haben die Rentenversicherungsträger nach Inkrafttreten des KfbG (am 1. Januar 1993 – vgl Art 22 Abs 1 KfbG) weiterhin die Rechtsprechung des BSG beachtet, wonach als Vertriebene iS des § 1 BVFG anerkannte Personen einen (eigenständigen) Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben mit der Folge, dass für diesen Anspruch die bis zur Vertreibung des Hinterbliebenen vom Verstorbenen zurückgelegten Beitragszeiten nach §§ 14, 15 FRG zu berücksichtigen sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dessen Tod vor oder nach der Vertreibung des Hinterbliebenen eingetreten ist (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 6. Dezember 1979 – GS 1/79 – BSGE 49, 175 = SozR 5050 § 15 Nr 13), und sie haben diese Rechtsprechung ungeachtet der Frage, inwieweit sie durch das KfbG überholt war, auch auf Personen bezogen, die – wie der Kläger – die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 verlassen haben und daher nach dem ab 1. Januar 1993 geltenden Recht nicht mehr als Vertriebene nach § 1 BVFG, sondern nur noch als Spätaussiedler nach § 4 BVFG anerkannt werden können. Dem trägt § 14a FRG, eingefügt durch Art 7 des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 (BGBl I, 403) für die Zeit bis 31. Dezember 2001 Rechnung. Nach dieser Vorschrift werden bei Renten wegen Todes an Witwen und Witwer von Personen, die nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehören, Zeiten nach diesem Gesetz nicht angerechnet; dies gilt jedoch nicht für Berechtigte, die vor dem 1. Januar 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben und deren Ehegatte vor diesem Zeitpunkt verstorben ist (§ 14a Satz 2 FRG). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die vor dem 1. Januar 2002 übergesiedelten Berechtigten weiterhin die der früheren Verwaltungspraxis entsprechende “Hinterbliebenenrente nach einer fiktiven FRG-Rente des Verstorbenen” (so BT-Drucks 14/4595 S 78 zu Art 11 Nr 1 = § 14a FRG) erhalten (vgl BSG, Urteile vom 7. Juli 2004 – B 8 KN 10/03 R – BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2 jeweils RdNr 17 f und vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R und B 8 KN 9/04 R – zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Der Monatsbetrag einer Rente richtet sich gemäß § 64 SGB VI ua nach den persönlichen EP. Diese ergeben sich, indem die Summe aller EP mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt und ggf noch um einen Zuschlag erhöht wird (§ 66 Abs 1 SGB VI); dabei sind Grundlage für die Ermittlung der EP bei einer Witwerrente die EP der verstorbenen Versicherten (§ 66 Abs 2 Nr 2 SGB VI). EP werden in erster Linie für Beitragszeiten ermittelt, dh Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen Versicherungsträger werden bei Berechtigten nach dem FRG gemäß § 15 FRG den im Bundesgebiet zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt; für diese gleichgestellten Zeiten werden die EP nach Maßgabe der §§ 22 ff FRG ermittelt, wobei § 22b FRG, eingefügt durch Art 3 Nr 5 Abs 3 WFG vom 25. September 1996 (BGBl I, 1461), in Abs 1 ergänzt um Satz 3 durch Art 12 Nr 2 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I, 2998) und in Abs 1 Satz 1 geändert durch Art 9 Nr 2 RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21. Juli 2004 (BGBl I, 1791), vorschreibt, dass die nach § 22 Abs 1 bis 3 FRG ermittelten, nach § 22 Abs 4 FRG gekürzten EP nur bis zu der in § 22b Abs 1 Satz 1 bzw § 22b Abs 3 FRG genannten Höchstzahl in die Rentenberechnung einfließen. Da weder der Kläger noch seine verstorbene Ehefrau Zeiten in der deutschen Versicherung zurückgelegt haben, sind EP für die Renten des Klägers ausschließlich nach den Vorschriften des FRG zu ermitteln.
2. Bei Erlass des Ausgangsbescheids vom 16. Oktober 1998 ergab sich das geltende Recht hinsichtlich der Höchstzahl der EP für die bei der Witwerrente des Klägers berücksichtigten (fiktiven) FRG-Zeiten seiner Ehefrau noch aus § 22b Abs 1 Satz 1 FRG idF des WFG (im Folgenden: FRG aF). Diese Vorschrift haben die anderen Rentensenate des BSG dahin ausgelegt, dass sie – entgegen der Auffassung der Beklagten und des LSG – beim Zusammentreffen einer eigenen Rente des Berechtigten mit einer Hinterbliebenenrente die FRG-Anteile der Hinterbliebenenrente nicht einbezieht (Urteile vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R – BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2, vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 R – BSGE 92, 248 = SozR 4-5050 § 22b Nr 1, – B 13 RJ 52/03 R und B 13 RJ 56/03 R – jeweils nicht veröffentlicht sowie vom 7. Juli 2004 – B 8 KN 10/03 R – BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2 und vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R und B 8 KN 9/04 R – zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Rechtsprechung ist umstritten (vgl dazu nachfolgend unter 3.b). Ob ihr unter Berücksichtigung der dagegen vorgebrachten Einwände zu folgen ist, kann im vorliegenden Fall dahinstehen; denn eine daraus folgende unrichtige Rechtsanwendung durch die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 16. Oktober 1998 würde keinen Rücknahmeanspruch begründen, weil es an der weiteren Voraussetzung des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X fehlt, dass wegen der unrichtigen Rechtsanwendung Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind. Denn maßgeblich dafür, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist die materielle Rechtslage, wie sie sich für den im November 1996 entstandenen Rentenanspruch des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung ergibt (vgl Senatsurteil vom 13. September 1994 – 5 RJ 30/93 – HVBG-INFO 1995, 424 sowie BSG, Urteile vom 25. Oktober 1984 – 11 RAz 3/83 – BSGE 57, 209, 210 = SozR 1300 § 44 Nr 13 S 21 f und vom 21. März 1996 – 11 RAr 101/94 – BSGE 78, 109, 113 f = SozR 3-1300 § 48 Nr 48 S 112 ff mwN zum Fall nachträglicher Änderung der Rechtsprechung). Insoweit gilt für den Anspruch auf Erlass eines Zugunstenbescheids nach § 44 SGB X nichts anderes als für eine sonstige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, bei der maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, nach welchem Recht die Begründetheit des Anspruchs zu prüfen ist, grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung ist und daher Rechtsänderungen nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des anhängigen Rechtsstreits auch im Revisionsverfahren zu beachten sind, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (stRspr, vgl BSG, Teilurteil vom 14. Juli 1993 – 6 RKa 71/91 – BSGE 73, 25, 27 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4 S 26, Urteil und Vorlagebeschluss vom 28. Mai 1997 – 8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3 S 27 f, Urteile vom 2. Juli 1997 – 9 RVs 9/96 – veröffentlicht in JURIS und vom 26. Februar 2003 – B 8 KN 11/02 R – SozR 4-2600 § 93 Nr 4 RdNr 7; Beschluss vom 18. August 2004 – B 8 KN 18/03 B – veröffentlicht in JURIS). Dieser Fall ist hier gegeben; denn § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF ist durch Art 9 Nr 2 iVm Art 15 Abs 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz rückwirkend zum 7. Mai 1996 durch eine Neufassung (§ 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF) ersetzt worden, wonach für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt werden.
Eine Bestimmung des einfachen Rechts, welche die Anwendung von § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF im vorliegenden Fall ausschließen könnte, existiert nicht. Der Ausschluss lässt sich insbesondere nicht aus § 300 SGB VI ableiten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese Vorschrift in Bezug auf Änderungen des FRG generell – etwa auf Grund des allgemeinen Verweises in § 14 FRG (so BSG, Urteil vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – BSGE 93, 15 RdNr 13) – oder speziell für die hier in Rede stehende Gesetzesänderung grundsätzlich anwendbar ist.
Nach dem Grundsatz des § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI von ihrem Inkrafttreten an auf einen Anspruch oder einen Sachverhalt auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Als Ausnahme von diesem Grundsatz bestimmt § 300 Abs 2 SGB VI, dass aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Der Witwerrentenanspruch des Klägers ist erst mit dessen Zuzug im November 1996 damit nicht iS von § 300 Abs 1 SGB VI vor Inkrafttreten des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF am 7. Mai 1996 entstanden, er hat mithin auch nicht iS des § 300 Abs 2 SGB VI vor der Aufhebung der früheren Gesetzesfassung bestanden. Die Verkündung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes erst im Juli 2004 ändert daran nichts. Im Verhältnis von § 300 Abs 1 zu Abs 2 SGB VI bezeichnet der Begriff “Aufhebung” in § 300 Abs 2 SGB VI nicht den tatsächlichen Akt der Aufhebung im Sinne der Verkündung des Änderungsgesetzes, sondern den Zeitpunkt für das Außerkrafttreten des alten Rechts, wie er durch Gesetz ausdrücklich oder durch den Zeitpunkt bestimmt wird, zu dem altes Recht ersetzende neue Vorschriften iS von Art 82 Abs 2 GG in Kraft treten (BSG, Urteil vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – BSGE 93, 15 RdNr 19).
3. Verfassungsmäßige Rechte des Klägers werden durch § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF nicht verletzt. Das gilt auch, wenn mit dieser Vorschrift das Recht rückwirkend geändert worden ist.
a) Das BSG hat die Begrenzungsregelungen in § 22b Abs 1 FRG aF und § 22b Abs 3 FRG bereits für verfassungsmäßig erachtet (Senatsurteil vom 3. Juli 2002 – B 5 RJ 22/01 R – SozR 3-5050 § 22b Nr 3, BSG, Urteile vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – BSGE 93, 15 und vom 7. Juli 2004 – B 8 KN 10/03 R – BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2, jeweils RdNr 28 ≪zu § 22b Abs 1 und Abs 3 FRG≫ sowie vom 30. August 2001 – B 4 RA 87/00 R – BSGE 88, 274 = SozR 3-5050 § 22b Nr 1 ≪zu § 22b Abs 1 FRG aF≫). Der in weitgehender Abkehr von dem das frühere Fremdrentenrecht beherrschenden Eingliederungsprinzip erfolgte Systemwechsel hin zu an der Höhe der Eingliederungshilfe orientierten Rentenleistungen für FRG-Zeiten an neu zuziehende Spätaussiedler ist sowohl mit Art 116 als auch mit Art 14 und 3 GG vereinbar. Der Senat verweist insoweit auf die eingehenden Begründungen in seinem Urteil vom 3. Juli 2002 (B 5 RJ 22/01 R – SozR 3-5050 § 22b Nr 3 S 26 ff) und im Urteil des 13. Senats vom 19. Mai 2004 (B 13 RJ 46/03 R – BSGE 93, 15 RdNr 23 ff). Die Einbeziehung des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung zwingt nicht zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung. Der Anspruch auf Hinterbliebenenrente fällt auch bei ausschließlich in der bundesdeutschen Rentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht unter den Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998 – 1 BvR 1318/86 und 1 BvR 1484/86 – BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1). Die Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber Hinterbliebenen, deren Renten keine EP für FRG-Zeiten zu Grunde liegen, beruht wie die übrigen Begrenzungen des § 22b FRG darauf, dass dem FRG-Anteil seiner Rente keine Beiträge zur bundesdeutschen Rentenversicherung zugeordnet werden können, die entsprechenden Leistungen vielmehr aus sozialstaatlichen Gründen gewährt werden; dies ist ein sachgerechtes Kriterium. Wenn der Gesetzgeber bei seiner Wahl, Rentenleistungen an Spätaussiedler höchstens nur noch zur Deckung eines (pauschalierten) Bedarfs zu erbringen, frei war, verstößt es auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, durch Einbeziehung des Hinterbliebenenrentenanspruchs zu verhindern, dass die Berechtigten infolge des Todes ihres Ehegatten weitergehende Rentenleistungen erhalten. Der Kläger wird damit gegenüber Hinterbliebenen, deren verstorbene Ehegatten ihr Berufsleben in Deutschland verbracht haben, und bei denen ein durch eigene Beiträge erworbener Rentenanspruch lediglich als sonstiges Einkommen gemäß § 97 SGB VI angerechnet wird, nicht ungerechtfertigt benachteiligt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch Art 6 GG nicht verletzt. Aus dem in Art 6 Abs 1 GG enthaltenen Gebot, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, lassen sich keine konkreten Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete ableiten, mithin schon generell kein Anspruch auf Unterhaltsersatz in Gestalt einer Hinterbliebenenrente; vielmehr besteht insoweit grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 – 1 BvL 51/86, 50/87, 1 BvR 873/90, 761/91 – BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6 mwN).
b) Ist § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG dahin auszulegen, dass beim Zusammentreffen von eigener Rente des Berechtigten mit einer Hinterbliebenenrente die FRG-Anteile der Hinterbliebenrente nicht in die Höchstgrenze von 25 EP einbezogen sind, so handelt es sich bei der Neufassung in § 22b FRG nF entgegen der Auffassung der Beklagten nicht lediglich um eine Klarstellung, sondern um eine so genannte echt rückwirkende Rechtsänderung, da sie den Anspruch des Klägers bereits vom Zeitpunkt seines Entstehens an erfasst (zur Unterscheidung von echter und unechter Rückwirkung BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 242, 255, 257). Die Interpretation eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes ist Aufgabe der Rechtsprechung, wobei die höchstrichterliche Rechtsprechung deren Einheitlichkeit bewirken soll. Eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend erkannte Rechtslage kann vom Gesetzgeber nur in den durch die Verfassung gezogenen Grenzen rückwirkend geändert werden (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1965 – 2 BvL 17/63 – BVerfGE 18, 429, 439 = SozR Nr 5 zu Art 28 GG; BSG, Urteil vom 27. September 1989 – 11 RAr 53/88 – SozR 4100 § 168 Nr 22 S 55 f). Diese Grenzen wären hier jedoch nicht überschritten. Dies ergibt sich aus Folgendem:
aa) Rückwirkend belastende Gesetze sind nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich unzulässig, weil mit dem Rechtsstaatsgebot des GG unvereinbar. Zu dessen wesentlichen Elementen gehört die Rechtssicherheit, der auf Seiten des Einzelnen das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 257 f; stRspr). Im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz kann das Verbot der echten Rückwirkung daher, wenn es sich dabei nicht nur um eine Bagatelle handelt, zu Gunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nur ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht – oder nicht mehr – vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen die Durchbrechung rechtfertigen oder gar erfordern (BVerfG aaO, BVerfGE 72, 200, 258 f). In Anwendung dieses Grundgedankens hat das BVerfG eine rückwirkende Rechtsänderung für zulässig erachtet, wenn das geltende Recht in einem Maß systemwidrig und unbillig ist, dass ernsthafte Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit bestehen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. November 1961 – 2 BvR 345/60 – BVerfGE 13, 215, 224, vom 16. November 1965 – 2 BvL 8/64 – BVerfGE 19, 187, 197 und vom 23. März 1971 – 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66 ua – BVerfGE 30, 367, 388), wenn sich die geänderte Rechtsnorm im Nachhinein als ungültig erweist (Urteil vom 19. Dezember 1961 – 2 BvL 6/59 – BVerfGE 13, 261, 272), wenn der Betroffene zu dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz bezogen wird, mit der Neuregelung rechnen musste (Beschlüsse vom 31. März 1965 – 2 BvL 17/63 – BVerfGE 18, 429, 439 = SozR Nr 5 zu Art 28 GG, vom 25. Juni 1974 – 2 BvF 2/73, 3/73 – BVerfGE 37, 363, 397 = SozR 5724 Allg Nr 1 S 14, vom 8. Juni 1977 – 2 BvR 499/74, 1042/75 – BVerfGE 45, 142, 173, vom 25. Mai 1993 – 1 BvR 1509, 1648/91 – BVerfGE 88, 384, 404 und vom 23. Juni 1993 – 1 BvR 133/89 – BVerfGE 89, 48, 67) oder wenn das geltende Recht unklar und/oder verworren war, sodass eine baldige Klärung erwartet werden musste (Beschlüsse vom 23. März 1971 – 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66 ua – BVerfGE 30, 367, 388, vom 8. Juni 1977 – 2 BvR 499/74, 1042/75 – BVerfGE 45, 142, 173, vom 17. Januar 1979 – 1 BvR 446/77, 1174/77 – BVerfGE 50, 177, 193 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8 S 25 und vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 259), und schließlich, wenn zwingende Belange des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine echte Rückwirkung rechtfertigen (Urteil vom 19. Dezember 1961 – 2 BvL 6/59 – BVerfGE 13, 261, 272; Beschlüsse vom 23. März 1971 – 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66 ua – BVerfGE 30, 367, 390 f, vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 260 und vom 25. Mai 1993 – 1 BvR 1509, 1648/91 – BVerfGE 88, 384, 404).
Diese falltypisch und nicht abschließend (vgl BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 258) entwickelten Gründe knüpfen, sofern keine zwingenden Gründe des Gemeinwohls vorliegen, daran an, dass berechtigtes Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage entfallen ist oder sich von vornherein nicht entwickeln konnte. Dabei ist, wenn es um die Auslegung einer Rechtsnorm geht, von einer unklaren Rechtslage auszugehen, wenn die ursprüngliche Norm von vornherein Anlass zu Auslegungsproblemen gibt, “deren Lösung nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung” möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 – 1 BvR 446, 1174/77 – BVerfGE 50, 177, 194 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8). In diesem Fall entsteht Rechtssicherheit hinsichtlich des Norminhalts erst durch die Rechtsprechung, insbesondere die des zuständigen höchsten Fachgerichts und/oder eine ständige Praxis der Gesetzesanwendung, die dann Grundlage für eine schutzwürdige Vertrauensbildung wird, und zwar – ungeachtet der Rückwirkung höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl dazu BSG, Urteile vom 21. März 1996 – 11 RAr 101/94 – BSGE 78, 109, 114 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48 S 115 und vom 28. April 1999 – B 9 V 16/98 R – veröffentlicht in JURIS, jeweils mwN) – von dem Zeitpunkt an, zu dem die Rechtsprechung bzw Praxis vorliegt; bei einer unklaren Rechtslage, die erst durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt wird, ist Rechtssicherheit hinsichtlich des Normverständnisses bis zu dieser Klärung nicht vorhanden, und dementsprechend kann sich berechtigtes Vertrauen der Betroffenen als Gegenstück der Rechtssicherheit erst mit und ab dieser Klärung bilden (vgl BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1968 – 1 BvR 537/65 – BVerfGE 24, 75, 98). Entsprechendes muss gelten, wenn erst durch die Rechtsprechung ein Norminhalt erschlossen wird, der zuvor wegen der besonderen Auslegungsprobleme nicht erkannt wurde (vgl BVerfG, Beschluss vom 12. Juni 1986 – 2 BvL 5/80, 17/82 und 2 BvR 635/80 – BVerfGE 72, 302, 325 f; im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 11. Dezember 2003 – B 10 LW 17/02 R – SozR 4-5868 § 92 Nr 2).
Die Bildung schutzwürdigen Vertrauens ist des Weiteren nicht (mehr) möglich, wenn mit der Änderung einer Rechtslage gerechnet werden muss. Letzteres ist regelmäßig ab dem Gesetzesbeschluss über eine Rechtsänderung der Fall, sodass auch ein zu dem Zeitpunkt bereits vorhandenes berechtigtes Vertrauen in die alte Rechtslage entfällt (BSG, Teilurteil und Vorlagebeschluss vom 28. Mai 1997 – 8 RKn 27/95 – insoweit in SozR 3-2600 § 93 Nr 3 nicht abgedruckt, Urteile vom 13. März 2002 – B 8 KN 4/00 R – SozR 3-2600 § 93 Nr 11 S 106 und vom 26. Februar 2003 – B 8 KN 11/02 R – SozR 4-2600 § 93 RdNr 10 mwN; vgl auch BVerfG, Beschlüsse vom 10. März 1971 – 2 BvL 3/68 – BVerfGE 30, 272, 287 mwN, vom 25. Juni 1974 – 2 BvF 2, 3/73 – BVerfGE 37, 363, 397 = SozR 5724 Allg Nr 1 S 14 und vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 260 ff).
bb) Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte das RV-Nachhaltigkeitsgesetz schutzwürdiges Vertrauen des Klägers nicht verletzt, selbst wenn von der Richtigkeit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu einem dem Kläger günstigen Norminhalt des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF ausgegangen würde.
Bis zum Urteil des 4. Senats vom 30. August 2001 (B 4 RA 118/00 R – BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2) wurde die Vorschrift von den Rentenversicherungsträgern durchgehend dahin verstanden, dass der Höchstwert von 25 EP alle für FRG-Zeiten ermittelten EP erfasse, unabhängig davon, aus welcher Versicherung sie stammten, also auch beim Zusammentreffen einer eigenen mit einer Rente wegen Todes (vgl Heller in DAngVers 1997, 1, 7; Bönisch in MittLVA Oberfr 2000, 149, 153; Moser in Kompass 1996, 499, 500; Spegel in MittLVA Württemberg 1996, 384, 385; Silber in MittLVA Württemberg 1997, 11, 12; Stockhaus in AmtlMittLVA Rheinprovinz 1997, 325, 327; Krohm in Kompass 1998, 212; Polster in DRV 1998, 97, 99; Verbandskomm § 22b FRG Anm 4.5, Stand Januar 1998), und dieses Verständnis wurde, soweit ersichtlich, von den Gerichten der ersten und zweiten Instanz und den Betroffenen nicht in Frage gestellt. Auch in dem Fall, der dem Urteil des 4. Senats zu Grunde liegt, war es nach den Ausführungen des Berufungsgerichts zwischen den Beteiligten unstreitig (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Oktober 2000 – L 12 RA 2663/99 – veröffentlicht in JURIS); gestritten wurde darüber, ob die Begrenzung verfassungsgemäß sei. Das BSG hat sein Normverständnis auch nur mit einem erheblichen Interpretationsaufwand unter rechtssystematischen und übergeordneten Gesichtspunkten bestimmen können (vgl BSG, Urteile vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 R – BSGE 92, 248 = SozR 4-5050 § 22b Nr 1, jeweils RdNr 7 ff und vom 7. Juli 2004 – B 8 KN 10/03 R – BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2, jeweils RdNr 11 ff). Die Auslegung des 4. Senats überraschte und stieß auf erhebliche Kritik.
Die Rentenversicherungsträger verabredeten, der Rechtsprechung des BSG nicht zu folgen (vgl Göhde in MittLVA Rheinprovinz 2002, 316, 317 mwN). Sie wurden darin durch eine Vielzahl von Entscheidungen der SG und LSG bestärkt, die an ihrem Widerspruch teilweise auch noch nach Bestätigung der Rechtsprechung des 4. Senats durch die Urteile des 13. Senats vom 11. März 2004 (B 13 RJ 44/03 R – BSGE 92, 248 = SozR 4-5050 § 22b Nr 1; B 13 RJ 52/03 R und B 13 RJ 56/03 R – jeweils nicht veröffentlicht) und des 8. Senats vom 7. Juli 2004 (B 8 KN 10/03 R – BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2) festhielten (LSG Berlin, Urteil vom 17. September 2004 – L 5 RJ 23/04 – veröffentlicht in JURIS; Hessisches LSG, Urteil vom 16. Dezember 2004 – L 8 KN 13/04 – veröffentlicht in JURIS; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30. Juli 2003 – L 8 RJ 64/03 – und vom 26. Februar 2004 – L 2 KN 42/03 – jeweils veröffentlicht in JURIS; LSG für das Saarland, Urteile vom 29. Oktober 2004 – L 7 RJ 199/03 und L 7 RJ 155/03 – veröffentlicht in JURIS und Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteile vom 12. Dezember 2002 – L 5 KN 2/02 und vom 12. August 2004 – L 5 KN 5/03 – jeweils veröffentlicht in JURIS; SG Altenburg, Urteil vom 2. September 2003 – S 17 RJ 2055/02 – veröffentlicht in JURIS; SG Berlin, Urteile vom 24. Juli 2003 – S 30 RJ 526/03 –, vom 8. Januar 2004 – S 30 RJ 824/03 –, vom 29. März 2004 – S 18 KN 25/03 – und vom 11. Oktober 2004 – S 18 KN 13/04, 18/04 und 21/04 – jeweils veröffentlicht in JURIS sowie vom 28. Juli 2003 – S 3 RA 5529/02 –, vom 11. März 2004 – S 30 RJ 323/03 – und vom 22. Juni 2004 – S 26 RJ 737/04 – jeweils nicht veröffentlicht; SG Düsseldorf, Urteil vom 9. September 2003 – S 15 RJ 275/02 – veröffentlicht in JURIS; SG Freiburg, Urteil vom 29. April 2003 – S 9 RJ 2625/02 – veröffentlicht in JURIS; SG Gießen, Urteil vom 25. Mai 2004 – S 6 KN 5/04 – nicht veröffentlicht; SG Mannheim, Urteil vom 27. November 2002 – S 9 RJ 2074/02 – veröffentlicht in JURIS). Bei den LSG fand die Rechtsprechung des BSG, soweit ersichtlich, nur Zustimmung in Entscheidungen des 11. und 13. Senats des LSG Baden-Württemberg (Urteile vom 1. Juli 2003 – L 11 RJ 511/03 und vom 15. Juli 2003 – L 13 KN 974/03 – jeweils veröffentlicht in JURIS, in einer Entscheidung des LSG für das Land Brandenburg (Urteil vom 26. August 2003 – L 2 RJ 78/03 – veröffentlicht in JURIS) und in Entscheidungen zweier Senate des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 26. August 2003 – L 18 KN 27/03 – und vom 13. Oktober 2004 – L 8 RJ 68/03 – jeweils veröffentlicht in JURIS sowie vom 13. Oktober 2004 – L 8 RA 58/03 und L 8 RJ 107/04 – jeweils nicht veröffentlicht). Ein Grund für den Widerspruch war, dass der 4. Senat des BSG noch keine Antwort darauf gab, welche Begrenzung der EP für FRG-Zeiten bei der Hinterbliebenenrente gilt, wenn sich § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF nicht auf das Zusammentreffen einer eigenen Rente mit einer Hinterbliebenenrente bezieht, und in den nachfolgenden Urteilen des 13. und des 8. Senats des BSG diese Frage für verschiedene Fallgestaltungen (je nachdem, ob der verstorbene Ehegatte bereits vor oder nach der Übersiedlung verstorben ist bzw die Ehegatten zu Lebzeiten bereits Renten auf der Grundlage von nach § 22b Abs 1 Satz 1 und Abs 3 FRG begrenzten EP bezogen haben) unterschiedlich beantwortet wurde.
Bei dieser Sachlage konnte sich jedenfalls vor höchstrichterlicher Bestätigung der Auffassung des 4. Senats zur Auslegung von § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF kein berechtigtes Vertrauen in eine dieser Auslegung entsprechende Rechtslage bilden. Die Rechtslage war unklar; ob sie dies wegen des anhaltenden Widerspruchs auch danach noch war, kann dahinstehen, weil das RV-Nachhaltigkeitsgesetz mit der Neuformulierung der Begrenzungsregelung bereits am 11. März 2004, dem Tag der Entscheidung des 13. Senats, vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde (s BR-Drucks 191/04).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen