Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.07.1997) |
SG Speyer (Urteil vom 15.08.1996) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 1997 mit Ausnahme der Kostenentscheidung aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15. August 1996 zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für die Entgiftungsbehandlung eines Suchtkranken.
Der bei der Beklagten rentenversicherte, jedoch nicht gesetzlich krankenversicherte Beigeladene, der bereits seit Jahren über den Kläger Sozialhilfeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezog, war alkoholabhängig.
Im November 1992 beantragte der Beigeladene die Durchführung einer Langzeittherapie als medizinische Leistung zur Rehabilitation (Reha). Mit Bescheid vom 14. Januar 1993 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen eine stationäre Heilbehandlung für die Dauer von bis zu 26 Wochen in der Fachklinik R … in F …. Vor der Durchführung der Entwöhnungsbehandlung wurde auf Veranlassung der Fachklinik R … bei dem Beigeladenen eine Entgiftungsbehandlung in der K … -Klinik in A … in der Zeit vom 21. Januar 1993 bis zum 5. Februar 1993 durchgeführt. Nach der Rückverlegung des Beigeladenen in die Fachklinik R … erfolgte dort nunmehr in der Zeit vom 5. Februar 1993 bis zum 6. August 1993 die Entwöhnungsbehandlung.
Mit Schreiben vom 17. Februar 1993 und 22. Juni 1993 machte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Entgiftungsbehandlung geltend. Dies wurde von der Beklagten abgelehnt (Schreiben vom 1. März 1993 und 3. August 1993).
Mit der am 3. Juni 1994 beim Sozialgericht (SG) erhobenen Klage hat der Kläger den Erstattungsanspruch auf 4.091,36 DM beziffert. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15. August 1996 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die (vom SG zugelassene) Berufung des Klägers das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten für die stationäre Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen in Höhe von 4.091,36 DM zu erstatten.
Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt: Der Erstattungsanspruch des Klägers folge aus § 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Kläger sei als Träger der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs 1 BSHG lediglich nachrangig verpflichtet gewesen, dem Beigeladenen Eingliederungs- bzw Krankenhilfe gemäß §§ 37, 39, 40 BSHG zu gewähren. Daß der Beigeladene einen Anspruch auf die Gewährung der Entgiftungsbehandlung gegen die Beklagte gehabt habe, ergebe sich aus den ab dem 1. Januar 1992 maßgeblichen Vorschriften der §§ 13, 15 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Es sei insbesondere nicht davon auszugehen, daß der Gesetzgeber die bisherige Rechtsanwendung im Rahmen des § 1236 Reichsversicherungsordnung (RVO) trotz der ihm bekannten höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Fassung des § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI habe ändern wollen. Wenn einerseits Entgiftung und Entwöhnung als medizinische Leistungen zur Reha auch fachlich und begrifflich gegeneinander abgesetzt und formal selbständig durchgeführte Einzelmaßnahmen seien, bestehe andererseits zwischen ihnen doch ein derartiger funktioneller medizinischer Zusammenhang, daß zur Rehabilitation prinzipiell beide Maßnahmen gehörten. Wenn bezüglich eines Versicherten die Suchtbekämpfung indiziert sei, ergebe sich für den Rentenversicherungsträger die Pflicht, beide Leistungen gemeinsam zu erbringen, woraus eine entsprechende Kostenerstattungspflicht resultiere. § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI schließe übereinstimmend mit der früheren Rechtslage lediglich für die Dauer der akuten Phase einer Erkrankung medizinische Leistungen zur Reha aus. Diese Vorschrift diene nur der generellen Abgrenzung zur Krankenversicherung, wie sie schon nach altem Recht gegolten habe und gleichwohl – unter den besonderen Voraussetzungen einer Suchterkrankung – eine Inanspruchnahme der Rentenversicherungsträger für eine akute Entgiftungsbehandlung nicht gehindert habe, wenn keine Krankenversicherung habe einstehen müssen. Im übrigen handele es sich bei der Entgiftung eines Suchtkranken um eine Vorbereitungsmaßnahme der sich unmittelbar anschließenden Entwöhnungsbehandlung, also gerade nicht um eine akute Behandlung, da sie eine akute Behandlungsbedürftigkeit nicht voraussetze.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 13 Abs 2 SGB VI und § 31 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch. Das LSG habe schon vom Wortlaut des § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI her zu der Ansicht kommen müssen, daß ein Erstattungsanspruch des Klägers gemäß § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht gegeben sei. § 15 Abs 1 SGB VI konkretisiere Art, Inhalt und Umfang der medizinischen Leistungen zur Reha, die von einem Rentenversicherungsträger erbracht werden könnten, wobei der Leistungskatalog dieser Vorschrift nicht abschließend sei und daher dem Versicherungsträger auch die Erbringung weiterer Leistungen ermögliche. Grenzen seien dem Rentenversicherungsträger allerdings durch die Regelung des § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI gesetzt, die die Erbringung medizinischer Leistungen zur Reha in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit ausschließe. Das LSG habe verkannt, daß es sich bei einer stationären, ärztlich überwachten Entgiftung um eine medizinische Leistung in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit handele. In einer solchen Entgiftungsphase könnten schwerwiegende medizinische Komplikationen – zB Entzugsdeliri, Krampfanfälle, Leberversagen, Halluzinationen oder Kreislaufzusammenbrüche – auftreten, die eine intensive ärztliche und pflegerische Betreuung notwendig machten. Die Einordnung der Entgiftung als medizinische Leistung der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit stehe auch nicht im Widerspruch zur früheren Argumentation des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Feststellung von Leistungspflichten zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn das LSG seine Entscheidung auf die Rechtsprechung des BSG stütze, so übersehe es, daß diese Entscheidungen auf der rechtlichen Grundlage der RVO basierten. Nach Inkrafttreten des SGB VI sei aber der Leistungsumfang für die Rentenversicherungsträger gegenüber der früheren Rechtslage gesetzlich begrenzt worden. § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI weise, ohne einen Ersatzträger zu normieren, die Akutbehandlung den nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch hierfür zuständigen Trägern – und dies seien nun einmal die Krankenkassen – zu, ohne eine subsidiäre Zuständigkeitsregelung zu treffen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15. August 1996 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Dem Kläger steht entgegen der Auffassung des LSG kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 21. Januar bis 5. Februar 1993 durchgeführte Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen gegen die Beklagte zu.
Als Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch kommt allein § 104 Abs 1 SGB X in Betracht. Danach gilt: Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne daß die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre (Satz 2). Erläuternd heißt es in § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis, daß ein Erstattungsanspruch nicht besteht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. § 104 SGB X geht also von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger aus, wobei die Verpflichtung eines dieser Leistungsträger wegen System- oder Einzelanspruchssubsidiarität der Leistungspflicht des anderen nachgeht (BSGE 59, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7; BSGE 70, 186, 194 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSGE 74, 36, 38 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8). Ob sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 104 Abs 1 SGB X – zu denen als ungeschriebene Voraussetzungen ua Rechtmäßigkeit der erbrachten Leistungen, Vergleichbarkeit der Leistungspflichten und sog zeitliche Konkurrenz gehören (vgl etwa BSGE 74, 36, 39 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8) – hier erfüllt sind, kann offenbleiben; denn das Erstattungsbegehren des an sich gemäß § 2 Abs 1 BSHG nachrangig leistungspflichtigen Klägers scheitert jedenfalls daran, daß dem Beigeladenen gegen die Beklagte kein (vorrangiger) Anspruch auf Entgiftungsbehandlung zustand.
Die Prüfung eines solchen Anspruchs hat bei den §§ 9 ff SGB VI iVm den Bestimmungen des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) anzusetzen. Gegen die Anwendbarkeit des RehaAnglG, das in den maßgebenden Vorschriften bereits zum 1. Oktober 1974 in Kraft getreten ist (§ 45 Abs 1 RehaAnglG), ergeben sich von vornherein keine Bedenken. Die Vorschriften des SGB VI finden Anwendung, weil der Antrag auf Leistungen zur Reha (vgl § 115 Abs 1 Satz 1 SGB VI) vom Versicherten im Juni 1993 gestellt wurde (vgl §§ 300, 301 SGB VI).
Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI, der selbst nicht Anspruchsgrundlage ist, erbringt die Rentenversicherung medizinische, berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Reha, um
- den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und
- dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern.
Gemäß § 9 Abs 2 Satz 1 SGB VI können die Leistungen nach Abs 1 erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Die persönlichen Voraussetzungen werden vom Gesetzgeber in § 10 SGB VI, die versicherungsrechtlichen in § 11 SGB VI konkretisiert. Darüber hinaus werden medizinische Leistungen zur Reha gemäß § 12 SGB VI bei Vorliegen bestimmter Tatbestände nicht erbracht. Ob diese teils positiv, teils negativ formulierten Anspruchsvoraussetzungen im vorliegenden Fall verwirklicht sind, kann offenbleiben. Denn für die umstrittene Entgiftungsbehandlung bestand schon aus anderen Gründen keine Leistungspflicht der Beklagten.
Allerdings kann eine ärztlich indizierte stationäre Entgiftungsbehandlung ihrer Art nach zu den in § 9 Abs 1 SGB VI angesprochenen medizinischen Leistungen zur Reha gehören. Diese umfassen gemäß § 15 Abs 1 SGB VI insbesondere
- Behandlung durch Ärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung durchgeführt werden, einschließlich der Anleitung der Versicherten, eigene Abwehr- und Heilungskräfte zu entwickeln,
- Arznei- und Verbandmittel, Heilmittel einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie,
- Belastungserprobung und Arbeitstherapie,
- Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel.
Die Aufzählung dieser Leistungsarten ist – wie schon die in den einschlägigen Vorläuferbestimmungen (vgl § 14 des Angestelltenversicherungsgesetzes, § 1237 RVO und § 36 des Reichsknappschaftsgesetzes) – kein abgeschlossener Katalog, sondern, wie aus dem Wort „insbesondere” hervorgeht, eine lediglich beispielhafte Auflistung von typischerweise in Betracht kommenden medizinischen Leistungen zur Reha. Es handelt sich um einen „offenen” Tatbestand, dessen Weite nicht zuletzt durch § 10 RehaAnglG umrissen wird (BSG SozR 3-2200 § 1237 Nr 2 mwN), der davon spricht, daß die medizinischen Leistungen zur Reha „alle Hilfen” umfassen sollen, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, eine Behinderung zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten.
Hiernach wird auch die stationäre Entgiftungsbehandlung eines Alkohol- bzw Suchtkranken, die einer stationären Entwöhnungsbehandlung vorausgeht, im Grundsatz ebenso wie diese vom Begriff der medizinischen Leistungen zur Reha iS von § 15 Abs 1 und 2 SGB VI erfaßt. Denn insoweit reicht es aus, daß es sich um eine ärztliche Behandlungsmaßnahme handelt. Diesbezüglich ergibt sich kein Unterschied zur früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung, die dabei auch auf den funktionellen medizinischen Zusammenhang abgestellt hat, der zwischen Entgiftung und Entwöhnung in bezug auf das Reha-Ziel anzunehmen ist (BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr 23; BSGE 68, 167 = SozR 3-2200 § 1237 Nr 1; BSG SozR 3-2200 § 1237 Nr 2).
Gleichwohl war hier eine Leistungserbringung durch die Beklagte ausgeschlossen. Dies folgt aus § 13 Abs 2 SGB VI, der im Kontext mit den übrigen Absätzen dieses Paragraphen zu lesen ist.
Während in § 13 Abs 1 SGB VI der allgemeine Grundsatz normiert ist, daß der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen zur Reha sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, heißt es in Abs 2 des § 13 SGB VI: Der Träger der Rentenversicherung erbringt nicht
- medizinische Leistungen zur Reha in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit, es sei denn, die Behandlungsbedürftigkeit tritt während der medizinischen Leistungen zur Reha ein,
- medizinische Leistungen zur Reha anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung,
- medizinische Leistungen zur Reha, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse nicht entsprechen.
In Abs 3 des § 13 SGB VI findet sich darüber hinaus geregelt: Der Träger der Rentenversicherung erbringt nach Abs 2 Nr 1 im Benehmen mit dem Träger der Krankenversicherung für diesen Krankenbehandlung und Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (Satz 1). Er kann von dem Träger der Krankenversicherung Erstattung der hierauf entfallenden Aufwendungen verlangen (Satz 2). Nach § 13 Abs 4 SGB VI schließlich vereinbaren die Träger der Rentenversicherung mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich im Benehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Näheres zur Durchführung von Abs 2 Nrn 1 und 2.
Diesen ab 1. Januar 1992 anzuwendenden Bestimmungen läßt sich nicht entnehmen, daß sie nur eine Abgrenzung der Leistungszuständigkeit der Rentenversicherungsträger gegenüber derjenigen der Krankenversicherungsträger beträfen. Vielmehr stellt § 13 Abs 2 SGB VI eine allgemeine, dh umfassende Ausschlußklausel dar, die sich auch auf das Verhältnis zu den Trägern der Sozialhilfe bezieht.
Für eine derartige Auslegung spricht zunächst der weit gefaßte Wortlaut des § 13 Abs 2 SGB VI, der – anders als die Absätze 3 und 4 dieser Vorschrift – keine ausdrücklichen Hinweise auf die gesetzliche Krankenversicherung enthält. Ebensowenig erlauben die Bezugnahmen auf Abs 2 Nrn 1 und 2 in den Absätzen 3 und 4 den zwingenden Schluß, auch Abs 2 regele nur das Verhältnis zu den Krankenversicherungsträgern. Abgesehen davon, daß bei einer derartigen Betrachtungsweise § 13 Abs 2 Nr 3 SGB VI unberücksichtigt bliebe, erscheint es gesetzessystematisch durchaus als stimmig, wenn einer allgemeinen Ausschlußklausel weitere Vorschriften zu bestimmten, praktisch bedeutsamen Anwendungsmodalitäten – hier betreffend die Krankenversicherung – beigefügt werden. Hätte der Gesetzgeber in § 13 Abs 2 SGB VI ausschließlich das Verhältnis zwischen Renten- und Krankenversicherungsträgern regeln wollen, so hätte es nahe gelegen, dort – wie in den Absätzen 3 und 4 des § 13 SGB VI – eine allein auf das Verhältnis zu den Trägern der Krankenversicherung bezogene Regelungsabsicht zum Ausdruck zu bringen. Das ist indes nicht geschehen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der § 13 SGB VI betreffenden Begründung zum Entwurf des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992). Allerdings heißt es darin ua: „Absatz 2 Nr. 1 schließt entsprechend der bisherigen Rechtslage für die Dauer der akuten Phase einer Erkrankung medizinische Leistungen zur Rehabilitation aus. Die Beurteilung, wann die Akutbehandlung endet, ob und in welchem Umfang bestimmte Therapieformen vor allem bei psychisch Kranken der Akutbehandlung zuzurechnen sind, insbesondere wenn sie auf die Behebung der psychischen Fehlhaltung und auf die Stabilisierung der Persönlichkeit ausgerichtet sind, ist jedoch häufig schwierig. Deshalb sieht Absatz 4 vor, daß die beteiligten Leistungsträger hierüber eine Vereinbarung treffen” (BT-Drucks 11/4124 S 155 = BR-Drucks 120/98 S 155). Diese Ausführungen lassen jedoch nicht hinreichend klar erkennen, daß damit der gesamte Regelungsgehalt des § 13 Abs 2 SGB VI erfaßt werden sollte. Es mag wohl sein, daß eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Renten- und Krankenversicherung im Vordergrund der gesetzgeberischen Beratungen gestanden hat, eine entsprechende Beschränkung der Regelung des § 13 Abs 2 SGB VI muß damit aber nicht beabsichtigt gewesen sein.
Auch die Darlegungen in den Gesetzesmotiven, daß § 13 Abs 2 Nr 1 „entsprechend der bisherigen Rechtslage für die Dauer der akuten Phase einer Erkrankung medizinische Leistungen zur Reha” ausschließe und daß es dem Rentenversicherungsträger „in Anlehnung an das bisherige Recht” möglich sein solle, „während der von ihm erbrachten medizinischen Leistungen zur Reha anstelle des Krankenversicherungsträgers Krankenbehandlung und Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft zu übernehmen, wenn die Reha voraussichtlich erfolgreich weitergeführt werden kann” (BT-Drucks 11/4124 S 155), rechtfertigten nicht die Annahme, § 13 Abs 2 SGB VI beschränke sich ausschließlich auf das Verhältnis der Rentenversicherungsträger zu den Krankenversicherungsträgern und lasse bei fehlendem Krankenversicherungsschutz eine Leistungspflicht der Rentenversicherungsträger in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit zu. Insbesondere kann mit den Hinweisen auf das bisherige Recht nicht das Urteil des BSG vom 16. November 1989 – 5 RJ 3/89 – (BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr 23) gemeint gewesen sein. Dieses ist den Beteiligten nämlich nachweislich erst im Januar 1990 zugestellt worden. Demgegenüber datiert der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum RRG 1992 vom 10. März 1989 (BR-Drucks 120/89). Mit Formulierungen wie „entsprechend der bisherigen Rechtslage” bzw „in Anlehnung an das bisherige Recht” kann sich der Gesetzgeber mithin nur auf die Rechtspraxis in der Zeit vor der Entscheidung des BSG vom 16. November 1989 (aaO) bezogen haben. Danach aber sahen sich die Rentenversicherungsträger für die Durchführung von Entgiftungsbehandlungen allgemein nicht als zuständig an (vgl dazu Vömel, DRV 1990, 662; ders, DRV 1991, 429).
Schließlich gebieten Sinn und Zweck des § 13 Abs 2 SGB VI die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 13 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGB VI. Wenn nämlich der Begriff der medizinischen Leistungen zur Reha iS des § 15 Abs 1 SGB VI, wie oben dargelegt, weit auszulegen ist, bedarf es zur Eingrenzung der Reha-Aufgaben des Rentenversicherungsträgers einer (wortlautgetreu) weiten Auslegung auch der Ausschlußtatbestände des § 13 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGB VI. Andernfalls würde der Rentenversicherungsträger zum subsidiären Krankenversicherungsträger, was mit dem gegliederten Sozialleistungssystem und der gesetzlichen Zuordnung bestimmter Aufgabenbereiche zu bestimmten Leistungsträgern kaum zu vereinbaren wäre (vgl Vömel, DRV 1991, 429, 431; allg dazu auch Krasney, Sucht aktuell, Heft 4/1996, 24, 26 f).
Findet danach die Ausschlußklausel des § 13 Abs 2 SGB VI im vorliegenden Fall Anwendung, so liegen nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen auch deren Voraussetzungen vor. Ob die hier durchgeführte Entgiftungsbehandlung den Begriff der „erforderlichen Krankenhausbehandlung” iS des § 13 Abs 2 Nr 2 SGB VI erfüllt, kann offenbleiben; denn nach Auffassung des Senats sind jedenfalls die Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI gegeben. Der Beigeladene litt während der Dauer der Entgiftungsbehandlung (21. Januar bis 5. Februar 1993) unter einer „behandlungsbedürftigen Krankheit”, die nicht während der Dauer medizinischer Leistungen zur Reha eingetreten war, und befand sich dabei in einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit”.
Daß der Beigeladene im genannten Zeitraum behandlungsbedürftig krank war, kann keinen Zweifeln unterliegen. Sein Gesundheitszustand wich, was letztlich ausschlaggebend ist (vgl etwa BSGE 35, 10, 12 = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; Kasseler Komm/Höfler, § 27 SGB V, RdNr 19; jeweils mwN), aufgrund der Alkoholintoxikation von dem eines gesunden Menschen in so beträchtlichem Maße ab, daß es zu seiner Wiederherstellung ärztlicher Betreuung bedurfte. Auch das LSG geht konkludent vom Vorliegen einer „behandlungsbedürftigen Krankheit” aus; denn es hat seine Entscheidung nicht auf dieses Merkmal, sondern auf das Fehlen einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit” gestützt. Daß die behandlungsbedürftige Krankheit des Beigeladenen nicht während der Dauer medizinischer Leistungen zur Reha eingetreten ist, liegt offen zutage.
Entgegen der Auffassung des LSG erfolgte die Entgiftung aber auch in einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit”. Was hierunter genau zu verstehen ist, braucht der Senat nicht abschließend zu definieren. Akut ist jedenfalls ein (regelmäßig plötzlich auftretender, schnell und heftig verlaufender) Zustand, der – im Gegensatz zu einem chronischen Krankheitsgeschehen (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl 1998, unter „akut”) – durch (intensive) ärztliche Bemühungen relativ kurzfristig behoben oder wesentlich gebessert werden kann. Darum handelt es sich hier. Denn eine bestehende Suchtmittelintoxikation ist unter ärztlicher Überwachung – wie der vorliegende Fall zeigt – grundsätzlich innerhalb weniger Tage oder Wochen zu beseitigen, um den Betroffenen auf die anstehende Entwöhnungsbehandlung vorzubereiten.
Ob sich während der Entgiftungsbehandlung Entzugsdeliri und sonstige krankhafte Begleiterscheinungen einstellen, ist unerheblich. Maßgebend ist, daß mit der Entgiftungsbehandlung Komplikationen – zB Entzugsdeliri, Krampfanfälle, Leberversagen, Halluzinationen und Kreislaufzusammenbrüche – einhergehen „können”, die, sofern sie auftreten, ärztlicher Betreuung bedürfen.
Dieses Ergebnis deckt sich mit der sog Sucht-Vereinbarung vom 20. November 1978 (abgedruckt ua in BKK 1979, 58 f), die, soweit ersichtlich, weiterhin gilt. Darin haben die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (BSGE 46, 41 = SozR 2200 § 184a Nr 1) zur Leistungsabgrenzung zwischen Kranken- und Rentenversicherung bei der Reha Abhängigkeitskranker ua vereinbart, daß der nahtlose Übergang von der Entzugsbehandlung in die Entwöhnungsbehandlung anzustreben ist (§ 3 Abs 2 der Vereinbarung) und daß für die Gewährung der Entzugsbehandlung (§ 3 Abs 1 der Vereinbarung) grundsätzlich der Krankenversicherungsträger (§ 4 Abs 2 der Vereinbarung) und für die Gewährung der Entwöhnungsbehandlung (§ 2 der Vereinbarung) der Rentenversicherungsträger zuständig ist (§ 4 Abs 1 der Vereinbarung). Wenn aber die Entzugsbehandlung bei Bestehen einer gesetzlichen Krankenversicherung sinngemäß als eine nicht von den Rentenversicherungsträgern zu erbringende „Akutbehandlung” angesehen wird, erscheint eine solche Betrachtungsweise bei Anwendung des § 13 Abs 2 SGB VI auch in den Fällen angebracht, in denen ein Krankenversicherungsschutz fehlt (vgl dazu allg BSG SozR Nr 7 zu § 1237 RVO).
Eine derartige Auslegung und Anwendung des § 13 Abs 2 SGB VI läßt keine Gesetzeslücke erkennen, die der Ausfüllung bedürfte. Von einer „planwidrigen Unvollständigkeit” des Gesetzes (BGHZ 65, 300, 302; BGH NJW 1988, 2109, 2110) kann nicht die Rede sein. Wenn der Rentenversicherungsträger bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art keine medizinischen Leistungen zur Reha erbringen soll, entspricht dies dem deutlich erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Besteht für den alkohol- bzw suchtkranken Versicherten kein gesetzlicher Krankenversicherungsschutz, so greift bei bestehender Bedürftigkeit nach Maßgabe des BSHG eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ein. Damit ist sichergestellt, daß eine erforderliche Entwöhnungsbehandlung nicht an den Kosten für die notwendigerweise vorgeschaltete Entgiftung scheitern muß. Daß dabei trotz des funktionellen Zusammenhangs zwischen Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung zwei verschiedene Leistungsträger tätig werden, stellt keine gravierende Beeinträchtigung der Reha dar, entspricht diese Aufgabenverteilung doch der Situation im Verhältnis zwischen Renten- und Krankenversicherungsträgern.
Der Senat verkennt nicht, daß zwischen den Sozialhilfeträgern und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger keine Vereinbarung existiert, die der zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger getroffenen Sucht-Vereinbarung vergleichbar wäre. Um so deutlicher ist darauf hinzuweisen, daß alle Leistungsträger auch ohne eine solche Vereinbarung von Rechts wegen verpflichtet sind, bei der Erfüllung der ihnen nach dem Sozialgesetzbuch obliegenden Aufgaben eng zusammenzuarbeiten (§ 86 SGB X). Dort, wo es um den nahtlosen Übergang von der Entzugsbehandlung in die Entwöhnungsbehandlung geht, ist dieser Verpflichtung im Interesse des Betroffenen von seiten beider beteiligten Leistungsträger in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Dabei gehört es gemäß § 5 RehaAnglG zu den einem Reha-Träger obliegenden Aufgaben, durch rechtzeitige Planung und Festlegung von Rückmeldungen sicherzustellen, daß die Reha bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen lückenlos bis zur vollständigen Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchgeführt wird (vgl BSG SozR 3-2200 § 1237 Nr 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz. Dabei war zu berücksichtigen, daß sich der Beigeladene während des gesamten Verfahrens nicht geäußert hat.
Fundstellen