Verfahrensgang
SG Hamburg (Urteil vom 18.04.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. April 1990 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütung von im ärztlichen Notfalldienst (NFD) erbrachten Besuchsleistungen.
Der Kläger, ein angestellter Krankenhausarzt, war von der Beklagten widerruflich berechtigt worden, am NFD in Hamburg teilzunehmen. Dieser ist von der Beklagten so organisiert, daß die jeweils diensttuenden Ärzte (Kassenärzte und teilnahmeberechtigte Ärzte) von einer NFD-Zentrale eingesetzt werden und die Einsätze mit Taxen durchführen.
Die Beklagte erteilte dem Kläger, der in den Quartalen II und III/88 am NFD teilgenommen hatte, die Honorarabrechnungen vom 23. November 1988 (Honorar für 201 Notfalldienstfälle: 14.917,01 DM) und 21. Februar 1989 (Honorar für 244 Notfalldienstfälle: 18.006,46 DM). Mit den hiergegen erhobenen Widersprüchen machte der Kläger geltend, die Beklagte hätte die von ihm am Wochenende erbrachten Besuchsleistungen nach Nr 30 des Bewertungsmaßstabes-Ärzte (BMÄ) bzw der Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO), nicht dagegen mit der niedriger bewerteten Gebührenposition Nr 25 BMÄ/E-GO abrechnen müssen. Ebenso hätten bei den NFD in der Nacht die Besuche nicht nach Nr 28, sondern nach Nr 29 BMÄ/E-GO vergütet werden müssen. Die Beklagte wies die Widersprüche zurück (Widerspruchsbescheide vom 24. Februar und 31. März 1989). Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnung der Besuchsleistungen entspreche den vertraglichen Bestimmungen beider Gebührenordnungen. Danach seien Besuche im Rahmen des organisierten NFD, die nicht von einem Kassen-/Vertragsarzt erbracht worden seien, nach den Gebührenpositionen Nr 25 bzw Nr 28 BMÄ/E-GO zu vergüten.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide und Aufhebung der Widerspruchsbescheide verurteilt, die entsprechenden NFD des Klägers nach den Nrn 29 und 30 BMÄ/E-GO abzurechnen (Urteil vom 18. April 1990). Die Regelung des BMÄ bzw der E-GO (Präambel B II „Besuche”), die für im NFD tätig werdende Nichtkassenärzte eine niedrigere Vergütung der Besuchsleistungen als für Kassenärzte vorsehe, verstoße gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Für eine unterschiedliche Behandlung gebe es keine sachlichen Gründe; denn die Bedingungen, unter denen einerseits der Kläger als teilnahmeberechtigter Nichtkassenarzt und andererseits Kassenärzte am NFD in Hamburg teilnähmen, seien im wesentlichen gleich. Insbesondere bestünden bei der Besuchshäufigkeit keine Unterschiede zwischen Kassen-und Nichtkassenärzten; auch der am NFD teilnehmende Kassenarzt erhalte seine Einsatzanweisungen von der NFD-Zentrale und könne die Erforderlichkeit der Besuchsindikation nicht überprüfen. Das Argument, der Kassenarzt müsse im Gegensatz zum Nichtkassenarzt Praxiskosten vorhalten, rechtfertige ebenfalls nicht eine unterschiedliche Vergütung der Besuchsleistungen. Das zeige schon der Umstand, daß nach der beanstandeten Bestimmung auch niedergelassene Privatärzte nur die niedrigere Vergütung abrechnen könnten. Außerdem würden die Vorhaltekosten einer Praxis durch den NFD des Kassenarztes nicht erhöht, so daß sich auch insoweit eine unterschiedliche Behandlung nicht begründen lasse.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevison rügt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (Beigeladene zu 1) eine Verletzung materiellen Rechts. Die Differenzierung der Vergütung zwischen Kassenärzten und Nichtkassenärzten im Rahmen des organisierten NFD nach Abschnitt B II BMÄ/E-GO verstoße nicht gegen Art 3 GG, da sie sachlich geboten sei. Der NFD in der Bundesrepublik erfolge zum Teil unmittelbar durch die in einem Versorgungsgebiet zugelassenen Kassen-/Vertragsärzte in gegenseitiger Absprache. In diesen Fällen greife die Begrenzung der Liquidationsberechtigung auf die Nrn 25 und 28 BMÄ/E-GO nicht. Insbesondere in Großstädten werde die Organisation des NFD dagegen häufig über eine NFD-Zentrale durch NFD-Ärzte wahrgenommen, die nicht aus der Praxis heraus tätig würden, sondern von der NFD-Zentrale aus unter Inanspruchnahme von Taxen laufend Einsatzfahrten durchführten. Wegen dieser Zentralisierung des NFD-Einsatzes könnten vermehrt Besuchsfahrten im zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Die im Rahmen dieser NFD häufig eingesetzten angestellten Krankenhausärzte hätten im Gegensatz zu den Kassenärzten Kosten aus dem Vorhalten einer Praxis nicht zu tragen. Diesem Umstand trügen die Bewertungen der Besuchsleistungen Rechnung. Zudem sei die Belastung der niedergelassenen Ärzte durch die NFD-Tätigkeit höher, da sie am darauffolgenden Tag ihre Praxis fortführen müßten. Des weiteren bestehe im ländlichen Bereich die Gefahr, daß im NFD eingesetzte Krankenhausärzte mehr Besuche durchführten als niedergelassene Ärzte. Die im Rahmen des organisierten NFD generell festzustellende erhöhte Besuchsfrequenz rechtfertige somit ebenfalls eine Begrenzung der Vergütung. Der niedergelassene Arzt könne demgegenüber die Besuchsnotwendigkeit prüfen, da er zumindest zum Teil die Patienten kenne und mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot vertrauter sei als der Nichtkassenarzt. Schließlich würden die Mittel für den NFD (Funkzentrale, Pkw etc) in der Regel aus Beiträgen der Kassenärzte finanziert. Dies alles rechtfertige eine niedrigere Vergütung der Besuchsleistungen von Nichtkassenärzten. Unzutreffend sei im übrigen der Hinweis des SG auf die Vergütung der von niedergelassenen Nichtkassenärzten im organisierten NFD erbrachten Besuchsleistungen. Diese Ärzte seien über das Berufsrecht der Ärztekammern verpflichtet, an dem gemeinsamen – von den Ärztekammern und den Kassenärztlichen Vereinigungen organisierten – NFD teilzunehmen. Eine Beschränkung der Abrechnung auf die Nrn 25 und 28 BMÄ/E-GO erfolge daher nicht. Auch unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das Urteil des SG fehlerhaft. Die Vertragspartner hätten bei der Festlegung der Gebühren für ärztliche Leistungen einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser ende erst dort, wo eine ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar sei und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich beurteilt werden müsse. Aus der Entscheidung des BSG zur Honorarbegrenzungsregelung (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 368f Nr 6) ergebe sich, daß insbesondere die Berücksichtigung der Praxiskosten der niedergelassenen Kassenärzte ein sachgerechtes Differenzierungskriterium sei.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 18. April 1990 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die Revisionsklägerin gehe bei ihrer Beurteilung von falschen Vergleichsobjekten und Vergleichssubjekten aus. Gegenstand der Überprüfung sei die unterschiedliche Behandlung von niedergelassenen Kassenärzten einerseits und anderen Ärzten, nämlich überwiegend Krankenhausärzten, andererseits innerhalb desselben organisierten NFD im Großraum Hamburg. Betrachtungen zum ärztlichen NFD im ländlichen Bereich gingen ebenso an der Sache vorbei wie eine Gegenüberstellung von niedergelassenen Kassenärzten und im NFD tätigen Ärzten. Den niedergelassenen Ärzten entstünden bei der Teilnahme an dem durch eine Zentrale organisierten NFD keinerlei Kosten aus dem Vorhalten einer Praxis. Auch der niedergelassene Kassen-/Vertragsarzt werde im NFD nicht aus seiner Praxis heraus tätig. Die Arbeitsbelastung für Krankenhausärzte nach einem nächtlichen NFD sei ebenso hoch wie die für niedergelassene Ärzte. Eine Prüfung der Besuchsindikation werde im Rahmen des Hamburger NFD weder durch den Krankenhausarzt noch durch den niedergelassenen Kassenarzt vorgenommen. Er (Kläger) werde im übrigen zur Finanzierung der Kosten des organisierten NFD ebenso herangezogen wie niedergelassene Ärzte. Sachliche Gründe für die vorgenommene Differenzierung lägen mithin nicht vor.
Nach Auffassung der Beklagten, die keinen Antrag stellt, gibt es keinen Grund dafür, Besuche in einem großstädtisch organisierten NFD zum Teil unterschiedlich hoch zu vergüten, je nachdem, ob sie von Kassenärzten oder von Nichtkassenärzten ausgeführt würden. Sie sei jedoch an die anderslautenden Bestimmungen der Gebührenordnungen gebunden, solange nicht rechtskräftig festgestellt sei, daß die ungleiche Vergütung gegen höherrangiges Recht verstoße.
Der Beigeladene zu 2) beantragt ebenfalls,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 18. April 1990 die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene zu 3), der wie die Beigeladenen zu 4) und 5) keinen Antrag stellt, macht geltend, in dem angefochtenen Urteil seien die Vorschriften zum Honorarverteilungsmaßstab (HVM) verkannt worden. Gem der hier noch anzuwendenden Regelung des § 368f Abs 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verteile die Beklagte die Gesamtvergütung unter die Kassenärzte. Hierbei könne sie im HVM von den typisierten Bestimmungen des BMÄ abweichen, soweit dies im Einzelfall geboten sei. Die Beklagte hätte daher aufgrund der zulässigen und rechtlichen Typisierung des BMÄ entstehende Ungerechtigkeiten, die in den speziellen örtlichen Verhältnissen der NFD-Organisation ihre Ursachen hätten, im HVM korrigieren müssen. Das SG hätte darlegen müssen, inwiefern die nicht anzuwendende Präambel B II BMÄ auch den Ermessensspielraum der Beklagten bei der Gestaltung des HVM auf Null reduziere.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Sprungrevision der Beigeladenen zu 1) ist begründet.
Einer Entscheidung des Senats in der Sache steht nicht entgegen, daß das SG nicht sämtliche Verbände zum Verfahren beigeladen hat, die die vertragliche Ergänzung des BMÄ und der E-GO (Präambel B II Besuche) vereinbart haben. Nach bisheriger Rechtsprechung (Rspr) des Senats sind die Partner einer im kassenärztlichen System getroffenen vertraglichen Regelung mit generell-abstraktem Charakter gemäß § 75 Abs 2 1. Alternative des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu einem Rechtsstreit notwendig beizuladen, wenn gewichtige Gründe vorliegen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der vertraglichen Regelung ergeben könnte; ohne die – über die Beiladung zu erzielende – Verbindlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung hierzu sei ansonsten die Funktionsfähigkeit des kassenärztlichen Systems gefährdet (BSGE 62, 124, 125 = SozR 1500 § 75 Nr 67 S 72; BSGE 66, 24, 25 = SozR aaO Nr 79 S 95 = SGb 1990, 499 mit insoweit kritischer Anm von H. Plagemann; BSGE 67, 256, 259 = SozR 3-2500 § 92 Nr 1). An dieser Rspr, aus der sich im übrigen die materielle Beschwer der Beigeladenen zu 1) durch die Entscheidung des SG herleitet, hält der Senat aus Vertrauensschutzgesichtspunkten nur noch für eine Übergangszeit fest. Sie ist in Verfahren, die in den Tatsacheninstanzen nach Veröffentlichung des vorliegenden Urteils in einer der von den Richtern des BSG herausgegebenen Entscheidungssammlungen anhängig werden, nicht mehr anzuwenden. Das beruht auf folgenden Gesichtspunkten: Ein Dritter ist gemäß § 75 Abs 2 1. Alternative SGG nur dann zu einem Verfahren notwendig beizuladen, wenn er an dem Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das setzt voraus, daß durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtsphäre des Dritten unmittelbar eingegriffen wird (st Rspr, vgl zB BSGE 66, 144, 145 = SozR 3-5795 § 6 Nr 1; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71, S 83, jeweils mwN). An einem solchen unmittelbaren Eingriff gegenüber den Partnern einer vertraglichen Regelung mit normativer Wirkung fehlt es jedenfalls in den Fällen, in denen die Entscheidung des Rechtsstreits (nur) mittelbar von der Wirksamkeit der vertraglichen Bestimmung abhängt. Im übrigen kann in derartigen Verfahren auch durch die Beiladung der Partner einer normativen vertraglichen Regelung keine Bindung inter omnes hinsichtlich der Wirksamkeit der vertraglichen Regelung erzielt werden (s dazu H. Plagemann, aaO). Rechtlich zulässig ist daher allein eine Beiladung nach § 75 Abs 1 SGG.
Auf der Grundlage der bisherigen Rspr hätte das SG sämtliche Partner der vertraglichen Ergänzung des BMÄ und der E-GO notwendig beiladen müssen. Das hat es unterlassen. Der Senat ist dennoch nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Tatsacheninstanz verpflichtet. Der in dem Unterlassen einer notwendigen Beiladung liegende Verfahrensmangel ist zwar trotz der Regelung des § 161 Abs 4 SGG, nach der Verfahrensmängel im Rahmen der Sprungrevision nicht gerügt werden können (dazu BSG SozR 1500 § 161 Nr 26), von Amts wegen zu berücksichtigen (st Rspr; vgl etwa BSG SozR 3-1500 § 75 Nr 3 S 7 mwN). Da eine Beiladung in der Revisionsinstanz nicht erfolgen kann (§ 168 SGG), führt deren Unterlassen regelmäßig zur Zurückverweisung des Rechtsstreits. Eine unterbliebene notwendige Beiladung steht einer Sachentscheidung jedoch dann nicht entgegen, wenn diese aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Tatsacheninstanz möglich ist und die Beizuladenden weder materiell noch verfahrensrechtlich benachteiligt werden können (BSG SozR 1500 § 75 Nr 74; BSGE 66, 144, 146 = SozR aaO; BSGE 67, 251, 253 = SozR 3-2500 § 92 Nr 2; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 9). So verhält sich die Sache hier, da der Kläger mit seinem Begehren aus rechtlichen Gründen keinen Erfolg haben kann.
Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) war zulässig; denn die Beklagte hat die Honorarabrechnungen für die Quartale II und III/88 als Verwaltungsakte erlassen. Das ergibt sich schon daraus, daß sie den Honorarabrechnungen Rechtsmittelbelehrungen beigefügt hat. Die Beklagte war zur Regelung durch Verwaltungsakt auch befugt; eine zu Unrecht als Verwaltungsakt ergangene Honorarabrechnung hätte demgegenüber auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben werden müssen. Wie den diesbezüglichen Feststellungen des SG mit noch hinreichender Klarheit entnommen werden kann, bezieht die Beklagte Nichtkassenärzte wie den Kläger auf deren Antrag hin im Wege eines Ermächtigungsaktes in den von ihr organisierten ärztlichen NFD ein. Sie erteilt dazu auf höchstens 24 Monate befristete Berechtigungen zur Teilnahme am NFD, die ggf widerrufen werden können (§ 3 Abs 2 Satz 1 und 3, § 5 Abs 2 NFD-Ordnung der Beklagten vom 20. August 1987). Mit der Erteilung der Teilnahmeberechtigung, die sich als Sonderform einer Ermächtigung darstellt, wird der berechtigte Nichtkassenarzt in die kassen- und vertragsärztliche Versorgung einbezogen, soweit diese den organisierten NFD betrifft. Aus dieser Einbeziehung leitet sich in rechtlicher Hinsicht die Befugnis der Beklagten ab, jedenfalls die Vergütung der von den teilnahmeberechtigten Nichtkassenärzten erbrachten NFD-Leistungen – ebenso wie bei Kassenärzten – durch Verwaltungsakt zu regeln.
Die angegriffenen Honorarabrechnungsbescheide sind entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung rechtmäßig. Die Beklagte war gehalten, die vom Kläger im Rahmen des organisierten NFD erbrachten Besuchsleistungen unter Beachtung der von den Partnern des Bundesmantelvertrages (BMV-Ä) bzw des Arzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV) vereinbarten ergänzenden vertraglichen Bestimmung zu Abschnitt B II „Besuche” des BMÄ bzw der E-GO zu vergüten. Die genannte vertragliche Bestimmung lautete im hier maßgeblichen Zeitraum wie folgt:
Besuche im Rahmen des organisierten Notfalldienstes sind bei Tage nach Nr 25 und bei Nacht – bestellt und ausgeführt zwischen 20.00 und 8.00 Uhr – nach Nr 28 zu berechnen, wenn der Notfalldienst nicht von einem niedergelassenen Kassenarzt (Vertragsarzt) oder dessen persönlichem Vertreter wahrgenommen wird.
Diese vertragliche Ergänzung ist rechtmäßig. Ihrer Rechtsnatur nach ist sie Bestandteil eines öffentlich-rechtlichen Vertrages iS des § 53 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X); denn durch ihn wird ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des – öffentlich-rechtlichen -Kassenarztrechts, zu dem auch die Vergütung von Notfallbehandlungen durch Nichtkassenärzte zählt (BSG SozR 2200 § 368d Nr 5, S 6), gestaltet. Rechtsgrundlage für die Berechtigung der Vertragspartner des BMV-Ä zum Abschluß einer derartigen Vereinbarung war nach dem damals geltenden Recht § 368g Abs 3 iVm Abs 4 RVO (alte Fassung ≪aF≫; nunmehr: § 82 Abs 1 Satz 1, § 87 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – ≪SGB V≫). Danach vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit den Bundesverbänden der Krankenkassen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge in Mantelverträgen (Bundesmantelverträgen). Als deren Bestandteil vereinbaren die Vertragspartner durch die Bewertungsausschüsse einen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für ärztliche Leistungen (§ 368g Abs 4 Satz 1 RVO aF; nunmehr: § 87 Abs 1 Satz 1, Abs 3 SGB V). Der EBM ist Grundlage sowohl des BMÄ als auch der E-GO. Die streitige vertragliche Bestimmung ergänzt die Regelungen des BMÄ bzw der E-GO. Bedenken gegen die Befugnis der Partner des BMV-Ä, vertragliche Ergänzungen des BMÄ zu vereinbaren, die die Vergütung von Nichtkassenärzten zum Inhalt haben, bestehen nicht. Hierdurch wird die Kompetenz des Bewertungsausschusses zur Bewertung kassenärztlicher Leistungen nicht berührt.
Die streitige vertragliche Ergänzung hat nicht nur obligatorischen Charakter, sondern normative Wirkung. Sie bindet nicht allein die jeweiligen Vertragspartner. Sie ist vielmehr auch für Dritte, hier den Kläger als einen in das kassenärztliche (und vertragsärztliche) Versorgungssystem einbezogenen Nichtkassenarzt, unmittelbar verbindlich. Es handelt sich insoweit um einen Normsetzungsvertrag (dazu mwN: I. Ebsen, VSSR 1990, S 57, 65), aufgrund dessen der Anspruch des Klägers auf Vergütung seiner im organisierten NFD erbrachten Besuchsleistungen unmittelbar geregelt wird. Die genannte Ergänzung erweist sich, bezogen auf das zwischen den Vertragspartnern bestehende Rechtsverhältnis, weder als nichtig gemäß § 58 SGB X, noch als rechtswidrig. Wegen ihres normativen Charakters bedurfte es – anders als bei rein obligatorischen Verträgen – zu ihrer Wirksamkeit auch nicht der schriftlichen Zustimmung der Dritten (§ 57 Abs 1 SGB X), in deren Rechte sie eingreifen könnte.
Die vertragliche Ergänzung ist insbesondere nicht verfassungswidrig. Die in ihr getroffene Vergütungsregelung, die aufgrund eines Gesetzes (§ 368g Abs 3 iVm Abs 4 RVO aF) erfolgte, stellt sich als zulässige Berufsausübungsregelung iS des Art 12 Abs 1 GG dar.
Entgegen der Auffassung des SG liegt auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG), nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, nicht vor. Eine Regelung verstößt erst dann gegen den Gleichheitssatz, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, die Bestimmung also als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14, 52; 61, 138, 147). Demzufolge liegt ein Verstoß gegen dieses Grundrecht vor allem vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl zB BVerfGE 55, 72, 88 ff; 82, 126, 146 mwN). Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, entscheidet regelmäßig der Normgeber selbst. Er kann grundsätzlich die Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen will. Sein Spielraum endet erst dort, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte evidentermaßen nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten sachgerechten Betrachtungsweise vereinbar ist (BVerfGE 71, 39, 58; 71, 255, 271).
Bei der vom Kläger beanstandeten niedrigeren Festsetzung der Vergütung allein für die von Nichtkassenärzten im Rahmen des organisierten NFD erbrachten Besuchsleistungen fehlt es schon in wesentlicher Hinsicht an der Vergleichbarkeit der geregelten Sachverhalte. In der vertraglichen Ergänzung des BMÄ und der E-GO wird für die Anwendung von Gebührenpositionen, die sich auf Besuchsleistungen beziehen, danach unterschieden, ob die Leistungen von einem Kassenarzt oder einem Nichtkassenarzt erbracht worden sind. Dieses Sachverhaltselement ist von so maßgeblicher Bedeutung, daß es bezüglich der Vergütung der Besuchsleistungen eine differenzierende Bewertung zuläßt. Das ergibt sich aus folgendem:
Der – grundsätzlich zur Teilnahme am ärztlichen NFD verpflichtete -Kassenarzt hat Anspruch auf Vergütung seiner insoweit erbrachten Leistungen unter Zugrundelegung des EBM als Bestandteil des BMV-Ä. Der EBM regelt neben anderem das wertmäßige, in Punkten ausgedrückte Verhältnis der Leistungen zueinander (§ 368g Abs 4 Satz 2 RVO aF, § 87 Abs 2 Satz 1 SGB V), wobei auch durch den EBM die angemessene Vergütung der ärztlichen Leistungen (§ 368g Abs 1 letzter Halbsatz RVO aF, § 72 Abs 2 letzter Halbsatz SGB V) sicherzustellen ist. In die Bewertungen des EBM fließen neben der Vergütung des zeitlichen Aufwandes des Arztes, dem Wert seiner persönlichen Dienstleistung also, alle Kosten mit ein, die bei einem als Kassenarzt tätigen Arzt durch das Führen einer Kassenarztpraxis bei generalisierender Betrachtung anfallen (vgl § 368f Abs 3 Satz 2 RVO aF, wonach bei der Veränderung der Gesamtvergütungen ua die zu erwartende Entwicklung der Praxiskosten, der für kassenärztliche Tätigkeit aufzuwendenden Arbeitszeit und Art und Umfang der ärztlichen Leistungen zu berücksichtigen sind; s nunmehr § 85 Abs 3 SGB V). Gemeint ist der erforderliche Sach-und Personalaufwand einer Praxis, der mit dem Begriff Praxisvorhaltekosten umschrieben wird (vgl Allgemeine Bestimmungen BMÄ und E-GO, AZ; zu diesem Gesichtspunkt s bereits Urteil des Senats vom 27. Oktober 1987 – 6 RKa 60/86 – = SozR 2200 § 368d Nr 6 S 16). Wegen der notwendigen Generalisierung und Pauschalisierung der Vergütungsregelung ist es für den Vergütungsanspruch des Kassenarztes ohne Belang, ob bei der einzelnen erbrachten Leistung überhaupt Praxisvorhaltekosten entstanden sind und/oder ob die im Einzelfall anfallenden Kosten höher oder niedriger sind, als ihr durch den EBM bestimmtes Punkteverhältnis es besagt. MaW, sofern der Kassenarzt im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung Leistungen erbringt, erwächst sein Vergütungsanspruch auf der Grundlage des EBM, der bei der Bewertung der Leistungen die generell anfallenden Praxisvorhaltekosten mitzuberücksichtigen hat. Entsprechendes gilt für die vertragsärztliche Tätigkeit. Hinzu tritt ein weiterer Gesichtspunkt. Der Kassen- und Vertragsarzt übt diesen Beruf in aller Regel hauptberuflich und ausschließlich aus. Er bildet die Haupterwerbsquelle des Kassen- und Vertragsarztes. Die Vergütung aus Behandlungen von Privatpatienten ist im Vergleich hierzu zu vernachlässigen. Auch diesem Umstand haben die Bewertungen der Leistungen im EBM Rechnung zu tragen.
Anders stellt sich demgegenüber die Situation des – nicht niedergelassenen – Nichtkassenarztes dar, der regelmäßig auf freiwilliger Basis und im Wege der Nebentätigkeit am organisierten NFD teilnimmt. Anlaß und Maßstab seiner Vergütung ist ausschließlich die persönliche Dienstleistung, die er erbringt. Praxisvorhaltekosten oder diesen vergleichbare Kosten fallen bei ihm dagegen nicht an. Bei der Festsetzung seiner Vergütung konnten die Vertragspartner der vertraglichen Ergänzung auch berücksichtigen, daß das Honorar für die NFD-Leistung nicht integraler Bestandteil der „angemessenen” Vergütung eines Kassen- bzw Vertragsarztes ist, sondern sich als zusätzliches Erwerbseinkommen für eine auf freiwilliger Grundlage und nebenberuflich ausgeübte ärztliche Tätigkeit darstellt.
Schon im Hinblick auf die aufgezeigten, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bestehenden Unterschiede zwischen der Situation des am NFD teilnehmenden Kassenarztes einerseits und der eines nicht niedergelassenen Nichtkassenarztes andererseits ist eine unterschiedliche Vergütung der von Kassen- und Nichtkassenärzten im Rahmen des NFD erbrachten Leistungen sachlich gerechtfertigt (vgl hierzu schon das Urteil des Senats vom 27. Oktober 1987 – SozR 2200 § 368d Nr 6). Ob diese Gesichtspunkte auch eine im Verhältnis zu Kassenärzten niedrigere Vergütung von niedergelassenen Nichtkassenärzten tragen würden, mag zweifelhaft sein, war aber hier nicht zu entscheiden.
Anhaltspunkte dafür, daß die Vertragspartner des BMÄ und der E-GO die Vergütung von Besuchsleistungen, die von nicht niedergelassenen Nichtkassenärzten im Rahmen des organisierten NFD erbracht werden, mißbräuchlich so niedrig festgesetzt haben, daß sie sich nicht als angemessenes Entgelt für die erbrachte persönliche Dienstleistung darstellt, sind angesichts der vom Kläger aus seiner Nebentätigkeit in den Quartalen II und III/88 erzielten Honorare nicht ersichtlich.
Da die aufgezeigten Erwägungen für sich allein schon die Differenzierung in der vertraglichen Ergänzung zu Abschnitt B II „Besuche” des BMÄ und der E-GO rechtfertigen, kann der Senat dahinstehen lassen, inwieweit die weiteren von der Beigeladenen zu 1) angeführten Gesichtspunkte die Differenzierung ebenfalls zu begründen vermögen.
Nach allem waren auf die Revision der Beigeladenen zu 1) das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174329 |
BSGE, 240 |
NJW 1993, 812 |