Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzeit. Verschleppung. Anschlußersatzzeit. Krankheit. Aufopferungstatbestand. fiktive Kausalität
Leitsatz (amtlich)
Die Anrechnung einer an die Verschleppung anschließenden Krankheit als Anschlußersatzzeit (§ 1251 Abs 1 Nr 2 RVO) wird nicht durch den Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente ausgeschlossen.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 2, § 1253 Abs. 2 S. 4, § 1254 Abs. 2 S. 2, § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB X § 44
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 10.02.1994; Aktenzeichen L 14 Ar 652/92) |
SG Augsburg (Urteil vom 05.11.1992; Aktenzeichen S 4 Ar 211/91) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Februar 1994 in vollem Umfang und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. November 1992, soweit es die Anrechnung einer Anschlußersatzzeit vom 11. Juni 1975 bis zum 30. April 1983 betrifft, aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 23. Januar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 1991 verurteilt, der Klägerin Altersruhegeld unter Anrechnung einer Anschlußersatzzeit vom 11. Juni 1975 bis zum 30. April 1983 vom 1. Januar 1986 an zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes unter Anrechnung der Zeit als Anschlußersatzzeit, in der sie nach Beendigung ihrer Verschleppung in der ehemaligen Sowjetunion Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) in der Bundesrepublik Deutschland erhielt.
Die am 22. April 1918 in der Ukraine geborene Klägerin siedelte am 11. Juni 1975 in das Bundesgebiet um. Sie ist als Heimkehrerin iS des § 1 Abs 3 des Heimkehrergesetzes (HkG) anerkannt; die ihr erteilte Heimkehrerbescheinigung weist eine Verschleppung im Februar 1945 und die Entlassung aus dem Gewahrsam in der ehemaligen UdSSR am 10. Juni 1975 aus. Außerdem ist die Klägerin Inhaberin des Vertriebenenausweises “A”.
Die Beklagte gewährte der Klägerin durch Bescheid vom 5. Dezember 1975 EU-Rente ab 1. Juli 1975 aufgrund eines am 15. Juli 1972 eingetretenen Versicherungsfalles. Mit Bescheid vom 25. Februar 1983 wandelte sie die EU-Rente mit Wirkung vom 1. Mai 1983 in Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres um; dabei rechnete sie ua für die Zeit von Juni 1972 bis April 1983 keine Versicherungs- oder Ausfallzeiten an.
Auf den Überprüfungsantrag der Klägerin vom 18. August 1990 stellte die Beklagte das Altersruhegeld durch Bescheid vom 23. Januar 1991 gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) neu fest, wobei sie ua die Zeit vom 1. Juni 1972 bis zum 11. Juni 1975 als weitere Ersatzzeit anrechnete. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem die Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten, ua erstmals die der hier streitigen Anschlußersatzzeit vom 11. Juni 1975 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres am 21. April 1983, geltend gemacht worden war, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 1991 zurück. Dabei führte sie zur Begründung ua aus, diese Zeit könne nicht als Anschlußersatzzeit wegen Krankheit berücksichtigt werden, weil die Klägerin endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei.
Das Sozialgericht Augsburg (SG) hat die Klage, mit der die Klägerin außer dieser Ersatzzeit noch weitere prozessuale Ansprüche geltend gemacht hatte, durch Urteil vom 5. November 1992 abgewiesen. Auch die Berufung, mit der die Klägerin nur noch die Anrechnung der auch im Revisionsverfahren streitigen Anschlußersatzzeit begehrte, war erfolglos. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat sein Urteil vom 10. Februar 1994 auf folgende Erwägungen gestützt: Zwar dürfe die einer Ersatzzeit iS des § 1251 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) folgende Zeit der Arbeitsunfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des “Ausscheidens aus dem Erwerbsleben” nicht wie eine Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO behandelt werden, die unter solchen Umständen nicht anzurechnen sei. Während des Bezuges einer Rente könnten auch grundsätzlich Versicherungszeiten und Ausfallzeiten erworben werden, die ggf bei einem späteren Versicherungsfall zu berücksichtigen seien. Aus den Vorschriften über die Rentenberechnung ergebe sich ebenfalls kein Hinweis darauf, daß während des Bezuges einer Rente Ersatzzeiten nicht zurückgelegt werden könnten. Für die entgegenstehende Ansicht der Beklagten finde sich auch in der von ihr zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Stütze.
Aus der gebotenen teleologischen Auslegung der Tatbestände des § 1251 Abs 1 RVO folge jedoch, daß über den von der Beklagten anerkannten Zeitraum hinaus eine weitergehende Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zum Beginn des Altersruhegeldes nicht mehr zu berücksichtigen sei. Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei es, einen rentenrechtlichen Ausgleich für Zeiten zu gewähren, in denen eine Beitragsentrichtung wegen der dort genannten Aufopferungstatbestände regelmäßig nicht möglich und wegen der mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhnlichen Umstände auch nicht zu erwarten gewesen sei. Spätestens mit dem Bezug der EU-Rente bei Inlandsaufenthalt sei der Aufopferungstatbestand aber beendet, weil nicht offensichtlich sei, daß Verschleppung und Vertreibung den Eintritt der EU und die folgenden beitragslosen Zeiten verursacht hätten. Auch der Zweck der Ersatzzeiten, dabei zu helfen, zur Sicherung des Lebensunterhalts einen Rentenanspruch zu erwerben, sei mit Beginn der EU-Rente erfüllt. Auswirkungen des Aufopferungstatbestandes seien jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn – wie hier – die von der Versicherten bis zum Beginn der EU-Rente erworbenen Versicherungszeiten auch zur Begründung eines Altersruhegeldes ausreichend seien. Nicht mehr vom Zweck der Ersatzzeiten erfaßt werde aber die bloße Erhöhung des Altersruhegeldes. Die Klägerin könne während ihres Inlandaufenthaltes wie andere Bürger bei Bezug einer EU-Rente einen Ausgleich gemäß § 1253 Abs 2, § 1254 Abs 2 und § 1259 Abs 1 Nr 5 RVO erwerben oder aber auch keine rentenerhöhenden Zeiten mehr zurücklegen. Art 3 des Grundgesetzes (GG) gebiete insoweit eine Gleichbehandlung, der die aufgezeigte teleologische Auslegung Rechnung trage.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Das LSG habe das Gesetz fehlinterpretiert und die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht beachtet bzw unrichtig ausgelegt. Die Auffassung, Ersatzzeiten könnten nach dem Eintritt einer EU nicht mehr entstehen, lasse sich weder aus dem Gesetz entnehmen noch werde sie von der Rechtsprechung gestützt. Das BSG habe die Anrechnung entsprechender Anschlußersatzzeiten vielmehr in seinen Entscheidungen vom 20. Dezember 1979 (SozR 2200 § 1251 Nr 74 = BSGE 49, 236) und vom 25. Juni 1987 (SozR 2200 § 1251 Nr 128) in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung für rechtens erklärt. Das LSG habe auch verkannt, daß die EU während des Ersatzzeittatbestandes eingetreten sei und somit in zeitlichem Zusammenhang mit diesem stehe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 10. Februar 1994 in vollem Umfang sowie das Urteil des SG Augsburg vom 5. November 1992, soweit es die Anrechnung einer Anschlußersatzzeit vom 11. Juni 1975 bis zum 21. April 1983 betrifft, aufzuheben, und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 23. Januar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 1991 zu verurteilen, die Zeit vom 11. Juni 1975 bis zum 21. April 1983 als Anschlußersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, die vom LSG vorgenommene teleologische Auslegung des § 1251 Abs 1 RVO sei geboten, um eine durch nichts gerechtfertigte Besserstellung des Personenkreises, dem die Klägerin angehöre, zu vermeiden.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Altersruhegeld unter Berücksichtigung der Zeit vom 11. Juni 1975 bis zum 21. April 1983 als Anschlußersatzzeit.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1983, mit dem sie das Altersruhegeld der Klägerin ohne Anrechnung der streitigen Zeit bewilligt hat, ist zwar bindend (§ 77 SGG). Er ist jedoch insoweit gemäß § 44 Abs 1 SGB X zurückzunehmen, weil sich ergeben hat, daß bei Erlaß dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht (in voller Höhe) erbracht worden sind. Der Bescheid vom 23. Januar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 1991, mit dem ua die Rücknahme abgelehnt wurde, ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die durch Berücksichtigung der Anschlußersatzzeit erhöhte Rente ist rückwirkend für die Zeit ab 1. Januar 1986 zu erbringen (§ 44 Abs 4 SGB X).
Der Anspruch der Klägerin auf höheres Altersruhegeld richtet sich noch nach den Vorschriften des Vierten Buches der RVO, denn der Rentenantrag ist bis zum 31. März 1992 gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 14).
Nach § 1258 Abs 1 iVm § 1251 RVO werden für die Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre und damit auch der Rentenhöhe (vgl § 1254 RVO) ua Ersatzzeiten angerechnet. Als Ersatzzeiten werden ua Zeiten der Internierung oder der Verschleppung sowie Zeiten einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit angerechnet, wenn die Versicherte Heimkehrerin iS des § 1 HkG ist (§ 1251 Abs 1 Nr 2 RVO). Nach der ihr ausgestellten Heimkehrerbescheinigung wurde die Klägerin am 10. Juni 1975 aus dem Gewahrsam in der ehemaligen UdSSR entlassen. Die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegende Zeit der Verschleppung hat die Beklagte bei der Berechnung des Altersruhegeldes der Klägerin auch zutreffend als Primärersatzzeit berücksichtigt.
Die Klägerin war “anschließend” an diese Ersatzzeit “krank”. “Krankheit” iS des § 1251 Abs 1 RVO bedeutet krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (vgl BSGE 54, 30, 32 = SozR 2200 § 1251 Nr 98 mwN). Der Große Senat (GS) des BSG hat für den Bereich der Ausfallzeiten iS des § 1259 Satz 1 RVO entschieden, daß dieser Begriff dort dieselbe Bedeutung wie in der gesetzlichen Krankenversicherung hat (vgl BSGE 53, 22, 23 = SozR 2200 § 1259 Nr 59). Diese Entscheidung ist wegen des engen Zusammenhanges der betreffenden Regelungen auf das Recht der Ersatzzeiten zu übertragen (vgl BSGE 54, 30, 32 = SozR 2200 § 1251 Nr 98). Arbeitsunfähigkeit bedeutet demnach auch hier die Unfähigkeit der Versicherten, infolge Krankheit die zuletzt verrichtete oder eine ähnliche Beschäftigung oder Tätigkeit fortzusetzen (vgl BSGE 53, 22, 31 = SozR 2200 § 1259 Nr 59). Für die Annahme einer “anschließenden” Krankheit reicht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Primärersatzzeit und dieser Krankheit aus (vgl BSGE 54, 30, 32 = BSG SozR 2200 § 1251 Nr 98; BSG SozR 2200 § 1251 Nrn 21, 80, 133).
Die Klägerin war nach den Feststellungen der Beklagten, von deren Richtigkeit die Vorinstanzen ausgegangen sind, seit 15. Juli 1972 erwerbsunfähig. Da der umfassendere Begriff der EU iS des § 1247 Abs 2 RVO nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO (und damit auch des § 1251 Abs 1 RVO, s.o.) regelmäßig einschließt (vgl BSGE 52, 234, 236 = SozR 2200 § 1259 Nr 57 mwN), muß von diesem Zeitpunkt an auch vom Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bei der Klägerin ausgegangen werden, zumal das LSG das Vorliegen gravierender Erkrankungen bereits zur damaligen Zeit festgestellt hat. Diese Arbeitsunfähigkeit dauerte nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet fort, stand also in zeitlichem Zusammenhang mit der primären Ersatzzeit. Die Voraussetzungen für die Anrechnung dieser Zeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom Ende der Primärersatzzeit (10. Juni 1975) bis zum Versicherungsfall der Vollendung des 65. Lebensjahres als Anschlußersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 2 RVO auf das der Klägerin ab 1. Mai 1983 gewährte Altersruhegeld sind mithin gegeben.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß es der Annahme einer Ersatzzeit der anschließenden Krankheit nicht entgegensteht, wenn die Versicherte – wie die Klägerin – aufgrund der Krankheit endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Die Rechtsprechung des BSG zu § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO, nach der unter diesen Umständen ein Ausfallzeittatbestand iS dieser Vorschrift ausgeschlossen ist (vgl BSGE 41, 168, 170 = SozR 2200 § 1259 Nr 16), kann im Rahmen der Ersatzzeitenregelung des § 1251 Abs 1 RVO nicht entsprechend herangezogen werden, weil sich dieser Ausfallzeittatbestand von dem hier zu würdigenden Ersatzzeittatbestand wesentlich unterscheidet. Die Anrechnung der Ersatzzeit setzt tatbestandlich lediglich eine vorhergehende Versicherung voraus (§ 1251 Abs 2 Satz 1 RVO), während die Berücksichtigung einer Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO ua von der Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit abhängt, die bei einem endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht vorliegen kann (vgl BSGE 62, 64, 66 = SozR 2200 § 1251 Nr 128).
Der Anrechnung der streitigen Zeit als Anschlußersatzzeit stehen keine dies ausdrücklich ausschließende Rechtsvorschriften entgegen; auch darauf hat das LSG bereits zutreffend hingewiesen. Eine Rechtsnorm, die generell den Erwerb von Ersatzzeiten während des Bezugs einer Rente wegen EU unterbindet, findet sich im deutschen Rentenversicherungsrecht nicht. § 1253 Abs 2 Satz 4 RVO regelt die Anrechnung von während des Bezuges einer Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten bei deren Umwandlung in eine EU-Rente und trifft eine Regelung für den Fall des zeitlichen Zusammentreffens solcher Zeiten mit einer angerechneten Zurechnungszeit. § 1254 Abs 2 Satz 2 RVO verweist hinsichtlich der Anrechnung solcher Zeiten bei Umwandlung einer EU- oder BU-Rente in Altersruhegeld auf diese Regelung. Diesen Vorschriften ist nicht zu entnehmen, daß eine Anrechnung von während des Bezuges einer Rente zurückgelegten Zeiten der genannten Art bei einem späteren neuen Versicherungsfall nur in diesen Fällen möglich sein soll. Gegen eine solche Auffassung spricht auch zB § 1233 Abs 2 RVO, wonach eine freiwillige Versicherung während einer BU oder EU nur zur Anrechnung für einen späteren Versicherungsfall erfolgen kann.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz stehen aber auch Sinn und Zweck der Ersatzzeit einer Anrechnung nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sollen die in § 1251 Abs 1 RVO erschöpfend aufgezählten Tatbestände der Versicherten Ersatz für Zeiten gewähren, in denen es ihr aufgrund einer Opferlage oder wegen eines Eingriffs “von hoher Hand” regelmäßig nicht möglich war, Beiträge – insbesondere Pflichtbeiträge – zu leisten. Die Kausalität zwischen einer während des Vorliegens eines Ersatzzeittatbestandes gegebenen Beitragslücke und dem Ersatzzeittatbestand wird dabei vom Gesetzgeber unterstellt (vgl BSG SozR Nrn 8, 42, 53 zu § 1251 RVO; SozR 2200 § 1251 Nr 113 mwN).
Als Ausnahme hiervon hat das BSG aus Sinn und Zweck der Ersatzzeiten jedoch abgeleitet, daß Zeiten, in denen es der Versicherten auch ohne Rücksicht auf den Ersatzzeittatbestand bereits aus rechtlichen Gründen schlechthin unmöglich war, Beiträge zu entrichten, nicht als Ersatzzeiten angesehen werden können. Für solche Beitragslücken entfällt die Grundlage für die fiktive Kausalität (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nrn 92, 101, 102, 113). Eine solche Ausnahme liegt hier jedoch nicht vor. Zwar waren Bezieher eines Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1229 Abs 1 Nr 1 RVO versicherungsfrei und konnten nach § 1233 Abs 2a RVO auch keine freiwilligen Beiträge entrichten; dies galt auch für Bezieher einer Invalidenrente nach altem Recht. Eine entsprechende Regelung für Bezieher von EU-Renten fehlte jedoch, so daß diese bei Vorliegen eines entsprechenden Tatbestandes versicherungspflichtig sein und unter den Voraussetzungen des § 1233 Abs 1 RVO freiwillige Beiträge – mit der Folge eingeschränkter Anrechnung nach § 1233 Abs 2 RVO – entrichten konnten.
Als weitere Ausnahme hat das BSG Zeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres der Versicherten nicht als Ersatzzeit anerkannt, obgleich es keine Rechtsvorschriften gibt, die eine wirksame Beitragsentrichtung ausdrücklich ausschließen (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 83 mwN). Auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze für das Altersruhegeld, also der Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 1248 Abs 5 RVO), können Versicherungslücken typischerweise nicht mehr eintreten, Ersatzzeiten mithin grundsätzlich nicht mehr erworben werden. Denn es ist nicht Sinn der Ersatzzeitenregelung, einen Ausgleich dort zu gewähren, wo ein Schaden allenfalls denkmöglich, aber äußerst unwahrscheinlich ist (vgl BSG Urteil vom 12. April 1995 – 5 RJ 56/94 – und vom 20. Juni 1995 – 8 RKn 14/94 –; Senatsurteil vom 9. August 1995 – 13 RJ 51/94 –). Auch diese Ausnahmen liegen hier nicht vor; die Klägerin war bei Beginn der begehrten Anschlußersatzzeit älter als 14 Jahre und begehrt die Anrechnung einer solchen Zeit lediglich bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres.
Die Ansicht des LSG, der Aufopferungstatbestand sei spätestens mit dem Bezug der EU-Rente bei Inlandsaufenthalt beendet, weil nicht offensichtlich sei, daß Verschleppung und Vertreibung den Eintritt der EU und die folgenden beitragslosen Zeiten verursacht hätten, übersieht, daß der Gesetzgeber hier zur Vermeidung von Aufklärungsschwierigkeiten eine grob typisierende Regelung getroffen hat. Diese geht – ohne weiter zu differenzieren – von der verbindlichen Annahme aus, daß Zeiten der Krankheit und der Arbeitslosigkeit, die sich an einen primären Ersatzzeittatbestand anschließen, die Fortdauer des durch Gewährung der Ersatzzeit zu entschädigenden Aufopferungstatbestandes darstellen, so daß es des Nachweises einer kausalen Verknüpfung insoweit nicht bedarf (vgl BSGE 54, 30, 32 = BSG SozR 2200 § 1251 Nr 98; BSG SozR 2200 § 1251 Nrn 21, 80, 133). Diese grobe Typisierung führt notwendigerweise dazu, daß auch Sachverhalte unter die Regelung fallen, die von dem “Idealtyp”, bei dem die Voraussetzungen offensichtlich vorliegen, erheblich abweichen.
Die Forderung eines offensichtlichen Kausalzusammenhanges zwischen primärer Ersatzzeit und anschließender Arbeitsunfähigkeit bedingender Krankheit würde diese Regelung jedoch umkehren und damit dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die hier vorliegende primäre Ersatzzeit für eine anschließende Arbeitsunfähigkeit generell nicht kausal sein könnte.
Auch der Ansicht des Berufungsgerichts, der Zweck der Ersatzzeiten, zur Sicherung des Lebensunterhalt beizutragen, sei spätestens mit dem Bezug einer EU-Rente erfüllt, kann nicht gefolgt werden. Diese These reduziert die Ersatzzeit unter Verkennung ihres Entschädigungscharakters auf eine soziale Ausgleichsleistung.
Schließlich trifft auch die Erwägung nicht zu, durch die Anrechnung einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheit während des Bezuges von EU-Rente als Anschlußersatzzeit werde der Personenkreis der Aussiedler gegenüber dem der inländischen Versicherten unangemessen bevorzugt. Hier wird verkannt, daß inländische Versicherte, die vor ihrer Arbeitsunfähigkeit keinen primären Ersatzzeittatbestand erfüllt haben und nunmehr keinen Anschlußersatzzeittatbestand erfüllen, nicht zu entschädigen sind und eine Gleichstellung mit dem Personenkreis der Aussiedler, die diese Voraussetzungen erfüllen, daher nicht sachgerecht wäre. Im übrigen sind inländische Versicherte nicht generell vom Erwerb einer Anschlußersatzzeit (zB nach § 1251 Ab 1 Nr 5) während des Bezuges von EU-Rente ausgeschlossen.
Der erkennende Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von der einschlägigen Rechtsprechung anderer Senate des BSG ab. Insbesondere besteht keine Divergenz zu den von der Beklagten im Berufungsverfahren zur Stützung der von ihr vertretenen Rechtsansicht zitierten Entscheidungen. Dem Urteil des 5b-Senats vom 25. Juni 1987 – 5b RJ 62/86 – (= BSGE 62, 64 = SozR 2200 § 1251 Nr 128) kann nicht entnommen werden, daß eine Ersatzzeit nur bis zum Beginn einer Invalidenrente zugebilligt werden kann. Streitgegenstand des dortigen Verfahrens war lediglich die Berücksichtigung einer im Anschluß an die Entlassung aus dem Wehrdienst zurückgelegten Zeit bis zum Beginn einer Invalidenrente als Anschlußersatzzeit wegen Krankheit infolge eines bereits während des Wehrdienstes eingetretenen Versicherungsfalls der Invalidität. Die Anrechnung einer während des Rentenbezuges erworbenen Anschlußersatzzeit auf ein Altersruhegeld stand nicht im Streit; hierzu finden sich in dem Urteil auch keine Rechtsausführungen.
Auch das Urteil des 11. Senats des BSG vom 10. Mai 1979 – 11 RA 39/78 – (= SozR 5750 Art 2 § 38 Nr 5) ist nicht einschlägig. Dort ging es um die Frage, ob dem Kläger bei der Umwandlung seiner BU-Rente in ein Altersruhegeld anstelle der bisher berücksichtigten Zurechnungszeit die (für ihn günstigere) Zeit des Rentenbezuges bis zum 55. Lebensjahr als Ausfallzeit anzurechnen war. Die hier strittige Frage, ob während des Bezuges einer EU-Rente eine auf einen späteren Versicherungsfall anzurechnende Anschlußersatzzeit wegen Krankheit erworben werden kann, stellte sich nicht und wurde auch nicht erörtert.
Schließlich betrifft auch das von der Beklagten genannte Urteil des 1. Senats vom 12. April 1984 – 1 RA 55/83 – (= SozR 2200 § 1251 Nr 109) nicht die im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Dort war streitig, ob die Zeit des Bezuges einer aufgrund kriegsbedingter Invalidität gewährten – vor dem 1. Januar 1957 weggefallenen – Rente aus der früheren Invalidenversicherung, während der der Kläger trotz Invalidität voll gearbeitet und verdient hatte, bei einer nach einem später eingetretenen Versicherungsfall bewilligten EU-Rente als Ersatzzeit anzurechnen war. Dies wurde mit der Begründung verneint, im deutschen Rentenrecht sei das Vorliegen von Invalidität unabhängig von ihrer Ursache ganz generell nicht Ersatzzeittatbestand; dies sei nur bei einer (dort nicht vorliegenden) mit dem Kriegsdienst eng verknüpften und mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit der Fall. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es jedoch nicht um die Frage, ob die Zeit eines Invalidenrentenbezuges (alter Art) als solche einen Ersatzzeittatbestand erfüllen kann. Strittig ist vielmehr, ob eine mit der Primärersatzzeit eng verbundene Zeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit trotz des gleichzeitigen Bezuges einer EU-Rente als Anschlußersatzzeit anzurechnen ist. Für die Beantwortung dieser Rechtsfrage enthält die Entscheidung keine Ausführungen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen