Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - Ingenieur beim VEB Güterkraftverkehr - volkseigener Produktionsbetrieb
Leitsatz (amtlich)
Die betriebliche Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz der DDR war nur erfüllt, wenn die qualifizierte Beschäftigung in volkseigenen Produktionsbetrieben der Industrie oder des Bauwesens oder in ihnen gleichgestellten Betrieben ausgeübt wurde. Volkseigene Betriebe des Güterkraftverkehrs unterfielen als Dienstleistungsbetriebe des Verkehrswesens nicht dem Anwendungsbereich dieses Zusatzversorgungssystems; sie waren jenen Produktionsbetrieben auch nicht versorgungsrechtlich gleichgestellt.
Normenkette
AAÜG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 5, § 5 Abs. 1, § 6; AAÜG Anl. 1 Nr. 1; EinigVtr Anl. II Kap. VIII H III Nr. 9 Buchst. a; EinigVtr Anl. II Kap. VIII H; ZAVtIV § 1; ZAVtIV § 5; ZAVtIVDBest 1 § 1; ZAVtIVDBest 2 § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, §§ 2-3; VoEigProdBetrV; VoEigBetrKombVVBV; VoEigKombV; GG Art. 3 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem nach Nr 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für den Kläger Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und entsprechende Verdienste festzustellen.
Der am 13. Januar 1941 geborene Kläger absolvierte vom 1. September 1962 bis 5. Juli 1967 eine Ausbildung zum Ingenieur in der Fachrichtung Kraftfahrzeug-Instandhaltung an der Ingenieurschule für Maschinenbau- und Elektrotechnik Z.… . In der Urkunde vom 5. Juli 1967 wurde ihm das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung “Ingenieur” zu führen. Vom 1. Juli 1967 bis 30. September 1990 war er als Werkstattleiter bzw Direktor für Technik/Instandhaltung beim VEB W.… beschäftigt.
Im Februar 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten, seine Beschäftigungszeiten ab 1. Juli 1967 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech iS von § 5 AAÜG festzustellen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass eine Versorgungszusage nicht bestanden habe. Im Übrigen werde die Beschäftigung des Klägers zwar von dem Versorgungssystem der Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG erfasst, er habe sie jedoch nicht – wie dies das Versorgungsrecht vorschreibe – in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt (Bescheid vom 27. August 1999, Widerspruchsbescheid vom 24. November 1999).
Das SG hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 5. April 2000), das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 9. Mai 2001). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass gemäß § 5 Abs 1 AAÜG Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung gelten, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich ausgeübt worden ist, die ihrer Art nach in den sachlichen Geltungsbereich eines bestimmten Systems fällt. Die vom Kläger während der strittigen Zeit ausgeübte Beschäftigung werde zwar erfasst, sie sei jedoch nicht – wie dies die Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl 844) und die hierzu ergangene Zweite Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl 487) vorsähen – in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder gleichgestellten Betrieb ausgeführt worden. Bei dem VEB G.… und dem VEB W.… habe es sich um Dienstleistungsbetriebe gehandelt.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung der §§ 5 bis 8 AAÜG und der Bestimmungen der VO zur AVItech iVm der 2. DB. Er macht geltend, dass der vom DDR-Gesetzgeber verwendete Begriff des volkseigenen Produktionsbetriebes nur die gewünschte Eigentumsform des Betriebes bezeichnen sollte, um deutlich zu machen, dass private Eigentumsformen von Produktionsbetrieben nicht gemeint gewesen seien. Die vom LSG durchgeführte Differenzierung der volkseigenen Betriebe in der DDR lasse sich nicht nachvollziehen. Der sozialistische Produktionsprozess sei in seiner Gesamtheit durch ein Zusammenwirken der gesellschaftlichen Arbeitsteilung gekennzeichnet gewesen. Die einzelnen volkseigenen Betriebe seien in der damaligen Gesellschaft als produzierende Individuen betrachtet worden, ihre Produktion sei gesellschaftlich bestimmte Produktion gewesen. Das Endprodukt eines Betriebes sei das Ausgangsprodukt für einen anderen gewesen. Die Ausgrenzung in der VO zur AVItech und in der 2. DB habe nur für die Arbeiten der technischen Intelligenz in den privaten Betrieben gegolten, auf keinem Fall aber für die Arbeiten der technischen Intelligenz in volkseigenen Betrieben. Volkseigene Betriebe seien nicht aus dem Versorgungssystem ausgenommen gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Mai 2001 und das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. April 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. August 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1999 zu verpflichten, die Zeit der Beschäftigung des Klägers vom 1. Juli 1967 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG) und die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden sei.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung verletzt Bundesrecht nicht.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und der angefochtenen Ablehnung zu verpflichten, seine Beschäftigungszeiten beim VEB G.… und VEB W.… vom 1. Juli 1967 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und damit als Tatbestände von nach § 5 AAÜG gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten iS des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Verdienste festzustellen. Dieses Begehren verfolgt der Kläger zulässig mit einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Die Klagen sind auch insoweit zulässig, als der Kläger von der Beklagten begehrt, die im genannten Zeitraum tatsächlich erzielten Verdienste festzustellen. Dies war zwar nicht ausdrücklicher Gegenstand seines Antrages im Verwaltungs- und Klageverfahren, und die Beklagte hat hierüber im angefochtenen Bescheid auch nicht ausdrücklich – negativ – entschieden. Sie hat aber die für dieses Begehren entscheidende Vorfrage des Vorliegens von “Zugehörigkeiten” abschlägig beschieden und damit auch die abhängigen Ansprüche auf kalenderjährliche Feststellungen von Arbeitsverdiensten abgelehnt. Daher durfte der Kläger auch hiergegen sowie auf die Verpflichtung der Beklagten zur Vornahme dieser Feststellungen klagen.
In der Sache hat das LSG die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Dieser hat keinen Anspruch gemäß § 8 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 1 und 2 AAÜG darauf, dass die Beklagte die begehrten Feststellungen trifft. In dem Feststellungsverfahren des Versorgungsträgers nach § 8 AAÜG, das dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs 5 SGB VI ähnlich und außerhalb des Rentenfeststellungsverfahrens des Rentenversicherungsträgers durchzuführen ist (stellv Urteil des Senats vom 18. Juli 1996, SozR 3-8570 § 8 Nr 2), konnte der Kläger schon deshalb keinen Erfolg haben, weil er von dem (persönlichen) Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst wird.
Maßstabsnorm ist insoweit § 1 Abs 1 AAÜG. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2). Beide Tatbestände erfüllt der Kläger nicht.
Der Kläger unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG. Einen Anspruch auf Versorgung (= Vollrecht) hatte er am 1. August 1991 nicht. Denn ein Versorgungsfall (Alter, Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war auch nicht Inhaber einer am 1. August 1991 bestehenden Anwartschaft.
Der bundesrechtliche Ausdruck “Anwartschaft” umschreibt (auch) im Recht des AAÜG eine Rechtsposition unterhalb der Vollrechtsebene, in der alle Voraussetzungen für den Anspruchserwerb bis auf den Eintritt des Versicherungs- bzw Versorgungsfalles erfüllt sind (vgl hierzu ua Vorlagebeschluss des Senats vom 16. Dezember 1999 – B 4 RA 18/99 R, Umbruch S 31 ff). Hiervon geht auch § 1 Abs 1 AAÜG aus (vgl Senatsurteile vom 9. April 2002 – B 4 RA 3/02 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob eine Versorgungsanwartschaft bei Inkrafttreten des AAÜG (1. August 1991) bestand, bestimmt sich allein bundesrechtlich und vorrangig auf Grund der originär bundesrechtlichen Regelungen des EinigVtr vom 31. August 1990 (BGBl II 889), der durch das Zustimmungsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885), in Bundesrecht transformiert worden ist. Soweit dieser selbst versorgungsrechtliche Vorgaben (zB Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 zum EinigVtr ≪nachfolgend: Nr 9 EinigVtr≫, Art 8, 9 Abs 2, 17, 19) nicht enthält, ordnet er ua in Nr 9 EinigVtr Buchst b Satz 2 an, dass bis zur Überführung der erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung (zum 31. Dezember 1991) die leistungsrechtlichen Regelungen der jeweiligen Systeme (nur) nachrangig und lückenfüllend weiter anzuwenden sind. Demzufolge waren die Regelungen der Versorgungssysteme lediglich ab 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 und nur als sekundäres (und partielles) Bundesrecht anzuwenden.
Mit Blick auf diesen bundesrechtlichen Anwendungsbefehl des EinigVtr und den Zeitpunkt der Überführung konnten “Ansprüche” aus einem Versorgungssystem gegen den jeweiligen Versorgungsträger noch bis spätestens zum 31. Dezember 1991 entstehen, sofern am 3. Oktober 1990 eine Anwartschaft bestanden hatte. Demgegenüber war ein Erwerb von Anwartschaften bereits zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr möglich. Dies folgt aus dem Neueinbeziehungsverbot der Nr 9 Buchst a Satz 1 Halbsatz 2 EinigVtr. Danach waren Neueinbeziehungen in einem noch “nicht geschlossenen” System ab 3. Oktober 1990 rechtlich nicht mehr zulässig, dh schlechthin verboten, ggf unwirksam. Damit konnten in einem solchen System Anwartschaften ab 3. Oktober 1990 nicht mehr erworben werden.
Ferner hat der EinigVtr auch Einbeziehungen in Versorgungssysteme ab 1. Juli 1990 für unwirksam erklärt. Dies ergibt sich aus dem am 3. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht erhobenen Rentenangleichungsgesetz (RAnglG) der DDR vom 28. Juni 1990 (GBl I 495), dass ein Neueinbeziehungsverbot bereits ab 1. Juli 1990 ausgesprochen hatte. Gemäß § 22 Abs 1 RAnglG sind alle Zusatzversorgungssysteme bereits mit Wirkung vom 30. Juni 1990 geschlossen. Damit sind in diesen Systemen Neueinbeziehungen ab 1. Juli 1990 grundsätzlich nicht mehr rechtswirksam (vgl hierzu auch Senatsurteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 3/02 R, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Am 30. Juni 1990 hatte der Kläger die Voraussetzungen für eine Versorgungsanwartschaft in der AVItech nicht erfüllt. Nach dem Neueinbeziehungsverbot in Nr 9 Buchst a Satz 1 Halbsatz 2 EinigVtr (und in § 22 Abs 1 RAnglG) erfasst der EinigVtr nur solche Personen, die bereits vor dem 1. Juli 1990 von der DDR in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren. Eine solche Einbeziehung erfolgte in der AVItech grundsätzlich durch eine Entscheidung des zuständigen Versorgungsträgers der DDR. Lag sie am 30. Juni 1990 vor, hatte der Begünstigte durch diesen nach Art 19 Satz 1 EinigVtr bindend gebliebenen Verwaltungsakt (im bundesrechtlichen Sinn) eine Versorgungsanwartschaft. Einbezogen war aber auch derjenige, dem früher einmal eine Versorgungszusage erteilt worden war, wenn diese durch einen weiteren Verwaltungsakt in der DDR wieder aufgehoben worden war und wenn dieser Aufhebungsakt nach Art 19 Satz 2 oder 3 EinigVtr unbeachtlich geworden ist; denn dann gilt die ursprüngliche Versorgungszusage fort. Gleiches gilt für eine Einbeziehung durch eine Rehabilitierungsentscheidung (Art 17 EinigVtr). Auch ohne Versorgungszusage galten ferner Personen als einbezogen, wenn in dem einschlägigen System – zumindest für sie – ein besonderer Akt der Einbeziehung nicht vorgesehen war. Schließlich gehörten dem Kreis der Einbezogenen auch diejenigen an, denen durch Individualentscheidung (Einzelentscheidung, zB auf Grund eines Einzelvertrages) eine Versorgung in einem bestimmten System zugesagt worden war, obgleich sie von dessen abstrakt-generellen Regelungen nicht erfasst waren.
§ 1 Abs 1 AAÜG hat den Kreis der einbezogenen Personen gegenüber dem EinigVtr in begrenztem Umfang erweitert. Er hat das Neueinbeziehungsverbot des EinigVtr (und des RAnglG) aber nicht aufgehoben, sondern nur modifiziert. So findet nach Satz 2 aaO das AAÜG über den Kreis der vom EinigVtr Erfassten hinaus auch dann Anwendung, wenn jemand eine früher erworbene “Anwartschaft” rechtmäßig wieder “verloren” und damit am 1. August 1991 (und am 3. Oktober 1990) gerade keine Anwartschaft hatte, also nicht “einbezogen” war. Ua deshalb ist § 1 Abs 1 AAÜG verfassungskonform auszulegen. Ein mit Art 3 Abs 1 GG nicht zu vereinbarender Wertungswiderspruch ist zu vermeiden. Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren, aber nach den zu Bundesrecht gewordenen abstrakt-generellen und zwingenden Regeln eines Versorgungssystems aus bundesrechtlicher Sicht einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten, dürfen nicht anders (evtl schlechter) behandelt werden als diejenigen, die eine solche Zusage zuvor rechtmäßig verloren hatten (vgl Senatsurteile vom 9. April 2002, B 4 RA 31/01 R und B 4 RA 3/02 R, beide zur Veröffentlichung vorgesehen).
Gemäß § 1 Abs 1 AAÜG ist dieses Gesetz auf den Kläger nicht anwendbar. Eine Versorgungszusage des Versorgungsträgers ist ihm nie erteilt worden. Er gehörte auch nicht auf Grund einer anderen staatlichen Entscheidung der DDR (Einzelentscheidung) dem Kreis der Versorgungsberechtigten in der AVItech an. Eine Rehabilitierungsentscheidung liegt ebenfalls nicht vor. Nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage hätte er aus bundesrechtlicher Sicht auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage auf Grund der zu Bundesrecht gewordenen Regelungen der AVItech gehabt. Diese ergeben sich aus den Texten der VO-AVItech und der 2. DB. Die Erste Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (nachfolgend: 1. DB) vom 26. September 1950 (GBl 1043) hat für die Auslegung nur historische Bedeutung; denn sie ist durch die 2. DB zum 1. Mai 1951 außer Kraft gesetzt worden (§ 10 Abs 2 der 2. DB). Für das Sprachverständnis dieser Texte kommt es grundsätzlich auf den staatlichen Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990 an, an den der Bundesgesetzgeber zum 3. Oktober 1990 angeschlossen hat. Es erschließt sich aus den Texten der einschlägigen Verordnungen der DDR zum Bereich der volkseigenen Betriebe (dazu unten).
Nicht alle Regelungen der AVItech sind Bundesrecht geworden. Dies gilt für die Vorschriften über die Zuteilung von Versorgungszusagen (§ 3 der 2. DB), aber auch für alle anderen Regelungen, die eine bewertende oder eine Ermessensentscheidung eines Betriebes, Direktors einer staatlichen Stelle der DDR etc vorsahen. Bundesrecht sind nur diejenigen Regelungen geworden, die als zwingende Bestimmungen gebundenen Verwaltungshandelns verstanden werden können. Hierzu gehört mit Blick auf die “Zugehörigkeit” und “Versorgungsanwartschaft” im Wesentlichen § 1 VO-AVItech in der Bedeutung, die er durch § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 sowie § 2 der 2. DB gefunden hat. Die anderen Texte haben hierfür nur ergänzende Bedeutung im Zusammenhang mit der historischen Auslegung (Senatsurteile vom 9. April 2002, B 4 RA 31/01 R und B 4 RA 3/02 R, beide zur Veröffentlichung vorgesehen, sowie B 4 RA 42/01 R).
In der AVItech hätte der Kläger am 30. Juni 1990 aus bundesrechtlicher Sicht keinen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Versorgungszusage gehabt.
Gemäß § 1 VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB hängt ein solcher Anspruch von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab. Generell war dieses System eingerichtet für
- Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen und
- die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar
- in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens.
Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hatte der Kläger im Juli 1967 eine Ausbildung zum Ingenieur in der Fachrichtung Kraftfahrzeug-Instandhaltung absolviert und ihm war das Recht verliehen worden, die Berufsbezeichnung “Ingenieur” zu führen. Im strittigen Zeitraum vom 1. Juli 1967 bis 30. Juni 1990 war er als Werkstattleiter bzw Direktor für Technik/Instandhaltung beim VEB G.… und VEB W.… beschäftigt. Damit erfüllte er die ersten beiden Voraussetzungen für eine “obligatorische” Einbeziehung in die AVItech. Sein fiktiver bundesrechtlicher “Anspruch” auf Erteilung einer Versorgungszusage scheitert jedoch daran, dass er weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens noch in einem gleichgestellten Betrieb oder einer gleichgestellten Einrichtung beschäftigt war.
Der (VEB G.… und der) VEB W.… war kein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens iS des § 1 VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB.
Der Text dieser Vorschriften verlautbart zwar nicht abschließend die Kriterien, nach denen – positiv – bestimmt werden könnte, ob ein bestimmter Betrieb ein volkseigener Produktionsbetrieb (Industrie, Bauwesen) ist. Er lässt jedoch hinreichend deutlich erkennen, welche Betriebstypen keinesfalls der AVItech zugeordnet waren. In diesem Zusammenhang der Feststellung und Auslegung von sekundärem Bundesrecht kommt es rechtlich – entgegen der Ansicht des Klägers – von vornherein nicht auf die DDR-rechtliche Bewertung an.
Der versorgungsrechtlich maßgebliche Betriebstyp ist durch die drei Merkmale “Betrieb”, “volkseigen” und “Produktion (Industrie, Bauwesen)” gekennzeichnet. Er erfasst nach dem letzten maßgeblichen Sprachgebrauch der DDR nur volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens, war also nicht nur auf den Ausschluss privater Betriebe gerichtet. Dieses Verständnis fügt sich im Übrigen in den historischen Kontext der DDR-Verhältnisse zwanglos ein.
Der Ausdruck “Betrieb” lässt erkennen, dass es sich um eine Organisationsform handeln musste, die im Wirtschaftsrecht der DDR unter den Oberbegriff “Wirtschaftseinheit” fiel (vgl insoweit § 2 des Vertragsgesetzes vom 25. März 1982, GBl I 293; nachfolgend: VG). Der Ausdruck “Betrieb” macht zugleich deutlich, dass “wirtschaftsleitende Organe” (= bestimmte Staatsorgane), die wie die Wirtschaftseinheiten im DDR-Recht als Wirtschaftsrechtssubjekte qualifiziert wurden (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, Staatsverlag der DDR, Berlin 1985, S 65), nicht von der betrieblichen Anwendungsvoraussetzung erfasst wurden. Deshalb wurden sie in § 1 Abs 2 der 2. DB den VEB gleichgestellt.
Diese Funktion des Betriebsbegriffs im Versorgungsrecht der AVItech verkennen die Ausführungen des Klägers zur allgemeinen Bedeutung des Betriebes im sozialistischen Produktionsprozess. Sie betreffen nicht die betriebliche, sondern – im bundesdeutschen Verständnis – die “Unternehmens”-Ebene und sind deshalb nicht für die Feststellung der Bedeutung des Ausdrucks “Betrieb” im staatlichen Sprachgebrauch der DDR von Bedeutung.
Als Wirtschaftseinheiten verstand man in der DDR solche “Organisationsformen der sozialistischen Volkswirtschaft, die geschaffen wurden, um als warenproduzierende Glieder der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Kollektive sozialistischer Werktätiger wirtschaftliche Leistungen zu erbringen, und die zu diesem Zweck auch über entsprechende Leitungsbefugnisse verfügen” (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 65 und 75). Soweit von “warenproduzierenden” Gliedern gesprochen wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Ausdruck “Ware” nicht nur im Sinn von Sachgütern zu verstehen ist, sondern sowohl materielle als auch immaterielle Güter umschreibt. Ansonsten wären Betriebe im Bereich der Dienstleistung keine Betriebe im Sinne des DDR-Rechts gewesen. Bezogen auf den Betrieb erfasste der Ausdruck “Warenproduktion” in der DDR letztlich jede Form von wirtschaftlicher Tätigkeit. Dies zeigt sich auch daran, dass als Kennzeichen der Wirtschaftseinheit die “unmittelbare Wirtschaftstätigkeit” angesehen wurde, während bei den wirtschaftsleitenden Organen (als Teil des Staatsapparates) die Leitungstätigkeit überwog (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 68).
Trotz systembedingter Abweichungen entspricht diese Bedeutung des Ausdrucks “Betrieb” weitgehend dem marktwirtschaftlichen Verständnis; danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von persönlichen, sächlichen und materiellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines “technischen” Zwecks (zB der Herstellung bestimmter Güter oder Erbringung bestimmter Leistungen). Die Unterschiede der Systeme zeigen sich auf der Unternehmensebene. Der Unternehmer bestimmt den “wirtschaftlichen Zweck”; ihm wird damit zugleich das Unternehmensrisiko und der Unternehmensertrag zugewiesen. In der Marktwirtschaft ist der private Unternehmer entscheidend, im sozialistischen System der Staat. Dementsprechend lässt sich die Bedeutung des Ausdrucks “Betrieb” in der Bundesrepublik nur vom Unternehmen her erschließen, dagegen bestimmte er sich in der DDR vom Plan her (so schon Ziesche, Die Rechtsstellung des VEB in der DDR seit 1945, Dissertation, Köln 1971, S 4). Dies verdeutlichte auch Art 9 Abs 3 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1974 (GBl I 432), der festlegte, dass die Volkswirtschaft der DDR eine sozialistische Planwirtschaft sei und die zentrale staatliche Leitung und Planung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit der Eigenverantwortung ua der Betriebe verbunden seien. Letztlich war dieser Verfassungstext Ausdruck des leninistischen Prinzips des “demokratischen Zentralismus” in der Volkswirtschaft, das aus dem “gesellschaftlichen Eigentum” hergeleitet wurde.
Demgemäß sprechen die Ausführungen des Klägers zum sozialistischen Produktionsprozess und zur Stellung bzw zu den Aufgaben der Betriebe im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung Aspekte an, die aus marktwirtschaftlicher Sicht der Unternehmensebene zuzuordnen sind und insoweit für die im Versorgungsrecht der AVItech vorzunehmende Interpretation (der betrieblichen Voraussetzung) ohne zusätzlichen Erkenntniswert sind. Ausgehend vom staatlichen Sprachgebrauch der DDR hat der Ausdruck “Betrieb” im Rahmen des Versorgungsrechts nur die Bedeutung, dass er wirtschaftsleitende Organe ausschließt (deswegen deren Gleichstellung in § 1 Abs 2 der 2. DB).
Eine weitere Eingrenzung erfolgt durch das Merkmal “volkseigen”.
Dadurch beschränkt sich der Anwendungsbereich der AVItech auf Betriebe, die auf der Basis des gesamtgesellschaftlichen Volkseigentums gearbeitet haben, der wichtigsten Erscheinungsform des sozialistischen Eigentums (vgl dazu Senatsurteil vom 9. April 2002, B 4 RA 3/02 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ausgeschlossen waren damit nicht nur – wie aber der Kläger meint – Betriebe, die auf der Grundlage von Privateigentum wirtschafteten, sondern auch solche, für die die beiden anderen Formen des sozialistischen Eigentums kennzeichnend waren, nämlich das genossenschaftliche Gemeineigentum und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger (Art 10 Abs 1 der Verfassung vom 7. Oktober 1974 sowie § 18 Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. Juni 1975, GBl I 465).
Schließlich erfolgte eine weitere Begrenzung auf (volkseigene) “Produktionsbetriebe” (der Industrie und des Bauwesens). Die Maßgeblichkeit des Merkmals “Produktionsbetrieb” folgt unmittelbar aus § 1 Abs 2 der 2. DB. Dass es dabei auf Produktionsbetriebe nur der “Industrie” und des “Bauwesens” ankommt, ergibt sich mit Blick auf die Produktionsbetriebe der Industrie ua schon aus der Einbeziehung des Ministeriums für Industrie in § 5 VO-AVItech und für die Produktionsbetriebe des Bauwesens aus der sprachlichen und sachlichen Gegenüberstellung von “Produktionsbetrieben der Industrie und des Bauwesens” einerseits und allen anderen “volkseigenen Betrieben” andererseits, welche die DDR spätestens ab den 60er-Jahren und jedenfalls am 30. Juni 1990 in ihren einschlägigen Gesetzestexten vorgenommen hat:
Zwar sprechen die Überschrift der VO-AVItech, ihr Vorspann (“Präambel”) und ihr § 1 und ebenso § 1 Abs 1 der 2. DB nur vom “volkseigenen Betrieb”. Nach diesem Teil des Wortlauts wären alle Betriebe, die auf der Basis von Volkseigentum arbeiteten, erfasst worden, also zB auch die Dienstleistungsbetriebe des Handels und des hier relevanten Güterkraftverkehrs. Der in § 1 Abs 2 der 2. DB verwendete Ausdruck “Produktionsbetrieb” macht jedoch deutlich, dass die AVItech nicht in jedem VEB galt. Weil dort Betriebe und Einrichtungen aufgelistet wurden, die einem “Produktionsbetrieb” gleichgestellt wurden, wird klar, dass die VO-AVItech und auch § 1 Abs 1 der 2. DB nur (volkseigene) Produktionsbetriebe erfasste. Dies wird durch § 1 der 1. DB vom 26. September 1950 bestätigt, nach dem nur bestimmte Berufsgruppen der technischen Intelligenz, die gerade in einem “Produktionsbetrieb” verantwortlich tätig waren, generell in den Kreis der Versorgungsberechtigten einbezogen werden sollten.
§ 1 Abs 2 der 2. DB gibt jedoch selbst keine näheren Hinweise, welche Voraussetzungen vorliegen mussten, sodass ein Betrieb – positiv – dem Betriebstyp “Produktionsbetrieb” iS des Versorgungsrechts zuzuordnen war. Der staatliche Sprachgebrauch am 30. Juni 1990 lässt aber erkennen, dass unter “Produktionsbetrieb” einerseits nur VEB der Industrie und des Bauwesens verstanden wurden, andererseits – negativ – die VEB ua des Dienstleistungsbereichs einschließlich des Verkehrswesens und des – auch grenzüberschreitenden – Güterkraftverkehrs nicht so bezeichnet wurden.
Folgt man der marktwirtschaftlichen Betriebswirtschaftslehre, kann vergleichsweise betriebstypologisch zwischen Sachleistungs- und Dienstleistungsbetrieben unterschieden werden. Dabei kann man die Sachleistungsbetriebe in drei Gruppen untergliedern: Betriebe, die Sachgüter in Form von Rohstoffen gewinnen (vornehmlich in der Urproduktion), auch Gewinnungsbetriebe genannt; ferner Betriebe, die Rohstoffe oder Fabrikate ohne wesentliche Form- oder Substanzänderung lediglich einer gewissen Bearbeitung unterziehen, also Veredelungsbetriebe; schließlich Betriebe, die Sachgüter herstellen, Fertigungs-, Fabrikations- oder Produktionsbetriebe genannt. Zur Gruppe der Dienstleistungsbetriebe zählen demgegenüber alle, die Dienste zur Verfügung stellen, also zB Handels-, Bank-, Versicherungs- und – wie im vorliegenden Fall – Transportbetriebe (stellv Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, 24. Aufl, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1983, S 1 f).
Es kann hier offen bleiben, ob die sozialistische Wirtschaftslehre in der DDR eine ähnliche Betriebstypologie verwandt hat. Es könnte gerade der staatliche Sprachgebrauch dafür sprechen, dass dort der Ausdruck “Produktionsbetrieb” eine umfassendere Bedeutung hatte. So sprechen § 1 Abs 1 Satz 1 der VO über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebs vom 9. Februar 1967 (nachfolgend: VEB-VO 1967, GBl II 121), § 8 Abs 1 Satz 1 und § 24 Abs 1 Satz 1 der VO über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. März 1973 (nachfolgend: KombinatsVO 1973, GBl I 129) sowie § 1 Abs 1 Satz 1 und § 31 Abs 1 Satz 1 der VO über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 (nachfolgend: KombinatsVO 1979, GBl I 355) davon, dass die (alle?) VEB bzw Kombinate (Wirtschafts-)Einheiten der “materiellen Produktion” seien, ohne dies näher zu begrenzen. Hinweise in der Literatur der DDR zum Wirtschaftsrecht könnten darauf hindeuten, dass nicht nur Produktionsbetriebe im Sinne der Herstellung von Sachgütern, sondern auch ein Teil der Dienstleistungsbetriebe als Wirtschaftseinheiten der “materiellen Produktion” verstanden worden sind, wenn nicht die Herstellung immaterieller Güter eindeutig im Vordergrund stand. Danach soll die Kennzeichnung der Kombinate (und damit auch VEB) als Wirtschaftseinheiten der “materiellen Produktion” deren Hauptwirkungssphäre und den Hauptinhalt ihrer Tätigkeit bestimmen. Dies sei in erster Linie bei den Kombinaten der führenden Produktionsbereiche der Fall, nämlich bei denen der Industrie und des Bauwesens. Zu den Kombinaten der “materiellen Produktion” (im weiteren Sinn) seien aber auch die Kombinate des “Verkehrswesens” (Kraftverkehr) und der “Land- und Nahrungsgüterwirtschaft” zu zählen. Dagegen würden in den Handels- und Dienstleistungskombinaten teilweise bzw grundsätzlich Prozesse realisiert, die zur “nicht-produzierenden” Sphäre gehörten (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 114). Auch hieraus ergibt sich nicht, dass der Güterkraftverkehrsbetrieb am 30. Juni 1990 als “Produktionsbetrieb” bezeichnet worden ist. Denn die Bezeichnung “Produktionsbetrieb” wurde auf andere VEB, welche in diesem erweiterten Verständnis “materielle Produktion” hervorbrachten, nur einmal (1973 bis 1979, dazu sogleich) übertragen.
Der Gütertransport war Teil des Verkehrswesens der DDR, für den die Zuständigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen gegeben war (§ 2 der VO über den öffentlichen Gütertransport durch Eisenbahn, Binnenschifffahrt und Kraftverkehr – Gütertransportverordnung (GTVO) – vom 10. Dezember 1981, GBl I 13). Der Gütertransport, also die Beförderung von Sachen, wurde auch nach dem Verständnis der DDR als Dienstleistung bezeichnet. Dies ergibt sich schon aus dem eine solche Leistungspflicht festschreibenden Vertragstypus. Abweichend vom allgemeinen Vertragsrecht, das im VG geregelt war, hatte die GTVO die Vertragsformen gesondert ausgestaltet. Lässt man die Transportkoordinierungs-, Transport- und Umschlagverträge (§§ 10, 11, 13 GTVO) außer Betracht, die der Vorbereitung, Durchführung und Beendigung des Transportprozesses und des Ladungstransportes dienten (dazu Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 500 ff), ist die eigentliche Beförderung der Güter Gegenstand des Frachtvertrages (§ 12 GTVO), der eine besondere Form des allgemeinen Leistungsvertrages (§ 37 VG) darstellte und auch in der DDR als Dienstleistungsvertrag verstanden wurde (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 512). Demzufolge wurden die Betriebe des Gütertransportes – hier im Bereich des Kraftverkehrs – in erster Linie als Dienstleistungsbetriebe verstanden.
Abweichend von der marktwirtschaftlichen Betriebstypologie wurden in der DDR wohl zeitweilig auch diese transportbezogenen Dienstleistungen der weit verstandenen “materiellen Produktion” zugeordnet und deshalb diese Dienstleistungsbetriebe auch als Produktionsbetriebe angesehen. Hierauf weist § 2 der KombinatsVO 1973 hin, der die VEBe im Verkehrswesen gleichrangig neben die VEB der Industrie und des Bauwesens und diese Gruppe den anderen VEB etc gegenüberstellte. Jedoch wurde diese Gleichstellung später wieder aufgehoben (§ 41 Abs 1 1. Spiegelstrich der KombinatsVO 1979) und bis zum 30. Juni 1990 nicht wieder eingeführt. Am 30. Juni 1990 war nach dem staatlichen Sprachgebrauch unter “volkseigener Produktionsbetrieb” nur ein VEB im Bereich der Industrie und des Bauwesens zu verstehen.
Insoweit verdeutlicht schon § 5 VO-AVItech, dass versorgungsrechtlich der Ausdruck “Produktionsbetrieb” die VEB der Industrie erfasst. Nach dieser Vorschrift erließ der Minister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Ministerium für Industrie und dem Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen Durchführungsbestimmungen. Die Bezeichnungen der Ministerien ergaben sich im Zeitpunkt des Erlasses der VO (August 1950) aus dem Gesetz über die Provisorische Regierung der DDR vom 7. Oktober 1949 (GBl 2). Die “Federführung” des Ministeriums der Finanzen ist auf die finanzielle Bedeutung des Versorgungssystems zurückzuführen. Die Beteiligung des Ministeriums für Arbeit und Gesundheitswesen erfolgte wegen der sozialpolitischen Aspekte. Gerade aber die Beteiligung des Ministeriums für Industrie gibt zu erkennen, dass grundsätzlich nur VEB betroffen waren, die dem von diesem Ministerium geleiteten Zweig der Wirtschaft zuzuordnen waren. Demgemäß stellte auch § 1 der 1. DB auf Produktionsbetriebe mit “Herstellungsvorgängen” und auf “industrielle Fertigungsbetriebe” ab.
Diese Begrenzung auf industrielle Produktionsbetriebe erklärt sich zum Zeitpunkt des Erlasses der VO-AVItech und der 2. DB in den Jahren 1950/51 aus der besonderen Bedeutung, die dieser Sektor der Volkswirtschaft für den Aufbau einer zentralen Planwirtschaft nach Ende des 2. Weltkrieges in der sowjetischen Besatzungszone bzw der späteren DDR hatte. Eine solche Planwirtschaft setzte voraus, dass sich zumindest die Grundindustrien in staatlicher Hand befanden. Denn die sozialistische Wirtschaft wurde vor allem als Industriewirtschaft verstanden. Die Erhöhung des Anteils der Industrieproduktion am Nationaleinkommen war eines der erklärten Ziele. Angestrebt wurde die Herstellung der Erzeugnisse auf der Basis industrieller Massenproduktion entsprechend dem fordistischen Produktionsmodell. Der Massenausstoß standardisierter Produkte schien in besonderem Maße den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft zu entsprechen und hohe Produktivitätsgewinne zu garantieren. Diesem Ziel diente von Anfang an nach der Kapitulation die Enteignungsgesetzgebung, insbesondere in der Industrie. Sie schaffte den benötigten staatlichen Sektor, der die Durchführung planmäßiger Leitungsmaßnahmen ermöglichen sollte (vgl hierzu: Ziesche, Die Rechtsstellung des VEB in der DDR seit 1945, aaO, S 4 ff; Roesler, Wirtschafts- und Industriepolitik, in: Herbst/Stephan/Winkler ≪Hrsg≫, Die SED – Geschichte, Organisation, Politik –, Dietz Verlag, Berlin 1997, S 277, 279 ff). Die überragende Bedeutung, die dem volkseigenen Sektor der Industrie beigemessen wurde, erklärt somit, warum gerade in diesem Bereich den qualifizierten Fachkräften ein besonderer Beschäftigungsanreiz ua durch Errichtung eines Zusatzversorgungssystems geboten wurde (zum Anreiz durch Lohnerhöhung vgl Senatsurteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 18/01 R, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Aus § 5 VO-AVItech (und § 1 der 1. DB) ergeben sich zwei Folgerungen für die Bedeutung des Wortes “volkseigener Produktionsbetrieb” in § 1 Abs 2 der 2. DB: Es muss sich bei dem betroffenen Betrieb erstens um einen VEB handeln, der organisatorisch dem industriellen Produktionssektor der DDR-Planwirtschaft zugeordnet war; ferner muss zweitens der verfolgte Hauptzweck des VEB auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw Produktion (fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein. Dem betrieblichen Anwendungsbereich der AVItech unterlagen als “Produktionsbetriebe” somit nur VEB der Industrie, dh solche VEB, die industrielle Fertigung von Sachgütern betrieben (zum Bauwesen sogleich).
Der Kläger war im streitigen Zeitraum bei keinem VEB beschäftigt, der nach dem versorgungsrechtlichen Sprachgebrauch (und der Staatspraxis) der DDR am 30. Juni 1990 als “Produktionsbetrieb” bezeichnet wurde, weil der Hauptzweck des Betriebes nicht in der industriellen Fertigung von Sachgütern bestand. Schon deshalb kommt es hier weder auf eine inhaltlich abschließende Klärung der positiven Zuordnungsmerkmale dieses Begriffs noch darauf an, ob der Betrieb am 30. Juni 1990 dem industriellen Produktionssektor der Planwirtschaft der DDR organisatorisch zugeordnet war. Insoweit spricht zwar manches dafür, dass versorgungsrechtlich in § 1 Abs 1 der 2. DB nur solche industriellen Produktionsbetriebe erfasst sind, die dem Verantwortungsbereich eines Ministeriums zugeordnet waren, das nach der internen Organisation der Regierung der DDR (ab 1954 offiziell als Ministerrat bezeichnet, vgl insoweit Gesetz über den Ministerrat der DDR vom 16. November 1954, GBl 915; vgl auch Art 76 Abs 1 Satz 1 der Verfassung vom 7. Oktober 1974) die Funktion eines Industrieministeriums wahrnahm. Dann wären Produktionsbetriebe nicht einbezogen, die (auch hinsichtlich ihres Hauptzweckes der Produktion) dem Zuständigkeitsbereich eines anderen Ministeriums untergeordnet waren. Die Entwicklung des Ministeriums für Industrie, beginnend mit der Aufteilung in drei Industrieministerien Ende 1950 (vgl Gesetz über die Regierung der DDR vom 8. November 1950, GBl 135; zur Entwicklung auch: Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Komm, 2. Aufl, Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main 1982, Art 79 Anm 4 ff; Lapp, Zur Geschichte der Regierung der DDR, Deutschland-Archiv 1977, 835 ff), ist hier wegen der (grundsätzlichen) Maßgeblichkeit der Sachlage am 30. Juni 1990 ohne entscheidende Bedeutung. Deshalb wären die acht Ende Juni 1990 bestehenden Industrieministerien und ihre Verantwortungsbereiche zu berücksichtigen. Insoweit könnten die jeweils am 9. Januar 1975 auf Grund des Beschlusses des Ministerrates vom selben Tage über ein Rahmenstatut für die Industrieministerien (GBl I 133) ergangenen Einzelstatuten möglicherweise nutzbar gemacht werden, nämlich des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali (GBl I 345), des Ministeriums für Kohle und Energie (GBl I 346), des Ministeriums für chemische Industrie (GBl I 346), des Ministeriums für Leichtindustrie (GBl I 347), des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik (GBl I 347), des Ministeriums für Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau (GBl I 348), des Ministeriums für Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau (GBl I 349) und des Ministeriums für Schwermaschinen- und Anlagenbau (GBl I 349). In diesen Statuten werden die zum Verantwortungsbereich des jeweiligen Industrieministeriums gehörenden Wirtschaftszweige, VEB, Kombinate und Vereinigungen volkseigener Betriebe (VVB) aufgelistet. Eine inhaltliche (positive) Festlegung des Merkmals des industriellen Produktionssektors der Planwirtschaft der DDR ist aber – wie gezeigt – hier nicht erforderlich, weil der Kläger bei einem VEB beschäftigt war, der kein Produktionsbetrieb (Industrie) und – dazu sogleich – auch keiner des Bauwesens war.
Der Kläger war auch bei keinem volkseigenen Produktionsbetrieb des Bauwesens beschäftigt. Solche Betriebe sind gleichfalls von § 1 Abs 1 der 2. DB erfasst. Dabei kann dahinstehen, ob nicht die Bauindustrie ohnehin schon seit Erlass der VO-AVItech im Jahre 1950 miterfasst war, obwohl der Bereich des Bauwesens seinerzeit grundsätzlich dem Ministerium für Aufbau zuzuordnen war (später umgewandelt in Ministerium für Bauwesen; vgl Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung des Staatsapparates vom 11. Februar 1958, GBl I 117). So bezog zB § 1 der 1. DB auch “konstruktiv und schöpferisch tätige Baumeister und Architekten” in die AVItech ein. In jedem Fall zeigt die weitere Entwicklung in der DDR, dass die Bauwirtschaft neben der Industrie als der wichtigste Sektor der staatlichen Planwirtschaft angesehen wurde und deshalb als volkseigene Produktionsbetriebe im Wesentlichen nur solche der Industrie und des Bauwesens bezeichnet wurden. Jedenfalls erfasst § 1 der 2. DB im maßgeblichen Sprachverständnis am 30. Juni 1990 neben den volkseigenen Produktionsbetrieben der Industrie nur noch solche des Bauwesens.
Der besondere Stellenwert der Bauwirtschaft für die DDR spiegelt sich in dem Beschluss des Ministerrates über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14. Juni 1963 wider (GBl II 437). Ferner bestimmte schon § 49 Abs 1 der VEB-VO 1967, die die Stellung und Hauptaufgaben des VEB regelte, dass diese VO “für die volkseigenen Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens” galt. Diesen “Produktionsbetrieben” stellte § 49 Abs 2 VEB-VO 1967 die VEB und volkseigenen Einrichtungen “in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft” gegenüber. Industrie und Bauwesen waren in der DDR die “führenden” Produktionsbereiche (Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 114). Auf ihre Unterscheidung von “den anderen Bereichen der Volkswirtschaft” wurde auch in den nachfolgenden Regelungen zu den VEB (und Kombinaten, VVB) Wert gelegt (zB § 16 der VO über die Bildung und Rechtsstellung von Kombinaten vom 18. Oktober 1968, GBl II Nr 121 S 963; § 2 Abs 1 der KombinatsVO 1973 und § 41 Abs 1 der KombinatsVO 1979). Ausdrücklich werden dort die VEB in den Sektoren Industrie und Bauwesen (von 1973 bis 1979 auch im Verkehrswesen) den Sektoren Handel, Dienstleistungen, Landwirtschaft sowie allen anderen Bereichen der Volkswirtschaft gegenübergestellt. Die sozusagen “in einem Atemzug” vorgenommene Nennung der VEB (Kombinate und Kombinatsbetriebe) der Industrie und des Bauwesens zeigt, dass auch nach dem Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990 volkseigene Produktionsbetriebe solche dieser beiden Wirtschaftsbranchen waren (vgl auch: Senatsurteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 10/02 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dem Bereich des Bauwesens war der Beschäftigungsbetrieb des Klägers, der als Dienstleistungsbetrieb die Beförderung von Sachgütern betrieb, eindeutig nicht zuzuordnen.
Auch die vorübergehende Gleichstellung des Verkehrswesens mit der Industrie und dem Bauwesen in der KombinatsVO 1973 rechtfertigt nicht die Einbeziehung des VEB G.… bzw VEB W.… in den betrieblichen Anwendungsbereich der AVItech. § 2 der KombinatsVO 1973 benannte “in einem Atemzug” mit der Industrie und dem Bauwesen auch das Verkehrswesen (vgl zu dessen Bedeutung für die sozialistische Volkswirtschaft: Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschaftsrecht, aaO, S 500). Diese Gleichstellung wurde durch die KombinatsVO 1979 wieder aufgehoben (vgl deren § 41 Abs 1). Für die Prüfung, ob am 30. Juni 1990 ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage bestanden hätte, kommt es allein auf den staatlichen Sprachgebrauch der DDR (grundsätzlich) am 30. Juni 1990 an. Der VEB W.… war – wie der VEB G.… – im Sinne des bundesrechtlichen Versorgungsrechts kein volkseigener Produktionsbetrieb (Industrie, Bauwesen).
Der VEB G.… bzw VEB W.… war auch kein Betrieb, der einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens durch § 1 Abs 2 der 2. DB gleichgestellt worden war. § 1 Abs 2 der 2. DB nennt ausdrücklich nur Betriebe der Eisenbahn und Schifffahrt, bezieht aber nicht allgemein alle Arten von Betrieben des Verkehrswesens ein. Daher wurden ua Betriebe des Güterkraftverkehrs nicht erfasst.
Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt das unter verkehrswirtschaftlichen Aspekten gegebene “Näheverhältnis” zu Betrieben der Eisenbahn und Schifffahrt nicht, andere Betriebe des Verkehrswesens als gleichgestellte iS des § 1 Abs 2 der 2. DB zu behandeln. Eine nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme getroffenen Entscheidungen der DDR – hier im Bereich der AVItech –, ist bundesrechtlich nicht erlaubt, auch soweit sie in sich willkürlich sind. Deshalb ist nicht darauf einzugehen, ob der Kreis der Begünstigten bewusst eng gehalten worden war, um sich die Möglichkeit vorzubehalten, im Rahmen einer – nicht an rechtlichen Vorgaben messbaren – Ermessensentscheidung die “Wohltat” der Zugehörigkeit zur AVI nur denjenigen zukommen zu lassen, die sich nach ausreichender “Bewährung” als “systemtreu” erwiesen hatten. Der EinigVtr hat grundsätzlich nur die Übernahme zum 3. Oktober 1990 bestehender Versorgungsansprüche und -anwartschaften von “Einbezogenen” in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen ausdrücklich verboten (Nr 9 Buchst a Satz 1 Halbsatz 2 EinigVtr und § 22 Abs 1 RAnglG). Das Verbot der Neueinbeziehung auf Grund von “DDR-Versorgungsregelungen” ist verfassungsgemäß. Eine Erweitung des einbezogenen Personenkreises durch vollziehende Gewalt oder Rechtsprechung über die in § 1 Abs 1 AAÜG selbst angelegte Modifikation hinaus wäre hingegen verfassungswidrig (Art 20 Abs 3 GG).
Die genannten Vorschriften sind in sich verfassungsgemäß, weil der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkür anknüpfen durfte.
Der Kläger hatte am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft; er unterliegt damit nicht dem Anwendungsbereich des AAÜG. Deshalb hat er keinen Anspruch gegen die Beklagte, Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und die dabei erzielten tatsächlichen Verdienste festzustellen. Die Revision des Klägers konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
VIZ 2003, 45 |
NZS 2003, 162 |
SozR 3-8570 § 1, Nr. 6 |