Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. Juli 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob aufgrund eines Neufeststellungsantrages des Klägers bei dessen Rente Ersatzzeiten anzurechnen sind.
Der Kläger ist Rußlanddeutscher. Seine Eltern wurden im Jahre 1941 aus einem deutschen Siedlungsgebiet an der Wolga nach Sibirien verbracht. 1949 wurde der Kläger in P. … /Gebiet B. … geboren. Am 26. Juni 1967 nahm er in Kasachstan erstmals eine Beschäftigung (als Dreherlehrling) auf. In der Zeit vom 21. Juni 1968 bis 25. Juni 1970 leistete er Wehrdienst in der Sowjetarmee. Anschließend arbeitete der Kläger – mit nur kurzen Unterbrechungen – in verschiedenen Berufen. Ab März 1987 erhielt er dort eine Invalidenrente.
Am 13. Februar 1993 zog der Kläger von seinem letzten Wohnort T. … /Kasachstan in die Bundesrepublik Deutschland. Hier wurde er als Spätaussiedler nach § 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt. Auf seinen im März 1993 gestellten Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 23. November 1993 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) ab 13. Februar 1993. Bei der Rentenberechnung wurden für die Zeit vom 27. Juli 1967 bis zum Rentenbezug in der UdSSR (März 1987) Pflichtbeitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und darüber hinaus eine Zurechnungszeit von 230 Monaten berücksichtigt.
Im Mai 1994 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Rente unter Anerkennung einer Ersatzzeit gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Juni 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1995 ab. Auf die vom Kläger am 14. März 1995 erhobene Klage verurteilte das Sozialgericht Itzehoe (SG) die Beklagte, unter Abänderung des Bescheides vom 23. November 1993 bei der Rentenberechnung die Zeit vom 3. September 1963 bis 31. Dezember 1991 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen, soweit dieser Zeitraum nicht bereits mit Beitragszeiten belegt ist (Urteil vom 20. Mai 1996, Urteilsergänzungsbeschluß vom 22. Juli 1996). Die Berufung der Beklagten gegen diese Entscheidung ist vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 3. Juli 1997 zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei nicht wegen Versäumens der Monatsfrist des § 87 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig, da die Beklagte die Behauptung des Klägers, ihm sei der Widerspruchsbescheid erst am 14. Februar 1995 zugegangen, nicht entkräftet habe.
Hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Ersatzzeiten iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI sei in dem Bescheid vom 23. November 1993 das maßgebliche Recht unrichtig angewandt worden. Die Regelung des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI sei jedenfalls dann bei Rußlanddeutschen anzuwenden, wenn sie während des Krieges aus einem geschlossenen deutschen Siedlungsgebiet im Zuge kriegsbedingter Maßnahmen gegen Deutsche in andere Teile der Sowjetunion umgesiedelt worden seien und ihnen anschließend eine Rückkehrmöglichkeit in deutschsprachiges Gebiet verwehrt worden sei. Die Beklagte halte dem zu Unrecht entgegen, daß der Kläger nicht selbst – wie seine Eltern – in dem hier rechtserheblichen Sinne verschleppt und festgehalten worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) teilten Kinder von verschleppten Rußlanddeutschen das rechtliche Schicksal ihrer Eltern auch im Hinblick auf die Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI.
Die Beklagte könne auch nicht damit gehört werden, daß die in § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI enthaltene Regelung eine Entscheidung zu Ungunsten des Klägers verlange. Zwar zeige der in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten enthaltene berufliche Lebenslauf des Klägers in der Sowjetunion, daß er ein allem Anschein nach normales Arbeitsleben ohne Zwangseinwirkungen geführt habe, also während der nicht belegten Zeiten eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit offenbar aus anderen als den in § 250 Abs 1 Nrn 2, 3 und 5 SGB VI genannten Gründen nicht ausgeübt habe, was an sich einer Berücksichtigung von Ersatzzeiten entgegenstünde. Der durch Art 1 Nr 10 des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes (Rü-ErgG) eingeführte § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI sei jedoch erst am 1. Juli 1993 in Kraft getreten. Der Rentenantrag sei hingegen am 12. März 1993 gestellt und die Rente ab 13. Februar 1993 bewilligt worden. Beide Daten lägen vor dem 1. Juli 1993, es sei daher noch „altes Recht” anzuwenden gewesen. Soweit gleichwohl eine Anwendung neuen Rechts denkbar erscheine, stehe dem § 306 SGB VI entgegen.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung von § 250 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Nr 3 SGB VI sowie von § 300 Abs 3 SGB VI. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus: Aus dem Gesetzestext des § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI gehe eindeutig hervor, daß die Anspruchsberechtigten in ein ausländisches Staatsgebiet verschleppt worden sein müßten. Diese Voraussetzung liege beim Kläger nicht vor. Auch eine feindliche Maßnahme iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI sei nicht gegeben, da der Kläger nur durch ein allgemeines Ausreiseverbot „an der Rückkehr” verhindert gewesen sei. Zumindest von der Vollendung des 14. Lebensjahres des Klägers (2. September 1963) bis zur Ausreise lägen keine „feindlichen Maßnahmen” vor.
Im übrigen habe das LSG das Recht insofern rechtsirrig ausgelegt, als es den mit Art 1 Nr 10 Rü-ErgG eingeführten § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI für den vorliegenden Fall nicht angewandt habe. Diese Vorschrift sei am 1. Juli 1993 in Kraft getreten. Ihre Anwendungsfälle ergäben sich aus § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI. Da die Neuberechnung der Rente vom Kläger erst mit Schreiben vom 4. Mai 1994 beantragt worden sei, hätte die Anrechnung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs 2 SGB VI idF des Rü-ErgG überprüft werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. Juli 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 20. Mai 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Hinsichtlich der Frage des anwendbaren Rechts verweist er auf die Entscheidung des BSG vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 –.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung begründet. Auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen ist dem erkennenden Senat eine Entscheidung darüber, ob bei der Berechnung der Rente des Klägers Ersatzzeiten zu berücksichtigen sind, nicht möglich ist.
Das vorinstanzliche Verfahren leidet nicht an einem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel. Das LSG hat zutreffend erkannt, daß die Klage zulässig ist. Insbesondere hat der Kläger mit seiner am 14. März 1995 beim SG eingegangenen Klageschrift die Frist von einem Monat seit Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1995 eingehalten (vgl § 87 SGG). Die Wirksamkeit dieser Zustellung richtet sich hier gemäß § 63 Abs 2 SGG nach § 4 Abs 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), da der Widerspruchsbescheid durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers übersandt worden ist. Danach gilt der Widerspruchsbescheid nur dann mit dem dritten Tage nach der am 10. Februar 1995 erfolgten Aufgabe zur Post, also am 13. Februar 1995, als zugestellt, wenn er nicht tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Da der Kläger einen Zugang des Widerspruchsbescheides am 14. Februar 1995 behauptet und die Beklagte den von ihr zu führenden Nachweis eines früheren Zuganges (vgl § 4 Abs 1 Halbsatz 2 VwZG) nicht erbracht hat, ist für die Fristberechnung (vgl § 64 SGG) von diesen Daten auszugehen. Die Monatsfrist des § 87 SGG lief mithin erst am 14. März 1995 ab.
Ein Anspruch des Klägers auf (teilweise) Rücknahme des bindenden Rentenbescheides vom 23. November 1993 kann sich nur aus § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ergeben. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. § 44 Abs 4 SGB X bestimmt, daß Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme (bzw dem Antrag auf Rücknahme) erbracht werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist.
Die Frage, ob der Rentenbescheid vom 23. November 1993 iS von § 44 Abs 1 SGB X rechtswidrig war, richtet sich nach dem seinerzeit maßgebenden Recht. Dazu bestimmt § 300 Abs 1 SGB VI, daß Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn bereits vor dem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Von dieser Grundregel macht § 300 Abs 2 SGB VI eine Ausnahme: Aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuches und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften sind nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Im November 1993 galt zwar schon – soweit es die hier streitige Anrechnung von Ersatzzeiten betrifft – § 250 SGB VI idF des am 1. Juli 1993 in Kraft getretenen Rü-ErgG vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1038), im Falle des Klägers war jedoch gem § 300 Abs 2 SGB VI noch die bis zum 30. Juni 1993 geltende Fassung (aF) dieser Vorschrift anwendbar, weil er seinen (auf die Zeit ab Februar 1993 bezogenen) Rentenantrag im März 1993 gestellt hatte.
Nach § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI aF sind Ersatzzeiten auch Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr während oder nach dem Ende eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen bis zum 30. Juni 1945 an der Rückkehr aus Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach aus Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze, soweit es sich nicht um das Beitrittsgebiet handelt, verhindert gewesen oder dort festgehalten worden sind.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß diese Regelung grundsätzlich auch bei Rußlanddeutschen eingreift, die während des Krieges aus einem geschlossenen deutschen Siedlungsgebiet im Zuge kriegerischer Maßnahmen gegen Deutsche in andere Teile der Sowjetunion umgesiedelt worden sind und denen anschließend eine Rückkehrmöglichkeit in ein deutschsprachiges Gebiet verwehrt wurde (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 126; SozR 3-2600 § 300 Nrn 11, 12; BSG, Urteile vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 78/93 – und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 –). Bei diesem Personenkreis, der durch Deportation und Entwurzelung doppelt betroffen ist, wirkt sich nach Auffassung des BSG auch ein für alle Staatsbürger geltendes Ausreiseverbot als „feindliche Maßnahme” iS von § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI aus. Zwar hat das LSG dazu keine genaueren Feststellungen getroffen, aus dem Zusammenhang seiner Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, daß die Eltern des Klägers ein entsprechendes Schicksal erlitten haben. In dieser Hinsicht hat die Beklagte auch keine Einwendungen erhoben, vielmehr hat sie bereits vor dem SG erklärt, es bestünden keine begründeten Zweifel an den Angaben des Klägers, seine Eltern seien im September 1941 aus dem Wolgagebiet nach N. … verschleppt worden und hätten dort bis 1956 unter Kommandanturaufsicht gestanden.
Soweit die Beklagte geltend macht, der Kläger erfülle schon deshalb keinen Ersatzzeittatbestand, weil er erst 1949 in Sibirien oder Kasachstan geboren und weder selbst verschleppt noch in der Zeit nach Vollendung seines 14. Lebensjahres von feindlichen Maßnahmen betroffen worden sei, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Wie das BSG bereits entschieden hat, teilen auch bei dem Tatbestand der Rückkehrverhinderung/des Festgehaltenwerdens (bis 31. Dezember 1991: § 1251 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung, ab 1. Januar 1992: § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI) die Kinder das Schicksal ihrer Eltern (vgl dazu BSG SozR Nr 13 zu § 1251 RVO; BSG, Urteil vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 7/96 –, ebenso zum Tatbestand der Verschleppung: BSG SozR 3-2200 § 1251 Nr 6, § 1252 Nr 2; BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 – 8 RKn 4/94 –). Im Hinblick auf die völlige rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der Kinder von ihren Eltern ist es dabei unerheblich, ob sie noch am ursprünglichen Wohnort der Eltern oder erst nach der Deportation geboren worden sind. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Für ihn ist insbesondere maßgebend, daß der Kläger von Geburt an wie seine Eltern in seiner Eigenschaft als Volksdeutscher durch die allgemein geltenden Ausreisebeschränkungen derart besonders betroffen wurde, daß sie sich auch ihm gegenüber als feindliche Maßnahme auswirkten.
Auch wenn somit bei der Rente des Klägers für Zeiten, in denen nach Vollendung seines 14. Lebensjahres und vor dem 1. Januar 1992 eine nach dem FRG zu berücksichtigende Versicherungspflicht nicht bestanden hat (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1251 Nr 89), eine Anerkennung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI aF hätte erfolgen müssen, ist die Beklagte dennoch nicht verpflichtet, den Bescheid vom 23. November 1993 ohne weiteres zurückzunehmen. Vielmehr hat eine Rücknahme nur dann zu erfolgen, wenn gemäß § 44 Abs 4 SGB X höhere Rentenleistungen zu erbringen sind (vgl dazu allgemein BSGE 68, 180 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Zwar richtet sich dies grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage bei Erlaß des ursprünglichen Rentenbescheides (vgl dazu Kasseler Komm/Steinwedel, § 44 SGB X RdNr 35 mwN), insofern trifft jedoch § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI für das Rentenrecht eine besondere Regelung. Danach gelten die Abs 1 und 2 des § 300 SGB VI auch, wenn nach dem maßgebenden Zeitpunkt (Aufhebung einer Vorschrift) eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind.
Der vorliegende Fall wird insoweit von § 300 Abs 3 SGB VI erfaßt, als auch eine Zugunstenentscheidung eine Neufeststellung iS dieser Vorschrift darstellt und eine Berücksichtigung von Ersatzzeiten die Ermittlung von Entgeltpunkten iS der §§ 71 ff SGB VI betrifft (vgl BSG SozR 3-2600 § 300 Nrn 11, 12; Senatsurteil vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 –). Indem der Abs 3 des § 300 SGB VI auf dessen Abs 1 verweist, erklärt er die Grundregel einer Anwendung des jeweils geltenden Rechts auch bei Neufeststellungen für maßgebend. Der Neuberechnung der Rente des Klägers ist somit § 250 SGB VI idF des Rü-ErgG (nF) zugrunde zu legen, es sei denn, es griffe die Ausnahmeregel des § 300 Abs 2 SGB VI ein. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da der Kläger seinen Überprüfungsantrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Neufassung des § 250 SGB VI (1. Juli 1993), also bis zum 30. September 1993, sondern erst im Mai 1994 gestellt hat (vgl hierzu ausführlich BSG SozR 2600 § 300 Nrn 11, 12). Der erkennende Senat hat in seinen Entscheidungen vom 30. Oktober 1997 (SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und – 13 RJ 3/97 –) im einzelnen dargelegt, daß er insoweit der Rechtsauffassung des 4. Senats des BSG (SozR 3-2600 § 300 Nr 10), auf die sich der Kläger beruft, nicht zu folgen vermag.
Auch wenn ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch grundsätzlich zur Anwendung der früheren Fassung des § 250 SGB VI führen könnte (vgl BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 12), so gibt es nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt doch keine Hinweise, die für das Bestehen eines derartigen Anspruches sprechen. Ein insoweit relevantes pflichtwidriges Verwaltungshandeln der Beklagten ist weder vom Kläger geltend gemacht worden noch nach Aktenlage ersichtlich (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 12).
Ist mithin für die streitige Neufeststellung § 250 SGB VI nF anzuwenden, so sind die in Abs 2 dieser Vorschrift geregelten Einschränkungen zu prüfen. Nach dem hier vornehmlich in Betracht zu ziehenden § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI sind Ersatzzeiten ua nicht Zeiten, in denen nach dem 31. Dezember 1956 die Voraussetzungen nach Abs 1 Nr 3 vorliegen, aber der Versicherte eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit auch aus anderen als den dort genannten Gründen nicht ausgeübt hat. Damit wird nunmehr vom Gesetz iS einer widerlegbaren Vermutung unterstellt, daß ab dem 1. Januar 1957 auch andere als die in § 250 Abs 1 Nrn 2, 3 und 5 SGB VI genannten Gründe für die Nichtausübung einer Beschäftigung maßgebend waren (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 250 SGB VI, RdNr 179; Hauck/Haines/Klattenhoff, § 250 SGB VI RdNr 304). Mit dieser Neufassung bzw Ergänzung des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI wollte der Gesetzgeber die Anrechnung von Ersatzzeiten auf das ursprüngliche Regelungsziel zurückführen (vgl BT-Drucks 12/5017, 48; dazu auch Klattenhoff, aaO, RdNr 300 Fußnote 550).
Der erkennende Senat vermag nicht abschließend zu entscheiden, ob der Ausschlußtatbestand des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI im Falle des Klägers vorliegt. Einerseits spricht die gesetzliche Vermutung dafür, daß im maßgeblichen Zeitraum beim Kläger bestehende Versicherungslücken nicht auf den Ersatzzeittatbestand zurückzuführen sind. Auch sind nach den vom LSG getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte ersichtlich, die diese Vermutung widerlegen könnten. Andererseits bestand jedoch für das LSG unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung auch keine Veranlassung, den Sachverhalt in dieser Richtung näher zu ermitteln. Ebensowenig war der Kläger angesichts der vorinstanzlichen Behandlung der Streitsache gehalten, nähere Ausführungen zu den Gründen für die Lücke in seinem Versicherungsverlauf zu machen. Der in diesem Punkt noch bestehende Klärungsbedarf gebietet somit eine Zurückverweisung der Sache an das LSG (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Sollte das LSG nach weiterer Sachaufklärung zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger die Vermutung des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI nicht widerlegen kann, wird es bei der bisherigen Berechnung der Rente ohne Berücksichtigung von Ersatzzeiten bleiben müssen. Eine Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X scheidet dann aus. Sofern dem Kläger danach aufgrund der zum 1. Juli 1993 eingetretenen Rechtsänderung ein ursprünglich höherer Rentenanspruch verloren gegangen sein sollte, wäre darin keine Verletzung seiner durch die Verfassung geschützten Rechte zu sehen (vgl hierzu eingehend BSG SozR 3-2600 § 300 Nrn 5, 11, 12).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen