Verfahrensgang
BezirksG Erfurt (Urteil vom 23.11.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bezirksgerichts Erfurt – Senat für Sozialrecht – vom 23. November 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Thüringer Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt höheres Altersübergangsgeld (Alüg). Gleichzeitig wendet er sich gegen die teilweise Rücknahme von Alüg.
Der Kläger ist 1933 geboren, von Beruf Tierpfleger und arbeitete in diesem Beruf von Oktober 1972 bis 30. September 1991 als Mitglied der LPG-Tierproduktion „Langer Berg” in G. … (Thüringen), die zum 1. Januar 1992 in eine GmbH umgewandelt wurde. Er meldete sich am 27. September 1991 beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte zum 1. Oktober 1991 Alüg. Das ArbA bewilligte Alüg unter Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 43,75 Stunden (Bescheid vom 11. Oktober 1991). Der Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, die Sieben-Tage-Woche habe in der LPG nie aufgehört, wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, sowohl nach den Angaben der Arbeitgeberin als auch nach dem Tarifvertrag habe eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 43,75 Stunden bestanden (Widerspruchsbescheid vom 29. November 1991). Während des Klageverfahrens, mit dem der Kläger unter Hinweis auf eine Bescheinigung der LPG vom 9. Dezember 1991 die Gewährung von Alüg unter Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 56 Stunden erstrebte, nahm das ArbA – nach Anhörung des Klägers – die Alüg-Bewilligung mit Wirkung ab 31. Januar 1992 gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) in Höhe von wöchentlich 15,00 DM zurück (Bescheid vom 6. März 1992) und gewährte Alüg nur noch unter Zugrundelegung einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden (Bescheid vom 24. Februar 1992).
Das Kreisgericht – Kammer für Sozialrecht – hat nach Vernehmung des Zeugen G den Bescheid vom 11. Oktober 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 29. November 1991 und die Bescheide vom 24. Februar 1992 und 6. März 1992 dahingehend abgeändert, daß als Berechnungsgrundlage für das Alüg eine wöchentliche Arbeitszeit von 56 Stunden zugrunde gelegt werde (Urteil vom 6. Mai 1992). Das Bezirksgericht – Senat für Sozialrecht – hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23. November 1992). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Bezirksgericht ausgeführt, die Berufung sei zulässig. Einer Zulassung habe es nicht bedurft. Denn die Berufung betreffe wiederkehrende Leistungen von mehr als einem Jahr. Indes sei die Berufung unbegründet. Anspruchsgrundlage für das Begehren auf höheres Alüg sei § 249e Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Danach seien die Vorschriften über das Arbeitslosengeld (Alg) entsprechend anzuwenden (Abs 3). Das bedeute: Als Zeitfaktor für die Ermittlung des Bemessungsentgelts sei die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG), hilfsweise die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alternative ≪Alt≫ 1 AFG), äußerst hilfsweise die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 2 AFG) zugrunde zu legen. Die Beklagte habe den Kläger, obwohl er nicht Arbeiter, sondern Mitglied der LPG gewesen sei, zu Recht als Arbeitnehmer iS des § 249e AFG angesehen. Das ergebe sich aus der Sonderregelung des § 249c Abs 22 AFG. Andererseits habe die Beklagte bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts zu Unrecht auf eine tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden abgestellt. Die Mitglieder der LPG des Klägers hätten keinen tariflichen Regelungen unterlegen. Ebensowenig hätte eine tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen ermittelt werden können. Folglich sei die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit maßgebend gewesen. Diese habe, wie der Zeuge G glaubhaft dargetan habe, durchweg bei 56 Wochenstunden gelegen.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 112 Abs 4 Nr 2 AFG. Einzuräumen sei, daß für den Kläger keine tarifliche Arbeitszeit gegolten habe (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG). Doch habe es eine tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen gegeben (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 1 AFG). Eine solche sei dem Manteltarifvertrag (MTV) zwischen dem Verband der Staatsgüter der DDR eV und der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (MTV I) vom 30. August 1990 zu entnehmen. Er gelte räumlich ua für Thüringen, fachlich ua für Betriebe der Pflanzen- und Tierproduktion mit überwiegend landwirtschaftlichem Charakter, persönlich für alle Arbeiter und Angestellten iS des § 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). „Vergleichbarkeit” müsse deshalb bejaht werden, weil die Betreuung der Tiere in allen Betrieben der Tierproduktion identisch sei. Überdies hätten die LPGen denselben Betriebszweck verfolgt. Gemäß § 6 Nr 1 MTV I habe die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit innerhalb einer Fünf-Tage-Arbeitswoche 40 Stunden betragen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bezirksgerichts und des Kreisgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die vorinstanzlichen Urteile für zutreffend und erwidert, seine LPG habe ausschließlich aus Mitgliedern bestanden. Die Arbeitszeit habe sich wie für alle LPGen der Region auf 56 Wochenstunden belaufen. Die Anwendung eines auf Arbeiter und Angestellte zugeschnittenen Tarifvertrages widerspreche dem Gerechtigkeitsgebot. Denn die LPG-Mitglieder hätten niemals die tarifvertraglichen Vorteile, insbesondere die 40-Stunden-Woche, in Anspruch nehmen können. Auch stehe die Berechnungsweise der Beklagten nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz in Einklang. Es gehe nicht an, daß eine bestimmte Personengruppe, die niemals in den Genuß der Vorteile des Tarifvertrages gelangt sei, aus fiskalischen Interessen unzumutbare Nachteile in Kauf zu nehmen habe. Schließlich habe das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit der Formulierung geworben: „Das Alüg beträgt 65% des ausfallenden pauschalierten Nettoarbeitsentgelts”. Dies sei eine klare, keiner Auslegung zugängliche Aussage.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht begründet.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zum einen der Bescheid vom 11. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 1991, soweit die Beklagte darin das vom Kläger begehrte höhere Alüg für die Zeit ab 1. Oktober 1991 abgelehnt hat. Zum anderen sind Gegenstand des Revisionsverfahrens der Bescheid vom 6. März 1992, durch den die Beklagte die Alüg-Bewilligung mit Wirkung ab 31. Januar 1992 gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X in Höhe von wöchentlich 15,00 DM zurückgenommen hat (ohne eine Erstattungsforderung zu erheben), sowie der Bescheid vom 24. Februar 1992, durch den sie Alüg (ab 31. Januar 1992) nur noch nach einem gerundeten Bemessungsentgelt von 300,00 DM (7,57 DM × 40 Stunden = 302,80 DM) bewilligt hat. Die beiden letztgenannten Bescheide sind gemäß § 96 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden.
Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig. Sie betraf wiederkehrende Leistungen, nämlich Ansprüche auf Gewährung von Alüg, für mehr als ein Jahr (Anl I Kap VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr 4 des Einigungsvertrages ≪EinigVtr≫ vom 31. August 1990 ≪BGBl II 889, 1032≫ und Art 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 ≪BGBl II 885≫ und Art 2 § 4 Abs 1 Satz 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 – BGBl I 446). Insoweit sind die Höhe der Leistung und der Beschwerdewert unerheblich (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 144 Rz 21).
In der Sache selbst kann der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Bezirksgerichts weder die Frage beantworten, ob dem Kläger für die Zeit ab 1. Oktober 1991 ein Anspruch auf höheres Alüg zusteht, noch beurteilen, ob der Änderungsbescheid vom 24. Februar 1992 und der Rücknahmebescheid vom 6. März 1992 mit der Rechtslage in Einklang stehen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Rechtlicher Ausgangspunkt für das Begehren des Klägers auf höheres Alüg ist § 249e AFG idF der Anl I Kap VIII Sachgebiet E Abschnitt II Nr 1 Buchst e des EinigVtr und des Art 1 Nr 16 des Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften (AFG ua ÄndG) vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1306). Danach gewährt die Bundesanstalt Arbeitnehmern, die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung von mindestens 90 Kalendertagen in dem in Art 3 des EinigVtr genannten Gebiet ausscheiden und in den letzten 90 Kalendertagen der Beschäftigung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet hatten, ein Alüg nach bestimmten Maßgaben (§ 249e Abs 1 AFG). Auf das Alüg sind die Vorschriften über das Alg und für Empfänger dieser Leistung ua mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Höhe des Anspruchs 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG beträgt (§ 249e Abs 3 Nr 2 AFG).
Der Kläger hat sich am 27. September 1991 beim ArbA arbeitslos gemeldet und zum 1. Oktober 1991 Alüg beantragt (§ 249e Abs 2 Nr 1 AFG). Ob er auch die weiteren Voraussetzungen des § 249e AFG erfüllt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Insbesondere mangelt es an tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob der Kläger am 30. September 1991 aus einer „die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung” ausgeschieden ist. Allerdings schloß seine Mitgliedschaft in der LPG „Langer Berg” die Annahme einer Beschäftigung als Arbeitnehmer dieser LPG nicht aus. Das ergibt sich für die Zeit vor dem 3. Oktober 1990 aus § 168 Abs 1a AFG-DDR (vom 22. Juni 1990 – GBl I Nr 36 S 403) und für die hier maßgebende Zeit ab 3. Oktober 1990 aus § 249c Abs 22 AFG (eingefügt durch Anl I Kap VIII Sachgebiet E Abschnitt II Nr 1 Buchst e des EinigVtr). Danach schließt die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft, die nach § 69 Abs 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes vom 29. Juni 1990 (GBl I Nr 42 S 642) spätestens am 1. Januar 1992 in eine zulässige Rechtsform umgestaltet werden mußte und hier auch umgestaltet wurde, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG) dieser Genossenschaft nicht aus. Durch diese Bestimmung ist klargestellt worden, daß die Mitglieder einer LPG, die Arbeitsleistungen wie Arbeitnehmer der LPG erbrachten, mit dem Ausscheiden aus der LPG in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991 wie Arbeitnehmer der LPG einen Anspruch auf Alüg erwerben konnten (Gemeinschaftskomm zum AFG ≪GK-AFG≫, Stand September 1993, § 249e Rz 32). Insoweit ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob die betreffende Tätigkeit ihrem Zuschnitt nach tatsächlich einer abhängigen Beschäftigung entsprach (BSG vom 10. November 1993 – 11 RAr 35/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; Gagel, Komm zum AFG, Stand August 1992, §§ 249e/249f Rz 12). Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Schon aus diesem Grund sowie aus den vorerwähnten weiteren Gründen ist die Sache zwecks Nachholung der entsprechenden Tatsachenfeststellungen zurückzuverweisen.
Die Höhe des Alüg richtet sich aufgrund der Generalverweisung des § 249e Abs 3 Nr 2 AFG nach § 112 und § 111 AFG iVm den Leistungssätzen, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung bestimmt hat. Für die Jahre 1991 und 1992 ist insoweit auf die Leistungssätze für das Unterhaltsgeld nach § 44 Abs 2 Nr 2 AFG zurückzugreifen. Der 11. Senat hat dies in seinen Urteilen vom 10. November 1993 – 11 RAr 35/93 – und – 11 RAr 47/93 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) des näheren begründet. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Ausschlaggebend sind für ihn dabei die sich aus Wortlaut und Systematik des § 249e Abs 3 AFG ergebenden Zusammenhänge zwischen Alüg und Alg.
Für die Höhe des dem Kläger ab 1. Oktober 1991 zustehenden Alüg kommt es folglich zunächst auf das Bemessungsentgelt an. Dieses ist hier gemäß § 112 AFG idF des Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1297) zu ermitteln. Danach ist das Arbeitsentgelt maßgebend, daß der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Mehrarbeitszuschläge, Arbeitsentgelte, die der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält, sowie einmalige und wiederkehrende Zuwendungen bleiben außer Betracht; dies gilt auch für Zuwendungen, die anteilig gezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Fälligkeitstermin endet (Abs 1). Der Bemessungszeitraum umfaßt die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat (Abs 2 Satz 1). Enthalten die Lohnabrechnungszeiträume weniger als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt, so verlängert sich der Bemessungszeitraum um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht sind (Abs 2 Satz 3). Für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts wird das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt. Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen ist, gilt als in der Zahl von Arbeitsstunden erzielt, die sich ergibt, wenn die Zahl der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden mit dreizehn vervielfacht und durch drei geteilt wird (Abs 3).
Das Bezirksgericht hat sich im Zusammenhang mit den vorstehend genannten Vorschriften auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob der dem Kläger von der Beklagten ab 1. Oktober 1991 zugebilligte Lohnfaktor (7,57 DM) mit einem Zeitfaktor von 40 Stunden, 43,75 Stunden oder 56 Stunden zu vervielfachen ist. Dabei hat es übersehen, daß ein Anspruch, mit dem eine höhere Leistung geltend gemacht wird, unter jeglichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten zu prüfen ist, worauf der Senat bereits mehrfach hingewiesen hat (BSGE 67, 20, 21 = SozR 3-4100 § 138 Nr 8; BSG SozR 4100 § 136 Nr 5 und § 138 Nrn 14 und 24; vgl auch BSG vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 26/93 –, unveröffentlicht). Sonach hätte vorab untersucht werden müssen, ob der im vorliegenden Fall maßgebende Lohnfaktor ein höheres Alüg rechtfertigt, als es dem Kläger von der Beklagten zugesprochen worden ist. Das ist nicht geschehen. Der Senat kann diese Frage mangels tatsächlicher Feststellungen des Bezirksgerichts nicht selbst beantworten. Denn es fehlt an Feststellungen sowohl zu den abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen als auch zu dem während dieser Zeiträume erzielten Arbeitsentgelt als auch zu den geleisteten Arbeitsstunden. Auch aus diesem Grund muß die Sache zurückverwiesen werden.
Ist der maßgebende Lohnfaktor ermittelt worden, kommt es auf den Zeitfaktor an. Die Schlußfolgerung des Bezirksgerichts, vorliegend sei ein Zeitfaktor von 56 Stunden zugrunde zu legen, wird durch die bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen.
Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß für den Kläger keine „tarifliche” regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bestanden hat (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG). Denn der MTV zwischen dem Genossenschaftsverband der LPG und GPG eV – Zentralverband – und der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft vom 28. Januar 1991 (MTV II), der den MTV zwischen dem Verband der Staatsgüter der DDR eV und der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft vom 30. August 1990 (MTV I) abgelöst hat, fand auf den Kläger keine Anwendung.
Der Senat sieht sich an der Auslegung des MTV II nicht durch § 162 SGG gehindert. Denn dieser Tarifvertrag gilt in räumlicher Hinsicht für die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Berlin (§ 1 Nr 1). Er erstreckt sich also über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus (vgl zu diesem Problemkreis BSGE 6, 41, 43; BSGE 50, 121, 123 = SozR 4100 § 117 Nr 3; BSG SozR 4100 § 112 Nr 14; BSG vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 26/93 –, unveröffentlicht).
In persönlicher Hinsicht gilt der MTV II lediglich für in Genossenschaften und deren kooperativen Einrichtungen beschäftigte Nicht-Mitglieder, Arbeiter/Arbeiterinnen und Angestellte iS des § 6 BetrVG (§ 1 Nr 3 Satz 1). Eingetragene Genossenschaften, zu denen die LPG-Tierproduktion „Langer Berg” gehörte, können in ihrer Satzung bzw den Arbeitsverträgen zwar darüber entscheiden, ob dieser Tarifvertrag für beschäftigte Mitglieder ebenfalls Gültigkeit hat (§ 1 Nr 3 Satz 2). Indes hat die LPG-Tierproduktion „Langer Berg”, wie das Bezirksgericht für den Senat bindend festgestellt hat (§ 163 SGG), den MTV II weder in ihrer Satzung noch in Einzelarbeitsverträgen für LPG-Mitglieder für anwendbar erklärt.
Bestand somit im Bemessungszeitraum keine tarifliche Arbeitszeit, war die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 1 AFG). Falls auch eine solche tarifliche Regelung nicht bestand, war die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit als Zeitfaktor zugrunde zu legen (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 2 AFG).
Vorliegend bestand keine tarifliche Arbeitszeit für eine der Tätigkeit des Klägers „gleiche” Beschäftigung (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 1 Fallgruppe 1 AFG). Das ergibt sich aus den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts. Dieses hat ua ausgeführt, der von ihm als Zeuge vernommene LPG-Vorsitzende G, der „viel bei anderen LPGen herumgekommen” sei, habe „nie andere Verhältnisse kennengelernt” als bei der LPG des Klägers. Das kann nur in dem Sinne verstanden werden, daß die LPGen, die sich ausschließlich aus Mitgliedern zusammensetzten, in keinem Fall den MTV II in ihrer Satzung oder in Einzelarbeitsverträgen auf Mitglieder für anwendbar erklärt hatten. Folglich kommt es darauf an, ob dem MTV II eine tarifliche Arbeitszeit für eine der Tätigkeit des Klägers „ähnliche” Beschäftigung zu entnehmen ist (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 1 Fallgruppe 2 AFG). Das läßt sich anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen.
In fachlicher Hinsicht gilt der MTV II für „die landwirtschaftlichen und gärtnerischen Produktionsgenossenschaften (LPG und GPG), deren kooperative Einrichtungen, soweit keine gesonderten Tarifverträge bestehen, und die Rechtsnachfolger von LPG und GPG in Form von eingetragenen Genossenschaften, anderen Kapitalgesellschaften und Unternehmensformen” (§ 1 Nr 2). Vieles spricht dafür, daß er damit auch auf die Arbeitnehmer solcher LPGen anzuwenden ist, die sich – wie die LPG „Langer Berg” – auf Tierhaltung spezialisiert hatten. Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, da die Sache ohnehin an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. Dieses wird die Frage ggf im Weg sog „authentischer Interpretation” zu klären haben. Das bedeutet: Um letzte Zweifel auszuräumen, sind ggf die Tarifvertragsparteien selbst zu befragen, welche fachliche Reichweite sie dem MTV II bei Vertragsschluß beigemessen haben (vgl hierzu BSG vom 14. September 1990 – 7 RAr 18/90 – und 25. Januar 1994 – 7 RAr 26/93 –, beide unveröffentlicht).
Fand der MTV II auch auf Arbeitnehmer solcher LPGen Anwendung, die sich ausschließlich mit Tierhaltung beschäftigten, ist eine tarifliche Arbeitszeit für eine der Tätigkeit des Klägers „ähnliche” Beschäftigung gegeben (§ 112 Abs 4 Nr 2 Alt 1 Fallgruppe 2 AFG). Das ergibt sich aus § 6 Nr 1 MTV II. Danach beträgt die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit innerhalb einer Fünf-Tage-Arbeitswoche 40 Stunden. Dies ist der Zeitfaktor, mit dem der Stundenlohnfaktor ggf zu vervielfachen ist.
Die Bestimmung des § 6 Nr 2 MTV II führt zu keinem dem Kläger günstigeren Zeitfaktor. Danach darf die wöchentliche Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers zwar innerhalb einer Bandbreite von 35 bis 48 Wochenstunden schwanken. Doch ist die Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt auf der Basis von 40 Wochenstunden auszugleichen. Dies ist das für die Ermittlung des Zeitfaktors maßgebende Kriterium. Es wird mittelbar durch § 112 Abs 4 Nr 1 AFG bestätigt, wonach, wenn ein Tarifvertrag für Teile des Jahres eine unterschiedliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vorsieht, die wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen ist, die sich als „Jahresdurchschnitt” ergibt.
Der Kläger kann sich gegenüber der evtl Anwendung des § 6 Nr 1 MTV II nicht mit Erfolg darauf berufen, die Heranziehung eines auf Arbeiter und Angestellte zugeschnittenen Tarifvertrages widerspreche dem Gerechtigkeitsgebot, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz; es gehe nicht an, daß er, der als LPG-Mitglied niemals in den Genuß der Vorteile des MTV II gelangt sei, „aus fiskalischen Interessen unzumutbare Nachteile” in Kauf zu nehmen habe. Der Kläger übersieht, daß sich das vom AFG vorgegebene System der Bemessung von Leistungen nach § 112 AFG für alle Arbeitslosen am Grundsatz regelmäßiger tariflicher Arbeitszeiten orientiert, und zwar aus guten Gründen. Jeder arbeitslose Arbeitnehmer muß sich bei vorhergehender Ableistung längerer Arbeitszeiten für die Bemessung ua des Alg prinzipiell auf uU kürzere regelmäßige tarifliche Arbeitszeiten verweisen lassen, auch wenn diese nicht unmittelbar für ihn gelten. Für den Anspruch eines LPG-Mitgliedes auf Alüg ist dies nicht anders. Wenn ein LPG-Mitglied – wie der Kläger – nur durch eine begünstigende gesetzliche Regelung jenen Anspruch erwirbt, indem es einem Arbeitnehmer gleichgestellt wird, kann es gerade unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit und der Gleichbehandlung nicht verlangen, bei der Bemessung der Leistung besser als ein Arbeitnehmer behandelt zu werden, nämlich nun wiederum allein nach seinem von Tarifverträgen nicht erfaßten Status als (selbständiges) LPG-Mitglied.
Nur wenn sich für die Tätigkeit des Klägers weder aus der 1. noch aus der 2. Fallgruppe der 1. Alt des § 112 Abs 4 Nr 2 AFG eine tarifliche Arbeitszeit herleiten läßt, ist gemäß § 112 Abs 4 Nr 2 Alt 2 AFG auf die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit abzustellen (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm zum AFG, Stand Februar 1994, § 112 Rz 22). Allein in diesem Fall könnte der vom Bezirksgericht angenommene Zeitfaktor von 56 Stunden Bestand behalten.
Stehen Lohn- und Zeitfaktor fest, sind für die Ermittlung des Bemessungsentgelts die persönlichen Bemessungsdaten des Klägers erheblich (§ 111 AFG). Dazu gehören Familienstand, Kinderzahl und Lohnsteuerklasse des Klägers. Die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) gebietet, daß das Berufungsgericht im Rahmen seiner erneuten Entscheidung die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auch unter diesen Gesichtspunkten überprüft.
Die Sache ist zwecks erneuter Verhandlung und Entscheidung auch insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, als es um die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides vom 24. Februar 1992 und des Rücknahmebescheides vom 6. März 1992 geht. Das Bezirksgericht hat – aus seiner Sicht zu Recht – zum Inhalt dieser Bescheide keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Der Bescheidinhalt ergibt sich auch nicht aus den Prozeß- und Verwaltungsakten; entsprechende Abschriften fehlen. Der Senat ist deshalb nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit der beiden Bescheide zu beurteilen. Allerdings scheint der Rücknahmebescheid vom 6. März 1992 nicht die erforderliche Ermessensentscheidung zu beinhalten (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X). Er ist nach den Angaben in den Verwaltungsakten lediglich mit dem Hinweis begründet worden, daß das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen Verwaltung der Beiträge überwiege; Hilfebedürftigkeit iS des Bundessozialhilfegesetzes trete nicht ein. Verhält es sich so, kann von ordnungsgemäßer Ermessensausübung nicht die Rede sein (vgl hierzu etwa BSGE 66, 204, 206 f = SozR 3-1300 § 45 Nr 11; BSG vom 11. November 1993 – 7 RAr 52/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Im Rahmen seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht des weiteren zu beachten haben, daß sowohl zu den Anpassungstagen (§ 112a AFG) als auch jeweils zum Jahresbeginn Änderungsbescheide ergangen sein dürften, die Gegenstand des Verfahrens geworden (§§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG) und von Amts wegen zu überprüfen sind. Schließlich wird das Berufungsgericht über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen