Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrente
Leitsatz (amtlich)
Die eine normale Hinterbliebenenrente im sogenannten Sterbevierteljahr übersteigenden Rentenbeträge (§ 1268 V RVO = § 45 V AVG) sind kein auf die Arbeitslosenhilfe anrechenbares Einkommen.
Normenkette
RVO § 1268; VAFG § 138
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Erstattung überzahlter Beträge.
Die Beklagte hatte der Klägerin Anschluß-Alhi ab 24. Juli 1985 (unter Anrechnung des Einkommens ihres Ehegatten) in Höhe von wöchentlich 172,74 DM und, nachdem der Ehegatte der Klägerin am 23. Februar 1986 verstorben war, ab 24. Februar 1986 (ohne Einkommensanrechnung) in Höhe von wöchentlich 213,60 DM gewährt. Nachdem die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BM der Klägerin durch Bescheid vom 13. Juni 1986 Witwenrente für die Zeit ab 1. März 1986 bewilligt hatte (Zahlbetrag: 1. März bis 31. Mai 1986 = monatlich 757,03 DM; Juni 1986 454,30 DM), machte die Beklagte gegenüber der Bundesversicherungsanstalt f. Angestellte (BfA) mit Schreiben vom 27. Juni 1986 für die Zeit vom 1. März bis 16. Juni 1986 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 2.527,37 DM geltend. Die Bundesversicherungsanstalt f. Angestellte (BfA) überwies. der Beklagten einen Betrag von 302,27 DM und lehnte eine weitere Zahlung mit dem Hinweis ab, daß die Klägerin die übrige Rentennachzahlung bereits erhalten habe. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, daß die Entscheidung über die Bewilligung der Leistung wegen des Bezuges von Hinterbliebenenrente für die Zeit vom 1. März bis 16. Juni 1986 teilweise aufgehoben werde und die für diesen Zeitraum überzahlten Beträge zu erstatten seien; die Rückforderungssumme belaufe sich für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1986 (79 Tage) auf 2.300,22 DM (174970 DM wöchentlich x 79: 6), für die Zeit vom 1. bis 16. Juni 1986 (13 Tage) auf 227,15 DM (104,84 DM x 13: 6); da die Bundesversicherungsanstalt f. Angestellte (BfA) von der Gesamtsumme in Höhe von 2.527,37 DM einen Teilbetrag in Höhe von 302927 DM erstattet habe, verbleibe eine Restforderung in Höhe von 2.225,10 DM (Bescheide vom 27. Juni 1986 und 21. August 1986; Widerspruchsbescheid vom 2. September 1986).
Mit der Klage begehrte die Klägerin, die Beklagte unter Änderung der erwähnten Bescheide zu verurteilen, für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1986 keine Anrechnung vorzunehmen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen (Urteil vom 4. Dezember 1987). Vor dem Landessozialgericht (LSG) beantragte die Klägerin, das Urteil des SG zu ändern und die erwähnten Bescheide der Beklagten aufzuheben, soweit darin für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 1986 eine höhere Leistung aus der Angestelltenversicherung als 454,30 DM monatlich angerechnet worden sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16. September 1988).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Die Klägerin habe der Beklagten den Betrag von 2.225,10 DM, über dessen Höhe zu Recht kein Streit bestehe, zu erstatten, weil die Beklagte die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1986 mit Recht aufgehoben habe (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - -SGB 10-). Die Aufhebung der Bewilligung selbst rechtfertige sich aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB 10, wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der (leistungserheblichen) Verhältnisse aufgehoben werden solle, soweit nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
Diese Voraussetzungen hätten ab 1. März 1986, dem Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB 10), vorgelegen. Die Beklagte habe auch keine andere Wahl als die der Aufhebung gehabt, da es sich um einen den Umständen nach typischen Überzahlungsfall gehandelt habe.
Die im sog Sterbevierteljahr erhöhte Witwenrente sei Einkommen i.S. der §§ 137 Abs. 1, 138 Abs. 1 Nr 1 und Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und demzufolge auf den Alhi-Satz anzurechnen. Der Ausnahmetatbestand des § 138 Abs. 3 Nr 6 AFG, wonach nicht als Einkommen Leistungen zum Ausgleich eines Schadens anzusehen seien, soweit sie nicht für entgangenes oder entgehendes Einkommen oder für den Verlust gesetzlicher Unterhaltsansprüche gewährt würden, greife nicht ein. Die erhöhten Witwenbezüge des Sterbevierteljahres dienten kaum einem Schadensausgleich. Sie hätten ihren Grund im wesentlichen in dem durch den Tod des Ehegatten eingetretenen Verlust von Unterhaltsansprüchen. Sie sollten die Umstellung des hinterbliebenen Ehegatten auf die neuen Lebensverhältnisse finanziell erleichtern (BVerfGE 32, 365, 369; BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO). Der Auffassung der Klägerin, es handele sich bei den Bezügen im Sterbevierteljahr um Leistungen eigener Art, könne der Senat nicht beitreten. Dagegen habe sich das Bundessozialgericht (BSG) schon wiederholt und überzeugend ausgesprochen (BSG SozR 2200 § 1268 Nr 5 m.w.N.) und die Bezüge im Sterbevierteljahr u.a. auch mit dem Gedanken der Wahrung des vom Verstorbenen abgeleiteten rentenrechtlichen Besitzstände erklärt (BSG SozR 2200 § 1268 Nr 4). Lediglich soweit die erhöhten Bezüge außerdem dazu dienten, dem hinterbliebenen Ehegatten die mit der letzten Krankheit des Verstorbenen und dem Todesfall verbundenen Aufwendungen.zu einem Teil abzunehmen (BVerfGE 32, 365, 369; BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO), komme der Leistung teilweise Schadensausgleichsfunktion zu. Doch lasse sich diese nicht abgrenzen und bleibe in der Gesamtschau nachrangig, zumal das Sozialleistungssystem wegen der mit dem Todesfall von Versicherten verbundenen Kosten ausdrücklich ein Sterbegeld vorsehe (§ 203 Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Auch der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) lasse sich kein anderes Ergebnis entnehmen. Der Ausnahmetatbestand des § 11 Nr 1 AlhiV, wonach außer den in e 138 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) genannten Einkünften nicht als Einkommen gälten einmalige Einkünfte, soweit sie nach Entstehungsgrund, Zweckbestimmung oder Übung nicht dem laufenden Lebensunterhalt dienten, greife nicht ein, weil es sich.bei den erhöhten Bezügen des Sterbevierteljahres nicht um einmalige, sondern um monatlich wiederkehrende Leistungen handele (§ 74 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-). Darüber hinaus dienten sie weitgehend zum laufenden Lebensunterhalt der Witwe, nämlich der Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse. Daß solche Bezüge - wie auch hier - oft nachträglich nur in einem Betrag ausgezahlt würden, bleibe rechtlich ohne Belang. Nach § 11 Nr 8 AlhiV gälten des weiteren nicht als Einkommen die aus sittlichen oder sozialen Gründen gewährten Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, insbesondere solche, die wegen Bedürftigkeit an. besonders verdiente Personen oder Künstler oder deren Hinterbliebene gewährt würden. Diesem Ausnahmetatbestand unterfielen indes gesetzliche Versicherungsleistungen wie Hinterbliebenenrenten von vornherein nicht. Diese stellten sich nicht als Zuwendungen dar. Auf die erhöhte Witwenrente der ersten drei Monate bestehe vielmehr ein Rechtsanspruch (§§ 41 Abs. 1, 45 Abs. 5 AVG).
Die Alhi-Vorschriften verstießen schließlich nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung (Art 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG-). Alhi-Berechtigte in gleicher Lage wie die Klägerin würden sämtlich gleichbehandelt. Die Bevorzugung von Alhi-Berechtigten mit nur ganz bestimmten, nach § 138 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und § 11 AlhiV von der Berücksichtigung ausgenommenen anderen Einkünften sei nicht sachwidrig, sondern entspreche gesetzgeberischem Ermessen,
Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung von § 138 Abs. 3 Nr 6 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und § 48 SGB 10. Zur Begründung macht sie geltend: Die ihr für das Sterbevierteljahr zu zahlenden erhöhten-Beträge seien im Zeitpunkt der Bescheiderteilung (abgesehen von den der Beklagten überwiesenen 302,27 DM) bereits ausgezahlt gewesen. Sie gehörten zu den nicht anrechenbaren Einkünften i.S. des § 138 Abs. 3 Nr 6 AFG. Unter diese Ausnahmevorschrift fielen, wie der erkennende Senat entschieden habe, nicht nur Leistungen aufgrund einer Schadenspflicht, sondern Leistungen aller Art, die einen Schaden ausgleichen sollten (BSG SozR 4100 § 138 Nr 18). Auch der Sterbevierteljahresbonus, der der Betroffenen nach dem Tod des Versicherten die Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse erleichtern solle, diene dem Ausgleich eines Schadens. Daß der Verlust des Ehegatten immer ein Schaden sei, bedürfe keiner vertieften Darstellung.
Richtig sei, daß die Rente im Sterbevierteljahr bereits Witwenrente sei. Doch ändere dies nichts am Schadensausgleichscharakter des die normale Witwenrente übersteigenden Betrages. Die Vorschriften des Rentenrechts bestätigten dies. So bleibe die Witwenrente für das Sterbevierteljahr wegen ihres Schadensausgleichscharakters bei der Höchstgrenze der Hinterbliebenenrente (§ 1270 RVO), beim Zusammentreffen mit einer Unfallrente (§ 1278 RVO), beim Zusammentreffen mit Hinterbliebenenrenten aus der Unfallversicherung (§ 1279 RVO) sowie bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen auf Witwenrenten U 1281 RVO) unberücksichtigt. Schließlich werde der erhöhte Betrag nur der Witwe und nicht dem früheren Ehegatten gezahlt (§ 1265 RVO).
Der Hinweis des LSG, daß das Sozialleistungssystem ein Sterbegeld vorsehe (§ 203 RVO), überzeuge nicht. Die Beerdigungskosten würden schon lange nicht mehr durch die hierfür bestimmten Sozialleistungen gedeckt. Darüber hinaus dienten die erhöhten Bezüge des Sterbevierteljahres auch dazu, dem hinterbliebenen Ehegatten die mit der letzten Krankheit des Verstorbenen und dem Todesfall verbundenen Aufwendungen teilweise abzunehmen (BVerfG 32, 365, 369; BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO). Zumindest sollten die erhöhten Bezüge im Rahmen der Alhi in dem Umfang nicht als anrechenbares Einkommen Berücksichtigung finden, in dem die Beerdigungskosten nachweislich aus ihnen bestritten wurden und höher seien als die hierfür vorgesehenen Sozialleistungen. Im vorliegenden Fall hätten die nicht gedeckten Beerdigungskosten (1.326,49 DM) den Sterbevierteljahresbonus (908,19 DM) eindeutig überstiegen, so daß keine Anrechnung der erhöhten Hinterbliebenenbezüge hätte erfolgen dürfen.
Schließlich leide die angegriffene Entscheidung der Beklagten an fehlender Ermessensausübung. Die Beklagte habe ihre Rückforderung lediglich damit begründet, daß ihr Ersatzanspruch wegen der bereits ausgezahlten Beträge nicht befriedigt worden sei, und deshalb pauschal auf die Klägerin zurückgegriffen. Sie hätte jedoch erkennbar Ermessensüberlegungen darüber anstellen müssen, weshalb sie die Leistungen von der Klägerin zurückfordere.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgericht (LSG) und des SG sowie die Bescheide der Beklagten vom 27. Juni 1986 und 21. August 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 1986 aufzuheben, soweit darin für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1986 eine höhere Leistung aus der Angestelltenversicherung als 454,30 DM monatlich angerechnet worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Ergänzend erwidert sie: Der das Normalmaß übersteigende Betrag der Witwenrente lasse sich nicht dem Normzweck der Ausnahmevorschrift des § 138 Abs. 3 Nr 6 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zuordnen. Die Witwenrente solle den Unterhaltsausfall ausgleichen und der Berechtigten eine angemessene Lebensführung nach dem Tod des Versicherten ermöglichen. Das Argument der Klägerin, die Beerdigungskosten seien schon lange nicht mehr durch die hierfür bestimmten Sozialleistungen gedeckt, weshalb der Differenzbetrag aus den erhöhten Bezügen des Sterbevierteljahres zu finanzieren sei, gehe somit fehl.
Auch die Vorschrift des § 48 Abs. 1 SGB 10 sei nicht verletzt. Im Rahmen dieser Bestimmung sei eine Ermessensentscheidung nur dann zu treffen, wenn ein atypischer Fall bejaht werde. Ob ein atypischer Fall gegeben sei, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend sei, ob diese Umstände von denen des Normalfalles abwichen. Das sei nach dem vorliegenden Sachverhalt nicht erkennbar.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Streitbefangen sind in der Revisionsinstanz die angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide (§ 95 SGG) nur noch insoweit, als die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 1. 3. bis 31. Mai 1986 wegen Anrechenbarkeit von mehr als 454,30 DM, nämlich wegen des Differenzbetrages zwischen erhöhter Witwenrente (757,03 DM) und gewöhnlicher Witwenrente (454,30 DM), teilweise aufgehoben und die Erstattung der insoweit überzahlten Beträge verlangt hat. Im übrigen sind die Bescheide nicht mehr angreifbar. In bezug auf die Zeit vom 1. bis 16. Juni 1986 sind sie bestandskräftig geworden (§ 77 SGG), weil die Klägerin insoweit nicht Klage erhoben hat. Im Hinblick auf die Aufhebung der Bewilligung wegen eines anrechenbaren Einkommens von monatlich 454,30 DM, nämlich der normalen Witwenrente, und die entsprechende Rückforderung ist Bindungswirkung eingetreten (§ 141 Abs 1 SGG), weil die Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG nur insoweit Berufung eingelegt hat, als die Beklagte für die Zeit vom 1. 3. bis 31. Mai 1986 eine höhere Leistung aus der AnV als 454,30 DM monatlich angerechnet hat.
Die Klägerin wendet sich gegen die angefochtenen Bescheide in verfahrensrechtlich zulässiger Weise mit einer (Teil-)Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Die von ihr begehrte teilweise Aufhebung hätte zwar nicht zur Folge, daß der Bewilligungsbescheid, durch den die Beklagte ab 24. Februar 1986 Alhi in Höhe von wöchentlich 213,60 DM gewährt hat, wieder vollinhaltlich hergestellt würde. Wohl aber hätte die Klägerin für das Sterbevierteljahr - auch wenn sich der Betrag nicht ohne weiteres beziffern läßt - einen Anspruch auf höhere Alhi, als er ihr nach den angefochtenen Bescheiden verbleibt (vgl zur Notwendigkeit der Anfechtungsklage in Fällen der vorliegenden Art etwa BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19; BSGE 49, 197, 198 f = SozR 4100 § 119 Nr 11; BSG vom 29. September 1987 - 7 RAr 22/86 - sowie vom 12. Juli 1989 - SozR 4100 § 113 Nr 9).
In der Sache selbst ist die Revision der Klägerin erfolgreich. Die Beklagte hat die teilweise Aufhebung der Bewilligung der Alhi, soweit hier noch im Streit, zu Unrecht auf § 48 Abs 1 SGB X gestützt. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; die Aufhebung erfolgt mit Wirkung für die Zukunft (Satz 1). Auch für die Vergangenheit, nämlich vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an, soll der Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Satz 2 Nr 3). Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung der Alhi-Bewilligung infolge der nachträglichen tatsächlichen Auszahlung der Hinterbliebenenrente für das Sterbevierteljahr gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X schlechthin gegeben seien. Dies steht nicht mit der Rechtslage in Einklang.
Allerdings handelt es sich bei dem Bescheid, durch den der Klägerin ab 24. Februar 1986 Alhi bewilligt worden ist, um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl hierzu etwa BSG vom 22. September 1988 - 7 RAr 61/86 - und vom 8. Juni 1989 - SozR 4100 § 138 Nr 25). Doch fehlt es, soweit die Beklagte die Alhi-Bewilligung für die Monate März bis Mai 1986 um mehr als 454,30 DM monatlich aufgehoben hat, an einer wesentlichen Änderung. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs 1 Satz 3 SGB X). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin nach Antragstellung oder Erlaß des Alhi-Bewilligungsbescheides zwar durch die Bewilligung von Witwenrente Einkommen erzielt. In dem hier streitigen Umfang handelt es sich jedoch nicht um Einkommen, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs auf Alhi geführt hat (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X).
Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Vorinstanzen sind die der Klägerin für das Sterbevierteljahr gewährten Bezüge, soweit sie die normale Witwenrente übersteigen, im Bereich der Alhi bei der Einkommensanrechnung nicht zu berücksichtigen. Nach § 138 Abs 2 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist zwar grundsätzlich Einkommen auf die Alhi anzurechnen. Einkommen iS der Vorschriften über die Alhi sind danach alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Auch tatsächlich geleistete Bezüge für das Sterbevierteljahr sind in diesem Sinne Einkommen in Geld. Indessen kommen hier Ausnahmebestimmungen über sog privilegierte Einkommensarten zum Tragen. Dabei kann dahinstehen, ob - wie die Klägerin meint - die Voraussetzungen der Ausnahmevorschriften des § 138 Abs 3 Nr 6 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und/oder des § 11 Nrn 1 und 8 AlhiV verwirklicht sind. Jedenfalls durfte eine Anrechnung der Witwenrente für die Monate März bis Mai 1986, soweit sie monatlich 454,30 DM überschritt, gemäß § 138 Abs 3 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht stattfinden.
Nach dieser Best, die aus § 150 Abs 4 Nr 3 Ges. über Arbeitsvermittlung u. Arbeitslosenversicherung (AVAVG) unverändert übernommen wurde (BT-Drucks V/2291 S 86 zu § 136 Abs 2 bis 4), gelten nicht als Einkommen zweckgebundene Leistungen, insbesondere nicht steuerpflichtige Aufwandsentschädigungen und Leistungen zur Erziehung, Erwerbsbefähigung und Berufsausbildung. Die Bezeichnung "zweckgebunden" ist nicht so eng auszulegen, daß darunter lediglich solche Leistungen zu verstehen wären, die der Empfänger nur zu dem im Gesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehenen Zweck verwenden darf und bei denen der Leistende ein Kontrollrecht oder einen Einfluß auf die Verwendung hat. Vielmehr fallen darunter auch solche Beträge, die aus einem bestimmten Anlaß und in einer bestimmten Erwartung gegeben werden und die der Empfänger zwar im allgemeinen für den bestimmten Zweck verwenden wird, ohne daß er jedoch dazu angehalten werden könnte (BSGE 19, 137 f = SozR Nr 5 zu § 150 AVAVG). Die vom Gesetzgeber vorgenommene Aufzählung ("insbesondere nicht steuerpflichtige Aufwandsentschädigungen und Leistungen zur Erziehung, Erwerbsbefähigung und Berufsausbildung") ist nicht erschöpfend; gleichartig privilegierte Leistungen ergeben sich aus zahlreichen anderen Vorschriften (BSGE 19, 62, 63 = SozR Nr 4 zu § 150 AVAVG; Wittrock in Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl, § 138 Rz 16; vgl auch Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Komm zum AVAVG, 1961, § 150 Rz 16; Krebs, Komm zum AVAVG, Stand 30. September 1966, § 150 Rz 50). Unerläßliche Voraussetzung ist indes, daß der als privilegierte Leistung in Betracht kommenden Leistung eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die im Falle der Anrechnung der Leistung auf die Alhi zu einer Zweckvereitelung führen würde (BSG SozR 4100 § 138 Nr 13).
In diesem Sinne sind als zweckgebundene Leistungen iS des § 138 Abs 3 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ua anerkannt worden: Zuschläge für Nachtarbeit (BSGE 17, 242 = SozR Nr 18 zu § 33 BVG; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand August 1989, § 138 Anm 3c); Einzelleistungen an Familienangehörige von eingezogenen Wehrpflichtigen (§ 7 USG), die dem Grunde und der Höhe nach an die Stelle von bisher anrechnungsfreien Leistungen des Einberufenen treten (BSGE 19, 62 = SozR Nr 4 zu § 150 AVAVG); Weihnachtsgratifikationen, soweit sie steuerfrei sind (BSGE 19, 137 = SozR Nr 5 zu § 150 AVAVG; Ambs ua in Gemeinschaftskomm zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) - GK-AFG -, Stand Oktober 1989, § 138 Rz 23; Krebs, aaO, § 150 Rz 53); Maßnahmekosten bei Fortbildung und Umschulung nach § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) (BSG SozR 4100 § 138 Nr 5; Wittrock, aaO, § 138 Rz 16); vermögenswirksame Leistungen nach § 3 des 3. VermBG, die der Arbeitgeber des Ehegatten des Arbeitslosen zusätzlich zum Arbeitseinkommen erbringt, ohne daß der Arbeitnehmer sie sich zur freien Verfügung auszahlen lassen kann (BSG SozR 4100 § 138 Nr 13; Wittrock, aaO, § 138 Rz 16).
Nicht als von der Anrechnung ausgenommene zweckgebundene Leistungen iS des § 138 Abs 3 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sind dagegen solche Leistungen, deren Zweck lediglich darin besteht, als Lohnersatz dem allgemeinen Lebensunterhalt des Empfängers und seiner Angehörigen zu dienen. Dazu gehört - im Unterschied zu den Leistungen nach § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) - das der Ehefrau eines Arbeitslosen gewährte Unterhaltsgeld nach § 44 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) (BSG SozR 4100 § 138 Nr 5; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, Stand März 1988, § 138 Rz 12; Wittrock, aaO, § 138 Rz 16).
Die normale Witwen- und Witwerrente (§ 1264 RVO, § 41 AVG) hat Unterhaltsersatzfunktion. Sie dient dem Lebensunterhalt und kann daher nicht als eine der Anrechnung entzogene zweckgebundene Leistung angesehen werden. Etwas anderes gilt für den das Normalmaß übersteigenden Betrag der Witwen- oder Witwerrente (§ 1268 Abs 5, § 45 Abs 5 AVG); dieser sog Sterbevierteljahresbonus enthält eine bestimmte, vom Gesetzgeber ausdrücklich zuerkannte Zweckrichtung. Er bezweckt, wie vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) formuliert, dem hinterbliebenen Ehegatten die mit der letzten Krankheit des Verstorbenen und dem Todesfall verbundenen Aufwendungen zu einem Teil abzunehmen und ihm die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse zu erleichtern (BVerfGE 32, 365, 369; vgl auch BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO; Koch/Hartmann ua, Komm zur Rentenversicherung, Stand April 1989, Bd IV a, § 45 AVG, Anm E 1; Zweng/Scheerer ua, Handbuch der Rentenversicherung, Stand April 1989, Bd 2, § 1268 Reichsversicherungsordnung (RVO) Anm II 4).
Der Zweck der erhöhten Witwenrente während des Sterbevierteljahres besteht also - obwohl auch insoweit nicht von einer Rente eigener Art, sondern von einer echten Hinterbliebenenrente zu sprechen ist, die der Witwe oder dem Witwer originär zusteht (BSG SozR 2200 § 1268 Nr 5 mwN) - darin, den während des Sterbevierteljahres zwangsläufig eintretenden besonderen Bedarf des hinterbliebenen Ehegatten zu befriedigen (BSG SozR 4100 § 138 Nr 5). Mit dieser Intention ist eine Anrechnung der die normale Witwenrente (Witwerrente) übersteigenden Bezüge auf die Alhi nicht vereinbar. Sie würde dem Zweck, den der Gesetzgeber mit der Fortzahlung des Differenzbetrages zwischen erhöhter und normaler Witwenrente für die Dauer von drei Monaten verfolgt, zuwiderlaufen.
Die Beklagte kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, im Jahre 1986 sei für die mit dem Todesfall eines Versicherten verbundenen Aufwendungen ein sog Sterbegeld gezahlt worden (§§ 201 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) aF; vgl nunmehr § 58 SGB V). Zum einen werden die Beerdigungskosten, wie die Klägerin mit Recht vorbringt, schon lange nicht mehr durch das Sterbegeld gedeckt. Zum anderen resultieren die mit dem Todesfall verbundenen Mehraufwendungen des hinterbliebenen Ehegatten nicht allein aus Beerdigungskosten. Sie können ua aus den Kosten für einen Umzug in eine kleinere und billigere Wohnung erwachsen (BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO). Auch für Mehraufwendungen solcher Art soll die erhöhte Witwenrente einen Ausgleich schaffen.
Für die Auffassung des Senats, daß die erhöhten Bezüge des Sterbevierteljahres als zweckgebundene Leistungen iS des § 138 Abs 3 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einzuordnen sind, spricht des weiteren die Regelung auf anderen Rechtsgebieten, insbesondere im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. So ist die Rente für das Sterbevierteljahr ua von der Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 1270 Reichsversicherungsordnung (RVO) (§ 47 AVG) ausgenommen (Koch/Hartmann ua, aaO, § 47 Anm B 4; Zweng/Scheerer ua, aaO, § 1268 Anm II 4 aE). Darüber hinaus ergreifen die Ruhensvorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 1278, 1279 Abs 1 RVO; §§ 55, 56 Abs 1 AVG) die Rente für das Sterbevierteljahr nicht (§ 1279 Abs 3 RVO, § 56 Abs 3 AVG). Gleiches gilt für das Zusammentreffen von eigener Rente mit Hinterbliebenenrente (§ 1280 RVO, § 57 AVG; vgl hierzu etwa Zweng/Scheerer ua, aaO, § 1268 Anm II 4 aE) sowie für die Anrechnung von Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen (§ 1281 Abs 3 RVO, § 58 Abs 3 AVG). Auch diese Vorschriften beruhen auf der gesetzlichen Erwägung, dem hinterbliebenen Ehegatten die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse zu erleichtern und ihm im Hinblick auf die mit dem Tod des Verstorbenen entstehenden Mehraufwendungen einen pauschalen Ausgleich zugute kommen zu lassen. Ein Alhi-Bezieher, dessen Ehegatte Rentenbezieher war, steht im Sterbevierteljahr vor denselben finanziellen Problemen wie alle anderen hinterbliebenen Ehegatten. Auch ihm muß deshalb der Sterbevierteljahresbonus ohne Anrechnung auf die Alhi zugebilligt werden.
Wie dargelegt, kann der Empfänger zweckgebundener Leistungen iS des § 138 Abs 3 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht dazu angehalten werden, die Leistungen in einem dem Leistungszweck entsprechenden Sinne zu verwenden. Offenbleiben kann mithin, ob die Klägerin, wie sie vorträgt, die erhöhten Bezüge der Witwenrente tatsächlich dazu verwandt hat, um einen mit dem Tod ihres Ehemannes in Zusammenhang stehenden erhöhten Bedarf abzudecken, und ob die durch das Sterbegeld nicht gedeckten Beerdigungskosten, die die Klägerin mit 1.326,49 DM beziffert, den Sterbevierteljahresbonus (908,19 DM) tatsächlich überschritten haben.
Die angefochtenen Bescheide sind somit teilweise rechtswidrig und insoweit aufzuheben, als die Beklagte die der Klägerin bewilligte Alhi für die Monate März bis Mai 1986 um mehr als 454,30 DM monatlich aufgehoben hat.
Damit steht gleichzeitig fest, daß die Erstattungsforderung (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X), die die Beklagte für die Zeit vom 1. 3. bis 31. Mai 1986 - abgesehen von den durch die Bundesversicherungsanstalt f. Angestellte (BfA) erstatteten 302,27 DM - mit 2.300,22 DM angegeben hat, zu hoch angesetzt ist. (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
Fundstellen
Haufe-Index 1455754 |
BSGE, 134 |