Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Mehrfachbeschäftigten iS des AVG § 118 Abs 2 (= RVO § 1396 Abs 2) gehören nur Beschäftigte, die in mehreren Beschäftigungen versicherungspflichtig sind.
2. Übt ein Beamter neben seiner versicherungsfreien Beamtentätigkeit eine entgeltliche Beschäftigung aus, so erstreckt sich die Versicherungsfreiheit als Beamter nicht auf diese Beschäftigung (Fortführung von BSG 1963-12-18 3 RK 99/59 = BSGE 20, 123).
Normenkette
AVG § 6 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23, § 118 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1229 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1396 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Februar 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Beigeladene Dr. v. L S war von 1962 bis 1966 Gerichtsreferendar (Beamter auf Widerruf). Daneben war er während eines Teils der Referendarzeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Juristischen Fakultät der Universität G im Angestelltenverhältnis beschäftigt, und zwar mit Bezügen von anfangs (Oktober 1962) 140 DM, zuletzt (März 1965) 250 DM. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Klägerin und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Göttingen als Beklagte streiten darüber, ob die Beschäftigung des Beigeladenen an der Universität angestelltenversicherungspflichtig war.
Nachdem die Beklagte dies zunächst angenommen hatte, erkannte sie auf den Widerspruch des Beigeladenen Versicherungsfreiheit an: Die Spitzenverbände der beteiligten Versicherungsträger seien übereinstimmend der Auffassung (DOK 1964, 366; 1965, 99), daß nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) Beamte, solange sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet würden, auch in einer Zweitbeschäftigung versicherungsfrei seien (Bescheid vom 9. September 1965). Die BfA, die diese Auffassung nicht teilt, sondern Referendare nur im eigentlichen Ausbildungsverhältnis für versicherungsfrei hält, ist mit der Klage vom Sozialgericht abgewiesen worden (Urteil vom 25. März 1966). Ihre Berufung hatte Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten festgestellt, daß der Beigeladene als wissenschaftliche Hilfskraft der Universität Göttingen angestelltenversicherungspflichtig war: Schon nach dem Gesetzeswortlaut seien Referendare "lediglich" in der ihrer Ausbildung dienenden Beschäftigung versicherungsfrei; außerdem würden sie beim Ausscheiden aus dem Staatsdienst nur mit ihren Referendarbezügen nachversichert; das soziale Schutzbedürfnis erfordere jedoch, ähnlich wie bei vorläufig des Dienstes enthobenen Beamten (BSG 20, 123), daß bei der späteren Rentengewährung auch die Bezüge aus der Nebenbeschäftigung berücksichtigt würden, was nur möglich sei, wenn die Nebenbeschäftigung als versicherungspflichtig angesehen werde (Urteil vom 15. Februar 1967).
Die beklagte AOK hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Ansicht, daß die fragliche Befreiungsvorschrift auch Nebenbeschäftigungen eines Referendars erfasse, zumal solche nur genehmigt würden, wenn sie "ausbildungskonform" seien; deshalb müßten sie dem Ausbildungsverhältnis zugeordnet werden und dessen Versicherungsfreiheit teilen. Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Februar 1967 aufzuheben und die Berufung der BfA gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. März 1966 zurückzuweisen.
Die BfA beantragt unter Bezug auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist unbegründet.
Die klagende BfA konnte den ihr von der Beklagten abschriftlich übersandten Bescheid vom 9. September 1965, in dem einem Widerspruch des Beigeladenen abgeholfen und seine Beschäftigung an der Universität Göttingen für versicherungsfrei erklärt wurde, mit der Aufhebungsklage anfechten (BSG 15, 118, Leitsatz 3). Sie brauchte gegen den Bescheid auch nicht ihrerseits vor Erhebung der Klage Widerspruch einzulegen (§ 81 Nr. 3 SGG). Gegenstand der Aufhebungsklage ist mithin allein dieser Bescheid (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung). Auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage hat das LSG zutreffend bejaht (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Beizutreten ist dem Berufungsgericht ferner darin, daß der angefochtene Bescheid nicht schon wegen Unzuständigkeit der beklagten Krankenkasse rechtswidrig ist. Eine Krankenkasse kann allerdings über die Rentenversicherungspflicht einer Beschäftigung nur entscheiden, wenn sie - bei Versicherungspflicht der Beschäftigung - zugleich die Beiträge vom Arbeitgeber einzuziehen hätte (§ 121 Abs. 1 und 3 AVG). Für Mehrfachbeschäftigte, d.h. für Personen, die im Laufe eines Monats regelmäßig bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt werden (§ 118 Abs. 2 AVG), war die Krankenkasse während der hier maßgebenden Zeit nicht Einzugsstelle der Rentenversicherungsbeiträge; die Beiträge waren vielmehr von den Beschäftigten selbst durch Verwendung von Beitragsmarken zu entrichten (§ 127 Abs. 1 AVG aF). Zu den Mehrfachbeschäftigten im Sinne des § 118 Abs. 2 AVG gehörten und gehören indessen nur Personen, die in ihren mehreren Beschäftigungen versicherungspflichtig sind; denn nur unter dieser Voraussetzung konnten und brauchten die Arbeitgeber durch § 118 Abs. 2 AVG von ihrer aus § 118 Abs. 1 AVG folgenden Verpflichtung entbunden werden, "die Beiträge für versicherungspflichtige Beschäftigte ... zu entrichten". Hier hat die beklagte Krankenkasse den Beigeladenen in seiner Beschäftigung als Referendar zutreffend für versicherungsfrei gehalten (vgl. BSG 20, 244). Eine - die Entscheidungskompetenz der Krankenkasse ausschließende - Mehrfachbeschäftigung des Beigeladenen lag deshalb nicht vor.
Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid die Beschäftigung des Beigeladenen an der Universität zu Unrecht für versicherungsfrei erklärt, wie das LSG richtig entschieden hat. Es hat dabei zutreffend auf ein Urteil des Senats verwiesen, in dem eine Beschäftigung, die ein vorläufig des Dienstes enthobener Beamter aufgenommen hatte, als versicherungspflichtig angesehen worden ist (BSG 20, 123; vgl. ferner BSG 20, 133). Der Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß eine Beschäftigung, die ein Beamter außerhalb seines Beamtenverhältnisses ausübe und die nicht aus anderen Gründen, insbesondere nicht als eine nur gelegentlich oder nebenher verrichtete Beschäftigung versicherungsfrei sei, der Rentenversicherungspflicht unterliege; die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit von Beamten beträfen nur das eigentliche Beamtenverhältnis, nicht eine daneben aufgenommene "private" Beschäftigung; andernfalls wäre der Beamte im Falle des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis nur ungenügend gesichert, da einer Nachversicherung allein die Beamtenbezüge zugrundezulegen seien (Die Entscheidung betraf einen Beamten, der nach § 169 RVO i.V.m. § 1226 Abs. 1 Nr. 1 RVO aF und nach § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO wegen einer ihm gewährleisteten Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung versicherungsfrei war).
Die gleichen Erwägungen gelten für den vorliegenden Fall. Hier hatte der Beigeladene zwar nicht als Beamter auf Lebenszeit nach einer vorläufigen Dienstenthebung, sondern als ein von vornherein nur auf bestimmte Zeit und auf Widerruf angestellter Beamter ein "privates" Beschäftigungsverhältnis aufgenommen. Auch er war jedoch beim Ausscheiden aus dem Referendarverhältnis nur mit dem ihm als Referendar gewährten Unterhaltszuschuß nachzuversichern (§§ 9 Abs. 1 und 2, 124 Abs. 2 AVG). Die aus der Beschäftigung an der Universität bezogene Vergütung würde also, wenn insoweit keine Versicherungs- und Beitragspflicht bestände, bei einer künftigen Rentengewährung ausfallen. Das widerspräche aber dem Schutzzweck der Rentenversicherung. Wie gerade die Neuregelung der Nachversicherung zeigt, die sich seit 1957 nicht mehr auf Beamte beschränkt, die "in Ehren" aus ihrem Dienstverhältnis ausscheiden (vgl. früher § 1242 a Abs. 1 RVO i.d.F. der Verordnung vom 17. März 1945), sollen sie für den Fall der Nachversicherung den übrigen Versicherten grundsätzlich gleichstehen. Dazu gehört, daß auch Verdienste aus einer zweiten oder einer weiteren Beschäftigung wie bei den übrigen Versicherten für die Rentenberechnung berücksichtigt werden. Um dies sicherzustellen, kann es nicht darauf ankommen, ob der Eintritt der Nachversicherung bei dem einzelnen Beamten aus tatsächlichen Gründen mehr oder minder wahrscheinlich ist. Auch bei Beamten, bei denen die Möglichkeit einer Nachversicherung fern liegt, gelten deshalb für eine Zweitbeschäftigung die allgemeinen Vorschriften über die Versicherungspflicht.
Daran ändert nichts, daß sie in ihrem Beamtenverhältnis - bis zum Eintritt der Nachversicherung - versicherungsfrei sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AVG). Diese Regelung soll lediglich verhindern, daß in den Regelfällen, in denen keine Nachversicherung stattfindet, eine Doppelversorgung durch Gewährung von Rente und Ruhegehalt erfolgt. Ihr kann dagegen nicht entnommen werden, der Gesetzgeber habe Beamte schlechthin für nicht schutzbedürftig gehalten, wie dies früher in der Tat für Angestellte zutraf, die mit ihrem Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze lagen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG aF); sie wurden deshalb vom ehemaligen Reichsversicherungsamt mit Recht auch in einer Zweitbeschäftigung als versicherungsfrei angesehen (Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5592, AN 1945, S. II 6).
Auch der Beigeladene war somit nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG ("Versicherungsfrei sind Beamte ... der Länder ..., solange sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden") nur für die Zeit seiner Referendarausbildung und nur in seiner Eigenschaft als Widerrufsbeamter, nicht dagegen in der daneben ausgeübten Beschäftigung an der Universität versicherungsfrei. Daß diese Beschäftigung keine (versicherungsfreie) Nebenbeschäftigung im Sinne des § 4 Abs. 2 AVG war, ergibt sich schon aus ihrer Dauer und der Höhe der gezahlten Vergütung; in beiden Beziehungen wurden die insoweit in § 4 Abs. 2 AVG festgelegten Grenzwerte erheblich überschritten. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann die Beschäftigung des Beigeladenen auch nicht wegen eines inneren Zusammenhangs mit der Referendarausbildung dieser zugeordnet werden. Daß der Dienstherr sie als "ausbildungskonform" genehmigt hatte, machte sie noch nicht zu einem Teil der Referendarausbildung; dazu gehören nur die in der Ausbildungsordnung ausdrücklich als solche vorgesehenen "Ausbildungsstationen".
Die beklagte Krankenkasse hat mithin die Beschäftigung des Beigeladenen an der Universität Göttingen irrtümlich für versicherungsfrei gehalten. Das Berufungsgericht hat ihren Bescheid auf die Klage der BfA mit Recht aufgehoben und insoweit Versicherungspflicht des Beigeladenen festgestellt. Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 707746 |
BSGE, 66 |