Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 09.03.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. März 1990 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Die am 23. August 1958 geborene Klägerin absolvierte vom 1. August 1975 bis zum 31. Juli 1978 eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. Nach deren erfolgreichem Abschluß war sie vom 1. August 1978 bis zum 30. September 1984 und vom 1. Juli 1985 bis zum 30. September 1986 als Zahntechnikerin beschäftigt. Vom 19. Mai 1986 bis zum 25. Juli 1987 war die Klägerin arbeitunfähig krank und erhielt Krankengeld bzw Übergangsgeld. In der Zeit vom 5. Mai 1987 bis zum 2. Juni 1987 wurde eine von der Beklagten als medizinische Maßnahme zur Rehabilitation gewährte Heilbehandlung der Klägerin in den Kliniken am B… in Bad S… durchgeführt.
Ihren Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bzw BU vom 19. August 1987 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 1987 ab.
Ihre Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 13. April 1989 abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 9. März 1990 das Urteil des SG aufgehoben, den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 1987 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. September 1987 Rente wegen BU zu gewähren.
Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Das Leistungsvermögen der Klägerin sei durch Gesundheitsstörungen auf internistischem und auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet derart eingeschränkt, daß sie lediglich noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen fortgesetzt sowie leichte Arbeiten im Stehen mit Unterbrechungen vollschichtig verrichten könne. Dabei seien Tätigkeiten ausgeschlossen, die mit Heben oder Tragen schwerer Lasten, mit Kontakten mit Allergenen und mit Gefährdung durch Atemwegsreizstoffe verbunden seien. Es seien keine Tätigkeiten ersichtlich, auf die die Klägerin verwiesen werden könne. Auch die Tätigkeit einer Telefonistin sei ihr sozial nicht zumutbar, da sie sich nicht auf der Anlernebene befände. Die Tätigkeit stelle keinen anerkannten Ausbildungsberuf dar. Sie erfordere auch keine betriebliche Ausbildung von mindestens drei Monaten, sondern könne ohne Vorkenntnisse in weniger als drei Monaten erlernt werden. In der Regel seien zum Erwerb der Kenntnisse über die Bedienung der Telefonanlage und über die Fernsprechstellen des jeweiligen Betriebes lediglich wenige Tage erforderlich. Die Tätigkeit einer Telefonistin sei auch nicht wegen ihrer Qualität einem sonstigen Ausbildungsberuf gleichzustellen, obwohl diese Tätigkeit im öffentlichen Dienst – nach der Einarbeitungszeit – nach Vergütungsgruppe VIII Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und damit tariflich höher als einfachste Bürohilfstätigkeiten (BAT IX) eingestuft sei. Damit sei eine Gleichstellung mit einem sonstigen Ausbildungsberuf (staatlich anerkannte Berufsausbildung mit einer Dauer bis zu zwei Jahren) nicht erfolgt. Entscheidend für die Wertigkeit einer Tätigkeit sei nicht allein die Höhe der Entlohnung, sondern der aus den tariflichen Tätigkeitsmerkmalen und dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages zu entnehmende qualitative Wert. Aus dem BAT Teil II, Abschnitt P, II. (Angestellte im Fernmeldebetriebsdienst) ergäben sich keine tariflichen Tätigkeitsmerkmale für Telefonistinnen der Vergütungsgruppe VIII. In diese Vergütungsgruppe würden alle Telefonistinnen eingestuft, soweit sie nicht anderweitig eingruppiert seien. Die einzige Voraussetzung für den Zugang zu dieser Vergütungsgruppe sei, daß die Einarbeitungszeit, die sechs Monate nicht überschreiten solle, zurückgelegt worden sei. Telefonistinnen während der Einarbeitungszeit würden in die Vergütungsgruppe IXb eingestuft. Aus dem BAT ließen sich keine Tätigkeitsmerkmale entnehmen, die den Schluß auf eine Gleichstellung mit einem sonstigen Ausbildungsberuf nahelegten. Abzustellen sei bei der Beurteilung der Wertigkeit der Tätigkeit auf das Maß der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten und die Dauer und den Umfang der Ausbildung. Die Dauer und der Umfang der Ausbildung seien als gering einzustufen und besondere Kenntnisse und Fähigkeiten seien nicht erforderlich. Obwohl ein gewisses Maß an geistiger Beweglichkeit, Umsicht und Geschick notwendig sei, um diese Tätigkeit sachgerecht ausüben zu können, höben derartige Fähigkeiten die Tätigkeit einer Telefonistin nicht über die einfachen Bürohilfstätigkeiten hinaus.
Die Rente sei auf Dauer zu leisten. Eine Zeitrente komme nicht in Betracht. Die Rente wegen BU sei nur dann auf Zeit zu gewähren, wenn begründete Aussicht bestehe, daß die BU in absehbarer Zeit behoben sein könne oder wenn die BU nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Berechtigten beruhe. Es bestehe keine begründete Aussicht, daß sich der Gesundheitszustand der Klägerin in absehbarer Zeit verbessere und dadurch die BU aufgehoben werde. Die BU beruhe allein auf dem Gesundheitszustand der Klägerin und nicht auf der Situation auf dem Arbeitsmarkt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten.
Die Beklagte rügt eine Verletzung der §§ 1246 Abs 2 Satz 2 und 1276 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie als Verfahrensmängel die unzureichende Begründung des Urteils (§ 136 Abs 1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und eine Verletzung der §§ 128 Abs 2, 62 und 103 SGG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts vom 9. März 1990 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil zu ändern und der Klägerin eine Zeitrente für die Dauer von drei Jahren zu gewähren,
weiter hilfsweise,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die Feststellungen des LSG reichen für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits nicht aus. Für den Anspruch auf Rente wegen BU sind die Voraussetzungen des § 1246 Abs 1 RVO insoweit erfüllt, als die Klägerin im Zeitpunkt des vom LSG angenommenen Versicherungsfalles – August 1987 – die Wartezeit von 60 Monaten zurückgelegt hat und bezogen auf diesen Zeitpunkt auch eine versicherungspflichtige Tätigkeit iS von § 1246 Abs 2a RVO vor Eintritt der BU zuletzt ausgeübt worden ist. Nach den Feststellungen des LSG kann die Klägerin seit diesem Zeitpunkt auch ihren bisherigen und zuletzt ausgeübten Beruf als Zahntechnikerin aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter ausüben.
Nicht abschließend entscheiden läßt sich aber, ob die Voraussetzungen des § 1246 Abs 2 RVO erfüllt sind. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Verweisungstätigkeiten). Die Verweisungstätigkeiten stehen dabei in einer Wechselwirkung zum bisherigen Beruf. Von diesem aus bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen.
Hierzu hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in verschiedene “Leitberufe” untergliedert, nämlich diejenigen des “Vorarbeiters mit Vorgesetztenfuntkion” bzw des “besonders hoch qualifizierten Facharbeiters”, des “Facharbeiters” (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des “angelernten Arbeiters” (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des “ungelernten Arbeiters” (zu diesem “Mehrstufenschema” vgl im übrigen etwa BSG Urteil vom 7. August 1986 – 4a RJ 73/84 – SozR 2200 § 1246 Nr 138; Urteil des Senats vom 9. September 1986 – 5b RJ 82/85 – SozR aa0 Nr 140). Grundsätzlich darf der Versicherte lediglich auf Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe im Verhältnis zu seinem bisherigen Beruf verwiesen werden, soweit sie ihn weder nach seinem beruflichen Können und Wissen noch hinsichtlich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern (BSG Urteil vom 24. März 1983 – 1 RA 15/82 – BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr 107). Ausgehend von ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als Zahntechnikerin, dh Facharbeiterin iS der oa Rechtsprechung, ist die Klägerin danach zum einen auf Tätigkeiten verweisbar, die zu den sonstigen, staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehören oder eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern. Eine Tätigkeit, die diesen Voraussetzungen genügt, kann die Klägerin nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nicht mehr verrichten.
Der Kreis der in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten ist damit aber nicht abschließend umschrieben. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß das Mehrstufenschema, soweit es auf die Ausbildungsdauer abstellt, nur sog Leitberufe bezeichnet. Diese durch die Ausbildungsdauer charakterisierten Leitberufe sind solchen Berufen qualitativ gleichwertig, die von den Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag durch die tarifliche Einstufung gleichgestellt sind (vgl BSGE 41, 129, 133 = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR 2200 § 1246 Nrn 29, 111, 149, zuletzt Senatsurteile vom 14. Mai 1991, 5 RJ 82/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen – und 5 RJ 59/90). Der durch die tarifvertragliche Einstufung einer Tätigkeit vermittelte qualitative Wert im Sinne des Mehrstufenschemas haben dabei für die bisherige Berufstätigkeit und die in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten dieselbe Bedeutung. In der Rechtsprechung zur Bedeutung der Einstufung einer Tätigkeit durch die Tarifvertragsparteien wird für die qualitative Gleichstellung einer tarifvertraglich erfaßten Tätigkeit zu dem der Tarifgruppe entsprechenden Leitberuf dabei nicht die Feststellung von positiven Qualitätsmerkmalen gefordert. Die Rechtsprechung hat der tarifvertraglichen Einstufung einer Tätigkeit maßgebliche Bedeutung auch für die Beurteilung des qualitativen Werts der Tätigkeit beigemessen, weil die Tarifvertragsparteien die Bedeutung einer Tätigkeit, dh ihre Qualität im Sinne von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO, regelmäßig besser beurteilen können, als dies der Verwaltung oder Rechtsprechung möglich ist. Die tarifvertragliche Einstufung einer Tätigkeit ist deshalb in der Regel maßgebend für den qualitativen Wert dieser Tätigkeit im Sinne des Mehrstufenschemas, soweit nicht qualitätsfremde Merkmale für die tarifvertragliche Einstufung maßgebend gewesen sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 129, Nr 140 und zuletzt Senatsurteil vom 14. Mai 1991 5 RJ 82/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen –).
Diese Grundsätze der Rechtsprechung hat das LSG verkannt, soweit es die Tätigkeit einer Telefonistin im öffentlichen Dienst, die in die Vergütungsgruppe VIII BAT eingestuft ist, als Verweisungstätigkeit für die Klägerin objektiv für unzumutbar hält. Die Tätigkeiten, die in der Vergütungsgruppe VIII BAT aufgeführt sind, sind einem Facharbeiter grundsätzlich zumutbar, denn es handelt sich nach den für diese Vergütungsgruppe aufgestellten Tätigkeitsmerkmalen grundsätzlich um Tätigkeiten, die zumindest eine Anlernzeit von mehr als drei Monaten erfordern. Die Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VIII BAT sind zwar in der Anlage 1a zum BAT nicht in der Form beschrieben, daß allgemein Tätigkeiten aufgeführt werden, die eine bestimmte Ausbildungsdauer voraussetzen. Nach dem (allgemeinen) Teil I der Anlage 1a – Anhang B – zum BAT erfordert die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe VIII BAT schwierigere, also nicht mehr einfachere Tätigkeiten. Eine schwierigere Tätigkeit muß als an den einfacheren Arbeiten der Vergütungsgruppe IXb BAT gemessen und im Verhältnis dazu gesehen werden (Bundesarbeitsgericht ≪BAG≫, Arbeitsrechtliche Praxis – AO-Nr 20 zu §§ 22, 23 BAT). Die zur Vergütungsgruppe VIII aufgeführten Tätigkeitsmerkmale (Mitwirkung bei der Bearbeitung laufender oder gleichartiger Geschäfte nach Anleitung, Entwürfe von dabei zu erledigenden Schreiben nach skizzierten Angaben; Erledigung von ständig wiederkehrenden Arbeiten in Anlehnung an ähnliche Vorgänge, auch ohne Anleitung; Führung von nach technischen oder wissenschaftlichen Merkmalen geordneten Karteien sowie von solchen Karteien, deren Führung die Kenntnisse fremder Sprachen voraussetzt; Kontenführung), zeigen aber, daß nach der Bezeichnung nur Tätigkeiten erfaßt sind, die eine längere Anlernzeit voraussetzen. Im fernmeldetechnischen Dienst (Teil II P 1) sind in die Vergütungsgruppe VIII “Angestellte mit Lehrabschlußprüfung in einem einschlägigen Lehrberuf, die Anlagen oder Einrichtungen der Fernmeldetechnik selbständig bedienen, prüfen und instandhalten”, eingestuft, dh Angestellte, die in einem Teilbereich ihres erlernten Berufs tätig sind, Angestellte, die umfassend in ihrem erlernten Beruf tätig sind, die Anlagen oder Einrichtungen der Fernmeldetechnik unterhalten, prüfen, instandhalten oder instandsetzen”. Dementsprechend hat das BSG auch für einen Angestellten mit mehr als zweijähriger Ausbildung die in die Vergütungsgruppe VIII BAT eingestufte Tätigkeit eines Pförtners für zumutbar gehalten (vgl BSG, Urteil vom 2. Dezember 1987 – 1 RA 11/86 – = D AngVers 1988 S 426). Das LSG ist demgegenüber davon ausgegangen, daß die Tätigkeit einer Telefonistin schon deshalb unzumutbar ist, weil die Tätigkeit in weniger als drei Monaten erlernt, regelmäßig sogar nach wenigen Tagen ausgeübt werden kann. Das LSG unterstellt anscheinend auch, daß die Vergütungsgruppe VIII BAT an sich Verweisungstätigkeiten umfaßt, die zumutbar sind. Die Tätigkeit einer Telefonistin hält es dennoch für unzumutbar, weil es die tarifvertragliche Einstufung dieser Tätigkeit nicht als auf Qualitätsmerkmalen gegründet ansieht. Das LSG berücksichtigt damit nicht, daß die qualitative Gleichstellung schon durch die entsprechende tarifvertragliche Einstufung gerechtfertigt ist und keiner zusätzlichen positiven Bestätigungsmerkmale bedarf. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß für die Einstufung der Telefonistin in die Vergütungsgruppe VIII BAT solche qualitätsfremden Merkmale maßgebend gewesen sind, wie sie die Rechtsprechung bisher anerkannt hat (vgl dazu Senatsurteil vom 14. Mai 1991 – 5 RJ 82/89 –). Die Tätigkeit einer Telefonistin ist danach grundsätzlich eine Tätigkeit, die einer Facharbeiterin als Verweisungstätigkeit qualitativ zumutbar ist, wenn die Telefonistin innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten nach der Vergütungsgruppe VIII entlohnt wird.
Abschließend entscheiden kann der Senat den vorliegenden Rechtsstreit dennoch nicht. Anders als in dem im Urteil des 1. Senats des BSG vom 2. Dezember 1987 aaO entschiedenen Fall übt hier die Klägerin die nach BAT VIII entlohnte Tätigkeit nicht aus. Insoweit hat das LSG zutreffend schon darauf hingewiesen, daß die Vergütung nach der Vergütungsgruppe VIII BAT für Telefonisten nicht die Eingangsvergütung ist. Während der Einarbeitungszeit werden Telefonisten in die Vergütungsgruppe IX BAT eingestuft (vgl BAT Anhang B Anlage 1a Teil II Vergütungsgruppe IX b). Die Einarbeitungszeit soll nicht länger als 6 Monate dauern. Tätigkeiten der Vergütungsgruppe IX BAT sind Facharbeitern nicht zumutbar, denn diese Tätigkeiten können Anlerntätigkeiten nicht gleichgestellt werden. Die allgemeinen Merkmale dieser Vergütungsgruppe lassen nicht den Schluß zu, daß es sich um Tätigkeiten handelt, die eine echte Anlernzeit von mehr als drei Monaten erfordern. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 27. April 1977 (5 RJ 148/76 – SozR 2200 § 1246 Nr 17) davon ausgegangen ist, daß die in die Vergütungsgruppe IX BAT eingruppierte Tätigkeit eines Pförtners für einen Facharbeiter eine sozial zumutbare Verweisungstätigkeit sei, hält er an dieser Rechtsprechung nicht fest. Auch der 4. Senat des BSG ist schon in der Entscheidung vom 21. April 1982 (4 RJ 27/81 – BSGE 53, 221 = SozR 2200 § 1286 Nr 11) davon ausgegangen, daß eine in die Vergütungsgruppe IX BAT eingestufte Tätigkeit keine zumutbare Verweisungstätigkeit für einen Facharbeiter ist. Das LSG wird zu prüfen haben, für welchen Zeitraum Telefonisten regelmäßig in die Vergütungsgruppe IX BAT eingestuft bleiben. Sollte im öffentlichen Dienst die Einstufung der Telefonisten in die Vergütungsgruppe IXb BAT regelmäßig länger als drei Monate dauern, so ist – unabhängig von der konkret notwendigen Einarbeitungszeit im Einzelfall – die Tätigkeit einer Telefonistin im öffentlichen Dienst der Klägerin nicht zumutbar.
Das LSG wird ggf weiter zu prüfen haben, ob Telefonisten nicht auch im Bereich der Wirtschaft tarifvertraglich den sonstigen Ausbildungsberufen im Sinne der Rechtsprechung des BSG gleichgestellt sind. Bisher hat das LSG, von seinem Standpunkt aus zu Recht, auch keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen die Tätigkeit einer Telefonistin verrichten kann.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG im Fall einer Rentengewährung zu beachten haben, daß die Gewährung lediglich einer Rente auf Zeit nach § 1276 RVO dann geboten ist, wenn begründete Aussicht besteht, daß die BU in absehbarer Zeit behoben sein wird. Unerheblich ist dabei, auf welchen Gründen der zu erwartende Fortfall der BU beruht. Es geht auch schon aus dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 12. Februar 1981 (4 RJ 3/80 – SozR 2200 § 1276 Nr 4) hervor, daß die Zeitrentengewährung nicht nur dann in Betracht kommt, wenn gesundheitliche Gründe den Wegfall der BU erwarten lassen. Die Gewährung einer Rente auf Zeit ist deshalb nicht nur dann geboten, wenn zu erwarten ist, daß die gesundheitlichen Verhältnisse, die die Gewährung einer BU-Rente begründen, sich ändern. Auch die zu erwartende Behebung der BU wegen erfolgreich abgeschlossener berufsfördernder Rehabilitationsmaßnahmen fällt in den Anwendungsbereich des § 1276 Abs 1 RVO.
Unzutreffend ist allerdings die von der Beklagten geäußerte Ansicht, allein wegen des jugendlichen Alters der Klägerin und der Möglichkeit, ihr auch berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahmen zu gewähren, dürfe allenfalls eine Verpflichtung zur Gewährung einer Rente auf Zeit nach § 1276 RVO ausgesprochen werden. Die bloße Möglichkeit, berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahmen zu bewilligen und durchzuführen, ist keine begründete Aussicht, daß die bestehende BU entfallen wird. Falls die Beklagte der Ansicht ist, daß derartige Rehabilitationsmaßnahmen möglich und geboten sind und auch mit hinreichender Aussicht auf Erfolg zum Wegfall der BU führen werden, hat sie das hinreichend konkret – zB in Bezug auf die geplante Maßnahme – darzulegen. Der Senat verkennt dabei nicht, daß die Zuständigkeit der Beklagten für die Gewährung von berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation gegenüber der für die Gewährung von medizinischen Maßnahmen zur Rehabilitation eingeschränkt ist. Nach § 1236 Abs 2 2. Halbsatz RVO ist die Beklagte für berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation nur zuständig, wenn entweder eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt ist – was bei der Klägerin nicht der Fall ist – oder der Betreffende Rente wegen BU oder EU bezieht. Für die Klägerin sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation durch die Beklagte deshalb dann nicht erfüllt, wenn sie nicht berufsunfähig ist. Da die Beklagte bei der Klägerin BU verneint, kann sie von ihrem Standpunkt aus berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation während des Verwaltungs- bzw Gerichtsverfahrens über den Rentenanspruch nicht anbieten. Auch in einem solchen Fall muß die Beklagte aber die berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahmen, die für den Fall der BU in Betracht kommen, aufzeigen, damit das LSG prüfen kann, ob insoweit eine begründete Aussicht auf Wegfall der BU besteht. Es besteht kein Erfahrungssatz des Inhalts, daß bei Versicherten unterhalb eines bestimmten Alters immer die begründete Aussicht gegeben ist, BU werde durch berufsfördernde Rehabilitationsleistungen beseitigt werden.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1058860 |
NZA 1992, 575 |