Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenbeihilfe. schädigungsbedingte Minderung der Gesamtversorgung. Einbezug von Betriebs- oder Zusatzrenten bei der Ermittlung der fiktiven Hinterbliebenenversorgung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Feststellung, ob die Gesamtversorgung der Witwe schädigungsbedingt um den erforderlichen Vomhundertsatz gemindert ist (§ 48 Abs 1 S 1 BVG), sind neben der Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch alle sonstigen Witwenversorgungsbezüge in den Vergleich der tatsächlichen mit der hypothetischen Witwenversorgung einzubeziehen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn ein solcher umfassender Vergleich – zB mangels Feststellbarkeit einer hypothetischen Zusatzversorgung – nicht möglich ist.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BVG § 48 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Witwenbeihilfe gemäß § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Der im Januar 1920 geborene und im Mai 1989 schädigungsunabhängig verstorbene Ehemann der Klägerin (M) bezog zuletzt ua wegen Hirnverletzung mit erheblichem Knochendefekt an der rechten Stirnseite und Hirnleistungsschwäche eine Beschädigtengrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH. Vor dem Krieg war er Werkstattschreiber, danach von 1946 bis März 1982 Sachbearbeiter bei der Handwerkskammer Reutlingen in Vergütungsgruppe (VGr) Vc Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT). Anschließend bezog er wegen anerkannter Schwerbehinderung von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vorgezogenes Altersruhegeld und Versorgungsleistungen von der Zusatzversorgungskasse des Kommunalen Versorgungsverbandes Baden-Württemberg (ZVK). Die Klägerin bezieht dementsprechend seit 1. Juni 1989 Witwenrente und Hinterbliebenenversorgungsleistungen von der ZVK.
Im September 1989 beantragte sie Hinterbliebenenleistungen nach dem BVG. Die vom Beklagten eingeholten Arbeitgeberauskünfte ergaben, daß M ab 1. Oktober 1977 die Stelle des Abteilungsleiters der Handwerksrolle nach VGr IVa BAT angeboten worden war mit der Möglichkeit der Einstufung in VGr III BAT ab 1. Januar 1981. Nach längerer Bedenkzeit hatte er dieses Angebot jedoch wegen der Schädigungsfolgen (Konzentrations- und Gedächtnisschwäche) ausgeschlagen. Mit Bescheid vom 19. Juni 1991 lehnte der Beklagte die Gewährung von Witwenbeihilfe ab. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Baden-Württemberg vom 16. September 1992).
Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Witwenbeihilfe zu gewähren (Urteil vom 23. April 1993). Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Baden-Württemberg vom 19. Oktober 1995). In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat das LSG ausgeführt: Zwar sei die von der Vorinstanz zugrunde gelegte Rechtsvermutung des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG nicht einschlägig, weil es nicht offenkundig gewesen sei, daß M mindestens fünf Jahre lang vor seinem Tod Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt habe. Jedoch sei der Anspruch auf Witwenbeihilfe gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 BVG begründet, weil der Verstorbene wegen der Schädigungsfolgen ein Jahr früher aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und am beruflichen Aufstieg zum Abteilungsleiter ab 1. Oktober 1977 gehindert gewesen sei. Diese Umstände hätten dazu geführt, daß anstelle einer fiktiven Hinterbliebenenversorgung der Klägerin in Höhe von 2.261,23 DM (bei Berücksichtigung sowohl der fiktiven Witwenrente als auch der fiktiven Zusatzversorgung der ZVK) die reale Versorgung im September 1989 nur 1.650,60 DM betragen habe; dies komme einer Minderung um 27 % gleich.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG. Die Minderung der Hinterbliebenenversorgung der Witwe sei nicht anhand der Gesamtversorgung, sondern ausschließlich anhand der Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermitteln. Die Gesamtversorgung sei von Belang nur für den Vergleich der tatsächlichen Witwenversorgung mit dem Bemessungsbetrag des § 33 Abs 1 Buchst a BVG und somit für die Ermittlung des maßgeblichen Vomhundertsatzes, um den die Witwenversorgung schädigungsbedingt gemindert sein müsse (Tabelle in der linken Spalte des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG). Eine pauschalierte Werteinheitenberechnung habe eine Minderung der Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung von lediglich 6,7 %, eine fiktive Rentenberechnung der BfA eine Minderung nur um 2,6 % ergeben, so daß der niedrigste Vomhundertsatz (10 vH) des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG nicht erreicht werde. Für die Zugrundelegung nur der Versichertenrente bei der Ermittlung des Ausmaßes der Versorgungsminderung spreche auch § 48 Abs 1 Satz 2 BVG. Diese Bestimmung nehme nämlich lediglich auf rentenversicherungsrechtliche Vorschriften Bezug. Außerdem entspreche das Abstellen allein auf die Minderung der Versicherten-Witwenrente dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Soziales (BMA) vom 11. März 1987 – VI a 1-53073 (vgl BABl 5/1987, 58 = Schönleiter, Handbuch der Bundesversorgung, Nr 18 zu § 48 BVG). In vielen Fällen sei es nicht möglich festzustellen, welche Betriebsrente oder Zusatzversorgung der verstorbene Beschädigte ohne die Schädigung erreicht hätte. Die Einbeziehung von Betriebs- oder Zusatzrenten bei der fiktiven Berechnung könne sich zudem in bestimmten Fällen auch nachteilig für die Hinterbliebenen des Beschädigten auswirken.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. April 1993 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Oktober 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 BVG Anspruch auf Witwenbeihilfe.
Mit Recht hat das Berufungsgericht zunächst geprüft, ob die begehrte Leistung nicht schon nach § 48 Abs 1 Satz 2 BVG aF (seit 1. April 1990 Satz 6) zu gewähren war. Danach gelten die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG als erfüllt, wenn der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSchA) hatte. Diese (unwiderlegliche) gesetzliche Vermutung dient der Beweiserleichterung und der Verwaltungsvereinfachung (vgl BSG SozR 3-3100 § 48 Nr 6). Es ist daher sinnvollerweise vorrangig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Vermutungstatbestandes (heute § 48 Abs 1 Satz 6 BVG) vorliegen (vgl SozR 3-3642 § 8 Nr 5, S 12). Diese sind allerdings nur erfüllt, wenn bereits nach dem Inhalt der ü b e r d e n B e s c h ä d i g t e n geführten Versorgungsakten – auf den ersten Blick für jeden Kundigen klar ersichtlich – fünf Jahre lang Anspruch auf BSchA bestanden hat (vgl BSG SozR 3100 § 48 Nrn 15, 16; SozR 3-3100 § 48 Nrn 1 bis 4, 6 und SozR 3-3642 § 8 Nr 5; vgl auch Urteil vom 10. Februar 1993 – 9/9a RV 4/92 –). Dagegen reicht es nicht aus, wenn erst im (erfolglosen) Verfahren über den Antrag auf Witwenbeihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG Tatsachen festgestellt werden, die einen entsprechenden Anspruch des verstorbenen Beschädigten begründet hätten. So liegt der Fall aber hier. Der verstorbene Ehemann der Klägerin hatte zu Lebzeiten weder BSchA bezogen noch einen solchen beantragt. Auch sonstige Umstände, die klar für einen solchen Anspruch sprächen, gehen nicht schon aus den Beschädigtenakten, sondern erst aus den Witwenakten hervor.
Das LSG hat jedoch zutreffend den Anspruch der Klägerin auf Witwenbeihilfe bejaht (§ 48 Abs 1 Satz 1 BVG hier idF des 15. Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung ≪AnpG-KOV≫ vom 23. Juni 1986 – BGBl I, S 915, für die Zeit ab 1. April 1990 idF des KOV-Strukturgesetzes ≪KOVStruktG≫ vom 23. März 1990 – BGBl I, S 582). Nach dieser Vorschrift ist Witwenbeihilfe zu zahlen, wenn der rentenberechtigte Beschädigte durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, und dadurch die aus der Ehe mit dem Beschädigten hergeleitete Witwenversorgung (vor dem 1. April 1990: „Hinterbliebenenversorgung”) insgesamt um mindestens 10 bis 15 vH gemindert ist. Welcher Vomhundertsatz maßgeblich ist, richtet sich danach, in welchem Verhältnis die „abgeleitete” Witwenversorgung zu dem in § 33 Abs 1 Buchst a BVG genannten Bemessungsbetrag steht (vgl § 48 Abs 1 Satz 1 „linke Spalte” BVG). Die Neufassung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG durch das KOV-StruktG hat keine für den hier zu entscheidenden Fall erhebliche Änderung mit sich gebracht. Die Voraussetzungen der fraglichen Norm sind hier erfüllt.
Nach den von der Revision unangegriffenen und damit für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG), ist der verstorbene Ehegatte der Klägerin wegen der Schädigungsfolgen als Schwerbeschädigter (§ 31 Abs 3 BVG) bereits am 31. März 1982 vor Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Ferner ist durch das LSG bindend festgestellt, daß M ohne die Schädigungsfolgen ab 1. Oktober 1977 Abteilungsleiter geworden wäre und sich sein Gehalt bis Dezember 1980 nach VGr IVa BAT und ab Januar 1981 nach VGr III BAT bemessen hätte. Diese Umstände waren – wie das LSG weiter bindend festgestellt hat – wesentliche Ursache dafür, daß sich die Gesamtwitwenversorgung der Klägerin um 27 vH, also um weit mehr als um den höchsten nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG erforderlichen Vomhundertsatz (15 vH) gemindert hat.
Nicht zu folgen ist der Ansicht des Beklagten, die Gesamtversorgung sei nur bei der Feststellung des maßgeblichen Vomhundertsatzes für die Minderung der Witwenversorgung (§ 48 Abs 1 Satz 1 BVG „linke Spalte”) zu berücksichtigen, nicht jedoch bei der Feststellung der Rentenminderung selbst (§ 48 Abs 1 Satz 1 BVG „rechte Spalte”). Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des § 48 BVG, der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der vom BMA erlassenen Verwaltungsvorschrift (VV) Nr 4 zu § 48 BVG sowie den bis 1986 zu dieser Bestimmung ergangenen Rundschreiben des BMA. Die Auffassung des Beklagten würde zu einer Benachteiligung der Hinterbliebenen mit Zusatzversorgungsansprüchen gegenüber den Hinterbliebenen ohne solche Ansprüche führen und wäre im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz) verfassungsrechtlich bedenklich, weil sie ohne sachlichen Grund die Hinterbliebenen von Angestellten mit Anspruch auf Leistungen der Zusatzversorgung gegenüber den Hinterbliebenen vergleichbarer Beamter schlechterstellt.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 16. März 1982 (SozR 3100 § 48 Nr 8, S 19) entschieden, daß die „nicht unerhebliche” Beeinträchtigung iS der damals noch gültig gewesenen Fassung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG an der Hinterbliebenenversorgung in ihrer Gesamtheit zu messen sei. Diese Versorgung dürfe nicht etwa auf Härtefälle oder auf die Höhe von Sozialversicherungsrenten oder Beamtenpensionen beschränkt werden (vgl BSG aaO; BSG SozR 3100 § 48 Nr 10, S 23 aE und SozR 3100 § 48 Nr 12, S 30). In seinem Urteil vom 19. März 1986 (SozR 3100 § 48 Nr 13) hat der 9a-Senat erneut den Gesamtversorgungsmaßstab des § 48 BVG betont (vgl BSG aaO; S 37) und darauf hingewiesen, daß die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 48 BVG nach ihrem Sinn und Zweck nur wirtschaftlich zu verstehen seien. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers solle (nur) diejenige Witwe in den Genuß der Witwenbeihilfe gelangen, die eine finanzielle Schlechterstellung in der Hinterbliebenenversorgung durch die Schädigung ihres Ehemannes in Kauf nehmen müsse. Die ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich erzielte Hinterbliebenenversorgung sei an der tatsächlichen Gesamtversorgung zu messen. Zur Ermittlung des Schadens müßten die laufenden Versorgungseinkünfte der Witwe seit dem Tod ihres Ehemannes dem jeweiligen Einkommen gegenübergestellt werden, das sie als Witwe hätte, falls der Verstorbene seinen vor oder nach der Schädigung erlernten und/oder ausgeübten Beruf in vollem Umfang hätte ausüben können. Deshalb sei auch eine berufliche Betätigung der Beschädigten, die sich auf die Gesamtversorgung der Witwe günstig auswirke, zu berücksichtigen. Die vergleichende Gegenüberstellung der Einkünfte erstrecke sich deshalb nicht nur auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch auf eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, denn beide Bezüge seien der Gesamtversorgung der Witwe zuzurechnen.
Diesen Grundsätzen widerspricht es, wenn der Beklagte die Minderung der Hinterbliebenenversorgung allein anhand einer oder mehrerer Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung feststellt. Der Grundgedanke des § 48 Abs 1 BVG, das Ausmaß, in dem sich die gesamte Versorgungslage der Witwe schädigungsbedingt verschlechtert hat, zum Maßstab für den Anspruch auf Witwenbeihilfe zu nehmen, wird dadurch verfälscht. Richtigerweise sind vielmehr sonstige Versorgungsansprüche der Witwe aus der abhängigen Beschäftigung des verstorbenen Beschädigten – wie Betriebsrenten oder Pensionen – grundsätzlich in die Beurteilung, wie stark sich die Versorgung der Witwe schädigungsbedingt gemindert hat, so weit wie möglich einzubeziehen (vgl insoweit auch die Beachtlichkeit dieser Versorgungsleistungen im Rahmen des eherechtlichen Versorgungsausgleichs zB in § 1587a Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Insbesondere gilt das auch für eine Hinterbliebenenzusatzversorgung aus einer Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes, wie sie hier der Klägerin zusteht. Wie die Versichertenrente hat eine derartige Leistung Unterhaltsersatzfunktion und bestimmt die wirtschaftliche Lage der Witwe mit. Sie ergänzt – wirtschaftlich gesehen – den Hinterbliebenenrentenanspruch der Witwe bis zur Höhe des Witwengeldanspruchs, den die Witwe gehabt hätte, wäre der verstorbene Beschädigte Beamter gewesen. Denn die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes wurde zu dem Zweck geschaffen, die Leistungen, die dieser Personenkreis aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, aufzustocken und damit in Richtung auf die allgemeine Höhe der Beamtenversorgung anzuheben (vgl Kleeberger, Das Satzungsrecht der kommunalen Zusatzversorgungskassen, Kommentar, 2. Aufl 1987 Teil A: Einführung, S 2; Berger/Kiefer, Das Versorgungsrecht für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes I, Teil B 5 vor § 1). Die Zusatzversorgung steht also – zusammen mit der Hinterbliebenenrente – wirtschaftlich gesehen – anstelle einer Witwenversorgung nach dem Beamtenversorgungsgesetz und ist schon deswegen bei der Beurteilung der Beeinträchtigung der Witwenversorgung nicht außer acht zu lassen.
Der vom Beklagten vorgetragene Umstand, er habe die VV Nr 4 zu § 48 BVG im Einklang mit dem BMA bisher in der vorgetragenen Weise ausgelegt (Ermittlung der Versorgungsminderung nur anhand der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung), kann eine Abweichung von der gesetzlich gebotenen Auslegung des § 48 Abs 1 BVG, die sich zu Lasten der Hinterbliebenen des Beschädigten auswirkt, nicht rechtfertigen. Im übrigen widerspricht die Verwaltungspraxis dem Wortlaut der VV Nr 4 zu § 48 BVG und den dazu bis 1986 ergangenen Rundschreiben des BMA. Nach VV Nr 4 zu § 48 BVG zählen zur Hinterbliebenenversorgung alle der Hinterbliebenensicherung dienenden, auf Dauer angelegten Leistungen. Auch in seinem Rundschreiben vom 18. Juni 1985 – Gz: VI a 1-53073 – (Schönleiter, Handbuch der Bundesversorgung Nr 17 zu § 48 BVG, BABl 9/1985, S 108) hat das BMA ausgeführt, daß zur Hinterbliebenenversorgung alle der Hinterbliebenensicherung dienenden, auf Dauer angelegten Leistungen, also auch Betriebs- und Zusatzrenten, zu zählen seien. Erst im Rundschreiben vom 11. März 1987 – Gz: VI a 1-53073 – (vgl Schönleiter aaO Nr 18, BABl I 5/1987, S 58), das im Hinblick auf das Urteil des Senats vom 19. März 1986 (vgl BSG SozR 3100 § 48 Nr 13) erging, vertritt das BMA die Auffassung, daß diejenige Witwenversorgung, anhand deren (durch Vergleich mit dem Bemessungsbetrag des § 33 Abs 1 Satz 2 Buchst a BVG) der maßgebliche Vomhundertsatz zu ermitteln sei, und diejenige zu unterscheiden seien, auf deren konkrete Minderung um diesen Vomhundertsatz es ankomme. Nur im ersten Fall sei die Gesamtversorgung heranzuziehen, im zweiten Fall entscheide allein (soweit vorhanden) die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei hatte das BMA offenbar solche Fälle im Auge, in denen sich die Höhe der hypothetischen Zusatzversorgung – anders als hier – nicht ermitteln ließ. In derartigen Fällen muß in der Tat darauf geachtet werden, daß bei einem Vergleich der hypothetischen Versorgung mit der tatsächlichen die Zusatzversorgung nicht nur auf der Seite der hypothetischen Gesamtversorgung, sondern – wenn dort nicht einzusetzen, weil nicht bestimmbar – auch auf der Seite der tatsächlichen Versorgung außer Ansatz bleibt. Als Notlösung erscheint dann die stillschweigende Gleichsetzung der prozentualen Rentenminderung mit der prozentualen Minderung der Gesamtversorgung (darauf läuft die Nichtberücksichtigung der Zusatzversorgung beim Versorgungsvergleich nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG „rechte Spalte” hinaus) angezeigt. Im übrigen – so auch hier – muß es aber bei der Zugrundelegung der Gesamtversorgung auch für die Ermittlung der Minderung der Witwenversorgung verbleiben. Daß sich in einigen Fällen die hypothetische Zusatzversorgung nicht ermitteln läßt, darf nämlich nicht dazu führen, daß ohne Not und zum Schaden der Hinterbliebenen von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Gesamtversorgung abgegangen wird.
Die Rechtsauffassung des Beklagten zur Berechnung der Witwenbeihilfe benachteiligt die Witwen mit Zusatzversorgungsansprüchen gegenüber den Witwen ohne solche Ansprüche in zweifacher Hinsicht: Einerseits führt die Berücksichtigung der Zusatzversorgung bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes, um den die Witwenversorgung gemindert sein muß (§ 48 Abs 1 Satz 1 BVG „linke Spalte”), dazu, daß dieser in vielen Fällen den Höchstsatz (15 vH) erreicht. Liegt dann die Versorgungsminderung im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung unter 15 vH, so wird ggf eine Witwenbeihilfe auch dann nicht gezahlt, wenn bei alleiniger Berücksichtigung der Versicherungsrente auch in der „linken Spalte” des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG ein geringerer, ggf sogar erreichter Vomhundertsatz maßgeblich sein würde. Andererseits führt die ausschließliche Berücksichtigung der Versichertenrente bei der Anrechnung der Tabelle in der „rechten Spalte” der Bestimmung dazu, daß die ggf eingetretene schädigungsbedingte Minderung der Zusatzrente selbst dann außer Betracht bleibt, wenn – wie im Fall der Klägerin – bei ihrer Mitberücksichtigung die Minderung der Gesamtversorgung den erhöhten Vomhundertsatz erreichen würde.
Es sprechen auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte gegen die vom Beklagten vorgenommene Vernachlässigung der öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgung bei dem nach § 48 Abs 1 Satz 1 „rechte Spalte”) vorzunehmenden Vergleich von hypothetischer und tatsächlicher Witwenversorgung. Wie schon ausgeführt, dient die Zusatzversorgung für abhängig Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der Annäherung der Versorgung der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst an diejenige der Beamten. Hätte ein Beamter ohne Schädigungsfolgen die Möglichkeit gehabt, aus einer niedrigeren Besoldungsgruppe in eine höhere Besoldungsgruppe aufzusteigen, so würde für die Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG nur ein Vergleich der Hinterbliebenenversorgung aus der höheren Besoldungsgruppe mit derjenigen aus der niedrigeren Besoldungsgruppe in Betracht kommen. Diesem Personenkreis gegenüber wären die Hinterbliebenen den Angestellten des öffentlichen Dienstes in vergleichbaren Vergütungsgruppen benachteiligt, wenn bei ihnen die Aufspaltung der Versorgung in Versicherten- und Zusatzrente in vielen Fällen deswegen zum Verlust des Anspruchs auf Witwenbeihilfe führte, weil (nur) die Minderung der Hinterbliebenenrente berücksichtigt wird.
Entgegen der Ansicht der Revision gebietet schließlich auch die Regelung des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG keine andere Beurteilung. Danach sind die Höhe der Witwenversorgung und der Betrag der Minderung unter Berücksichtigung der rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften über die Anrechnung eigenen Einkommens festzustellen. Diese Regelung ist nur verständlich im Zusammenhang mit dem folgenden Satz 3. Danach ist der nach der Tabelle (gemeint ist die Tabelle der „linken Spalte” in § 48 Abs 1 Satz 1 BVG) maßgebende Vomhundertsatz der Minderung (vgl die Tabelle der „rechten Spalte”) auf die Witwenversorgung zu beziehen, die sich ohne die Minderung des Satzes 1 und ohne die Anrechnung eigenen Einkommens der Witwe ergäbe. Als Vorläufer dieser Regelung ist durch Art 9 Nr 5 Buchstabe a des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetzes vom 11. Juli 1985 (BGBl I, 1450) mit Wirkung vom 1. Januar 1986 dem § 48 Abs 1 BVG der damalige Satz 3 angefügt worden, wonach der Feststellung der Beeinträchtigung der Betrag der Hinterbliebenenversorgung zugrunde zu legen war, „der ohne die Berücksichtigung von eigenen Einkünften der Hinterbliebenen zu zahlen wäre”. Die heutigen Sätze 2 und 3 gehen auf die Neufassung des Abs 1 durch das KOV-StruktG zurück. Durch diese Regelung soll verhindert werden, daß sich durch die Berücksichtigung von Einkommen der Witwe nach rentenrechtlichen Vorschriften (zB nach § 97 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung; vor dem 1. Januar 1992 nach § 1281 Reichsversicherungsordnung bzw § 58 Angestelltenversicherungsgesetz) die Witwenrente mindert und deshalb zur Gewährung von Witwenbeihilfe führt (vgl Rohr/Sträßer, aaO, § 48 BVG, K 14/1 aE). § 48 Abs 1 Sätze 2 und 3 BVG sind aber nur von Bedeutung, soweit die Witwenversorgung aus einer Witwenrente der gesetzlichen Rentenversicherung besteht. Sie schließen bei der Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG aber nicht die Berücksichtigung anderer Bestandteile der Gesamtversorgung der Witwe aus.
Da der Klägerin somit ein Anspruch auf Witwenbeihilfe gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 BVG zusteht, war die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
SozR 3-3100 § 48, Nr.9 |
SozSi 1998, 440 |