Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Moghilev. Transnistrien. Rumänien. Zahlbarmachung von Ghettorente. Wahrunterstellung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Das ZRBG enthält eine spezifische, abschließende Sonderregelung der rentenversicherungsrechtlichen Entschädigung für alle Verfolgte, die sich im Herrschaftsbereich des NS-Staates zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten und dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben, soweit deren “Ghetto-Beschäftigungszeiten” nicht schon durch heutige Leistungen im Wohnsitzstaat (Deutschland oder Ausland) ausgeglichen werden.
2. Zum Anwendungsbereich und zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des ZRBG.
3. Zur Zulässigkeit von Wahrunterstellungen.
Normenkette
ZRBG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2 S. 1; WGSVG §§ 3, 7, 12, 14 Abs. 2 Fassung: 1975-04-28, §§ 19-20; FRG §§ 1, 14, 15 Abs. 3, § 16 Abs. 1, § 17a; SVOstgebieteEV § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1; SGB I § 30 Abs. 2; SGB IV § 1 Abs. 1 S. 1; SGB 4 § 7 Abs. 1; SGB IV § 9; SGB 4 § 14 Abs. 1; SGB VI §§ 113, 114 Abs. 1; BEG § 43 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 123 Abs. 1; SozSichAbk ISR Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 2006 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten ab 1. Juli 1997 Rentenleistungen unter Zugrundelegung auch von “Ghetto-Beitragszeiten” nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20. Juni 2002 (BGBl I 2074).
Die am 14. April 1930 geborene Klägerin ist 1964 von Rumänien nach Israel ausgewandert, wo sie als israelische Staatsangehörige wohnt. Als Verfolgte des Nationalsozialismus (NS-Verfolgte) erhielt sie eine Entschädigung wegen Freiheitsentziehung von Oktober 1941 bis März 1944 nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG).
Die Beklagte stellte im Vormerkungsbescheid vom 24. November 1993 für die Klägerin Tatbestände von Beitragszeiten im Umfang von 144 Monaten (wegen Kindererziehung vom 1. Februar 1950 bis 31. Januar 1951 und vom 1. Juni 1952 bis 31. Mai 1953 sowie wegen einer Beschäftigung in Rumänien vom 9. Mai 1954 bis 10. April 1964) nach dem FRG fest, außerdem Tatbestände von Ersatzzeiten wegen Vertreibung im Umfang von 25 Monaten.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 29. Juni 2003, ihr auf der Grundlage des ZRBG unter Anerkennung von im Ghetto Mogilev/Transnistrien zurückgelegter Beschäftigungszeiten (sog Ghetto-Beitragszeiten) “eine Rente zu bewilligen”. Dies lehnte die Beklagte ab, weil dieses Gesetz keine Anwendung für Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto finde, welches sich auf dem Gebiet eines mit dem Deutschen Reich verbündeten Staates befunden habe. Transnistrien habe im streitigen Zeitraum nicht zu einem gemeinsamen deutsch-rumänischen Besatzungsgebiet gehört, sondern sei unter rumänische Verwaltung gestellt worden und dem rumänischen Staatsgebiet angegliedert gewesen (Bescheid vom 21. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2004).
Vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin beantragt, die Ablehnung aufzuheben und “die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG für von ihr im Ghetto Mogilev-Podolski zurückgelegte Zeiten einer Beschäftigung von Herbst 1941 bis März 1944 eine Regelaltersrente zu gewähren, hilfsweise ein geschichtswissenschaftliches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob Transnistrien zu den ‘vom Deutschen Reich besetzten Gebieten’ iS von § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ZRBG gehört”.
Das SG hat diese Klagen abgewiesen (Urteil vom 11. November 2004).
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ua vorgetragen, sie habe während ihres Aufenthalts in Mogilev landwirtschaftliche Arbeiten in einer Kolchose ausgeführt, im Sommer hauptsächlich Feldarbeiten, im Winter in der Tierhaltung. Sie habe hierfür Lebensmittel im Wert von 1 Mark/Tag erhalten. Sie hat in der mündlichen Verhandlung ihren Hauptantrag, den sie vor dem SG gestellt hatte, weiterverfolgt. Hilfsweise hat sie beantragt, ihr persönliches Erscheinen anzuordnen. Weiter hilfsweise hat sie einen Beweisantrag mit 24 Fragen zu dem Beweisthema gestellt, ob Transnistrien zu den “vom Deutschen Reich besetzten Gebieten” gehörte; diese Fragen seien an einen völkerrechtlich/geschichtswissenschaftlichen Sachverständigen zu richten.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. Januar 2006) und ua ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von “Altersruhegeld”. Zwar erfülle sie die Voraussetzungen des § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Wegen ihres Auslandswohnsitzes (§ 110 Abs 2 SGB VI) und des Fehlens von Bundesgebiets-Beitragszeiten (§§ 113 Abs 1 Satz 2, 271 SGB VI) stehe ihr jedoch kein Anspruch auf monatliche Zahlung zu. Bei den anerkannten Pflichtbeitragszeiten für die Zeit ab 1. Januar 1945 handele es sich nicht um Bundesgebiets-Beitragszeiten, sondern um Beitragszeiten nach § 15 FRG. Sie habe auch keine freiwilligen Beiträge nach Bundesrecht geleistet, denn sie habe von dem ihr eingeräumten Nachentrichtungsrecht keinen Gebrauch gemacht. Die Vorschriften der §§ 18, 19 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) griffen nicht ein, da sich die Klägerin nicht in den dort aufgeführten Gebieten aufgehalten habe. Fiktive Bundesgebiets-Beitragszeiten ergäben sich auch nicht als sog “Ghetto-Beitragszeiten” aus § 2 Abs 1 Nr 2 ZRBG. Denn es seien weder die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ZRBG noch die des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ZRBG erfüllt. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin zum Kreis der Berechtigten nach dem ZRBG gehöre und sich in der Zeit von Oktober 1941 bis März 1944 in Mogilev/Transnistrien aufgehalten habe. Selbst wenn als wahr unterstellt werde, dass sich die Klägerin in dieser Zeit dort aufgehalten habe, sei eine ausgeübte Beschäftigung der Klägerin im Ghetto weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Die pauschalen Angaben der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren reichten hierfür nicht aus. Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ZRBG seien ebenfalls nicht gegeben, denn der Anwendungsbereich des ZRBG erstrecke sich nicht auf den Ort Mogilev in Transnistrien. Dieses Territorium sei im Zeitraum von September 1941 bis Mitte März 1944 weder in das Deutsche Reich eingegliedert noch vom Deutschen Reich besetzt gewesen. Weitere Ermittlungen seien von Amts wegen nicht geboten gewesen. Unter Berücksichtigung der vom LSG vertretenen Auslegung des Begriffs “vom Deutschen Reich besetztes Gebiet”, der Auswertung der beigezogenen Dokumente, insbesondere des Vertrages von Tighina, und den Abhandlungen mehrerer Historiker über die Verhältnisse in Transnistrien verfüge das LSG über eigene Sachkunde, um hierüber Feststellungen zu treffen und ihre rechtliche Relevanz zu beurteilen. Das LSG habe sich daher nicht gedrängt gefühlt, entsprechend dem Beweisantrag der Klägerin ein völkerrechtlich/geschichtswissenschaftliches Gutachten einzuholen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung materiellen (§§ 1, 2 ZRBG) und formellen Rechts (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das LSG habe den Regelungsinhalt des ZRBG verkannt. § 2 ZRBG habe einen neuen Typus von Beitragszeiten iS von § 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI, die Ghetto-Beitragszeiten, geschaffen. Danach gelten sowohl für die Berechnung der Rente als auch für die Zahlung von Renten ins Ausland “für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto … Beiträge als gezahlt”. Das ZRBG habe damit die Bestimmungen des SGB VI über das Entstehen und den Bestand eines Stammrechts auf Rente geändert. Es sei die Absicht des Gesetzgebers gewesen, alle Verfolgten, die in einem Ghetto auf Grund eines eigenen Willensentschlusses entgeltlich beschäftigt gewesen seien, in die deutsche Rentenversicherung einzubeziehen und damit den Kreis der Anspruchsberechtigten über den in §§ 1 Abs 1, 20 WGSVG und §§ 1, 15, 16, 17a FRG erfassten Personenkreis hinaus auszudehnen. Das LSG habe unter Missachtung des insoweit eindeutigen Gesetzestextes die Voraussetzungen, unter denen Ghetto-Beitragszeiten zu berücksichtigen seien, auf die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des ZRBG zurückgeführt. Das LSG habe auch § 103 SGG verletzt, weil es ohne hinreichende Begründung den Beweisanträgen nicht gefolgt sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 2006, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. November 2004 und die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 21. August 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2004 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, ab 1. Juli 1997 einen höheren Wert ihres Stammrechts auf Regelaltersrente festzusetzen sowie ihr entsprechend höhere Rente zu zahlen, jedenfalls aber eine sich aus dem Wert der Ghetto-Beitragszeiten von Oktober 1941 bis März 1944 ergebende Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Dieses habe die historischen Hintergründe umfassend aufgeklärt, sodass es angesichts der Vielzahl der herangezogenen Unterlagen eines Sachverständigengutachtens nicht bedurft habe.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das LSG hat Bundesrecht verletzt (§§ 162, 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Entscheidung des LSG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG). Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen weder für eine positive noch eine negative Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) über die Revision der Klägerin aus.
Erster Abschnitt: Zum Prüfungsgegenstand
1. Gegenstand der Revision ist das Urteil des LSG, mit dem dieses das im Berufungsverfahren weiterverfolgte Klagebegehren der Klägerin zurückgewiesen hat. Sie begehrt auch vom Revisionsgericht,
– die ablehnende Verwaltungsentscheidung aufzuheben (Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG)
– die Beklagte zu verpflichten, ab Juli 1997 einen höheren Wert ihres Stammrechts auf Regelaltersrente (RAR) festzusetzen (Verpflichtungsklage) und
– die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Juli 1997 entsprechend hohe Rente zu zahlen, jedenfalls aus dem Wert der Ghetto-Beitragszeiten von Oktober 1941 bis März 1944 (Leistungsklage in nach § 54 Abs 4 SGG zulässiger Klagehäufung).
2. Die Beklagte hat es bislang schon rechtswidrig unterlassen (dazu unten), das der Klägerin kraft Gesetzes bereits ab 14. April 1995 zustehende subjektive Recht (Stammrecht) auf RAR und dessen Geldwert auf deren Antrag festzustellen, der sich auch ohne die hier strittigen FRG und ZRBG-Zeiten bereits auf Grund der wegen Kindererziehung und Beschäftigung in Rumänien nach dem FRG erworbenen gleichgestellten Beitragszeiten und der Vertreibungsersatzzeiten ergibt, deren Anrechenbarkeit auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht. Unabhängig davon, ob ein Versicherter die Erfüllung der aus dem Stammrecht fließenden monatlichen Einzelansprüche verlangen kann, hat er ein durch einen Antrag auszuübendes Recht gegen den Versicherungsträger auf Feststellung seines ihm kraft Gesetzes zustehenden subjektiven Rechts auf Rente, dessen Wertes sowie dessen Beginn und Dauer, schon weil er eine sichere Grundlage für seine persönlichen Dispositionen haben muss, etwa um zu entscheiden, ob er sein Recht ganz oder zum Teil oder noch nicht geltend machen will, im vorliegenden Fall ua auch schon deswegen, um prüfen zu können, ob und ggf welche Maßnahmen sich empfehlen könnten, um die Einzelansprüche “zahlbar” zu machen.
3. Das BSG kann auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG jedoch nicht entscheiden, ob die Beklagte verpflichtet ist, einen – was die Klägerin begehrt: noch – höheren Wert dieses Stammrechts aus der hier strittigen “Ghetto-Beschäftigung” festzustellen.
a) Eine solche höhere Wertfeststellung käme zum einen dann in Betracht, wenn die “Ghetto-Beschäftigungszeiten” bereits nach dem FRG zu berücksichtigen wären. FRG und WGSVG sind nach ihrem räumlichen Geltungsbereich auf die Klägerin anwendbar, obwohl sie in Israel wohnt, weil sie, wie unten noch darzulegen ist, unter den Anwendungsbereich des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DISVA) vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246, 443) idF des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl II 863, 1099) fällt. Das LSG hat nicht festgestellt, ob die Klägerin vom persönlichen Anwendungsbereich des FRG erfasst wird. Das wäre nur dann der Fall, wenn § 20 WGSVG anwendbar wäre, wenn also die Klägerin als NS-Verfolgte zugleich dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört hätte (vertriebene Verfolgte). Das LSG hat insoweit keine eigenen tatsächlichen Feststellungen getroffen, sondern lediglich mitgeteilt, die Beklagte sei davon ausgegangen, dass die Klägerin dem dSK angehört.
b) Zum anderen kann der Senat auf Grund fehlender Feststellungen des LSG auch nicht entscheiden, ob den prozessualen Ansprüchen der Klägerin unter Anwendung des ZRBG stattzugeben ist oder ob diese abzuweisen sind.
Zweiter Abschnitt: Zur bisherigen Rechtsprechung des BSG zu den “Ghetto-Beschäftigungszeiten” und zur Entstehungsgeschichte des ZRBG
Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht, ob die Klägerin nach dem ZRBG (höhere) Rente auf Grund zusätzlicher “Ghetto-Beschäftigungszeiten” beanspruchen kann. Der Rechtsstreit hierüber ist nur unter Berücksichtigung der “Ghetto-Rechtsprechung” des BSG zu diesem Problemkreis und den dadurch veranlassten Regelungen des ZRBG zu verstehen.
1. Zur “Ghetto-Rechtsprechung” des BSG vor Verkündung des ZRBG
Das als Art 1 des “Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch” vom 20. Juni 2002 (BGBl I 2074) gemäß dessen Art 3 Abs 2 zum 1. Juli 1997 in Kraft getretene ZRBG wurde durch die Rechtsprechung des BSG nach dem WGSVG und dem FRG zu rentenpflichtversicherten Beschäftigungen der beiden von diesen Gesetzen erfassten Gruppen von ns-verfolgten Ghettoinhaftierten veranlasst, für die aus Verfolgungsgründen im Einzelfall nach deutschem Recht erforderliche Pflichtbeiträge nicht gezahlt worden waren.
a) Zur Rechtslage in den “eingegliederten” (annektierten) Gebieten nach Einführung der Reichsversicherungsgesetze
Das BSG hatte seit dem 18. Juni 1997 in mehreren Entscheidungen die Frage zu beantworten, ob auch diejenigen NS-Verfolgten, die sich im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten und dort eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hatten, für die nach Maßgabe deutschen Rechts Pflichtbeiträge zu entrichten gewesen wären, die aber verfolgungsbedingt nicht entrichtet worden waren, gemäß § 14 Abs 2 WGSVG aF (heute: § 12 WGSVG) gleichgestellte Beitragszeiten erlangt hatten. Dies hat das BSG, wie stets im Gesetz geregelt gewesen war, bejaht (Urteil vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95, BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; Urteil vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr 16; Urteil vom 14. Juli 1999 – B 13 RJ 61/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr 2). Entgegen einer ständigen Verwaltungspraxis hat es erstmals klargestellt, dass allein der Umstand des zwangsweisen Aufenthaltes in einem Ghetto nicht für den Schluss hinreicht, dass die von Ghettobewohnern ausgeübten Beschäftigungen stets “Zwangsarbeit” gewesen sind. Es könne nach den Umständen des Einzelfalles durchaus auch freiwillig eine im Sinne der Reichsversicherungsgesetze rentenpflichtversicherte entgeltliche Beschäftigung verrichtet worden sein, die objektiv Beitragspflicht begründet haben könne, falls sie nicht versicherungsfrei gewesen sei. Dieser Rechtsprechung tritt der 4. Senat des BSG im Ergebnis bei.
Betroffen waren Ghettos in den sog eingegliederten Gebieten, die das Deutsche Reich durch völkerrechtswidrige Annexion in das deutsche Staatsgebiet einbezogen hatte. Dort galt deutsches Recht, soweit dessen Überleitung auf diese Gebiete keinem späteren Überleitungsakt vorbehalten worden war. Die Reichsversicherungsgesetze wurden ab 1. Januar 1940 auf die in die Provinz Schlesien eingegliederten Gebietsteile auf Grund der sog Schlesien-Verordnung vom 16. Januar 1940 (RGBl I 196) übergeleitet. Die Überleitung auf die in die Provinz Oberschlesien eingegliederten Gebietsteile erfolgte durch die sog Ostgebiete-Verordnung (Ostgebiete-VO) vom 22. Dezember 1941 (RGBl I 777) mit Rückwirkung gleichfalls zum 1. Januar 1940. Ferner leitete diese Verordnung zum 1. Januar 1942 die Reichsversicherungsgesetze (grundsätzlich ebenfalls mit Rückwirkung und teilweise mit Einschränkungen) auch auf die übrigen eingegliederten Gebietsteile über.
Von der Anwendung der Reichsversicherungsgesetze waren durch § 1 Abs 1 Satz 2 der Ostgebiete-VO ausgeschlossen “Schutzangehörige und Staatenlose polnischen Volkstums”, also Personen, welche durch die Annexion nach NS-Auffassung ihre bisherige Staatsangehörigkeit verloren hatten und die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben konnten, weil sie sich in die Deutsche Volksliste nicht eintragen durften, da sie keine deutschen Volkszugehörigen waren (hierzu Verordnung vom 4. März 1941 ≪RGBl I 118≫ idF vom 31. Januar 1942 ≪RGBl I 51≫). Für diese galt zunächst das bisher geltende (Sozialversicherungs-)Recht (formal) weiter. Mit Wirkung vom Stichtag 1. Oktober 1942 an wurde die Anwendung der Reichsversicherungsgesetze (bloß scheinbar und eingeschränkt) auch auf diesen Personenkreis erstreckt. In Wirklichkeit wurde für diesen Personenkreis jegliche Sozialversicherung (deutsche und ausländische) abgeschafft, weil keine Versicherungsleistungen mehr gewährt und die zuvor entstandenen Ansprüche und Anwartschaften hierauf nicht mehr anerkannt wurden. Hingegen wurde nur noch eine Unterstützung vorgesehen, auf die niemand einen Rechtsanspruch hatte (§ 2 Abs 1 Satz 1 iVm § 1 Abs 3 des Erlasses über die den Schutzangehörigen und den Staatenlosen polnischen Volkstums in den eingegliederten Ostgebieten an Stelle von Leistungen der Reichsversicherung zu gewährenden Unterstützungen vom 26. August 1942 – AN II 469; scheinbare Ausnahme § 2 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 aaO). Obwohl die Versicherung abgeschafft worden war, hatten die Arbeitgeber dieser Personen weiterhin fälschlich “Beiträge” genannte Abgaben zu zahlen. Diese nach der NS-Ideologie “nichtdeutsche” Bevölkerung in den annektierten Gebieten wurde dadurch im Rentenrecht genauso rechtlos gestellt wie die “rassisch Verfolgten”.
“Juden” (und die dort als “Zigeuner” bezeichneten Personen) wurden durch die Nationalsozialisten von Anfang an vollkommen rechtlos gestellt. Sie konnten nicht einmal Schutzangehörige werden (§ 7 Abs 2 der VO vom 4. März 1941 idF vom 31. Januar 1942 ≪RGBl I 51≫). Wegen dieses typisch nationalsozialistischen Unrechts, das gemäß Art 1 Abs 1, 3 Abs 3 Satz 1, 123 Abs 1 Grundgesetz (GG) nichtig und kein Bestandteil des Bundesrechts geworden ist und deshalb kein rechtlicher Bewertungsmaßstab ist, den Staatsorgane des Bundes oder der Länder anwenden dürften, fanden deshalb auf Juden in diesen eingegliederten Gebieten die Reichsversicherungsgesetze von vornherein keine Anwendung (hierzu Erlass des Reichsarbeitsministers vom 29. Juni 1942 ≪AN II 408≫). Entgeltliche Beschäftigungen von Juden waren schlechthin nicht rentenpflichtversichert (nicht lediglich versicherungsfrei). Jedoch musste ihr jeweiliger Dienstherr trotz der Abschaffung der Versicherung weiterhin irreführend “Beiträge” genannte Abgaben zahlen, ohne dass die ausdrücklich rechtlos gestellten Personen Rechte auf Versicherungsleistungen nach den Reichsversicherungsgesetzen erlangten (hierzu Erlass des Reichsarbeitsministers vom 13. März 1943 ≪AN II 126≫; zur Stellung der Juden auch: Dobbernack, AN 1942, 50 f; Mischkowsky, Die eingegliederten Ostgebiete und das Generalgouvernement ≪1951≫, S 53 f). Ihnen war bloß nach objektivem Recht, nicht um ihrer selbst als Rechtssubjekte willen (vgl zum Widerspruch solcher “Rechtsauffassungen” mit dem Grundgesetz schon BVerwGE 1, 159 ff), also ohne ihnen einen “Rechtsanspruch” sogar nur hierauf zu gewähren, in bestimmten Fällen eine “Unterstützung” zu zahlen.
b) Zur Rechtslage in den “eingegliederten” (annektierten) Gebieten vor Einführung der Reichsversicherungsgesetze
Darüber hinaus stellte sich dem BSG im Blick auf derartige “Ghetto-Beschäftigungen” auch die Frage, was für Zeiten vor Einführung der Reichsversicherungsgesetze in diesen annektierten Gebieten galt. Hatten auch diejenigen NS-Verfolgten, die (deutsche Staatsbürger waren oder) dem dSK angehörten, später deswegen vertrieben worden waren und während eines Zwangsaufenthalts in einem Ghetto eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt hatten, die nach ihrem Heimatrecht rentenversicherungs- und beitragspflichtig war und bei der die Beitragszahlung gleichfalls verfolgungsbedingt unterblieben war, gleichgestellte Beitragszeiten nach § 15 FRG erlangt? Auch diese Frage hat das BSG bejaht. Es hat § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG idF des Rentenreformgesetzes 1992 herangezogen. Diese Vorschrift, die inzwischen wieder aufgehoben ist, ordnete aber dem rentenrechtlichen Lastenausgleich des Vertriebenenrechts des FRG (außer den im Sinne des WGSVG geschädigten und den dem dSK angehörigen Verfolgten) unter weiteren Voraussetzungen (und mit Sondernachentrichtungsrechten aus den §§ 21, 22 WGSVG) auch die anderen nichtvertriebenen Verfolgten zu, die einen Verfolgungsschaden (nur) in ihrer ausländischen Altersrentenversicherung erlitten hatten.
Durch diese Sondervorschrift wurde nämlich erstmals ein rentenrechtlicher Ausgleich auch von Verfolgungsschäden eingeführt, den Verfolgte, die nicht zum dSK gehörten, also (anders als nach § 20 WGSVG) nichtvertriebene Verfolgte, außerhalb des Anwendungsbereichs der deutschen Rentenversicherung erlitten hatten. Das FRG wurde also auf jene Verfolgte erstreckt, die keinen Vertreibungsschaden hatten, weil sie keine deutschen Volkszugehörigen waren und auch nicht dem dSK angehört hatten, also von vornherein keine “Vertriebenen” im Sinne des FRG sein konnten. Außerdem waren diese nichtvertriebenen Verfolgten bis 1992 auch nicht nach dem WGSVG entschädigt worden, weil ihre verfolgungsbedingten Lücken nicht in der deutschen Rentenversicherung eingetreten seien, nämlich entweder mangels Überleitung der Reichsversicherungsgesetze oder weil sie danach von der Anwendung dieses Reichsrechts ausgeschlossen worden waren. Anwendungsvoraussetzung des § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG war ua, dass “Beiträge” (dazu oben) an einen der dort genannten Versicherungsträger entrichtet worden waren.
Da das FRG die Fiktion einer Beitragszahlung systemgemäß nicht kennt, hat das BSG, das nur in Fällen von dSK-angehörigen Verfolgten zu entscheiden hatte, § 14 Abs 2 WGSVG aF (teils direkt, teils entsprechend) angewandt (Urteil vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95, BSGE 80, 250, 254 ff = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 S 56 ff; im Ergebnis ebenso: BSG, Urteil vom 14. Juli 1999 – B 13 RJ 71/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr 3). Auch dieser Rechtsprechung schließt der 4. Senat sich im Ergebnis an.
c) Zur Rechtslage in den besetzten Gebieten
In seinem Urteil vom 23. August 2001 (B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr 17) befasste sich das BSG erstmals mit einer Beschäftigung eines dSK-angehörigen Verfolgten in einem Ghetto, das sich nicht in einem eingegliederten, sondern in einem besetzten polnischen Gebiet (dem sog Generalgouvernement) befand.
In diesem Gebiet galt zunächst das polnische Sozialversicherungsrecht für alle in der polnischen Sozialversicherung versichert gewesenen Personen uneingeschränkt weiter (§ 1 der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten polnischen Gebieten vom 17. Oktober 1939 – VBl für die besetzten Gebiete in Polen 1939 S 58; § 4 des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten Gebiete vom 12. Oktober 1939 – RGBl I 2077). Mit Wirkung vom 1. März 1940 erloschen dann aber für alle Versicherten der polnischen Sozialversicherung alle Ansprüche auf Leistungen aus ihr (§ 1 Satz 1 iVm § 15 Satz 1 der Zweiten Verordnung über die Sozialversicherung im Generalgouvernement vom 7. März 1940 – VOBl GG I 92). An die Stelle der Versicherungsansprüche und -leistungen traten – unabhängig von der Volkszugehörigkeit – im oben genannten irreführenden NS-Sinn “beitragsfinanzierte” Unterstützungen, auf die niemand einen Rechtsanspruch hatte (§ 1 Satz 2 aaO). Für alle deutschen Staatsangehörigen im Generalgouvernement wurde deshalb rückwirkend zum 1. Oktober 1939 die Geltung der Vorschriften der deutschen Reichsversicherung (zum 1. Mai 1940 die Vorschriften über die Krankenversicherung) eingeführt (§ 1 Abs 1 iVm § 15 Abs 1 und 2 der Verordnung über die Sozialversicherung der deutschen Staatsangehörigen im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete vom 17. Juni 1940 – RGBl I 908). Zuvor waren lediglich die deutschen Angestellten im öffentlichen Dienst mit Wirkung zum 1. Oktober 1939 in die Deutsche Sozialversicherung einbezogen worden (§ 4 iVm § 5 der Tarifordnung für deutsche Angestellte im öffentlichen Dienst vom 21. Januar 1940, VOBl GG II 1940 S 49).
Wenn NS-Verfolgte dem dSK angehörten, erlitten sie nach der NS-Verfolgung später häufig auch in den vormals besetzten Gebieten noch das Vertreibungsschicksal, waren also vertriebene Verfolgte iS des § 20 WGSVG bzw gehörten zu dem heute von § 17a FRG zusätzlich erfassten Personenkreis, auf den das FRG auch ohne den neuen und inzwischen wieder aufgehobenen § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG anwendbar war.
Das BSG hat deshalb in dieser Entscheidung die Frage aufgeworfen, ob die Zeiten einer entgeltlichen Beschäftigung eines dem dSK angehörigen Verfolgten in einem Ghetto gleichgestellte Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 FRG iVm § 20 WGSVG bzw § 17a FRG sind. Der 13. Senat des BSG konnte keine Aussage darüber treffen, ob, falls es sich um Zeiten einer (hypothetisch nach polnischem Recht pflichtversicherten) Beschäftigung gehandelt hätte, für die dort “Beiträge” entrichtet worden waren, für diese Beschäftigung auch nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären (§ 15 Abs 3 FRG) oder ob die Beschäftigung nach dem am 1. März 1957 auf Grund der großen Rentenreform jenes Jahres geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung begründet hätte (§ 16 Abs 1 Satz 2 FRG). Hierfür fehlten hinreichende tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts. Das BSG hat darauf hingewiesen, dass beide Bundesrechtsnormen eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte versicherungspflichtige Beschäftigung während des Ghettoaufenthalts voraussetzen, die von nichtversicherter Zwangsarbeit abzugrenzen sei. Insoweit tritt der 4. Senat des BSG dieser Rechtsprechung im Ergebnis bei.
2. Zur Entstehungsgeschichte des ZRBG
a) Veranlasst durch diese Entscheidungen des BSG wird im ZRBG Folgendes geregelt:
§ 1
Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn
1. die Beschäftigung
a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist,
b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und
2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Als System der sozialen Sicherheit ist jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern.
(2) Dieses Gesetz ergänzt die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung.
(3) Ein Anspruch auf eine Rente besteht auch, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt.
(4) Die auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten gelten nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit.
§ 2
Fiktion der Beitragszahlung
(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar
1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie
2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet
(Ghetto-Beitragszeiten).
(2) Zusätzliche Entgeltpunkte für Beitragszeiten außerhalb des Bundesgebiets sind auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht zu ermitteln.
§ 3
Besonderheiten beim Rentenbeginn
(1) Ein bis zum 30. Juni 2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gilt als am 18. Juni 1997 gestellt. Bei Hinterbliebenenrenten gilt der Rentenantrag frühestens mit dem Todestag als gestellt, wenn der Verfolgte in der Zeit vom 18. Juni 1997 bis zum 30. Juni 2003 verstorben ist.
(2) Für die Ermittlung des Zugangsfaktors gilt die Wartezeit als mit Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt und die Rente wegen Alters bis zum Rentenbeginn als nicht in Anspruch genommen.
b) Diesen Regelungen liegen zwei Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Deutschen Bundestages zu Grunde,
– der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP vom 19. März 2002 (BT-Drucks 14/8583),
– der Gesetzentwurf der Fraktion der PDS vom 20. März 2002 (BT-Drucks 14/8602).
Beide Entwürfe stimmen im Gesetzestext und in der Begründung überein. Auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 18. April 2002 (BT-Drucks 14/8823) nahm der Deutsche Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen am 25. April 2002 die zu einem Gesetzentwurf zusammengefassten Gesetzentwürfe ohne Aussprache an. Die Reden wurden zu Protokoll gegeben (BT-Plenarprotokoll 14/233, 23253, 23279 ff). Der Bundesrat stellte nach Beratung im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik und im Finanzausschuss keinen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses (BR-Plenarprotokoll 776 vom 31. Mai 2002, 268, 313). Das Gesetz wurde am 20. Juni 2002 ausgefertigt und am 27. Juni 2002 verkündet (BGBl I 2074).
Nach der Begründung der Gesetzesinitiativen (BT-Drucks 14/8583, 1, 5; BT-Drucks 14/8602, 1, 5) sollte mit dem ZRBG das Problem gelöst werden, dass die von der Rechtsprechung des BSG begünstigten ehemaligen Ghettobewohner sich gewöhnlich im Ausland aufhielten und ihnen die auf einer Beschäftigung im Ghetto beruhende Rente nicht gezahlt werden könne, weil Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht im erforderlichen Umfang vorlägen. Die Eröffnung neuer Nachzahlungsmöglichkeiten hätte hohe Vorleistungen erfordert, die diesen Betroffenen nicht zuzumuten gewesen seien. Mit dem Gesetz werde zu Gunsten von Verfolgten Neuland betreten, wobei von bestimmten Grundsätzen sowohl “im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten” als auch “der Erbringung von Leistungen daraus ins Ausland” abgewichen werde. Es komme nicht darauf an, in welchem vom Deutschen Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten zurückgelegt worden seien und in welchem Staat sich der Berechtigte aufhalte.
In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 18. April 2002 (BT-Drucks 14/8823, 4) heißt es ebenfalls, dass mit diesem Gesetz zu Gunsten der Verfolgten im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung “Neuland” betreten und von bestimmten Grundsätzen sowohl “im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten” als auch “der Erbringung von Leistungen daraus ins Ausland” abgewichen werde.
Auch in den im Rahmen der zweiten und dritten Beratung der eingebrachten Gesetzentwürfe im Deutschen Bundestag am 25. April 2002 zu Protokoll gegebenen Reden der Abgeordneten Claudia Nolte (CDU/CSU), Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Dr. Irmgard Schwaetzer (FDP), Dr. Ilja Seifert (PDS) sowie der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher (BT-Plenarprotokoll 14/233, 23279 ff) wurde darauf hingewiesen, dass es sich beim ZRBG um eine von der “Ghetto-Rechtsprechung des BSG” veranlasste Regelung handele. Claudia Nolte (CDU/CSU) sprach davon, dass “eine bestehende Lücke bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geschlossen” werden sollte. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sah das Ziel dieses Gesetzes darin, bestehende “rentenrechtliche Hürden für Personen, die von den Nazis in ein Ghetto gezwungen wurden und dort in dieser Zwangssituation, um überleben zu können, einer entlohnten Beschäftigung nachgingen” zu beseitigen. Dr. Irmgard Schwaetzer (FDP) wies darauf hin, dass durch dieses Gesetz “eine Rechtslücke geschlossen wird, die durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erst offensichtlich gemacht worden ist”. “Die Grundsatzdebatte über die Bewertung der Arbeit in einem Ghetto” sei “in einer sehr pragmatischen Weise positiv beendet” worden. “Dabei ist Arbeit auch außerhalb des Ghettos von diesem Gesetz umfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto war”. Dr. Ilja Seifert (PDS) meinte, dass mit diesem Gesetz “eine neue, dringend gebrauchte Regelung der Rente von Beschäftigten in einem Ghetto auf den Weg gebracht worden ist”. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher, hob insbesondere hervor, dass mit diesem Gesetz die Zahlbarkeit der Renten aus Ghetto-Beschäftigungszeiten ins Ausland dadurch erreicht werde, dass diese Zeiten als Beitragszeiten im Bundesgebiet gelten würden und dass für die Berechnung der Rente aus Ghetto-Beschäftigungszeiten einheitliche Grundsätze Anwendung finden würden, unabhängig von der jeweiligen geographischen Lage des Ghettos und der an diesen Orten jeweils gegebenen sozialrechtlichen Verhältnisse.
3. Zur Rechtsprechung des BSG nach Verkündung des ZRBG
Das BSG hat sich in einer Entscheidung vom 7. Oktober 2004 (B 13 RJ 59/03 R, BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1) mit einer Tätigkeit im besetzten polnischen Gebiet (sog Generalgouvernement) befasst, in dem die Reichsversicherungsgesetze, wie gesagt, nur für deutsche Staatsangehörige galten. Die Klägerin hatte, wie es der 13. Senat des BSG als vom LSG festgestellte und von ihm zu Grunde gelegte Tatsachen angegeben hat, 1940/41 als damals polnische Staatsangehörige jüdischer Abstammung, die dem dSK angehörte, im Ghetto Warschau gelebt. Sie hatte in einer deutschen Offizierskantine außerhalb des Ghettos gearbeitet und hierfür Verpflegung erhalten. Das BSG hat bei Anwendung des FRG als Prüfungsmaßstab entschieden, dass eine Anrechnung als gleichgestellte Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten nach den §§ 15, 16 FRG iVm § 20 WGSVG (vertriebene Verfolgte) bzw § 17a FRG daran scheitere, dass nach dem nach diesen Vorschriften maßgeblichen deutschem Recht keine (konkret) versicherungspflichtige, sondern eine versicherungsfreie Beschäftigung vorgelegen habe, weil als Entgelt lediglich freier Unterhalt bezogen worden sei. Sodann hat es zum ZRBG gesagt: “Selbst wenn man weiter unterstellt, sie habe die Tätigkeit in der Kantine im Ghetto verrichtet”, seien auch die Voraussetzungen des § 1 ZRBG nicht erfüllt, denn dieses Gesetz knüpfe erkennbar an die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an.
Dritter Abschnitt: Zur Unvereinbarkeit der Entscheidungsgründe des LSG mit Bundesrecht
Die am Maßstab des ZRBG vorgenommene Rechtsprüfung des LSG ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Mangels ausreichender Feststellungen des LSG kann der Senat im Übrigen auch zur Rechtsgrundlage aus dem ZRBG nicht abschließend entscheiden.
1. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin ein Stammrecht auf RAR erworben hat. Dies ist gemäß § 33 Abs 1 und Abs 2 Nr 1 und § 35 SGB VI stets der Fall, wenn Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Das 1. Kapitel des SGB VI ist auf die Klägerin anwendbar. Sie ist Versicherte, obwohl sie keinen der Versicherungstatbestände der §§ 1 bis 8 SGB VI erfüllt hat. Als israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Israel steht sie jedoch nach den Bestimmungen des DISVA deutschen Staatsangehörigen (Art 3 Abs 1 Buchst a DISVA), die sich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (Art 4 Abs 1 DISVA), gleich. Diese Gleichstellungen bewirken, dass sie bei der Anwendung deutscher rentenrechtlicher Vorschriften (Art 2 Abs 1 Buchst c DISVA) – also heute des SGB VI einschließlich FRG und WGSVG – so zu behandeln ist, als hielte sie sich in Deutschland auf. Als Inhaberin einer Rentenanwartschaft aus gleichgestellten Beitragszeiten nach dem FRG ist sie seit 1. Mai 1975 (Inkrafttreten des DISVA) Versicherte im Sinne des deutschen materiellen Rentenversicherungsrechts (hierzu stellvertretend BSG, Urteil vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 6/03 R). Mit Ablauf des 13. April 1995 hatte sie ihr 65. Lebensjahr vollendet. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie auch die allgemeine Wartezeit erfüllt (§§ 50 Abs 1 Nr 3, 51 Abs 1, 55 SGB VI), denn bis dahin hatte sie ua bereits 144 Monate an Beitragszeiten nach dem FRG. Es ist deshalb hier nicht näher darauf einzugehen, dass nach § 1 Abs 3 ZRBG die Entstehung eines Rechts auf Altersrente, soweit sie auf der gleichgestellten Vorleistung von “Ghetto-Beitragszeiten” im Sinne des ZRBG beruht, die Erfüllung einer Wartezeit von 60 Monaten nicht voraussetzt (sog Minizeiten-Regelung).
Wie jeder Versicherte eines Rentenversicherungsträgers der Bundesrepublik Deutschland hat auch die Klägerin als in Israel lebende Versicherte gegen die Beklagte ein durch Antrag auszuübendes Recht darauf, dass ihr Stammrecht auf RAR und dessen Geldwert (sog Monatsbetrag der Rente – § 64 SGB VI), der Beginn und die Dauer dieses Rechts (richtig) festgestellt werden. Dies hat die Beklagte bislang unterlassen.
Ob unter zusätzlicher Zugrundelegung von “Ghetto-Beschäftigungszeiten” im Sinne des ZRBG (zum FRG siehe oben) ein (wie die Klägerin begehrt) höherer Wert des Stammrechts auf RAR festzustellen ist, kann das BSG mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden. Dessen bisherige Feststellungen lassen weder eine abschließende Aussage darüber zu, ob das ZRBG überhaupt auf die Klägerin anwendbar geworden ist (dazu sogleich unter 2.), noch darüber, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG für den Eintritt der Rechtsfolgen (gleichgestellte Beitragszeiten und deren “Zahlbarkeit” nach Israel gemäß § 2 Abs 1 ZRBG) erfüllt sind (dazu unter 3. und 4.).
2. Zum Anwendungsbereich des ZRBG
Es kann noch nicht beantwortet werden, ob die Klägerin die im ZRBG ausgestalteten Rechte erlangt haben kann, weil derzeit nicht entscheidbar ist, ob sie unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Rechtssubjekte können Rechte und Pflichten, die ein Gesetz ausgestaltet hat, nur haben, wenn sie von dessen Geltungs- und Anwendungsbereich erfasst sind.
a) Der zeitliche Geltungsbereich des ZRBG hat mit dem Inkrafttreten am 1. Juli 1997 (Art 3 Abs 2 des Gesetzes vom 20. Juni 2002) begonnen. Das Begehren der Klägerin wird von ihm erfasst.
b) Vom persönlichen Anwendungsbereich des ZRBG werden alle Verfolgten des Nationalsozialismus (NS-Verfolgte) iS des § 1 BEG erfasst. Dies sind Personen, die ua aus Gründen der Rasse – wie Juden – durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden sind und hierdurch einen Schaden an den im BEG genannten Rechtsgütern erlitten haben. Anders als beim FRG ist ein Vertriebenenstatus bzw eine Zugehörigkeit zum dSK nicht erforderlich. Anders als beim WGSVG müssen sie keinen Verfolgungsschaden in Bezug auf einen “deutschen” Sozialversicherungsschutz, der Ihnen ohne die Verfolgung nach damaligem “Reichsversicherungsrecht” zugestanden hätte, erlitten haben. Das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin zum Personenkreis dieser NS-Verfolgten gehört.
c) Die Klägerin kann “Berechtigte” aus dem ZRBG sein, weil sie auch in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einbezogen ist, obwohl sie im Ausland lebt. Dies gilt aber nur, weil Israel ein sog Vertragsausland und sie selbst israelische Staatsbürgerin ist.
Der räumliche Geltungsbereich des ZRBG erfasst wie bei allen Bundesgesetzen grundsätzlich nur die Personen, die der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland unterliegen, also im Regelfall nur diejenigen, die sich in deren Staatsgebiet aufhalten, sodass nur sie aus Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland berechtigt oder verpflichtet sein können. Anderes gilt nur, soweit ein Gesetz in völkerrechtlich zulässiger Anknüpfung dies ausdrücklich anordnet (stellvertretend W. Graf Vitzthum, Staatsgebiet, in: HStR II, 3. Aufl 2004, § 18 RdNr 12, 13 mwN). Dies ist dem Deutschen Bundestag vorbehalten. Das ZRBG hätte daher, worum es hier nach dem politischen Willen des Deutschen Bundestages ging, den räumlichen Geltungsbereich explizit über den Bereich der deutschen Gebietshoheit auf alle Ghetto-Opfer in jedem Ausland hinaus ausdehnen müssen. Es enthält keine solche Regelung. Daher bestimmt es nur, dass, falls jemand Ansprüche nach dem ZRBG erworben hat, diese auch dann vom Träger zu erfüllen sind, wenn der Berechtigte im Ausland wohnt. Es ordnet aber, was erforderlich gewesen wäre, nicht an, dass ein im Ausland lebendes Ghetto-Opfer trotz des Auslandsaufenthaltes ein Recht aus dem ZRBG erwerben kann. Daher ist der räumliche Anwendungsbereich des ZRBG auf diejenigen Ghetto-Opfer begrenzt, die sich nach seinem Inkrafttreten in Deutschland oder in einem sog Vertragsausland aufhalten.
Zwar ist in den Begründungen der Gesetzentwürfe der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP (BT-Drucks 14/8583, 5) und der Fraktion der PDS (BT-Drucks 14/8602, 5) gesagt worden, es komme nicht darauf an, in welchem Staat sich der Berechtigte aufhalte. Eine Aussage darüber, dass vom Grundsatz der Gebietshoheit abgewichen werde, findet sich jedoch im Wortlaut des Gesetzes nicht einmal andeutungsweise. Die “Ghetto-Beschäftigten”, die sich nicht im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten und auch nicht durch völkervertragsrechtliche Gebietsgleichstellungen einem Inländer gleichgestellt sind, können schon deswegen keine Rechte aus dem ZRBG erlangen.
In seinen Beratungen ist der Deutsche Bundestag auf dieses Erfordernis, seinen politischen Willen im Gesetzestext auszusprechen, nicht eingegangen. Er ist auch nicht auf diese Problematik hingewiesen worden. Soweit die sog Materialien Einblick verschaffen, hat die vollziehende Gewalt sie nur vor dem Bundesrat und nur indirekt angesprochen, als der Vertreter der Bundesregierung vor den Ausschüssen für Arbeit und Sozialpolitik und der Finanzen des Bundesrates (Diskussionsprotokoll vom 23. Mai 2002 zur Sitzung vom 16. Mai 2002, zu TOP 8, S 23) auf Anfrage des Vertreters von Rheinland-Pfalz ua zur “Zahlbarmachung” von Rentenwerten aus beitragsfreien Zeiten durch das ZRBG Stellung nahm. Er hat den Bundesrat darauf hingewiesen, dass in dem Verhältnis, zu dem Bundesgebiets-Beitragszeiten zu allen Beitragszeiten vorhanden sind, berechtigten Deutschen mit “Ghetto-Beschäftigungszeiten” Renten aus beitragsfreien Zeiten (wie zB Ersatzzeiten wegen Internierung in einem Ghetto) in jedes Ausland und berechtigten Ausländern mit “Ghetto-Beschäftigungszeiten” ins Vertragsausland gezahlt werden können. Diese Beschränkung auf Deutsche aus § 114 Abs 1 SGB VI (“EU-Ausländer scheiden aus, weil das ZRBG keine Leistungen der sozialen Sicherheit, sondern Entschädigungsrecht regelt) und auf “Vertragsausländer” gemäß § 30 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) trifft zu, weil das ZRBG seinen räumlichen Anwendungsbereich nicht ausdrücklich ausdehnt. Hingegen ist nicht erkennbar, dass der Deutsche Bundestag selbst über diese Problematik überhaupt informiert wurde, erst recht nicht, dass er die nur ihm vorbehaltene Entscheidung speziell über die Abweichung von den Grenzen der Gebietshoheit ausdrücklich getroffen hätte. Hierauf ist aber aus einem anderen Grund nicht näher einzugehen.
Die in Israel lebende Klägerin ist nämlich – wie bereits ausgeführt – bei der Anwendung deutscher rentenversicherungsrechtlicher Vorschriften (Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst c DISVA) als israelische Staatsangehörige (Art 3 Abs 1 Buchst a DISVA) mit Aufenthalt in Israel (Art 4 Abs 1 Satz 1 DISVA) Deutschen mit Inlandsaufenthalt gleichgestellt. Das ZRBG gehört zu den rentenversicherungsrechtlichen Vorschriften im Sinne des DISVA, obwohl nach § 1 Abs 4 ZRBG auch die auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten nicht als Leistung der sozialen Sicherheit gelten. Denn dieses Gesetz ergänzt, soweit es einen Sachbereich eigenständig regelt (dazu sogleich), die rentenrechtlichen Vorschriften des WGSVG (§ 1 Abs 2 ZRBG). Soweit also das ZRBG ein rechtlich für seine eigenen Regelungen erhebliches Sachthema nicht selbst ausgestaltet, ist § 7 WGSVG anwendbar, nach dem dieses Gesetz die allgemein anzuwendenden Vorschriften des SGB VI ergänzt, zu denen nach § 37 Abs 1 Satz 1 SGB I auch die Vorschriften des SGB I und nach § 1 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die Vorschriften des SGB IV gehören. Nach § 30 Abs 2 SGB I gehen die Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts (wie hier des DISVA) dem allgemeinen Grundsatz des § 30 Abs 1 SGB I vor mit der Folge, dass Personen mit israelischer Staatsbürgerschaft – wie die Klägerin –, die sich in Israel aufhalten, auch im Rahmen der Regelungen des ZRBG so behandelt werden, als ob sie sich im Inland aufhielten.
d) Ob die Klägerin auch vom sachlichen Anwendungsbereich des ZRBG erfasst ist, kann mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts noch nicht entschieden werden.
Der sachliche (thematische) Anwendungsbereich des ZRBG als neuartigem Bestandteil des Rechts der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts betrifft in “Ergänzung des WGSVG” den Ausgleich von Schäden von NS-Verfolgten, die diese in einer heute bestehenden Pflichtversicherung für abhängig Beschäftigte in ihrem jeweiligen Heimatstaat heute dadurch erleiden, dass sie für jene Arbeitszeiten keine Versicherungsleistungen erhalten, in denen sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das sich in einem vom Deutschen Reich eingegliederten oder besetzten Gebiet befunden hat, und in denen sie dort gegen Entgelt beschäftigt waren.
Nur “soweit” für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto “nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird”, wird nach § 1 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZRBG der Nachteil im Wege der Gleichstellung durch die deutsche Rentenversicherung ausgeglichen. Dabei ist nach aaO Satz 2 “als System der sozialen Sicherheit jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen” worden sind, “um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters oder des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern”. Das LSG wird deshalb ggf festzustellen haben, ob die Klägerin in Israel oder in einem anderen Staat im Antragszeitraum in eine entsprechende Versicherung für abhängig Beschäftigte einbezogen ist und ihr für die strittigen Beschäftigungszeiten von Oktober 1941 bis März 1944 heute nach den Regeln dieses Systems Leistungen erbracht werden, sodass keine zu entschädigende Sicherungslücke vorläge. Dasselbe gilt auch, wenn ihr, was das LSG, wie oben gesagt, noch zu prüfen haben wird, nach dem vorrangigen FRG aus Vertreibungsgründen eine Entschädigung für diese Zeiten zu zahlen ist. Das nach § 1 ZRBG gleichfalls vorrangige WGSVG, das nur bestimmte Verfolgungsschäden in Bezug auf die damaligen Reichsversicherungsgesetze ausgleicht, greift hier nicht ein.
Dabei wird das LSG folgenden gesetzessystematischen Zusammenhang beachten müssen: Gemäß § 1 Abs 2 ZRBG “ergänzt” dieses Gesetz durch den Ausgleich von Auslandsschäden das WGSVG, das grundsätzlich nur damalige Verfolgungsschäden gerade nur in der deutschen Rentenversicherung im damals jeweils einschlägigen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze entschädigt (hierzu stellvertretend BSGE 63, 282, 288 f = SozR 2200 § 1251a Nr 2 S 7 f; BSGE 79, 113, 118 f = SozR 3-5070 § 18 Nr 2 S 8). Im Unterschied zum FRG gleicht es keine Vertreibungsschäden aus, also gerade nicht den durch Vertreibung bedingten Verlust an zuvor im jeweiligen Vertreibungsgebiet nach dem dort jeweils maßgeblich gewesenen Recht erworbenen Rechten und Anwartschaften. Es enthält eine spezifische, abschließende Sonderregelung der rentenversicherungsrechtlichen Entschädigung für alle Verfolgten, die sich im Herrschaftsbereich des NS-Staates zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten und dort keine Zwangsarbeit, sondern eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben, soweit deren “Ghetto-Beschäftigungszeiten” nicht schon durch heutige Leistungen im Wohnsitzstaat (Deutschland oder Ausland) ausgeglichen werden.
Darüber hinaus betrifft das ZRBG noch einen zweiten thematischen Anwendungsbereich, den das LSG ggf zu prüfen und dabei die nachfolgende Auslegung zu beachten haben wird. Monatliche Ansprüche aus einem Recht auf Rente, dessen Entstehung (auch) auf gleichgestellten Vorleistungswerten aus einer “Ghetto-Beschäftigung” beruhen, sollen insoweit auch ohne Wartezeiterfüllung als gleichgestellte Bundesgebiets-Beitragszeiten gelten und jedenfalls in dieser Höhe, ggf unter zusätzlicher Anrechnung der Werte für beitragsfreie und für andere in § 114 Abs 1 SGB VI genannte Vorleistungswerte, vom Rentenversicherungsträger auch bei einem Auslandswohnsitz eines Berechtigten erfüllt (“zahlbar gemacht”) werden (BT-Drucks 14/8583, 1, 5; BT-Drucks 14/8602, 1, 5; zu Protokoll gegebene Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher, BT-Plenarprotokoll 14/233, 23282). Durch die auf diesen Zusammenhang begrenzte Fiktion speziell von Bundesgebiets-Beitragszeiten wird der die Entstehung monatlicher Einzelansprüche hindernde Einwand des Auslandsaufenthalts ausgeräumt und dadurch für “Berechtigte” im Ausland (dazu oben) “zahlbar” gemacht (zu diesem Einwand stellvertretend BSG, Urteil vom 29. August 1996 – 4 RA 85/95, BSGE 79, 113, 115 ff = SozR 3-5070 § 18 Nr 2 S 4 ff; BSG, Urteil vom 10. April 2003 – B 4 RA 43/02 R, SozR 4-6961 Nr 8 Nr 1 RdNr 4, 9 ff; BSG, Urteil vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 6/03 R). NS-verfolgte “Berechtigte aus dem ZRBG”, die Deutsche oder “Vertragsausländer” sind, können, falls dieses Gesetz auf sie anwendbar ist, – anders als bei Anwendung von FRG und WGSVG – demnach die Zahlung jedenfalls der sich aus diesen ZRBG-Vorleistungswerten ergebenden monatlichen Geldbeträge und gemäß § 114 Abs 1 SGB VI auch anteilig Geldbeträge aus Vorleistungswerten aus beitragsfreien Zeiten (wie zB Ersatzzeiten wegen Internierung in einem Ghetto) ins Ausland verlangen. § 114 Abs 1 SGB VI wurde durch § 2 Abs 2 ZRBG nicht ausgeschlossen (so schon zutreffend die Antwort des Vertreters des BMA in der genannten gemeinsamen Sitzung der Bundesrats-Ausschüsse für Arbeit und Sozialpolitik und der Finanzen am 16. Mai 2002, Diskussionsprotokoll vom 23. Mai 2002, zu TOP 8, S 23).
3. Darüber hinaus reichen auch die tatsächlichen Feststellungen des LSG zu den konkreten Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 ZRBG für eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts nicht aus. Es kann weder entscheiden, ob das klageabweisende Urteil des LSG gerechtfertigt ist, noch lassen die Feststellungen eine Entscheidung darüber zu, ob die Voraussetzungen für den Eintritt der von der Klägerin begehrten Rechtsfolge erfüllt sind.
a) Es steht schon nicht fest, ob der Antrag der Klägerin der Beklagten bis zum Ablauf des 30. Juni 2003 zugegangen ist. Dies wäre jedoch erforderlich, damit die rückwirkende Fiktion des § 3 Abs 1 Satz 1 ZRBG (Antragstellung am 18. Juni 1997) eintritt und somit der Klägerin – wie von ihr begehrt – ein Zahlungsanspruch ab Inkrafttreten des ZRBG, also ab 1. Juli 1997, zustehen kann.
b) Weiter hängt ein Recht auf Entschädigung nach dem ZRBG gemäß dessen § 1 Abs 1 Satz 1 von der Erfüllung folgender tatbestandlicher Voraussetzungen ab:
aa) Der anerkannte Verfolgte muss sich an einem Ort aufgehalten haben, der als “Ghetto” und als ein “vom Deutschen Reich eingegliedertes oder besetztes Gebiet” zu qualifizieren ist.
bb) Der Aufenthalt an diesem Ort muss von der NS-Gewalt erzwungen worden sein.
cc) Ferner muss der Verfolgte während dieses Zwangsaufenthalts an dem derart rechtlich qualifizierten Ort aus freiem Willen eine Beschäftigung gegen Entgelt verrichtet haben.
Weitere Voraussetzungen hat der Deutsche Bundestag, dem solches allein vorbehalten ist, im ZRBG nicht aufgestellt (dazu unter 5.).
Zu diesen Voraussetzungen hat das LSG weder positiv noch negativ Feststellungen getroffen. Es hat nicht festgestellt, wo sich die Klägerin in der strittigen Zeit (wirklich) aufgehalten hat. Es hat keine Tatsachen festgestellt, die es erlaubten zu entscheiden, ob der Ort, an dem sich die Klägerin, wie von ihm unterstellt, aufgehalten hat, als “Ghetto” zu qualifizieren ist. Es hat nicht festgestellt, ob sich die Klägerin an diesem unterstellten Ort zwangsweise aufgehalten hat. Es hat nicht festgestellt, ob die Klägerin an diesem unterstellten Ort aus freiem Willen eine Tätigkeit verrichtet hat. Es hat nicht festgestellt, ob sie für die Tätigkeit ein Entgelt erhalten hat.
Das LSG hat seine die Berufung der Klägerin zurückweisende Entscheidung darauf gestützt, dass es als wahr unterstellte, dass sich die Klägerin im streitigen Zeitraum in Mogilev/Transnistrien aufgehalten habe. Auf dieser Grundlage genügten ihm aber die Angaben der Klägerin nicht zur “Glaubhaftmachung einer Beschäftigung”. Soweit das LSG außerdem die Ansicht vertreten hat, der Ort des unterstellten Aufenthalts habe in einem Gebiet (Transnistrien) gelegen, das rechtlich nicht als “vom Deutschen Reich besetztes Gebiet” zu qualifizieren ist, sind die für diese rechtliche Qualifikation getroffenen generellen Tatsachenfeststellungen für das BSG ua nicht bindend, weil sie nur zur rechtlichen Qualifizierung eines bloß als rechtsrelevant unterstellten Ortes getroffen wurden und weil das LSG nicht mitgeteilt hat, woher es seine von ihm selbst behauptete historisch-wissenschaftliche Sachkunde erlangt hat.
c) Das LSG hat die für seine Entscheidung in mehrfacher Hinsicht erhebliche Tatsache, wo sich die Klägerin im streitigen Zeitraum von Oktober 1941 bis März 1944 aufgehalten hat, nicht festgestellt, sondern die Angaben der Klägerin, sie sei in diesem Zeitraum in Mogilev/Transnistrien gewesen, unzulässig als wahr unterstellt.
Das LSG hat in seinem Urteil wörtlich ausgeführt: “Dahinstehen kann, ob die Klägerin zum Kreis der Berechtigten nach dem ZRBG gehört … und sich in der Zeit vom Oktober 1941 bis März 1944 in Mogilev/Transnistrien aufhielt. Selbst wenn als wahr unterstellt wird, dass sich die Klägerin in der Zeit vom Oktober 1941 bis März 1944 in Mogilev aufhielt, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ZRBG weder erwiesen noch glaubhaft gemacht. Ein Nachweis für eine ausgeübte Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Mogilev liegt nicht vor. Ebenso wenig ist eine Beschäftigung iS von § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ZRBG von der Klägerin glaubhaft gemacht worden.”
Diesen Ausführungen lässt sich schon nicht eindeutig entnehmen, ob das LSG als Grundlage seiner Entscheidung die bloße Möglichkeit einer Tatsache oder deren Wahrunterstellung gewählt hat. Ausschließen lässt sich nur, dass es im Rahmen einer Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) des Vortrags der Klägerin zum Ausdruck bringen wollte, dass es den tatsächlichen Aufenthalt in Mogilev für wahr (erwiesen) gehalten hat; denn dies scheidet nach seiner Wortwahl im Urteil aus (“Selbst wenn als wahr unterstellt wird …”). Die Wortwahl des LSG (“Dahinstehen kann, ob sich die Klägerin … in … aufhielt”) lässt es als möglich erscheinen, dass es den Aufenthaltsort offen lassen wollte. Gegen diese Auslegung spricht aber, dass es dann sehenden Auges ein der materiellen Rechtskraft nicht fähiges Urteil gesprochen hätte; denn auf die bloße Möglichkeit einer Tatsache kann ein Urteil schlechthin nicht gestützt werden. Es ist demnach davon auszugehen, dass das LSG die von der Klägerin behauptete Tatsache des Aufenthalts in Mogilev/Transnistrien so behandelt hat, als wäre sie nachgewiesen, dass es sie also als wahr unterstellt hat.
Das LSG hat jedoch den von der Klägerin behaupteten Aufenthaltsort unzulässig als wahr unterstellt, denn eine Wahrunterstellung bestimmter tatsächlicher Behauptungen ist auch im Verwaltungsprozess nur dann zulässig, wenn diese für den Urteilsausspruch nicht entscheidungserheblich sind (hierzu BVerwGE 77, 150, 155 ff). Nur dann kann auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz geprägten verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Wahrunterstellung von einer Beweiserhebung zur Feststellung bestimmter Tatsachen abgesehen werden. Bei einer Wahrunterstellung zu Gunsten einer Partei ist aber zu beachten, dass sich diese in aller Regel zu Ungunsten der anderen Partei auswirkt und dass sie sich spiegelbildlich nicht zu Lasten der angeblich “begünstigten” Partei auswirken darf. So muss bei einem Urteil, das eine bestimmte Rechtsfolge ausspricht, welche die Erfüllung eines oder mehrerer Tatbestandsmerkmale voraussetzt, das Vorliegen aller für dieses Urteil nach der Ansicht des Gerichts entscheidungserheblichen Tatsachen festgestellt werden. Bei einem abweisenden Urteil – wie hier – darf eine tatsächliche Behauptung nur dann als wahr unterstellt werden, wenn zugleich festgestellt worden ist, dass eine der entscheidungserheblichen Tatsachen, die nicht von der Wahrunterstellung abhängig sein dürfen, nicht gegeben ist. Denn dann steht zugleich fest, dass die als wahr unterstellte Tatsache das Urteil nicht trägt. Weder ein abweisendes noch ein zusprechendes Urteil darf demnach auf eine bloß als wahr unterstellte Tatsache gestützt werden, weil sonst nur eine Entscheidung über eine bloß hypothetische Sachlage erginge, die keine materielle Rechtskraft erlangen könnte, weil sie die Rechtsfolge ohne Bezug zu einem wirklich gegebenen Lebenssachverhalt aussprechen würde. Ein Ausspruch, für den Unterstellungen tragend waren, stellt sich inhaltlich aber als bloßes Rechtsgutachten zu einem gedachten Sachverhalt dar.
Dies hat das LSG nicht beachtet. Es hat verkannt, dass es eine nach seiner eigenen Rechtsauffassung für seine Entscheidung erhebliche Tatsache war, wo sich die Klägerin im streitigen Zeitraum tatsächlich aufgehalten hat. Denn von der Feststellung des tatsächlichen Aufenthaltsorts hängt sowohl die rechtliche Qualifikation des Aufenthaltes als “Zwangsaufenthalt” als auch die rechtliche Qualifikation des Aufenthaltsorts als “Ghetto” und auch diejenige als “in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet” gelegen ab. Zudem ist auch die Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt ortsgebunden. Wird der Aufenthaltsort nur als wahr unterstellt, können alle diese näheren Bestimmungen Geltung nur für den hypothetischen Fall beanspruchen. Es bleibt dann offen, ob die ausgeurteilte Rechtsfolge wirklich eingetreten ist, was nur in dem gerade nicht festgestellten Fall geschehen wäre, dass die Klägerin sich an jenem Ort aufgehalten hat; das Urteil spricht nur eine Rechtsfolge für einen bloß gedachten Sachverhalt aus.
Zudem hat das LSG die Tatsachen, die die Rechtsbegriffe “Beschäftigung gegen Entgelt” ausfüllen und auf die es seine Entscheidung gestützt hat, nicht festgestellt. Es hat lediglich die Angaben der Klägerin, sie habe bei Mogilev landwirtschaftliche Arbeiten in einer Kolchose verrichtet, als nicht ausreichend bezeichnet und sie ohne Weiteres, also jedenfalls zum Teil auf Grund einer Wahrunterstellung, unter den Rechtsbegriff der “Beschäftigung” subsumiert und die Rechtsfolge des Vorliegens einer “Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs 1 ZRBG” weder als “nachgewiesen” noch als “glaubhaft gemacht” angesehen. Rechtsfolgen sind aber kein möglicher Gegenstand einer Glaubhaftmachung, die sich – als Verfahren und als davon zu unterscheidender Beweisgrad (dazu unter 6.) – nur auf Tatsachen beziehen kann. Deren Vorliegen hing hier aber auch von dem bloß unterstellten Aufenthalt der Klägerin in Mogilev ab. Zudem hat es materiell-rechtlich den Rechtsinhalt der Voraussetzung einer “auf freiem Willensentschluss beruhenden Beschäftigung gegen Entgelt” nicht bundesrechtskonform bestimmt (dazu unten).
d) Das LSG hat sein Urteil zweitens auf die Feststellung der generellen Tatsache gestützt, das Gebiet des unterstellten Aufenthalts der Klägerin sei damals nicht besetzt gewesen. Deswegen war auch dieser für sein Urteil tragende Grund ua von dem wirklichen Vorliegen der (unzulässig) unterstellten Tatsache des Aufenthalts der Klägerin in jenem Gebiet abhängig. Das Urteil gilt danach nur für den unterstellten Fall, dass die Klägerin sich in Mogilev aufgehalten hatte, was aber ungewiss bleibt.
Darüber hinaus durfte das BSG diese Feststellung des LSG, die zu dessen rechtlicher Qualifikation führte, dieser Ort habe sich nicht in einem Gebiet befunden, das vom Deutschen Reich besetzt gewesen sei, seiner revisionsgerichtlichen Beurteilung – unabhängig von der Unzulässigkeit der Verfahrensrüge der Klägerin – nicht zu Grunde legen. Das Revisionsgericht darf seine eigene Entscheidung auf eine generelle und nicht allgemeinkundige Tatsache nur stützen, wenn es sich von deren Vorliegen selbst überzeugt und notfalls selbst Beweis erhoben hat. Will es sich auf die Feststellung einer generellen Tatsache durch das Berufungsgericht stützen, muss sich aus dessen Urteil ergeben, dass sie fachkundig und verfahrensfehlerfrei getroffen wurde.
Dies ist hier nicht erkennbar, weil das LSG schon nicht mitgeteilt hat, woher es seine von ihm selbst behauptete besondere historisch-wissenschaftliche Sachkunde erlangt hat und wie weit diese nach Inhalt und Umfang reicht. Es hat lediglich mitgeteilt, welche Unterlagen es hinzugezogen hat, jedoch nicht dargestellt, über welche speziellen Kenntnisse es verfügt, die es ihm seiner Ansicht nach erlauben, den historisch-wissenschaftlichen Wert der beigezogenen Unterlagen, ihre fachwissenschaftliche Stichhaltigkeit, die fachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der jeweils berücksichtigten Quellen sowie die Bewertung durch die verschiedenen Autoren (zB Wikipedia) zu beurteilen. Auch die Lektüre umfangreicher historischer, zum Teil sogar wissenschaftlicher Veröffentlichungen, macht aus dem Leser im Regelfall keinen Sachverständigen der historischen Wissenschaft. Das LSG hätte sich deshalb schon auf Grund seiner Rechtsansicht gedrängt fühlen müssen, zur Feststellung dieser nicht allgemeinkundigen und damit beweisbedürftigen generellen Tatsache ein historisches Sachverständigengutachten einzuholen, wie dies die Klägerin beantragt hatte.
4. Bei der weiteren Sachbehandlung wird das LSG folgende Auslegung des Bundesrechts zu Grunde zu legen (§ 170 Abs 5 SGG) und danach zu prüfen haben, ob alle tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sind oder ob eine von ihnen nicht erfüllt ist, damit das Revisionsgericht, sollte der Fall erneut an dieses gelangen, abschließend entscheiden kann.
a) Entschädigungsbegründende NS-Verfolgungsmaßnahme ist nach § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG, dass sich die Verfolgten an einem Ort aufgehalten haben, der als “Ghetto” zu qualifizieren ist und dass dieser Aufenthalt von der NS-Gewalt erzwungen wurde. Mit der Formulierung “in einem Ghetto … zwangsweise aufgehalten haben” knüpft des ZRBG an den in § 43 Abs 2 BEG beispielhaft aufgeführten Fall der Freiheitsentziehung eines “Zwangsaufenthalts in einem Ghetto” an. Dieser Fall ist dort neben polizeilicher oder militärischer Haft, Inhaftnahme durch die NSDAP, Untersuchungshaft, Straflagerhaft und Konzentrationslagerhaft genannt. Es musste sich demnach um eine besonders intensive Beeinträchtigung der Freiheit handeln (so schon BSG SozR Nr 26 zu § 1251 RVO und BSG SozR 2200 § 1251 Nr 5 S 17). Diese bestand darin, dass durch eine Aufenthaltsbeschränkung auf einen zugewiesenen – in der Regel von Juden bewohnten – Wohnbezirk (“Ghetto”) der NS-Verfolgte vollständig und nachhaltig von der Umwelt abgesondert wurde (vgl etwa die im Generalgouvernement geltende Verordnung über den jüdischen Wohnbezirk in Warschau vom 19. April 1941, VBl GG 1941, 211; Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Warschau und Lublin vom 28. Oktober 1942, VBl GG 1942, 665; Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Radom, Krakau und Galizien vom 10. November 1942, VBl GG 1942, 683). Diese Aufenthaltsbeschränkung wurde durch die Androhung schwerster Strafen bis hin zur Todesstrafe erzwungen (dazu § 4b der im Generalgouvernement geltenden Dritten Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen vom 15. Oktober 1941, VBl GG 1941, 595; § 3 Abs 1 der Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Warschau und Lublin vom 28. Oktober 1942, aaO; § 3 Abs 1 der Polizeiverordnung über die Bildung von Judenwohnbezirken in den Distrikten Radom, Krakau und Galizien vom 10. November 1942, aaO).
Das LSG wird deshalb festzustellen haben, ob sich die Klägerin in der strittigen Zeit in einem ihr zugewiesenen Wohnbezirk (“Ghetto”) aufgehalten hat und die Aufenthaltsbeschränkung auf diesen Wohnbezirk durch die Androhung schwerster Strafen oder durch Gewaltmaßnahmen im genannten Sinn erzwungen wurde.
b) Weitere tatbestandliche Voraussetzung ist nach § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ZRBG, dass das “Ghetto” sich in einem Gebiet befand, das rechtlich als “vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert” zu qualifizieren ist. Mit dieser geographischen Eingrenzung wird das vom Deutschen Reich beherrschte Gebiet umschrieben (vgl BT-Drucks 14/8583, 5; BT-Drucks 14/8602, 5). Die NS-Verfolgungsmaßnahme des zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto muss demnach im faktischen Herrschaftsbereich des NS-Staates stattgefunden haben.
Anders als nach §§ 2 Abs 1, 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEG ist hier aber nicht entscheidend, ob die Verfolgungsmaßnahme von Dienststellen oder Amtsträgern des NS-Staates veranlasst (oder gebilligt) wurde (hierzu stellvertretend BSG SozR 3-5050 § 17a Nr 3 S 13). Es kommt allein auf die Lage des Ghettos im tatsächlichen Herrschaftsbereich des NS-Staates an. Es ist nach dem ZRBG – anders als nach der Ghetto-Rechtsprechung des BSG zum WGSVG und FRG – in diesem Zusammenhang nicht von Belang, ob und ab wann in dem vom NS-Staat beherrschten Gebiet die Reichsversicherungsgesetze oder das jeweilige Heimatrecht oder überhaupt kein “Recht” gegolten haben.
aa) Seit 1938 hat der NS-Staat – wie allgemeinkundig ist – Gebiete anderer Staaten annektiert (eingegliedert) oder für besetzt erklärt (dazu Umbreit in Kroener/Müller/Umbreit, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd 5, 1. Halbband, S 3 ff und 2. Halbband, S 4 ff; Majer, NS-Verwaltung im besetzten Europa, VerwArch 1999, 163 ff). Die Auslegung dieser deutschen Staatsakte obliegt dem Revisionsgericht.
(1) Die Eingliederungen begannen im März 1938 mit derjenigen Österreichs (vgl Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938, RGBl I 237). Im Oktober 1938 folgte die Annexion des Sudetenlandes (vgl Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete vom 1. Oktober 1938, RGBl I 1331). Im März 1939 wurde das Memelland eingegliedert (vgl Gesetz über die Wiedervereinigung des Memellandes mit dem Deutschen Reich vom 23. März 1939, RGBl I 559). Am 1. September 1939 begann mit der Eingliederung der Freien Stadt Danzig (vgl Gesetz über die Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich vom 1. September 1939, RGBl I 1547) der Zweite Weltkrieg. Ab 26. Oktober 1939 wurden polnische Gebiete als sog Ostgebiete in das Deutsche Reich eingegliedert. Es wurden die Reichsgaue “Danzig-Westpreußen” und “Wartheland” gebildet und das Gebiet um Kattowitz (Ostoberschlesien) in die Provinz Schlesien und das Gebiet um Zichenau in die Provinz Ostpreußen eingegliedert (vgl Erlass des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939, RGBl I 2042; Erlass des Führers und Reichskanzlers über das Inkrafttreten des Erlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 20. Oktober 1939, RGBl I 2057; Erlass des Führers und Reichskanzlers zur Änderung des Erlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 2. November 1939, RGBl I 2135; Zweiter Erlass des Führers und Reichskanzlers zur Änderung des Erlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 29. Januar 1940, RGBl I 251).
(2) Die Besetzungen begannen im März 1939, als Landesteile der ehemaligen Tschechoslowakischen Republik zum “Protektorat Böhmen und Mähren” erklärt wurden (vgl Erlass des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren vom 16. März 1939, RGBl I 485). Die mit kriegerischen Mitteln eroberten polnischen Gebiete, die nicht eingegliedert wurden, wurden im Oktober 1939 für besetzt erklärt und ab 26. Oktober 1939 unter die Zivilverwaltung eines Generalgouverneurs gestellt (sog Generalgouvernement – dazu Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 12. Oktober 1939, RGBl I 2077, nicht im RGBl verkündeter Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Überleitung der Verwaltung im Generalgouvernement auf den Generalgouverneur vom 19. Oktober 1939, veröffentlicht in Moll, “Führer-Erlasse” 1939 – 1945, Dokument 14, S 103 ff).
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und der militärischen Besetzung weiter Teile der Sowjetunion wurden die früher zu Polen gehörenden Gebiete Galiziens ab 1. August 1941 dem Generalgouvernement angeschlossen. Die Zivilverwaltung im Bezirk Bialystok übernahm zum gleichen Zeitpunkt der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen. Die Gebiete der Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie von Weißrussland (“Weißruthenien”) wurden ab 1. August 1941 bzw ab 5. Dezember 1941 Teile des “Reichskommissariats Ostland”. Die Ukraine, soweit sie nicht dem Generalgouverneur unterstellt wurde, wurde ab 1. September 1941 zum “Reichskommissariat Ukraine” (dazu nicht im RGBl verkündete “Führer-Erlasse”, zitiert nach Moll, aaO, S 186 ff: Erlass des Führers über die Verwaltung der neu besetzten Ostgebiete vom 17. Juli 1941 – Dokument 99; Erster Erlass des Führers über die Einführung der Zivilverwaltung in den neu besetzten Ostgebieten vom 17. Juli 1941 – Dokument 101; Befehl des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht über das Ausscheiden von Gebietsteilen im Osten aus dem Operationsgebiet des Heeres und Einführung der Zivilverwaltung vom 22. Juli 1941 – Dokument 103; Erlass des Führers über die vorläufige Verwaltung des Bezirks Bialystok vom 15. August 1941 – Dokument 106; Zweiter Erlass des Führers über die Einführung der Zivilverwaltung in den neu besetzten Ostgebieten vom 20. August 1941 – Dokument 107; Befehle des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht über das Ausscheiden von Gebietsteilen im Osten aus dem Operationsgebiet des Heeres und Einführung der Zivilverwaltung vom 20. August 1941, 11. Oktober 1941, 4. November 1941 und 12. August 1942 – Dokument 108, 113, 115, 184; Befehl des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht über das Ausscheiden des ehemaligen Estland aus dem rückwärtigen Heeresgebiet Nord und Übergang auf die Zivilverwaltung vom 29. November 1941 – Dokument 123).
(3) Neben den eingegliederten Gebieten (ua Österreich, Memelland, Sudetenland, Danzig-Westpreußen, Wartheland, Ostoberschlesien, Zichenau) und den für besetzt erklärten Gebieten (ua Protektorat Böhmen und Mähren, Generalgouvernement, Bialystok, Reichskommissariat Ostland, Reichskommissariat Ukraine) gehörten zu den vom Deutschen Reich beherrschten Gebieten (zeitweise) auch weitere besetzte Gebiete, die sich tatsächlich in der Gewalt (dh effektiven Herrschaft) des NS-Staates befunden haben, die also gemäß Art 42 Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 (RGBl 1910, 107) als besetzt galten (zur Besetzung Ungarns schon BSGE 19, 197, 198; vgl auch BSGE 45, 166 = SozR 3100 § 7 Nr 5; BSG SozR 3100 § 8 Nr 5; BSG SozR 3-3100 § 5 Nr 4).
Besetzte Gebiete im völkerrechtlichen Sinne sind nämlich auch die Gebiete, die vom Okkupanten nicht ausdrücklich für besetzt erklärt werden, die aber dem Einfluss der einheimischen Staatsgewalt (vorübergehend) entzogen wurden und in denen die Macht über das Gebiet (Gebietshoheit) tatsächlich vom Okkupanten ausgeübt wird. Solange allerdings dort noch Kampfhandlungen im Gange sind, ist dieses Gebiet noch nicht besetzt. Erst die Debellation (Gebietsbeherrschung und Einstellung der Kampfhandlungen) führt zu einer auf kriegerischer Gewalt beruhenden Besetzung (zur kriegerischen Besetzung: Uhler in Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 1. Bd, S 195 f; von Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, § 24a S 4 f).
bb) Falls das LSG feststellt, dass die Klägerin sich entsprechend ihrem Vortrag im streitigen Zeitraum von Oktober 1941 bis März 1944 tatsächlich zwangsweise in einem Ghetto in oder bei Mogilev aufgehalten hat, wird es auch festzustellen haben, ob dieser Ort und das ihm zugeordnete Ghetto in diesem Zeitraum zu dem Gebiet gehört haben, welches das Deutsche Reich dem für besetzt erklärten “Reichskommissariat Ukraine” zugeordnet hatte und von diesem verwaltet wurde. Denn der “Zweite Erlass des Führers über die Einführung der Zivilverwaltung in den neu besetzten Ostgebieten” vom 20. August 1941 in Verbindung mit dem “Befehl des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht über das Ausscheiden von Gebietsteilen im Osten aus dem Operationsgebiet des Heeres und Einführung der Zivilverwaltung” ebenfalls vom 20. August 1941 (zitiert nach Moll, aaO, Dokument 107, 108, S 195 f) legte den Grenzverlauf “westlich der Linie: Mogilew Podolskij am Dnjestr (Orte und Orte an den genannten Flüssen einschließlich)” fest. Daher liegt es nahe, dass dieser Ort und das Ghetto im streitigen Zeitraum rechtlich zum “Reichskommissariat Ukraine” und nicht zu Transnistrien gehört haben könnten. In diesem Fall wären weitere Ermittlungen, ob es sich rechtlich um ein “besetztes Gebiet” im Sinne des ZRBG gehandelt hat, rechtlich nicht geboten. Denn der Grenzverlauf stünde mit dem “Führer-Erlass” vom 20. August 1941 fest. Auch unveröffentlichte Führererlasse hatten in der absoluten Diktatur des NS-Staates Gesetzeskraft höchsten Ranges (dazu stellv. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V ≪2000≫, S 841 ff, 850 f mwN).
Jedoch ist es in diesem Zusammenhang tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das LSG auch der Frage nachgeht, ob durch eine spätere gegenteilige Entscheidung des “Führers” ein neuer Grenzverlauf festgelegt worden ist. Nach Nr 1 Buchst a Satz 2 der zwischen dem Königlich Rumänischen Großen Generalstab und dem Oberkommando des Deutschen Heeres geschlossenen Vereinbarungen über die Sicherung, Verwaltung und Wirtschaftsauswertung der Gebiete zwischen Dnjestr und Bug (Transnistrien) und Bug und Dnjepr (Bug-Dnjepr-Gebiet) vom 30. August 1941 (sog Vertrag von Tighina) sollte eine neue Entscheidung des Führers mit Blick auf die von Marschall Antonescu vorgeschlagene neue Nordgrenze (von Transnistrien) auf diplomatischem Weg herbeigeführt werden.
Sollte das LSG zu der Feststellung gelangen, dass das Ghetto in oder bei Mogilev im streitigen Zeitraum rechtlich dem rumänisch besetzten Transnistrien zugeordnet worden war, wird es zu klären haben, wer dort ab wann tatsächlich die Besatzungsgewalt ausgeübt hat und ob die Verfolgungsmaschinerie des NS-Staates im Wesentlichen ungehindert funktionieren konnte. Die Feststellung dieser nicht allgemeinkundigen, generellen Tatsache lässt sich nur mit spezieller historisch-wissenschaftlicher Sachkunde treffen. In der Regel wird davon auszugehen sein, dass die rechtliche Zuordnung eines Gebietes (zB durch “Führererlass”) den Schluss auf die Ausübung der tatsächlichen Herrschaft in diesem Gebiet zulässt. Gleiches gilt im Ansatz auch für ein im Rechtssinne rumänisch besetztes Gebiet. Problematisch ist insbesondere der hier vielleicht eingetretene Fall der rechtlich gespaltenen Zuständigkeit mehrerer Besatzungsmächte (Okkupanten). Das LSG wird ggf zu prüfen haben, ob im Vertrag von Tighina der Sache nach eine gespaltene Zuständigkeit mehrerer Besatzungsmächte (Okkupanten) vereinbart war. Bei gespaltener Zuständigkeit ist für eine Entschädigung nach dem ZRBG letztlich entscheidend, wer den Verfolgungszugriff hatte, welcher Staat also den zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto angeordnet hatte.
c) Sollten die tatsächlichen Feststellungen des LSG ergeben, dass sich die Klägerin von Oktober 1941 bis März 1944 zwangsweise in einem Ghetto in einem vom Deutschen Reich beherrschten (besetzten) Gebiet aufgehalten hat, wird das LSG weiter festzustellen haben, ob die Klägerin dort eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat, dh ob tatsächliche Umstände vorgelegen haben, welche die Rechtsbegriffe “Beschäftigung gegen Entgelt” iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ZRBG ausfüllen.
aa) Der Rechtsbegriff “Beschäftigung” hatte im deutschen Sozialversicherungsrecht (jedenfalls zwischen 1941 und heute) sowohl nach der im streitigen Zeitraum im Reichsgebiet geltenden Bestimmung ua des § 1226 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF als auch nach dessen Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO nF und nach dem heute für die deutsche Sozialversicherung geltenden § 7 Abs 1 SGB IV im Wesentlichen dieselbe Bedeutung, die auch im ZRBG, das auf einen nach heutigen Maßstäben zu erreichenden Ausgleich zielt, gemeint ist. Eine Beschäftigung ist jede nichtselbstständige Arbeit; das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist nicht notwendig. Anhaltspunkte sind eine von Weisungen eines anderen (hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung) abhängige Tätigkeit sowie eine (gewisse) funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens des Weisungsgebers. Maßgeblich sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit. Nicht entscheidend ist, dass es vertragliche oder sonstige Vereinbarungen oder Beziehungen zwischen den Beteiligten gibt, obwohl diese, wenn sie bestehen, auch durchaus wichtige Anhaltspunkte für die Beurteilung der Tätigkeit geben können (hierzu auch BSG SozR 3-2940 § 9 Nr 1 S 8). “Beschäftigungen” können kurzfristig (zB mehrere an einem Tag) und für verschiedene Arbeitgeber (mehrere an einem Tag) nacheinander ausgeübt werden.
bb) Bereits die “Ghetto-Rechtsprechung” des BSG hat darauf hingewiesen, dass die zwangsweise Ortsgebundenheit in einem Ghetto auf Grund nationalsozialistischer Gewaltherrschaft der Annahme einer nichtselbstständigen Dienstleistung (Arbeit), die den Rechtsbegriff “Beschäftigung” ausfüllt, nicht entgegensteht (BSGE 80, 250 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr 16, 17; BSG SozR 3-5070 § 14 Nr 2, 3). Auch Dienstleistungen/Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, werden vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (s BT-Plenarprotokoll 14/233 vom 25. April 2002, 23281). Die Arbeit, die der Verfolgte aus eigenem Willensentschluss (dazu sogleich) angenommen hatte, muss ihm von einem Unternehmer mit Sitz im Ghetto angeboten oder von einem solchen Unternehmen oder von der eingesetzten “Ghetto-Autorität”, ggf ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer “Arbeitsvermittlung”, zugewiesen worden sein. Dabei ist § 9 SGB IV (Beschäftigungsort) sinngemäß heranzuziehen.
cc) Das ZRBG schützt jenen Personenkreis, der nicht unter die Regelungen der “Zwangsarbeiter-Stiftung” (Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft”, errichtet durch Gesetz vom 2. August 2000, BGBl I 1263) fällt, der aber vom NS-Regime in ein Ghetto gezwungen wurde und dort in dieser Zwangssituation, um überleben zu können, einer entlohnten Beschäftigung nachging. Diese NS-Opfer können nun für die Arbeitszeit im Ghetto Rentenzahlungen erhalten (so BT-Plenarprotokoll, aaO, 23280).
Die genannte Stiftung erfasste auch Zwangsarbeiten, die ein Verfolgter während eines Zwangsaufenthaltes in einem Ghetto zu leisten gezwungen wurde. Sie sah bis zum 1. Oktober 2006 Leistungsansprüche der NS-Zwangsarbeiter gegen das Stiftungsvermögen vor. “Zwangsarbeit” in einem Ghetto (außerhalb der heutigen Republik Österreich) lag iS von § 11 Abs 1 des Stiftungsgesetzes vor, wenn der in einem Ghetto Inhaftierte durch den NS-Staat “zur Arbeit gezwungen wurde”. Daran schließt § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG “nahtlos” an. Diese Vorschrift verlangt, dass die Beschäftigung “aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist”. Damit sollten auch die Anregungen der genannten Ghetto-Rechtsprechung des BSG (BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15 S 55; BSG SozR 3-5070 § 14 Nr 2 S 8; BSG SozR 3-5070 § 14 Nr 3 S 19 f) zur “Freiwilligkeit” der Beschäftigungsaufnahme aufgegriffen und die nach dem ZRBG zu entschädigende “Beschäftigung” von einer (von vornherein nach deutschem Recht niemals pflichtversicherten) “Zwangsarbeit” in einem Ghetto, die vom Stiftungsgesetz erfasst war, abgegrenzt werden (BT-Drucks 14/8583, 6 zu § 1; BT-Drucks 14/8602, 6 zu § 1), für deren Entschädigung die vorgenannte Stiftung geschaffen wurde.
Zwangsarbeit liegt vor, wenn der Arbeitende von hoher Hand unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung zur Arbeit gezwungen wurde (zB bei Strafgefangenen – hierzu BSGE 27, 197 – oder KZ-Häftlingen – hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr 2; zur Zwangsarbeit in einem Ghetto: BSG SozR 5070 § 14 Nr 9). Das Vorliegen bzw Nichtvorliegen von Zwangsarbeit ist jedoch keine Tatbestandsvoraussetzung des § 1 ZRBG. Nach dieser Vorschrift kommt es allein darauf an, ob die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss des Ghetto-Opfers zustande gekommen ist. Ein eigener Willensentschluss im Sinne des ZRBG liegt vor, wenn die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage in einem solchen Ghetto jedenfalls auch noch auf einer, wenn auch auf das “Elementarste” reduzierten, Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruhte, solange die neben der Möglichkeit der Arbeitsaufnahme gegeben gewesene Alternative nicht in der Unterwerfung unter die absolute Gewaltausübung des “Weisungsgebers” bestand.
Eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung in einem Ghetto setzt demnach weder das Bestehen eines auf bestimmte oder unbestimmte Zeit angelegten Arbeitsverhältnisses noch den Abschluss eines Arbeitsvertrages voraus. Es genügt, wenn bestimmte Dienstleistungen von NS-Verfolgten auf einseitige Weisung einer anderen Person in deren Unternehmen erbracht worden sind. Zwangsarbeit liegt erst dann vor, wenn das Zustandekommen und/oder die Ausführung der Tätigkeiten mit absoluter Gewalt (“vis absoluta”) oder Drohung mit ihr, also unter unmittelbarer Gefahr für Leib oder Leben oder für die “Restfreiheit” des Ghetto-Inhaftierten, durchgesetzt wurden. Solange NS-Verfolgte hinsichtlich des Zustandekommens und/oder der Durchführung der zugewiesenen/angebotenen Arbeiten noch eine gewisse Dispositionsbefugnis hatten, sie also die Annahme und/oder Ausführung der Arbeiten gegenüber dem, der sie ihnen zuwies, auch ohne Gefahr von derart gewaltsamen Sanktionen gegen Leib, Leben oder ihre “Restfreiheit” ablehnen konnten, liegt keine Zwangsarbeit vor, auch dann nicht, wenn sie deshalb, mangels eines Entgelts, weniger oder nichts mehr zu essen hatten. Denn eine Zuweisung von Arbeit und die Androhung von bloßen, wenn auch die physische Existenzsicherung bis in den Kern erheblich beeinträchtigenden Nachteilen (vis compulsiva) bei Nichtannahme der Arbeit begründen noch keine Zwangsarbeit (vgl §§ 9 Abs 1 Nr 1, 10, 15, 16, 19, 31 Zweites Buch Sozialgesetzbuch). Gleiches gilt für eine nur den “Zwangsaufenthalt im Ghetto” aufrechterhaltende, also vor allem eine Flucht verhindernde Bewachung bei Beschäftigungen außerhalb des räumlichen Ghettobereichs. Falls der Verfolgte (zB durch schlüssiges und mit dem sonst gegeben Beweisstand zu vereinbarendes Vorbringen) die tatsächlichen Voraussetzungen für eine im genannten Sinne “nichtselbstständige Arbeit” aus “eigenem Willensentschluss” glaubhaft gemacht hat, trifft ihn grundsätzlich nicht auch noch die Darlegungs- und objektive Beweislast dafür, dass es sich um keine Zwangsarbeit gehandelt hat.
dd) Die Beschäftigung muss nach § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG gegen “Entgelt” ausgeübt worden sein. Auch dieser Rechtsbegriff des ZRBG ist weit zu fassen. Er knüpft gemäß der Zielsetzung des ZRBG an das heutige Verständnis an. Nach dem heute geltenden § 14 Abs 1 SGB IV fallen unter den Begriff “Entgelt” (Arbeitsentgelt; Vergütung) alle Einnahmen, die in einem unmittelbaren (synallagmatischen) oder mittelbaren (inneren, sachlichen) Zusammenhang mit der geleisteten Arbeit (Tätigkeit) stehen (zu § 14 Abs 1 SGB IV: BSG SozR 4-8570 § 8 Nr 1 RdNr 12). Für die Qualifizierung als “Entgelt” kommt es nicht auf die Art oder Höhe, auch nicht auf die Angemessenheit oder gar auf eine “Gerechtigkeit” der Vergütung an. Entscheidend ist nur, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit (Tätigkeit) und nicht aus anderen Gründen erfolgte. Unerheblich ist auch, in welcher Form die Einnahmen bezogen wurden; es können – wie auch bereits nach dem im streitigen Zeitraum geltenden § 160 RVO – Geldbezüge oder Sachbezüge sein. Das LSG wird deshalb ggf zu prüfen haben, ob die Klägerin, wie von ihr behauptet, für landwirtschaftliche Arbeiten in einer Kolchose, die sie auf Grund einer Beschäftigung im Ghetto angeblich verrichtet hat, Lebensmittel als Sachleistung oder Lebensmittelgutscheine im Wert von einer Mark pro Tag als Entgelt für die geleistete Arbeit erhalten hat.
5. Weitere Voraussetzungen hat der Deutsche Bundestag, dem dies ausschließlich vorbehalten ist, für die Entstehung von Rechten der Verfolgten aus dem ZRBG nicht aufgestellt.
a) Das Gesetz verlangt weder das Vorliegen eines bestimmten Mindestalters noch das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung noch das Nichtvorliegen einer Versicherungsfreiheit, oder eine Beitragsbelastetheit nach welchen Bestimmungen auch immer. Das ZRBG hat insoweit zu Gunsten von Verfolgten, die alle bereits das Alter von 65 Jahren überschritten haben, im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber der bisherigen Ghetto-Rechtsprechung des BSG zum WGSVG und zum FRG “Neuland” betreten (BT-Drucks 14/8583, 5; BT-Drucks 14/8602, 5; BT-Drucks 14/8823, 4). Das Gesetz sollte lediglich “die rentenrechtlichen Hürden für Personen, die von den Nazis in ein Ghetto gezwungen wurden und dort in dieser Zwangssituation, um überleben zu können, einer entlohnten Beschäftigung nachgingen” beseitigen (so die Abgeordnete Deligöz in ihrer im Rahmen der zweiten und dritten Beratung des Deutschen Bundestages am 25. April 2002 zu Protokoll gegebenen Rede, BT-Plenarprotokoll 14/233, 23280). Es sollte “die Grundsatzdebatte über die Bewertung der Arbeit im Ghetto in einer sehr pragmatischen Weise beendet” werden (so die Abgeordnete Dr. Schwaetzer, aaO, 23281).
Das ZRBG setzt – wie die Vorschriften des SGB VI über die Pflichtversicherung – kein bestimmtes Mindestalter voraus. Mindestalter sind vorgesehen in § 250 Abs 1 SGB VI für die Anrechnung von Ersatzzeiten (Vollendung des 14. Lebensjahres – hierzu BSGE 51, 272 = SozR 2200 § 1251 Nr 83; BSG SozR 2200 § 1251 Nr 127), in § 16 FRG für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet und in § 17a FRG für den dort geregelten anspruchsberechtigten Personenkreis (Vollendung des 16. Lebensjahres – hierzu BSG SozR 3-5050 § 17a Nr 3 S 14 ff) sowie für den Gesamtzeitraum bei der Bewertung beitragsfreier Vorleistungen in § 72 Abs 2 Satz 1 SGB VI und für Anrechnungszeiten in § 58 SGB VI (heute: Vollendung des 17. Lebensjahres). So wird verhindert, dass ein damals im Ghetto für sein bloßes Überleben arbeitendes Kind heute von der Entschädigung ausgeschlossen ist, obwohl der Deutsche Bundestag erklärtermaßen die Ghetto-Opfer entschädigt wissen wollte, die im Jahr 2002 älter als 65 Jahre, also damals im Regelfall Kinder oder Jugendliche waren (BT-Drucks 14/8583, 5; BT-Drucks 14/8602, 5; BT-Drucks 14/8823, 4). Dem Vorliegen einer entgeltlichen Kinderarbeit steht auch nicht entgegen, dass schon zur Zeit des Nationalsozialismus im Reichsgebiet nach § 4 Abs 1 Jugendschutzgesetz vom 30. April 1938 (RGBl I 437) Kinderarbeit grundsätzlich verboten war. Denn eine Beschäftigung ist, wie bereits ausgeführt, in erster Linie von den tatsächlichen Verhältnissen abhängig. Gerade die besonderen Verhältnisse der NS-Verfolgung in einem Ghetto haben die dort zwangsinhaftierten Kinder in die Notlage gebracht, Kinderarbeit leisten zu müssen, um von dem dadurch erzielten Entgelt überleben zu können. Auch Kinder sind durch die Verhältnisse im Ghetto genötigt worden, um zu überleben, Arbeiten “aus eigenem Willensentschluss” aufzunehmen. Dies wird das LSG ggf festzustellen haben. Ebenso wird das LSG die näheren tatsächlichen Umstände der von der Klägerin vorgetragenen landwirtschaftlichen Arbeiten in einer Kolchose sowie den “Betriebsort” zu klären haben. Dass die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt zwischen 11 und 14 Jahre alt war, steht der Annahme einer zu entschädigenden “freiwilligen” Beschäftigung gegen Entgelt jedenfalls nicht entgegen.
b) Schon hieraus wird deutlich, dass es nach dem ZRBG nicht darauf ankommt, dass eine nach welchem Recht auch immer konkret rentenpflichtversicherte und beitragsbelastete Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wurde. Erst recht spielt es keine Rolle, ob ein oft schwierig zu ermittelnder Ausnahmetatbestand einer Versicherungsfreiheit vorlag, für dessen Nichterweisbarkeit der Rentenversicherungsträger, wenn er sich zu seinen Gunsten darauf beruft, ohnehin die objektive Beweislast trüge.
Das ZRBG setzt schon nach seinem die Grenze jeder belastenden Auslegung markierenden Wortlaut – anders als das WGSVG (§ 14 Abs 2 aF bzw § 12 nF) und das FRG (§ 15 Abs 3, § 16 Abs 1) – nicht voraus, dass das Ghetto-Opfer eine (im Übrigen: nach damaligem?/welchem? oder nach heutigem?/deutschem? Recht) rentenpflichtversicherte Beschäftigung ausgeübt haben muss. Erst recht verlangt es keine konkret (damals?/nach welchem Recht?) “beitragsbelastete” Beschäftigung. Es knüpft allenfalls an die damals wie heute gültige Grundregel an, dass entgeltlich Beschäftigte kraft Gesetzes pflichtversichert sind (§ 1 Abs 1 SGB VI iVm §§ 7 Abs 1, 14 Abs 1 SGB IV). Die davon abweichende Ausnahmeregelung der Versicherungsfreiheit für spezielle Sondertatbestände (§ 5 SGB VI) und erst recht die weitere Ausnahme der Befreiung von der Versicherungspflicht auf Antrag und durch Verwaltungsakt in anderen Sonderfällen (§ 6 SGB VI) spricht das ZRBG nicht einmal indirekt an.
Auch aus der Entstehungsgeschichte des ZRBG ergibt sich nichts anderes. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher, hat in ihrer im Rahmen der zweiten und dritten Beratung am 25. April 2002 zu Protokoll des Deutschen Bundestages gegebenen Rede ausdrücklich darauf hingewiesen, dass unabhängig von der jeweiligen geographischen Lage des Ghettos und den an diesen Orten jeweils gegebenen sozialrechtlichen Verhältnissen einheitliche Grundsätze für die Berechnung der Rente aus Ghetto-Beschäftigungszeiten Anwendung finden sollen; sie seien deshalb als Beitragszeiten nach den Reichsversicherungsgesetzen außerhalb des Bundesgebiets zu behandeln (BT-Plenarprotokoll 14/233, 23282). Die ZRBG-Rentenzahlungen sollten für die “Arbeit im Ghetto”, für “entlohnte Beschäftigung”, die in dieser Zwangssituation das Überleben sicherte, eingeführt werden (so die Abgeordnete Deligöz, BT-Plenarprotokoll, aaO, 23280).
Dies entspricht auch dem aus dem Gesetzestext erkennbaren Regelungszweck des ZRBG. Regelungsthemen dieses Gesetzes sind die Gleichstellung von Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto (sog Ghetto-Beitragszeiten) mit Reichsgebiets-Beitragszeiten für den Rangwert bzw mit Bundesgebiets-Beitragszeiten für die Auslandszahlung (§ 2 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 ZRBG). Die abgestufte Fiktion der Beitragszahlung wurde erklärtermaßen gewählt, um eine den Gesetzeszweck nicht gewährleistende Einführung eines neuen Rechts auf Beitragsnachentrichtung zu erübrigen. Dazu bestimmt § 2 Abs 1 ZRBG, dass “für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto” Beiträge als gezahlt gelten.
Dürfte man allein von der genannten Rechtsfolge der Fiktion einer Beitragszahlung auf einen im Gesetz nicht formulierten rechtseinschränkenden Tatbestand schließen, könnte man auf den gesetzesfernen Gedanken kommen, dass es einer solchen Fiktion nur dann im Einzelfall bedarf, wenn der einzelne Verfolgte (nach welchem Recht auch immer) nicht nur eine entgeltliche (und deshalb ohne NS-Verfolgung “normalerweise” rentenpflichtversicherte) Beschäftigung verrichtet hatte, sondern auch beitragsbelastet gewesen wäre, weil er keinen Ausnahmetatbestand (der Versicherungsfreiheit oder der Befreiung von der Versicherungspflicht) erfüllt hätte.
Das ZRBG hätte dann aber entgegen dem erklärten politischen Willen des Deutschen Bundestages bei den rentenrechtlichen Zeiten kein Neuland betreten und würde scheinbar “interpretatorisch” auf die Beitragszahlungsfiktion des heutigen § 12 WGSVG reduziert. Während aber diese Vorschrift ausdrücklich voraussetzt, dass die Beschäftigung oder Tätigkeit des Verfolgten “rentenversicherungspflichtig” gewesen sein und die geschuldete Beitragszahlung aus Verfolgungsgründen unterblieben sein muss, sprechen § 1 Abs 1 und § 2 Abs 1 ZRBG mit keinem Wort davon. Sie knüpfen die Beitragszahlungsfiktion allein daran, dass Zeiten der (entgeltlichen) Beschäftigung in einem Ghetto vorliegen. Das ZRBG hat nach seinem Wortlaut, seiner Entstehungsgeschichte und seinem Regelungszweck bewusst auf die Prüfung des Vorliegens der Ausnahmeregelung der Versicherungsfreiheit (oder auch einer Befreiung von der Versicherungspflicht) nach welchen Maßstäben auch immer (zB den Reichsversicherungsgesetzen, des SGB oder der am Ort des Ghettos jeweils geltenden ausländischen Vorschriften oder nach Maßgabe der NS-Rechtlosstellungen) verzichtet.
Eine derartige einschränkende “Interpretation” würde auch dem weiten sachlichen Anwendungsbereich des ZRBG widersprechen. Wie bereits ausgeführt, sollen durch dieses Gesetz zum einen alle heutigen Lücken im Leistungsbezug in einer Pflichtversicherung für abhängig Beschäftigte geschlossen werden, die ns-verfolgte Ghetto-Opfer dadurch erlitten haben, dass sie für solche Zeiten der Beschäftigung heute in ihrem Wohnsitzstaat aus ihrer Versicherung keine Leistungen erhalten. Zum anderen soll darüber hinaus durch dieses Gesetz ermöglicht werden, dass monatliche Ansprüche aus einem Recht auf Rente, die auf Vorleistungswerten aus einer “Ghetto-Beschäftigung” beruhen, ins Ausland gezahlt werden. Diese Nachteilsausgleiche hat das ZRBG durch eine Gleichbehandlung aller ns-verfolgten Ghetto-Opfer mit heutigen Leistungslücken nach einheitlichen Grundsätzen geregelt, und zwar unabhängig davon,
– in welchem vom NS-Staat beherrschten Gebiet – eingegliedertes oder besetztes Gebiet – diese Beschäftigungszeiten zurückgelegt worden sind (vgl BT-Drucks 14/8583, 5; BT-Drucks 14/8602, 5),
– ob und ab wann in diesen Gebieten die Reichsversicherungsgesetze eingeführt worden waren und
– welche sozialrechtlichen Vorschriften an dem Ort des Ghettos jeweils gegolten haben (vgl die zu Protokoll gegebene Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher, Plenarprotokoll 14/233, 23282).
Genauso wenig kommt es nach dem ZRBG – anders als nach WGSVG und FRG – auf weitere rechtliche Qualifikationen des Verfolgten oder seiner entgeltlichen Ghetto-Beschäftigung an; alle Verfolgten werden gleichbehandelt.
6. Das LSG wird sich in dem vom Gesetz jeweils geforderten Beweisgrad und unter Beachtung der vom Gesetz zugelassenen Beweisverfahren davon zu überzeugen haben, ob alle für seine Entscheidung erheblichen Tatsachen vorliegen, und dabei weder den Aufenthaltsort der Klägerin noch andere für sein neues Urteil entscheidungserhebliche Tatsachen als wahr unterstellen dürfen und sodann feststellen müssen, ob alle Voraussetzungen für einen Zuspruch der von der Klägerin begehrten Rechtsfolge erfüllt sind oder ob eine von ihnen nicht gegeben ist.
Dabei kann es sich aller Beweismittel bedienen, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der festzustellenden entscheidungserheblichen Tatsachen in einem ausreichenden Maße darzutun, also auch des Verfahrens der Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung (§ 1 Abs 2 ZRBG iVm § 3 Abs 2 Satz 1 WGSVG). Dieses Verfahren ist von dem nach dem Ergebnis der Ermittlungen für die Überzeugungsbildung des Gerichts erforderlichen Beweisgrad der Glaubhaftmachung zu unterscheiden. Dieser Beweisgrad ist der mildeste der vier Beweismaßstäbe, die auch das sozialgerichtliche Verfahren kennt: Gewissheit, Vollbeweis (= Nachweis), hinreichende Wahrscheinlichkeit, Glaubhaftmachung (dazu schon BSGE 45, 1, 9 f; zu den Beweismaßstäben stellvertretend BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 13 ff; zur Glaubhaftmachung nach § 3 WGSVG: BSG SozR 5070 § 3 Nr 1). Beweisbedürftige Tatsachen bedürfen des Vollbeweises, dh der an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, soweit Abweichendes (Gewissheit, hinreichende Wahrscheinlichkeit oder Glaubhaftmachung) nicht bestimmt ist. Nach § 3 Abs 1 Satz 2 WGSVG, der auch im Anwendungsbereich des ZRBG gilt, ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn sie “überwiegend wahrscheinlich” ist. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände im Vergleich mit den anderen ernsthaften Möglichkeiten mehr für diese als für die anderen Möglichkeiten spricht. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht hingegen nicht aus. Dem Tatsachengericht obliegt es in den Grenzen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), sich nach dem hier erforderlichen Beweisgrad der Glaubhaftmachung eine Überzeugung davon zu bilden, ob die für sein Urteil erheblichen Tatsachen vorliegen oder eine von ihnen nicht gegeben ist.
7. Eine Anfrage an den 13. Senat des BSG nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG war nicht geboten. Die von diesem im Urteil vom 7. Oktober 2004 – B 13 RJ 59/03 R (BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1) geäußerte Rechtsauffassung, der Eintritt der Rechtsfolgen des ZRBG setze eine versicherungspflichtige Beschäftigung einschließlich des Nichtvorliegens einer Versicherungsfreiheit voraus, war für seine konkrete Entscheidung nicht tragend. Der 13. Senat hat diese Rechtsauffassung lediglich zu dem von ihm kontrafaktisch ausdrücklich als Unterstellung qualifizierten Sachverhalt einer damals erklärtermaßen nicht gegebenen Beschäftigung in einem Ghetto vertreten. In den die Entscheidung tragenden Gründen (zum WGSVG und zum FRG) hat er als Tatsachenfeststellung des LSG, auf die er sich stützte, mitgeteilt, dass die damalige Klägerin in einer deutschen Offizierskantine außerhalb des Ghettos gearbeitet hatte.
Im Übrigen ist es im Hinblick auf die nach Art 100 Abs 1 GG gebotene Prüfung der Entscheidungserheblichkeit von derzeit nicht sicher auszuschließenden verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der – wie oben gesagt – weithin fehlenden tatsächlichen Feststellungen des LSG noch nicht absehbar, ob die weiteren Tatsachenfeststellungen des LSG zu einem Ergebnis führen, nach dem es auf die Gründe, welche die Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG heute tragen, dann verfassungsrechtlich nicht mehr ankommen wird (zur Erheblichkeit einer Vorlagefrage für den Großen Senat bei einer beabsichtigten zurückverweisenden Entscheidung: BSG Großer Senat, Beschluss vom 19. Februar 1992 – GS 1/89, BSGE 70, 133, 134 = SozR 3-1300 § 24 Nr 6 S 15 f). Deshalb bestand noch kein Anlass zu prüfen, ob die fortbestehende Ungleichbehandlung der Ghetto-Opfer untereinander und gegenüber anderen Verfolgten sowie die schon im Deutschen Bundestag als problematisch angesprochene Finanzierung der Entschädigung von (nicht Kriegs-, sondern) NS-Verfolgungsschäden durch das ZRBG aus Mitteln nur einer Minderheit der Bevölkerung Deutschlands, nämlich der beitragsbelasteten Arbeitgeber und Versicherten, verfassungsgemäß ist.
8. Dem LSG bleibt die Kostenentscheidung auch über die des Revisionsverfahrens vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1726729 |
BSGE 2008, 48 |