Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte eine falsch berechnete Ausfallzeit in einem späteren Bescheid berichtigen durfte.
Die Beklagte hatte dem Kläger durch Bescheid vom 31. August 1973 vorgezogenes Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit ab 1. Januar 1973 bewilligt und dabei eine pauschale Ausfallzeit von 20 Monaten zugrunde gelegt in der Annahme, der letzte Pflichtbeitrag sei im März 1948 geleistet worden; der Beitrag galt jedoch gemäß § 74 Abs. 3 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes als freiwilliger Beitrag und war auch bei den Beitragszeiten mit "F" bezeichnet. In dem Bescheid war die Rentenhöhe bis Juni 1973 auf 433,70 DM und danach auf 482,80 DM festgesetzt worden.
In dem anschließenden Klageverfahren hatte die Beklagte den vom Kläger u.a. erhobenen Anspruch auf Vorverlegung des Rentenbeginns um zwei Monate anerkannt. Das Anerkenntnis führte sie nach dem rechtskräftigen Abschluß des Klageverfahrens im Bescheid vom 2. April 1974 aus. Sie hob darin den Bescheid vom 31. August 1973 auf und gewährte das vorgezogene Altersruhegeld nun ab 1. November 1972. Bei der Berechnung berücksichtigte sie, wie angekündigt, nicht mehr die für November und Dezember 1972 entrichteten Beiträge; außerdem setzte sie, weil der letzte Pflichtbeitrag bereits im März 1929 entrichtet worden war, die pauschale Ausfallzeit auf zwei Monate herab. Die Rentenhöhe betrug von November 1972 bis Juni 1973 nun 380,40 DM und danach 423,50 DM ; die Saldierung zum 30. April 1974 ergab eine Überzahlung von 152,-- DM . Hierwegen und wegen der Nachentrichtung von Beiträgen stellte die Beklagte einen weiteren Bescheid in Aussicht.
Nachdem der Kläger "Widerspruch" eingelegt hatte, erließ die Beklagte den Bescheid vom 30. Oktober 1974, den sie jedoch kurz danach durch den Bescheid vom 3. Dezember 1974 ersetzte. Darin berechnete sie das Altersruhegeld unter Berücksichtigung der vom Kläger gemäß Art. 2 § 49 a Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichteten Beiträge ab dem 1. Oktober 1973 neu; die pauschale Ausfallzeit beließ sie bei zwei Monaten. Die Rente erhöhte sich ab Oktober 1973 auf 677,10 DM und ab Juli 1974 auf 752,90 DM . Die früher festgestellte Überzahlung wurde von dem Nachzahlungsbetrag abgesetzt.
Die erneute Klage ist vor dem Sozialgericht (SG) ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG Koblenz vom 10. Dezember 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil und den Bescheid vom 3. Dezember 1974 abgeändert und die Beklagte - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - verurteilt, das vorgezogene Altersruhegeld ab 1. November 1972 neu zu berechnen und dabei - neben vier Monaten weiterer Beschäftigungszeit - eine pauschale Ausfallzeit von 20 Monaten zu berücksichtigen (Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25. November 1976). Zur Begründung hat es ausgeführt: Schon der "Widerspruch" gegen den Bescheid vom 2. April 1974 sei als Klage zu werten; der Kläger wende sich zu Recht gegen die Herabsetzung der Ausfallzeit. Die Beklagte sei bis zur nächsten Rentenanpassung an die falsche Berechnung im Bescheid vom 31. August 1973 gebunden. Sie könne eine falsch berechnete Rente nicht jederzeit berichtigen. Auch wenn nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nur der Verfügungssatz des Rentenbescheides, nicht auch die Begründung (einschließlich der Berechnungsfaktoren) bindend werde, dürfe die Verwaltung "nach einem sowohl im Sozialrecht als auch im übrigen Verwaltungsrecht geltenden festen Rechtssatz" Bescheide grundsätzlich nicht zum Nachteil des Begünstigten ändern. Unzulässig seien Änderungen (etwa in den Beitrags-, Ersatz- und Ausfallzeiten), die eine geringere Rente ergäben, selbst wenn der Versicherungsträger die Rente in bisheriger Höhe weiterzahle. Das LSG bezog sich dabei auf das Urteil des 5. Senates des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. September 1974 - 5 RJ 140/72 -; in weiteren Ausführungen verneinte es noch sonstige Rechtsgrundlagen für die Herabsetzung der Ausfallzeit.
Mit der zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Verpflichtung, 20 Monate pauschale Ausfallzeit anzurechnen; sie beantragt,insoweit das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 77 SGG.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Gegenstand des Verfahrens ist nicht nur der Bescheid vom 3. Dezember 1974, den das LSG im Tenor seines Urteils allein abgeändert hat, sondern auch der Bescheid vom 2. April 1974; gegen ihn hatte der Kläger, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, bereits Klage erhoben; er ist durch den Bescheid vom 3. Dezember 1974 erst mit Wirkung vom 1. Oktober 1973 ersetzt worden und demnach für die Zeit von November 1972 bis September 1973 wirksam geblieben. In der Sache ist im Revisionsverfahren nachzuprüfen, ob die Beklagte in beiden Bescheiden statt der angerechneten zwei Monate eine pauschale Ausfallzeit von 20 Monaten anrechnen mußte. Das hat das LSG zu Unrecht bejaht.
Nach Art. 2 § 14 AnVNG betrug die pauschale Ausfallzeit zwei Monate. Die höhere Berechnung im Bescheid vom 31. August 1973 war ohne Zweifel falsch. Hieran mußte sich die Beklagte in den späteren Bescheiden nicht festhalten lassen.
Eine Verpflichtung hierzu läßt sich nicht aus der Bindungswirkung herleiten, die dem Bescheid vom 31. August 1973 gemäß § 77 SGG zukam. Nach dieser Vorschrift wird nur der Verfügungssatz des Verwaltungsaktes bindend, nicht auch die Begründung. Verfügungssatz eines Rentenbescheides ist die Entscheidung über die Art, die Dauer und die Höhe der Rente. Die Feststellung einer pauschalen Ausfallzeit gehört nicht zum Verfügungssatz, sondern zur Begründung. Diese Abgrenzung der Bindungswirkung nach § 77 entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. u.a. BSG 14, 154, 159; 24, 236, 238; 26, 266, 269; SozR Nr. 64 und 75 zu § 77 SGG; SozR 2200 § 1254 Nr. 1; Die Angestelltenversicherung 1965, 298; 1966, 338). V
Von dieser Rechtsprechung hat das LSG offenbar nicht abweichen wollen. Es meint aber wohl, daß der Versicherungsträger auch unabhängig von § 77 SGG eine falsch berechnete Rente nicht jederzeit berichtigen dürfe. Dabei denkt es an den Fall, daß der Versicherungsträger die Begründung eines Rentenbescheides (teilweise) durch eine andere ersetzt, welche die früher errechnete Rentenhöhe nicht mehr rechtfertigt. Beschließt der Versicherungsträger gleichwohl deren Weiterzahlung, dann kann in der Tat § 77 SGG nicht verletzt sein; da sich nur die Begründung, nicht aber die festgesetzte Rentenhöhe ändert, bleibt der frühere Verfügungssatz unangetastet.
Der Senat kann dem LSG nicht darin folgen, daß dennoch ein "fester Rechtssatz" Änderungen verbiete, wie sie die Beklagte hier vorgenommen hat. Die Beklagte hat in ihren Bescheiden vom 2. April und 3. Dezember 1974 kein Recht zur jederzeitigen Berichtigung falsch berechneter Renten beansprucht. Sie hat die Rente neu berechnen müssen, weil sie einen Anspruch auf Vorverlegung des Rentenbeginns anerkannt bzw. nachentrichtete Beiträge zu berücksichtigen hatte. Damit stellt sich die Frage, wieweit die Änderungsbefugnis eines Versicherungsträgers bei solchen Neuberechnungen reicht; sie stellt sich vor allem für die Neuberechnung vom 2. April 1974, da hier bereits die Ausfallzeit herabgesetzt worden ist.
Die Rechtsprechung des BSG hat, insbesondere bei der Beurteilung von Neufeststellungen nach § 79 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), dazu schon Stellung genommen (Urteile des Senats vom 13. August 1965, Die Angestelltenversicherung 1965, 298, und vom 21. September 1966, Die Angestelltenversicherung 1966, 338; vgl. auch BSGE 14, 154, 159 und SozR Nr. 44 zu § 77 SGG). Danach muß der Versicherungsträger bei solchen Neufeststellungen nicht lediglich weitere Berechnungsfaktoren zugunsten des Versicherten rentensteigernd berücksichtigen; er darf vielmehr bei dieser Gelegenheit auch bisherige falsche Berechnungsfaktoren zum Nachteil des Versicherten berichtigen. Diesem Ausgleich (Kompensierung bzw. Saldierung) ist eine Grenze nur insofern gesetzt, als die bisher festgestellte Rentenhöhe nicht unterschritten werden darf; selbst das könnte bei Vorverlegung des Rentenbeginns statthaft sein, wenn die zeitliche Verschiebung von Versicherungsfall und Rentenbeginn dazu zwingt (BSG 14, 154, 159).
Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Im Steuerrecht, im Besoldungsrecht und im Lastenausgleichsrecht wird von der Rechtsprechung ebenfalls eine entsprechende Saldierung zugelassen und nur insofern Vertrauensschutz gewährt (vgl. Schroecker, NJW 1968, 2035 ff. und Becker, DÖV 1973, 379, 388 f. mit Hinweisen auf Entscheidungen des Bundesfinanzhofs und des Bundesverwaltungsgerichts). Das erscheint auch allein recht und billig. Der Vertrauensschutz (der immer zu Lasten der Versichertengemeinschaft geht) würde überspitzt, wenn Berechnungspositionen stets nur zum Vorteil des Versicherten verbessert werden dürften und müßten; es muß genügen, daß die Rentenhöhe geschützt bleibt. Das traf hier zu; der Kläger hatte aufgrund der Bescheide vom 2. April und 3. Dezember 1974 nicht weniger an Rente erhalten, als er aufgrund des Bescheides vom 31. August 1973 zu beanspruchen hatte. Selbst der Fall, daß Beiträge nur als "besitzgeschützt" hätten fortgewährt werden müssen (vgl. Angestelltenversicherung 1966, 338), liegt nicht vor.
Auf die Revision der Beklagten muß sonach das Urteil des LSG aufgehoben werden, soweit es die pauschale Ausfallzeit betrifft; die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist auch insoweit zurückzuweisen.
An dieser Entscheidung sieht sich der Senat nicht durch das schon zitierte Urteil des 5. Senates des BSG vom 26. September 1974 (BSGE 38, 157 [hier allerdings mit Abdruckfehlern] = SozR 2200 § 1631 Nr. 1) gehindert. Dabei ist nicht zu prüfen, inwieweit die dortigen Ausführungen des 5. Senats zur Änderung von Berechnungsfaktoren mit der früheren Rechtsprechung des BSG (mit den Urteilen des erkennenden Senats vom 13. August 1965 und 21. September 1966, Die Angestelltenversicherung 1965, 298 und 1966, 338) zu vereinbaren waren. Soweit sich der 5. Senat in seinem Urteil mit der Änderung von Berechnungsfaktoren einer Rente befaßt hat, gehören seine Ausführungen jedenfalls nicht zu den tragenden Gründen seines Urteils; sie befinden sich in dem Urteilsabschnitt, der der Begründung für die Entscheidung zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung an die Vorinstanz folgt. Davon abgesehen hat der 5. Senat dem Versicherungsträger die Änderung von Berechnungsfaktoren auch nur im Wege des "Nachschiebens von Gründen" während eines gerichtlichen Verfahrens verwehrt; ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie berücksichtigt, daß der Kläger mit seinem Klagebegehren nur zu einem geringfügigen Teil Erfolg gehabt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 518726 |
BSGE, 236 |