Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsstreit zwischen gesetzlichem Krankenversicherungsträger und Berufsgenossenschaft. Ausschlussfrist gem § 111 S 2 SGB 10. Auslegung: Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht. Differenzierung: Versicherungsfall. Leistungsfall. verschiedene Leistungsfälle. Heilbehandlung
Orientierungssatz
1. Zur Auslegung der in § 111 S 2 SGB 10 idF vom 21.12.2000 geregelten Ausschlussfrist hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" im Rahmen eines Kostenerstattungsstreits zwischen Krankenkasse und Berufsgenossenschaft wegen Durchführung einer stationären Heilbehandlung (hier: Entscheidung der Berufsgenossenschaft über Feststellung einer Berufskrankheit und über die Gewährung einer darauf beruhenden Verletztenrente).
2. Zwischen der Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach § 7 Abs 1, §§ 8, 9 SGB 7 und der oder ggf den Entscheidungen über die aufgrund dieses Versicherungsfalles zu gewährende(n) Leistung(en) nach §§ 26 ff SGB 7, den sog Leistungsfällen, ist zumindest seit dem SGB 7 grundsätzlich zu unterscheiden, wie sich vor allem aus der Systematik des SGB 7 ergibt. Ebenso ist zwischen Entscheidungen über verschiedene "Leistungsfälle" zu unterscheiden, weil diese verschiedene Voraussetzungen haben.
Normenkette
SGB 10 §§ 105, 111 Sätze 1, 2 Fassung: 1982-11-04, S. 2 Fassung: 2000-12-21; SGB 7 § 7 Abs. 1; SGB 7 § 8; SGB 7 § 9; SGB 7 § 26; SGB 7 §§ 26ff
Verfahrensgang
Tatbestand
Umstritten ist ein Erstattungsanspruch. Der bei der klagenden Krankenkasse versicherte S. P. (im Folgenden: P.) wurde in den Jahren 2003 bis 2005 wiederholt wegen eines Harnblasentumors stationär behandelt. Aufgrund einer ärztlichen Anzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit (BK) führte die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) entsprechende Ermittlungen durch und teilte mit Schreiben vom 25. Oktober 2006 der Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden ebenfalls: Klägerin) sowie dem P. mit, bei P. liege eine BK nach Nr 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (im Folgenden: BK 1301) mit "Versicherungsfalltag" 8. August 2003 vor. Mit Bescheid vom 7. November 2006 gegenüber P. erkannte die Beklagte die BK 1301 nach der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung an und ihm ein Recht auf eine Rente auf unbestimmte Zeit zu.
Zwischenzeitlich hatte die Klägerin mit Schreiben vom 2. November 2006 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 10.140,48 Euro für wiederholte stationäre Behandlungen des P. wegen seines Harnblasenkarzinoms in der Zeit vom 22. September 2003 bis zum 19. März 2005 geltend gemacht. Die Beklagte lehnte die Erstattung ab.
Auf die am 19. September 2007 von der Klägerin erhobene Zahlungsklage über 10.140,48 Euro hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, diesen Betrag an die Klägerin zu zahlen und die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 24. November 2008). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des Erstattungsbegehren seien gemäß § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfüllt. Der Anspruch sei auch nicht wegen verspäteter Geltendmachung nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen, obwohl die Leistungen in der Zeit bis zum 19. März 2005 erbracht worden seien. Der Lauf der Frist zur Geltendmachung habe nach § 111 Satz 2 SGB X erst mit dem Zugang des Schreibens der Beklagten vom 25. Oktober 2006 begonnen und die Klägerin habe ihren Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 2. November 2006 geltend gemacht. Die Grundsätze aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 20/04 R - SozR 4-1300 § 111 Nr 3) seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. In jenem Fall sei eine Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X zwischen zwei Krankenkassen verneint worden, wenn der erstattungspflichtige Träger über die Leistung keine Entscheidung getroffen habe und auch nicht mehr treffen dürfe. Vorliegend habe die beklagte BG aber eine Entscheidung getroffen, ob diese in dem Schreiben an die Klägerin vom 25. Oktober 2006 oder dem Bescheid vom 7. November 2006 gesehen werde, könne dahingestellt bleiben. Auch aus der Bundestags-Drucksache (BT-Drucks 14/4375) zur Begründung der heutigen Fassung des § 111 SGB X werde deutlich, dass die Gesichtspunkte der Beschleunigung und der Rechtssicherheit in Fällen der vorliegenden Art zurücktreten sollten, damit der erstattungsberechtigte Leistungsträger die Möglichkeit habe, seinen Anspruch fristgerecht geltend zu machen. Daher stehe die Entscheidung auch nicht im Widerspruch zum Urteil des BSG vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 13/07 R - über einen Erstattungsanspruch zwischen einem überörtlichen Sozialhilfeträger und einer Krankenkasse.
Die Beklagte rügt mit ihrer Sprungrevision, in deren Einlegung die Klägerin im Laufe der Revisionsfrist eingewilligt hat, eine Verletzung des § 111 SGB X. Zwar seien die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 105 SGB X erfüllt. Der Erstattungsanspruch sei aber nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Nach dem von dem SG angeführten Urteil des 1. Senats des BSG zum Krankenversicherungsrecht solle ein Erstattungsanspruch für eine Leistungserbringung, die mehrere Jahre zurückliege, ausgeschlossen sein und dies müsse auch für die gesetzliche Unfallversicherung gelten. Der Bedarf des P. hinsichtlich der stationären Behandlung sei erfüllt und eine Entscheidung darüber könne nicht mehr herbeigeführt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 24. November 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der diesem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt sei mit dem Beispiel aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4375) vergleichbar, auch wenn vorliegend keine konkreten Leistungsansprüche bewilligt wurden. Der Klägerin sei aufgrund des gegliederten Sozialversicherungssystems kein Recht eingeräumt, die Anspruchsvoraussetzungen des § 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) selbstständig zu prüfen, oder eine diesbezügliche Entscheidung gegenüber P. zu treffen.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig (vgl § 161 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) . Die schriftliche Erklärung der Revisionsgegnerin, dass sie der Sprungrevision unter Übergehung der Berufungsinstanz zustimme, ist am 25. Februar 2009 und damit innerhalb der Revisionsfrist beim BSG eingegangen.
Einer Beiladung des P. nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG bedurfte es nicht, weil die Entscheidung über die Kostenerstattung für seine stationäre Heilbehandlungen zwischen der Klägerin und der Beklagten keine Auswirkungen auf seine Rechtsposition hat und die Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff SGB X nicht von der Rechtsposition des Versicherten abgeleitete, sondern eigenständige Ansprüche sind (vgl schon BSG vom 13. September 1984 - 4 RJ 37/83 - BSGE 57, 146 ff = SozR 1300 § 103 Nr 2; Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB X, Loseblatt, Stand Oktober 2009, Vorbem §§ 102 ff RdNr 17 ff; Roos in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, Vorbem § 102 RdNr 4) .
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch aufgrund der Kosten für die wiederholten stationären Behandlungen des P. in der Zeit vom 22. September 2003 bis zum 19. März 2005 in Höhe von 10.140,48 Euro, weil ein solcher Anspruch nach § 111 SGB X ausgeschlossen ist.
Ob die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X zwischen der klagenden Krankenkasse und der beklagten BG gegeben sind, wie das SG angenommen hat, kann dahingestellt bleiben. Zumindest sind die Voraussetzungen eines Anspruchs nach §§ 102 bis 104 SGB X nicht gegeben.
Ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch anwendbar ist, weil der Erstattungsanspruch des erstangegangenen Trägers nach dessen Abs 4 Satz 1 und 3 nicht ausgeschlossen ist ( vgl BSG vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 44/08 R - RdNr 13 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen ).
Die Klägerin ist mit dem von ihr geltend gemachten Erstattungsanspruch gegen die Beklagte ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen des § 111 Satz 1 SGB X erfüllt sind (dazu 1) und sich aus § 111 Satz 2 SGB X nichts anderes ergibt (dazu 2).
(1) Nach § 111 Satz 1 SGB X in der seit seinem Inkrafttreten am 1. Juli 1983 ( Gesetz vom 4. November 1982, BGBl I 1450) geltenden Fassung ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Die Zwölfmonatsfrist lief spätestens am 20. März 2006 ab, weil der letzte Tag, an dem eine stationäre Behandlung für P. seitens der Klägerin erbracht wurde, auf die sich deren Erstattungsbegehren bezieht, der 19. März 2006 war und der nächste auf den Sonntag, den 19. März 2006 folgende Werktag der 20. März 2006 war (vgl zur Fristberechnung nur § 26 Abs 1, 3 SGB X iVm §§ 187 bis 193 Bürgerliches Gesetzbuch, sowie im Übrigen Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB X, § 111 RdNr 7 ff). Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten, weil sie gegenüber der Beklagten ihr Erstattungsbegehren erst mit Schreiben vom 2. November 2006 angemeldet hat.
Anhaltspunkte für eine Ausnahme entsprechend dem Urteil des 10. Senats des BSG vom 10. Mai 2007 (B 10 KR 1/05 R - BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4 = SGb 2008, 373 mit Anmerkung Böttger) wegen eines grob rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten, das einen Verstoß gegen die Pflicht der Leistungsträger untereinander (§§ 86 ff SGB X) beinhaltet, sind nicht zu erkennen.
(2) Die Klägerin kann sich zu ihren Gunsten auch nicht auf die Ausschlussfrist des § 111 Satz 2 SGB X in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung des Vierten Euro-Einführungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1983) berufen, der lautet: "Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat".
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind entgegen der Auffassung des SG nicht erfüllt. Das SG hat als "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht", auf deren Kenntniserlangung durch die Klägerin als erstattungsberechtigte Leistungsträgerin abzustellen sei, die Schreiben der Beklagten vom 25. Oktober 2006 an die Klägerin sowie den P. angesehen, in denen mitgeteilt wurde, bei P. liege eine BK 1301 vor. Dass die Beklagte in einem dieser Schreiben über ihre Leistungspflicht hinsichtlich der stationären Heilbehandlungen des P., für die die Klägerin Erstattung begehrt, entschieden habe, hat das SG nicht festgestellt. Auch hinsichtlich des Inhalts des Bescheides der Beklagten vom 7. November 2006 an den P. über die Anerkennung einer BK 1301 und die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit oder des Schreibens der Beklagten vom 13. November 2006 an die Klägerin, in dem sie diese über den Bescheid informierte, hat das SG keine dahingehende Feststellung getroffen.
Die Entscheidung über die Feststellung eines Versicherungsfalls, hier einer BK 1301, und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund dieser BK beinhaltet jedoch keine Entscheidung über eine Leistungspflicht hinsichtlich zB einer stationären Heilbehandlung.
Zwischen der Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach § 7 Abs 1, §§ 8, 9 SGB VII und der oder ggf den Entscheidungen über die aufgrund dieses Versicherungsfalles zu gewährende(n) Leistung(en) nach §§ 26 ff SGB VII, den sog Leistungsfällen, ist zumindest seit dem SGB VII grundsätzlich zu unterscheiden, wie sich vor allem aus der Systematik des SGB VII ergibt (vgl nur Urteil des Senats vom 2. April 2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14 zu den Tatbestandsmerkmalen einer Listen-BK; vgl zu den prozessualen Folgen: BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 3 RdNr 4 ff = SGb 2005, 600 ff). Ebenso ist zwischen Entscheidungen über verschiedene "Leistungsfälle" zu unterscheiden, weil diese verschiedene Voraussetzungen haben (vgl zur stationären Heilbehandlung § 33 SGB VII, zur Verletztenrente § 56 SGB VII usw) . Dem wird die allgemeine Erwägung, wenn ein Unfallversicherungsträger nach langdauernden Ermittlungen einen Körperschaden als Folge eines Arbeitsunfalls oder eine BK anerkenne, sei diese Feststellung der früheste Zeitpunkt, ab dem die Frist für den Erstattungsanspruch einer Krankenkasse für die erbrachten Behandlungskosten zu laufen beginne (so von Wulffen in von Wulffen, SGB X, § 111 RdNr 9) nicht gerecht, sodass ihr nicht gefolgt werden kann.
Entsprechendes gilt für das vom SG angeführte Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 22. März 2005 (L 18 U 181/03) , das im Übrigen nicht rechtskräftig wurde, weil die Klage im Laufe des Revisionsverfahrens zurückgenommen wurde. Die eine Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X bejahende Begründung des LSG überzeugt in der Sache nicht, weil es sich auf allgemeine Überlegungen zum Zweck und der Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 SGB X stützte, obwohl nach seinen eigenen Feststellungen gerade die im Wortlaut des § 111 Satz 2 SGB X geforderte "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" nicht vorlag (vgl RdNr 22 des Urteils des LSG).
Entgegen den Ausführungen des SG wird diese Auslegung des Senats durch die Entstehungsgeschichte des - neuen - § 111 Satz 2 SGB X bestätigt: Die ursprüngliche bis zum 31. Dezember 2000 geltende Fassung des § 111 Satz 2 SGB X lautete: "Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit der Entstehung des Anspruchs" (§ 111 Satz 2 SGB X idF des Gesetzes vom 4. November 1982, BGBl I 1450) . Als Zeitpunkt der Entstehung wurde der Zeitpunkt angesehen, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen für den jeweiligen Anspruch erfüllt waren, auf die Erteilung eines Bescheides durch den erstattungspflichtigen Leistungsträger kam es nicht an (vgl Urteil des 1. Senats des BSG vom 10. Mai 2005 - B 1 KR 20/04 R - SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 10 f mwN sowie Urteil des erkennenden Senats vom 19. März 1996 - 2 RU 22/95 - SozR 3-1300 § 111 Nr 4). Zur Begründung für diese Rechtsprechung wurde darauf verwiesen, dass damit innerhalb einer kurzen Frist für den erstattungsberechtigten und den erstattungspflichtigen Leistungsträger Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eintrete.
Die Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X durch das Vierte Euro-Einführungsgesetz beruhte auf dieser Auslegung und der an ihr geäußerten Kritik mit dem in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4375 S 60) formulierten Ziel, dass Erstattungsansprüche auch Leistungen des Erstattungsberechtigten für Zeiträume erfassen können, deren Ende länger als 12 Monate zurückliegt. In solchen Fällen auf die möglicherweise mehrere Jahre zurückliegende Entstehung des Erstattungsanspruchs abzustellen, sei nicht sachgerecht, weil der erstattungsberechtigte Träger in solchen Fällen keine Möglichkeit habe, seinen Erstattungsanspruch fristgerecht geltend zu machen. Als Beispiel wurde (angelehnt an das Urteil des Senats vom 19. März 1996 - 2 RU 22/95 - SozR 3-1300 § 111 Nr 4) eine ehemalige Arbeitslosenhilfeempfängerin genannt, der über ein Jahr nach Ende des Bezugs der Arbeitslosenhilfe für die Zeit des Arbeitslosenhilfe-Bezugs rückwirkend Verletztenrente bewilligt wurde. Das BSG habe einen Erstattungsanspruch als ausgeschlossen angesehen.
Ausweislich dieser Entstehungsgeschichte des heutigen § 111 Satz 2 SGB X sollte der erstattungsberechtigte Leistungsträger, der keine Kenntnis von der Entstehung eines Erstattungsanspruchs hatte, weil ihm die zur Leistungspflicht des anderen Trägers führenden Umstände verborgen waren, ab der Kenntnis von der Entscheidung des anderen Trägers über dessen Leistungspflicht innerhalb einer weiteren Zwölfmonatsfrist einen Erstattungsanspruch geltend machen können. Voraussetzung für die Geltendmachung ist jedoch die vorliegend nicht gegebene Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht.
Bei dieser Auslegung des § 111 Satz 2 SGB X verbleibt entgegen der Ansicht des SG sehr wohl ein Anwendungsbereich für die Vorschrift. Zu denken ist insbesondere an die zahlreichen Fallgestaltungen, die dem in der Gesetzesbegründung angeführten Beispiel "nachträgliche Leistungsbewilligungen an Versicherte über Leistungen, die bei Leistungen anderer Leistungsträger, die der Versicherte von diesen erhalten hat, zu berücksichtigen gewesen wären" entsprechen (vgl aus dem Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung: zum Verhältnis Verletztenrente und Arbeitslosenhilfe oder eine andere einkommensabhängige Leistung das Urteil des Senats vom 19. März 1996 - 2 RU 22/95 - SozR 3-1300 § 111 Nr 4; zur Anrechnung von Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 93 SGB VI das Urteil des Senats vom 11. November 2003 - B 2 U 15/03 R - SozR 4-1300 § 111 Nr 1; oder bei Feststellung einer BK die nachträgliche Bewilligung von Verletztengeld, wenn zuvor schon Krankengeld gezahlt wurde) . In diesen Fällen ist eine Erstattung auch für länger zurückliegende Zeiträume schon deswegen sinnvoll, weil so eine Doppelleistung an den Versicherten vermieden wird.
Einer näheren Erörterung der Entscheidungen des 1. Senats des BSG (BSG vom 10. Mai 2005, aaO RdNr 13 und vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 13/07 R) bedarf es nicht, weil in diesen Erstattungsansprüche umstritten waren, deren materiellrechtliche Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung lag. Ferner kann aus den Darlegungen von Kater (Der Beginn der Ausschlussfrist für Erstattungsansprüche - § 111 SGB X, SGb 2007, 400 ff) nichts zu Gunsten der Klägerin hergeleitet werden, weil dieser bei Erstattungsansprüchen nach § 105 SGB X eine Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X verneint.
Entgegen der Revisionserwiderung der klagenden Krankenkasse folgt aus dem gegliederten Sozialversicherungssystem keine andere Beurteilung. Es ist nicht zu erkennen, wieso ein Leistungsträger unabhängig von der Regelung des § 111 Satz 2 SGB X und der danach erforderlichen Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers nicht in der Lage sein soll, entsprechend § 111 Satz 1 SGB X innerhalb eines Jahres nach Erbringung der Leistung zu prüfen, ob ggf ein anderer Leistungsträger zuständig ist, und zumindest vorsorglich einen Erstattungsanspruch anzumelden. Eine Krankenkasse kann das Vorliegen der Voraussetzungen einer Listen-BK bei einem ihrer Versicherten sehr wohl prüfen, auch wenn sie kein Recht hat, über das Vorliegen einer BK bei einem Versicherten eine ggf andere Leistungsträger bindende Entscheidung zu treffen. Im Übrigen hat sie sogar die Pflicht, bei einem Verdacht auf das Vorliegen einer BK bei einem Versicherten dies unverzüglich den für den Arbeitsschutz zuständigen Stellen und dem Unfallversicherungsträger mitzuteilen (vgl heute: § 20b Abs 1 Satz 3 SGB V, in den vorliegend relevanten Jahren 2003 bis 2006: § 20 Abs 2 Satz 3 SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2626). Es war der Klägerin unbenommen angesichts der Diagnose Harnblasentumor bei P. - zumindest vorsorglich - einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten anzumelden, weil dies eine typische Erkrankung der BK 1301 ist, wie sich schon aus deren Bezeichnung ergibt, zumal andere Krankenkassen zur Anmeldung solcher Erstattungsansprüche entsprechend organisatorisch Vorkehrungen getroffen haben ( vgl Löffler ua, Ökonomischer Nutzen der Beratung gesetzlicher Krankenkassen in Berufskrankheitenfragen, Gesundheitswesen 2003, 438 ff ).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63, 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz.
Fundstellen