Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungsanrechnungszeit nach Ablegung der Abschlußprüfung. berufliche Qualifikation. DDR-Besonderheit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGB 6 idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.9.1996 setzt – nach wie vor – ein berufsbezogenes Studium voraus.
2. Eine (Ausbildungs-) Anrechnungszeit kann nach Ablegung der letzten Abschlußprüfung nicht mehr zurückgelegt werden.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB VI § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1996-09-25
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. April 1997 sowie des Sozialgerichts Dresden vom 16. Januar 1996 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 20. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1995 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Vormerkung einer Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung in der ehemaligen DDR, und zwar in der Zeit vom 28. Juli bis 31. August 1988.
Die im April 1965 geborene Klägerin war von September 1983 bis August 1984 als Disponentin beim Stahl- und Walzwerk R. … tätig. Im September 1984 nahm sie auf Veranlassung ihres Arbeitgebers das Direktstudium an der B. … F. … auf. Am 27. Juli 1988 erwarb sie dort nach bestandener Abschlußprüfung den akademischen Grad eines Diplom-Ingenieurökonoms. Die Exmatrikulation erfolgte am 31. August 1988; im Ausweis für Arbeit- und Sozialversicherung der Klägerin ist für die Zeit vom 1. September 1984 bis 31. August 1988 „Studentenversicherung” eingetragen. Ab 1. September 1988 war die Klägerin aufgrund eines bereits zuvor abgeschlossenen Arbeitsvertrages als „Mitarbeiterin/Analyse” sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Bescheid vom 20. April 1995 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 29. August 1995 merkte die Beklagte als (Ausbildungs-)Anrechnungszeiten 27 Monate Schulausbildung und die Zeit vom 1. September 1984 bis 27. Juli 1988 als Hochschulausbildung vor; gleichzeitig lehnte sie die Anerkennung vom 28. Juli bis 31. August 1988 als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit ab, weil sie nach Ablegung der Abschlußprüfung zurückgelegt worden sei; die Klägerin habe ihr Hochschulstudium mit dem Tag des erfolgreichen Bestehens der Abschlußprüfung beendet.
Das Sozialgericht Dresden hat die Beklagte durch Urteil vom 16. Januar 1996 verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 20. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides auch den Zeitraum vom 28. Juli 1988 bis 31. August 1988 als Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung anzuerkennen. Es hat die Ansicht vertreten: Wie beim Besuch einer Fachschule, so sei auch bei einem Hochschulstudium die Ausbildung nicht bereits am Prüfungstag abgeschlossen, sondern erst nach der förmlichen Entlassung und Aushändigung des Entlassungszeugnisses. Der Zeitraum zwischen Prüfungstag und Schluß des Schuljahres sei eine Ausfallzeit bzw eine Anrechnungszeit iS der Rentenversicherung. Erst zum Zeitpunkt der Exmatrikulation seien die rechtlichen Beziehungen der Klägerin zur Ausbildungseinrichtung beendet gewesen.
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16. April 1997 zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Zwar habe die Klägerin in der streitigen Zeit keine Vorlesungen oder sonstige Hochschulveranstaltungen mehr besucht, so daß eine Anerkennung der nach Ablegung der Abschlußprüfung liegenden Zeit nicht auf die zur Fachschulausbildung ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) habe gestützt werden können. Bei Hochschulabsolventen ende das Studium in der Regel, wenn der erste mögliche erfolgreiche Abschluß erreicht sei, so daß das Studium der Klägerin am 27. Juli 1988 abgeschlossen gewesen sei. Dennoch sei hier nicht auf den Tag der Abschlußprüfung, sondern auf denjenigen der Exmatrikulation abzustellen. Das Studium und die Arbeitsbedingungen in der ehemaligen DDR würden entscheidend von den entsprechenden Verhältnissen in den alten Bundesländern abweichen, so daß die streitige Zeit unter dem Gesichtspunkt einer „unvermeidbaren Zwischenzeit” als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit anzuerkennen sei. In Fortführung der hierzu ergangenen Rechtsprechung sei diese Zeit „generell unvermeidlich sowie darüber hinaus durch die Organisation des Unterrichtswesens bedingt typisch und dementsprechend häufig gewesen” (Hinweis auf BSGE 70, 220, 222 = SozR 3-2600 § 252 Nr 1). Durch die Organisation des „Direktstudiums” in der DDR sei die Klägerin gehindert gewesen, vor dem staatlich festgelegten Exmatrikulationstermin, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine Verletzung von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) gerügt. Sie trägt vor:
Eine unvermeidbare Zwischenzeit iS der Rechtsprechung des BSG liege nicht vor. Denn bei der dieser Zwischenzeit folgenden Zeit handele es sich nicht um einen Ausbildungsabschnitt, der den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit – gleich welcher Art – erfülle. Dies sei jedoch Voraussetzung für die Anerkennung einer derartigen Zwischenzeit als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit. Für die Anerkennung sei nicht ausreichend, daß sie generell unvermeidbar und organisationsbedingt typisch sei. Es sei nicht gerechtfertigt, daß die Solidargemeinschaft der Versicherten für alle Lücken aufkomme, die im Zusammenhang mit einer Ausbildung stünden. Die vom Berufungsgericht aufgeführten besonderen Umstände im Ausbildungs- und Berufsleben der ehemaligen DDR hätten bei den (Ausbildungs-)Anrechnungszeiten im Gesetz keinen Niederschlag gefunden, so daß über die vom BSG bereits vorgenommene analoge Anwendung hinaus eine weitere Analogie auszuscheiden habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. April 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. Januar 1996 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 20. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1995 abzuweisen.
Die nicht vertretene Klägerin hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist auch begründet.
Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 20. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides abzuweisen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 9 S 34; vgl hierzu auch BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 9 S 49 f), mit der die Klägerin die Vormerkung einer – weiteren – (Ausbildungs-)Anrechnungszeit vom 28. Juli bis 31. August 1988 begehrt, hat keinen Erfolg. Zu Unrecht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß diese Zeit bei Eintritt des Leistungsfalles – möglicherweise – als rentenrechtlich erhebliche Zeit zu berücksichtigen sei.
1. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 149 Abs 5 SGB VI iVm § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI.
Nach § 149 Abs 5 SGB VI stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits geklärten Daten durch Bescheid fest. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden (Satz 2 aaO). Infolgedessen wird im Rahmen eines Vormerkungsverfahrens nur geprüft, ob der behauptete Anrechnungszeittatbestand nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt ist. Über die „Anrechenbarkeit und die Bewertung dieser Zeiten” kann erst bei Eintritt des Leistungsfalles, bei der Berechnung der Rente, entschieden werden (vgl BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 9 S 50; BSGE 49, 44, 46 = SozR 2200 § 1259 Nr 44; BSGE 56, 151, 153 = SozR 2200 § 1259 Nr 82). Selbst wenn mithin derzeit im Einzelfall jegliche leistungsrechtliche Auswirkung einer Ausbildung als Anrechnungszeit verneint werden könnte, könnte die Vormerkung einer derartigen Anrechnungszeit nicht allein mit dieser Begründung abgelehnt werden, weil sich zum Zeitpunkt des Leistungsfalls das bei der Berechnung der Leistung anzuwendende Recht geändert haben kann (vgl BSGE 56, 151, 153 = SozR 2200 § 1259 Nr 82); entscheidend ist, ob nach derzeitigem Recht generell die Möglichkeit besteht, daß der Sachverhalt in einem künftigen Leistungsfall rentenversicherungsrechtlich erheblich werden kann.
Nach alledem dient das Vormerkungsverfahren dazu, das Vorhandensein von Anrechnungszeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für den künftigen Leistungsfall vorab zu klären. Demnach beurteilt sich die Frage, ob der Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit vorzumerken ist, nach der im jeweils maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gültigen materiellen Rechtslage, hier also nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI idF des Art 1 Nr 11 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl I S 1461), das am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist (Art 12 Abs 1 aaO; vgl hierzu entsprechend BSGE 70, 138, 139 = SozR 3-6180 Art 13 Nr 2).
2. Die Zeit vom 28. Juli 1988 bis 31. August 1988 erfüllt nicht den Tatbestand einer (Ausbildungs-)Anrechnungszeit, selbst wenn die Klägerin nach bestandener Abschlußprüfung am 27. Juli 1988 bis zum 31. August 1988 an der B. … in F. … immatrikuliert gewesen war.
a) Nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr ua eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht haben. Die Vorschrift setzt hier, hinsichtlich des in Frage kommenden Tatbestandsmerkmals „Besuch der Hochschule”, nach Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck voraus, daß der Versicherte während dieser Zeit an der Hochschule zur Erlangung einer beruflichen Qualifikation „Ausbildung”) studiert hat, die ihm einen Weg ins Berufsleben eröffnet. Ein erfolgreich abgeschlossenes Studium ist zwar nach der Neufassung der Vorschrift nicht mehr für die Anerkennung dieser Zeit als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit erforderlich; jedoch ist allein das Studium an einer Hochschule – unabhängig von dem og Ziel – als Voraussetzung für die Vormerkung eines derartigen Tatbestandes nicht ausreichend (für diese Auslegung könnten allerdings die Materialien sprechen ≪BT-Drucks 13/4610, S 23≫).
Mithin sind nur solche Zeiten berücksichtigungsfähig, die der „Ausbildung” dienen; das Ende der (Hochschul-)Ausbildung ist demnach auch, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, grundsätzlich die Abschlußprüfung (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 9 S 35 f); dies gilt unabhängig davon, ob der Versicherte eine Fachschule oder eine Hochschule besucht hat. Wenn nach der Abschlußprüfung keine lehrspezifischen Veranstaltungen mehr stattgefunden haben, kann im Hinblick auf den Charakter der (Ausbildungs-)Anrechnungszeit dieser Anrechnungszeittatbestand nicht mehr erfüllt sein. Der 1. Senat hat die am 6. Februar 1976 ergangene – möglicherweise mißverständliche – Entscheidung (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 17) durch Urteil vom 28. Juni 1979 (SozR 2200 § 1259 Nr 42 S 110) klargestellt und darauf hingewiesen, daß – auch – die Fachschulausbildung im Regelfall nicht mit ihrer zeitlichen Begrenzung ende, sondern mit der – erfolgreichen – Abschlußprüfung; die Zeit danach erfülle mithin grundsätzlich nicht den Tatbestand einer Ausbildungszeit.
Diese am Wortlaut sowie an Sinn und Zweck der „Ausbildungszeit” orientierte Auslegung steht im Einklang mit der Ausgestaltung dieser Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, die an sich dem Versicherungsprinzip widerspricht. Sie sind als Zeiten ohne Beitragsleistung ein rentenrechtlicher Ausgleich dafür, daß der Versicherte durch sie ohne sein Verschulden gehindert war, einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen und so Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zu entrichten. Wegen der fehlenden Beitragsleistung sind diese Zeiten Solidarleistungen der Versichertengemeinschaft. In diesem Sinne beruhen sie überwiegend auf „staatlicher Gewährung” und sind Ausdruck „staatlicher Fürsorge”. Im Hinblick hierauf hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm bei ihrer Ausgestaltung zustehenden weiten Gestaltungsspielraums zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Versichertengemeinschaft davon abgesehen, Ausbildungszeiten schlechthin den Charakter von Anrechnungszeiten zu verleihen. Er hat – lediglich – bestimmte typische Ausbildungen als Ausbildungsanrechnungstatbestände normiert (vgl hierzu BSGE 55, 224, 229 f = SozR 2200 § 1259 Nr 77; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 102 S 276; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 8 S 44) – und auf der Rechtsfolgenseite ihre Berücksichtigung nur in einem bestimmten zeitlichen Rahmen zugelassen (vgl hierzu BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 9 S 46 ff) –.
Bei Normierung dieser Tatbestände hat der Gesetzgeber ua angeknüpft an bestimmte typische Ausbildungswege, die wiederum typischerweise durch den Charakter der Ausbildungsstätte geprägt sind; dabei wird typisierend und pauschalierend davon ausgegangen, daß der Versicherte durch diese Ausbildung eine berufliche Qualifikation erreicht, die ihm die Aufnahme einer regelmäßig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigung (rechtlich) ermöglicht. Entsprechendes gilt auch für § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI nF. Würde man diesen Zweck iVm dem Sinn der Vorschrift nicht mehr aufrechterhalten, würde der Grund für ihre Berücksichtigung als rentenrechtlich erhebliche Zeit entfallen. Nicht erforderlich ist allerdings, daß der Versicherte später auch einen entsprechenden Beruf ergreift oder daß er diesen Beruf auch tatsächlich ausüben kann (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 2200 § 1259 Nr 96 S 255).
Ersichtlich dienen die ohne Beitragsleistung zurückgelegten rentenrechtlichen (Ausbildungs-)Anrechnungszeiten somit nicht der Vervollständigung der Versicherungsbiographie. Sie stellen lediglich eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft dar, ohne daß diese unter dem Gesichtspunkt des Versicherungsprinzips hierzu verpflichtet ist; Art und Umfang der Ausbildung bleiben grundsätzlich im Bereich der Eigenverantwortung des einzelnen, der selbst entscheidet, ob er durch eine qualifizierte Ausbildung seine Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt (und auch auf einen höheren Verdienst) unter Verzicht auf mit (entsprechenden) Beiträgen belegte Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung verbessern will (vgl hierzu BVerfGE 58, 81, 113 = SozR 2200 § 1255a Nr 7). Dies gilt letztlich auch für die in der ehemaligen DDR Erwerbstätigen. Denn auch ihnen blieb es unbenommen, eine angebotene „Weiter(aus)bildung” anzunehmen oder einen weniger qualifizierten Beruf weiterhin auszuüben.
Wenn der Gesetzgeber im Hinblick auf den dem Versicherungsprinzip widersprechenden Charakter der Zeiten den Umfang (und den zeitlichen Rahmen) der Anrechnung auf Zeiten beschränkt, in denen der Versicherte an fachspezifischen Lehrveranstaltungen der Hoch- bzw Fachschule teilnimmt, so ist dies nicht zu beanstanden; die Beschränkung steht im Einklang damit, daß die Zuerkennung von (Ausbildungs-)Anrechnungszeiten sich als Akt des sozialen Ausgleichs darstellt und nicht etwa eine Gegenleistung der Solidargemeinschaft dafür ist, daß der Versicherte mit längeren Ausbildungszeiten höhere Verdienste erzielt und entsprechend höhere Beiträge zur Solidargemeinschaft leisten kann (vgl hierzu BVerfGE 58, 81, 113 = SozR 2200 § 1255a Nr 7).
Hieraus folgt, daß die von der Klägerin begehrte Vormerkung von Zeiten bis zur Exmatrikulation, also für Zeiten nach Beendigung der Ausbildung infolge des bestandenen Examens nicht berücksichtigungsfähig sind (vgl entsprechend zur Beendigung der Ausbildung eines Diplom-Juristen nach bestandener Prüfung: BSG SozR 3-2600 § 1259 Nr 9 S 35 f).
b) Die Zeit vom 28. Juli bis 31. August 1988 ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unvermeidbaren Zwischenzeit als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit anzuerkennen. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, daß diese „Zwischenzeit” jedenfalls zwischen zwei ihrer Art nach anrechenbaren Ausbildungsabschnitten liegen muß.
Unvermeidbare Zwischenzeiten sind nach der Rechtsprechung – iS einer erweiternden Auslegung – als den Schul- und Semesterferien „innerhalb” des Studiums, vgl BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 8 S 45) gleichstehend erachtet worden, wenn sie zwischen zwei rentenrechtlich erheblichen Ausbildungsabschnitten liegen, generell unvermeidbar und organisationsbedingt typisch sind und dementsprechend häufig vorkommen und ferner nicht länger als vier Monate andauern; dies gilt für die Zeit zwischen Schulabschluß und Beginn eines Hochschul- bzw Fachschulstudiums sowie für die sich an den Schulbesuch nicht nahtlos anschließende versicherungspflichtige Lehre bzw für das an den Fachschulbesuch nicht nahtlos anschließende versicherungspflichtige Praktikum. Diese „Zwischenzeiten” stellen sich als einheitliche, notwendig zusammenhängende Ausbildung dar. In allen diesen Fällen wird berücksichtigt, daß der Versicherte, der eine – vom Gesetzgeber vorgesehene typisierte – Ausbildung aus von ihm nicht zu vertretenden organisationsbedingten Gründen ungewollt und unvermeidbar nicht zügig fortsetzen und daher erst dementsprechend später eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehmen kann (in dem entsprechenden zeitlichen Rahmen), keinen rentenversicherungsrechtlichen Nachteil erleiden soll (vgl BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 8 mwN; BSGE 70, 220 = SozR 3-2600 § 252 Nr 1). Die og Zeit fällt jedoch nicht unter diesen von der Rechtsprechung weiterentwickelten (Ausbildungs-)Anrechnungszeittatbestand; denn nach Abschluß des Staatsexamens folgte kein weiterer Ausbildungsabschnitt, welcher der Klägerin dem Grunde nach erst einen Weg ins Berufsleben eröffnete hätte; sie war vielmehr bereits nach diesem Zeitpunkt vom Ausbildungsziel gesehen grundsätzlich in der Lage, mit dieser Ausbildung – wann auch immer – einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen.
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI im Hinblick auf „DDR-spezifische Besonderheiten”, nämlich wegen der durch die Planwirtschaft abgestimmten Vorgaben des „Staates” zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach erfolgreichem Abschluß des Studiums, auch nicht darüber hinaus erweiternd ausgelegt werden.
Es ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, ob die Klägerin unmittelbar nach dem Staatsexamen ohne zeitliche Verzögerung überhaupt in der Lage gewesen wäre, in der ehemaligen DDR einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Denn die Anrechnungszeit erstreckt sich, wie ausgeführt, nach Sinn und Zweck ausschließlich auf Zeiten der „Ausbildung” und nicht etwa auf Zeiten nach Abschluß der Ausbildung bis zum Eintritt ins Berufsleben mit dem Ziel einer lückenlosen Auffüllung der Versicherungsbiographie (vgl BSG SozR 3-2600 § 248 Nr 1 S 8 f). Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Fortentwicklung des Rechtsinstituts der „unvermeidbaren Zwischenzeit” durch die Rechtsprechung bei einer ausbildungsfreien Zeit zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Wehr-/Zivildienstes bzw zwischen Wehr-/Zivildienstende und Beginn des Studiums, wenn infolge der von hoher Hand festgelegten Termine der Beginn bzw die Fortsetzung der Ausbildung sich zeitlich verzögert (vgl hierzu BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 3; vgl entsprechend SozR 3-2200 § 1267 Nr 3; SozR 3-2600 § 48 Nr 1). Insoweit handelt es sich nämlich um Zeitabschnitte, die vor Vollendung der Ausbildung „unvermeidbar” iS der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze waren.
d) Eine Analogie, die die Berücksichtigung auch dieser Zeiten (Ende der Ausbildung bis zum Beginn einer versicherungspflichtigen Beschäftigung) im Hinblick auf die Studien- und Arbeitsverhältnisse in der ehemaligen DDR ermöglichen würde, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn es liegt keine Regelungslücke vor, die unter Beachtung von Sinn und Zweck durch eine analoge Anwendung von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI geschlossen werden könnte.
§ 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI enthält insoweit keine planwidrige Unvollständigkeit. Vielmehr entspricht die Nichtberücksichtigung der og Fallgruppe im Rahmen dieser Vorschrift dem dargelegten Sinn und Zweck der (Ausbildungs-)Anrechnungszeiten und auch den übergangsrechtlichen Bestimmungen des „Rentenüberleitungsrechts” (§§ 248 Abs 3 Satz 2, 252a SGB VI) und demnach dem Plan des Gesetzgebers.
Der Senat hat bereits zu dem Institut der planmäßigen wissenschaftlichen Aspirantur in der ehemaligen DDR, einem „durch ein Stipendium abgesichertes Ausbildungsverhältnis an der Hochschule” entschieden, daß der Gesamtheit der Regelungen des SGB VI keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen seien, daß ab Einführung eines einheitlichen Rentenrechts in ganz Deutschland eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Beitragszahler der alten Bundesländer gegenüber den Rentenbeziehern des Beitrittsgebiets habe erfolgen sollen; es habe ausgeschlossen werden sollen, daß Rentner für in einem fremden System zurückgelegte Zeiten Bewertungsvorteile erhielten, die dem größten Teil der Rentner in der Bundesrepublik Deutschland, gerade auch den heute belasteten Beitragszahlern, von vornherein nicht zuwachsen könnten (so BSG SozR 3-2600 § 248 Nr 1 S 5, 6).
e) Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz ist insoweit auch nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 87, 1, 36 f mwN). Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die nicht zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen führt. Denn selbst wenn man als Vergleichspaar „ostdeutsche” und „westdeutsche” Rentner ansehen würde, so würde die – rentenrechtliche – Nichtberücksichtigung der Zeit zwischen Ausbildungsende und Eintritt in das Erwerbsleben in gleicher Weise ost- wie westdeutsche Rentner treffen, unabhängig davon, ob die staatliche Planwirtschaft oder die Arbeitsmarktlage oder aber bestimmte Einstellungstermine des Staates (auch der alten Bundesländer) faktisch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Anschluß an das bestandene Examen hindern.
Nach alledem hat die Klägerin in dem streitigen Zeitraum keinen Anrechnungstatbestand und auch keinen sonstigen Erwerbstatbestand für eine rentenrechtliche Zeit iS des SGB VI erfüllt. Gemäß § 248 Abs 3 Satz 1 SGB VI stehen zwar Beitragszeiten nach Bundesrecht Zeiten gleich, für die Beiträge zu einem System der gesetzlichen Rentenversicherung nach vor dem Inkrafttreten von Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften gezahlt worden sind; dies gilt aber nicht, wie § 248 Abs 3 Satz 2 Nr 1 SGB VI zu entnehmen ist, für die eine Versicherungspflicht fingierende sog Studentenversicherung in der ehemaligen DDR.
Die Revision der Beklagten hat mithin Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1173885 |
ZAP-Ost 1998, 102 |
NJ 1998, 447 |
SozR 3-2600 § 58, Nr.13 |
SozSi 1999, 77 |