Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter. Rechtsgrundlage. Abgrenzung allgemeiner und besonderer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Förderungsfähigkeit einer Ausbildung zum Heilpraktiker. Besondere Einrichtung. Eignung
Leitsatz (redaktionell)
- Ob eine Maßnahme zur beruflichen Eingliederung Behinderter als allgemeine oder besondere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu fördern ist, kann nicht offen gelassen werden, da sich die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterscheiden.
- Einem Anspruch auf Förderung des Besuchs einer Heilpraktikerschule als Leistung zur beruflichen Eingliederung Behinderter steht nicht entgegen, dass die Heilpraktikerschule keine besondere Einrichtung für Behinderte darstellt. Eine schulische Ausbildung kann auch außerhalb einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen stattfinden, wenn eine geeignete Ausbildung im Einzelfall nicht auf andere Weise durchführbar ist.
- Die Eignung des Behinderten für die begehrte Maßnahme muß sich nicht nur auf die erfolgreiche Teilnahme an der Ausbildung selbst, sondern auch auf die spätere berufliche Betätigung erstrecken. Für den Beruf des Heilpraktikers bedeutet dies, dass unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis und der zu den einschlägigen Vorschriften ergangenen Rechtsprechung im Wege der prognostischen Einzelbeurteilung zu prüfen ist, ob der Behinderte bei einem erfolgreichen Abschluss der Bildungsmaßnahme die für eine berufliche Tätigkeit als Heilpraktiker nach § 1 HPG erforderliche Erlaubnis erlangen kann.
Normenkette
SGB III §§ 102, 100, 98, 97, 3 Abs. 5; HPG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 2004 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Förderung des Besuchs einer Heilpraktikerschule als Leistung zur beruflichen Eingliederung Behinderter.
Die im Jahre 1976 geborene Klägerin, die über keinen beruflichen Abschluss verfügt, ist körperlich behindert. Sie leidet unter den Folgen einer angeborenen Spina bifida und ist darüber hinaus erheblich sehbehindert.
Die Klägerin erwarb die mittlere Reife; den anschließenden Besuch einer Fachoberschule brach sie vorzeitig ab. Vom 8. September 1997 bis 31. Juli 1998 absolvierte sie einen von der Beklagten geförderten Lehrgang im Werkstattverbund der Bayerischen Landesschulen für Blinde und Körperbehinderte. Der Abschlussbericht erwähnt, dass sie eine Heilpraktikerausbildung, zumindest als Teilausbildung, anstrebe. Ab 1. August 1998 bezog die Klägerin Arbeitslosenhilfe (Alhi), seit September 1998 besuchte sie in Eigeninitiative und mit dem Endziel einer Betätigung auf dem Gebiet der sog Kinesiologie eine allgemein zugängliche Heilpraktikerschule. Die allgemeine Ausbildung zur Heilpraktikerin hat die Klägerin im Jahr 2001 beendet, ohne einen Abschluss zu erreichen.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 1. Oktober 1998 ab, den Besuch der Heilpraktikerschule zu fördern, da die nicht zu einem Berufsabschluss führende schulische Ausbildung nicht förderungsfähig und die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen für den Beruf der Heilpraktikerin nicht geeignet sei; zudem könnten Heilpraktiker nicht im notwendigen Umfang auf Arbeitnehmertätigkeiten zurückgreifen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2000).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die beim Zentrum für Naturheilkunde in München im September 1998 begonnene Ausbildung der Klägerin zur Heilpraktikerin als Leistung zur beruflichen Eingliederung Behinderter dem Grunde nach zu fördern (Urteil vom 31. Oktober 2001).
Im anschließenden Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) eine Auskunft des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker, Landesverband Bayern eV und ein nervenfachärztliches Gutachten eingeholt. Sodann hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 30. November 2004) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin benötige wegen Art und Schwere ihrer Behinderung Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung. Der Anspruch auf Förderung scheitere nicht daran, dass der Beruf der Heilpraktikerin überwiegend als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werde. Denn zum einen sei auch eine berufliche Eingliederung in selbstständige Tätigkeiten zulässig, zum anderen sei nach der eingeholten Auskunft auch die Ausübung des Berufs im Angestelltenverhältnis möglich. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Klägerin für den angestrebten Beruf der Heilpraktikerin auch geeignet. Dass sie diesen Beruf auf Grund ihrer Behinderung unstreitig nicht im gesamten beruflichen Spektrum ausüben könne, sei hinzunehmen, weil keine Ausbildung möglich sei, bei der diese Einschränkungen nicht gegeben wären. Die Klägerin sei jedenfalls für eine Berufsausübung mit dem Schwerpunkt Kinesiologie geeignet, dies ergebe sich überzeugend aus der eingeholten Auskunft. Danach kämen für sie vorrangig Methoden aus dem Bereich der manuellen Therapie wie beispielsweise Muskelmobilisationstechniken, Chirotherapie und Massageverfahren in Betracht. Nach dem nervenfachärztlichen Gutachten könne sie die in der Auskunft genannten Tätigkeiten ausüben. Dem lasse sich nicht entgegen halten, dass die Klägerin im Jahr 2001 die Prüfung nicht bestanden habe, weil es maßgebend auf die zu Beginn der Maßnahme zu stellende Prognose ankomme. Durch den Vorbezug von Alhi habe die Klägerin auch die Anwartschaft für eine Weiterbildungsförderung erfüllt. Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss, die noch nicht drei Jahre beruflich tätig gewesen seien, hätten zwar nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Gesetzesfassung nur auf Grund der Vorschriften über die Förderung der Berufsausbildung gefördert werden können (§ 77 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch ≪SGB III≫) und die Ausbildung an der Heilpraktikerschule erfülle nicht die gesetzlichen Förderungsvoraussetzungen einer beruflichen Ausbildung (§ 60 Abs 1 SGB III). Das lasse sich aber einem Anspruch jedenfalls mit Wirkung ab 1. Januar 1999 nicht mehr entgegen setzen, weil seither auf Grund der Neufassung des § 77 Abs 3 SGB III eine Weiterbildungsförderung auch möglich sei, wenn eine berufliche Ausbildung oder eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei, was bei der Klägerin zweifellos zutreffe. Unabhängig davon bestehe bereits für die Zeit vor dem 1. Januar 1999 ein Anspruch der Klägerin auf besondere Leistungen zur beruflichen Eingliederung, weil zu Beginn der Ausbildung an der Heilpraktikerschule die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang als allgemeine Leistungen hätten erbracht werden können. Insoweit stehe einem Anspruch auch nicht entgegen, dass die Heilpraktikerschule keine besondere Einrichtung für Behinderte darstelle. Zu Beginn der Maßnahme habe es noch keine speziell auf Behinderte ausgerichtete Heilpraktikerschule gegeben und eine andere Form der Eingliederung sei nicht denkbar. Deshalb müsse ausnahmsweise auch eine schulische Ausbildung gefördert werden, die Behinderten wie Nichtbehinderten zugänglich sei.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Vorschriften über die Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter und bringt zur Begründung ua vor: Ihre Prognoseentscheidung, die Eignung für die angestrebte Ausbildung zur Heilpraktikerin fehle, habe sich dadurch als richtig erwiesen, dass die Klägerin die Prüfung nicht bestanden habe. Auch komme kein Anspruch auf allgemeine Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung in Betracht, weil es sich bei dem Besuch der Heilpraktikerschule um keine Weiterbildungsmaßnahme gehandelt habe. Denn die Klägerin habe noch keine berufliche Tätigkeit ausgeübt und keine Zeiten einer Berufsausbildung zurückgelegt, sondern vielmehr mit dem Besuch der Heilpraktikerschule einen erstmaligen beruflichen Abschluss angestrebt, was nur als “Ausbildung” bewertet werden könne. Die vom LSG herangezogene Neuregelung des § 77 Abs 3 SGB III könne zu keinem anderen Ergebnis führen, weil ihre Anwendung voraussetze, dass der Antragsteller zumindest schon kurzzeitig Arbeitnehmer gewesen sei, was bei der Klägerin nicht zutreffe. Überdies habe das LSG auch nach seinem gegenteiligen Standpunkt die Berufung allenfalls für die Zeit ab 1. Januar 1999 zurückweisen dürfen. Einem Anspruch auf die besonderen Leistungen stehe die Subsidiarität dieser Leistungen gegenüber den allgemeinen Leistungen entgegen. Besondere Leistungen kämen nicht schon in Betracht, wenn die Beklagte – wie hier – die Bewilligung allgemeiner Leistungen fehlerfrei abgelehnt habe, sondern nur, wenn eine Förderung mit allgemeinen Leistungen nach dem Gesetz überhaupt nicht vorgesehen sei. Zudem dürften besondere Leistungen nur erbracht werden, wenn feststehe, dass der Behinderte auf die besonderen Hilfen einer behinderungsspezifischen Bildungsmaßnahme in einer Rehabilitationseinrichtung oder einer gleichartigen, auf Behinderte besonders ausgerichteten Maßnahme angewiesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 2004 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 31. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigende Sachurteilshindernisse sind nicht ersichtlich. Insbesondere steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, dass die Klägerin die von ihr beanspruchten Förderungsleistungen nicht im Einzelnen konkretisiert hat. Denn wenn dafür ein – hier nicht zweifelhaftes – Rechtsschutzbedürfnis besteht, ist es statthaft, einen Rechtsstreit auf die Grundfrage zu beschränken, ob eine Bildungsmaßnahme überhaupt förderungsfähig ist (BSG SozR 4100 § 36 Nr 24 mwN). Da die Klägerin deutlich gemacht hat, dass ihr Begehren auf die Förderung einer ganz bestimmten Maßnahme (Teilnahme am Unterricht der Heilpraktikerschule beim Zentrum für Naturheilkunde in München seit September 1998) gerichtet ist, und die durch das Berufungsurteil bestätigte Entscheidung des SG diesem konkreten Begehren Rechnung trägt, ergeben sich auch insoweit keine verfahrensrechtlichen Bedenken (vgl BSG Urteil vom 12. April 1984, 7 RAr 39/83, veröffentlicht in juris).
1. Ob die angefochtene Verwaltungsentscheidung (Bescheid vom 1. Oktober 1998; Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2000), mit der die Beklagte eine Förderung des Besuchs der Heilpraktikerschule dem Grunde nach abgelehnt hat, rechtmäßig ist, kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Das LSG hat bei der Rechtmäßigkeitsprüfung schon nicht beachtet, dass nach § 422 Abs 1 Nr 3 SGB III in der ab 1. Januar 1998 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I S 594) bei Änderungen des SGB III die im Zeitpunkt des Maßnahmebeginns geltenden gesetzlichen Regelungen anzuwenden sind (vgl BSGE 89, 192 = SozR 3-4300 § 422 Nr 2). Dies entspricht der bereits zuvor geltenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach für die Beurteilung der Förderungsfähigkeit und des Umfangs der Förderung auf den Zeitpunkt des Maßnahmebeginns abzustellen war (so zum anzuwendenden Recht und zur Unbeachtlichkeit späterer Änderungen: BSG SozR 2200 § 1236 Nr 16; BSG Urteil vom 20. März 1986, 11b RAr 4/85, veröffentlicht in juris, jeweils mwN). Auszugehen ist deshalb bei der Prüfung des Anspruchs der Klägerin vom Rechtszustand zum Zeitpunkt des Beginns der Bildungsmaßnahme zur Heilpraktikerin im September 1998.
Dem Urteil des LSG kann nicht entnommen werden, auf welche Rechtsgrundlage es den Anspruch auf Förderung der Heilpraktikerausbildung stützt, wenngleich die Ausführungen in dem von der Beklagten beanstandeten Teil des Urteils (S 10 im Urteilsumdruck) im Ergebnis dafür sprechen, dass das LSG von einer besonderen Leistung der beruflichen Eingliederung Behinderter ausgehen wollte. Diese Frage konnte vom LSG nicht offen gelassen werden, weil sich die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterscheiden. Allerdings sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass für die Klägerin grundsätzlich Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter (§§ 97 ff SGB III) in Betracht kamen. Nach § 12 SGB III iVm § 19 Abs 1 SGB III (in der bis zum Inkrafttreten des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuches ≪SGB IX vom 19. Juni 2001, BGBl I S 1046≫ am 1. Juli 2001 geltenden Fassung des AFRG) sind Behinderte im Sinne des Rechts der Arbeitsförderung körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigte Personen, deren Aussichten, beruflich eingegliedert zu werden oder zu bleiben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur beruflichen Eingliederung benötigen. Dass die Vorinstanzen diese Voraussetzungen im Hinblick auf die Klägerin als erfüllt angesehen haben, begegnet angesichts der tatsächlichen, im Revisionsverfahren zu Grunde zu legenden Feststellungen (§ 163 SGG) keinen Bedenken.
Nach § 97 Abs 1 SGB III (in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung durch das AFRG) können Behinderten Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung erbracht werden, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre berufliche Eingliederung zu sichern. Nach § 98 Abs 1 SGB III (in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung durch das AFRG) können als Leistungen zur beruflichen Eingliederung allgemeine Leistungen und besondere Leistungen erbracht werden. Nach Abs 2 dieser Vorschrift werden die besonderen Leistungen zur beruflichen Eingliederung nur erbracht, soweit nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen eine berufliche Eingliederung erreicht werden kann. Als Rechtsgrundlage für den auf Geldleistungen gerichteten Anspruch der Klägerin kommen grundsätzlich folgende Anspruchsgrundlagen in Betracht (vgl auch BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 2 RdNr 6):
• ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe als allgemeine Leistung der beruflichen Eingliederung gemäß §§ 98 Abs 1 Nr 1, 100 Nr 5 SGB III iVm §§ 59 ff SGB III,
• ein Anspruch auf Unterhaltsgeld zuzüglich der Weiterbildungskosten als allgemeine Leistung der beruflichen Eingliederung nach §§ 98 Abs 1 Nr 1, 100 Nr 6 SGB III iVm §§ 77, 81, 153 SGB III oder
• ein Anspruch auf Übergangsgeld oder Ausbildungsgeld zuzüglich der Teilnahmekosten als besondere Leistung der beruflichen Eingliederung gemäß §§ 98 Abs 1 Nr 2, 102 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 103 SGB III iVm §§ 160 ff, 104 ff, 109 ff SGB III.
2. Vorrangig ist wegen der in § 98 Abs 2 SGB III getroffenen Regelung zunächst zu prüfen, ob eine berufliche Eingliederung durch allgemeine Leistungen erreicht werden kann. Die in Betracht kommenden allgemeinen Leistungen sind in § 100 SGB III (hier in der bis 31. Juli 1999 geltenden Fassung des AFRG) im Einzelnen aufgezählt und entsprechen – vorbehaltlich abweichender Bestimmungen in § 101 SGB III (vgl § 99 SGB III) – den Leistungen, die nach den §§ 45 bis 94 SGB III auch für Nichtbehinderte in Frage kommen.
Die allgemeinen Leistungen nach § 100 SGB III umfassen die Förderung der Berufsausbildung oder der beruflichen Weiterbildung. Nicht geklärt ist, ob die von der Klägerin besuchte Bildungsmaßnahme mit dem Ziel eines Abschlusses als Heilpraktikerin bereits hiernach für eine Förderung in Betracht kommt. Die Zuordnung ist unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen (BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 2). Eine Förderung als Ausbildungsmaßnahme kommt nur in Betracht, wenn es sich um den ersten Berufsabschluss handelt und die Maßnahme ihrem objektiven Charakter nach auch nicht zumindest auf bereits erworbenen Kenntnissen aufbaut (zur Abgrenzung BSG SozR 3-4100 § 42 Nr 4).
2.1 Kommt das LSG auf Grund der noch zu treffenden Feststellungen zum Charakter der Bildungsmaßnahme zu dem Ergebnis, dass sich die Heilpraktikerausbildung als Ausbildungsmaßnahme darstellt, so scheidet eine Förderung als allgemeine Leistung der beruflichen Eingliederung aus, weil die Ausbildung – wie vom LSG bereits ausgeführt – nicht zu den nach § 60 SGB III förderungsfähigen Ausbildungen gehört. Eine Förderung wäre dann ggfs im Rahmen der besonderen Leistungen zur beruflichen Eingliederung möglich (s unter 3.).
2.2 Ist die Bildungsmaßnahme als berufliche Weiterbildung einzuordnen, wird das LSG zudem zu beachten haben, dass zwar § 77 Abs 3 SGB III bis zu der hier noch nicht zu berücksichtigenden Änderung der Vorschrift ab 1. Januar 1999 (durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998, BGBl I S 3843) keine Öffnungsklausel für Arbeitnehmer enthielt, die noch nicht drei Jahre beruflich tätig gewesen sind. Jedoch wurde diese Regelung für den Bereich der beruflichen Rehabilitation ohnehin durch § 101 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB III in der hier maßgeblichen Fassung des AFRG modifiziert, denn danach konnte eine berufliche Weiterbildung als allgemeine Leistung auch dann gefördert werden, wenn der Behinderte als Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss noch nicht drei Jahre beruflich tätig gewesen war (vgl BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 2 RdNr 13). Gleichwohl ändert die Vorschrift die Kriterien für die Abgrenzung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht, die objektiv anhand der konkreten Ausgestaltung der Maßnahme vorzunehmen ist (so zutreffend Luik in Eicher/Schlegel, SGB III, § 101 RdNr 46).
Ist die Maßnahme als Weiterbildungsmaßnahme einzuordnen, so sind vom LSG des Weiteren die Tatbestandsvoraussetzungen des § 77 SGB III zu prüfen. Die vom LSG in seiner Entscheidung gezogene Schlussfolgerung, die Voraussetzungen des § 77 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB III seien erfüllt, weil vor Beginn der Ausbildung der Klägerin mehrere Beratungen seitens der Beklagten stattgefunden hätten und diese selbst eingeräumt habe, sie könne nicht einwenden, dass keine Maßnahmeprüfung erfolgt sei (vgl dazu auch den Entwurf Bl 112 der vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten), kann die erforderliche Prüfung nicht erübrigen. Hinsichtlich der in § 77 Abs 1 Nr 3 (Beratung und Zustimmung durch das Arbeitsamt) und Nr 4 (Anerkennung der Maßnahme für die Weiterbildungsförderung) geregelten Voraussetzungen sei auch auf die Rechtsprechung des 7. Senats des BSG (BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 1 RdNr 38; Nr 2 RdNr 17) hingewiesen, wonach diese Tatbestandsmerkmale uU im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden können.
3. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von allgemeinen Leistungen der beruflichen Eingliederung nicht vor, so wird das LSG zu prüfen haben, ob der Klägerin ein Rechtsanspruch auf eine Förderung durch besondere Leistungen zusteht (vgl § 3 Abs 5 SGB III). Die durch die §§ 99 und 103 ff SGB III näher geregelten besonderen Leistungen sind nach § 102 Abs 1 Satz 1 SGB III (in der vom 1. Januar 1998 bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung durch das 1. SGB III-ÄndG vom 16. Dezember 1997, BGBl I S 2970) an Stelle der allgemeinen Leistungen insbesondere zur Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung einschließlich Berufsvorbereitung sowie blindentechnischer und vergleichbarer spezieller Grundausbildungen zu erbringen, wenn (Nr 1) Art oder Schwere der Behinderung oder die Sicherung des Eingliederungserfolgs die Teilnahme an (Buchst a) einer Maßnahme in einer besonderen Einrichtung für Behinderte oder (Buchst b) einer sonstigen auf die besonderen Bedürfnisse Behinderter ausgerichteten Maßnahme unerlässlich machen oder (Nr 2) die allgemeinen Leistungen die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder nicht im erforderlichen Umfang vorsehen.
Hinsichtlich der Förderungsfähigkeit der von der Klägerin besuchten Maßnahme teilt der Senat die vom LSG geäußerte und in der Literatur vorherrschende Auffassung (Lauterbach in Gagel, SGB III, § 102 Rz 14; Luik in Eicher/Schlegel, SGB III, § 102 RdNr 39; vgl auch BSG SozR 4-4300 § 77 Nr 2 RdNr 13), wonach eine schulische Ausbildung auch außerhalb einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen stattfinden kann, wenn eine geeignete Ausbildung im Einzelfall nicht auf andere Weise durchführbar ist. Die Regelung in § 102 Abs 1 Satz 2 SGB III (in der bis 30. Juni 2001 geltenden Fassung des AFRG), wonach in besonderen Einrichtungen für Behinderte auch Aus- und Weiterbildungen außerhalb des Berufsbildungsgesetzes oder der Handwerksordnung gefördert werden können, hat nur klarstellenden Charakter und schließt diese Möglichkeit jedenfalls nicht für den Fall aus, dass ein entsprechendes Angebot für behinderte Menschen nicht vorgehalten wird.
4. Der Senat braucht angesichts der ohnehin erforderlichen Zurückverweisung nicht dazu Stellung zu nehmen, ob er hinsichtlich der von der Revisionsbegründung in Abrede gestellten allgemeinen Eignung der Klägerin für die Ausbildung zur Heilpraktikerin mangels entsprechender Verfahrensrügen der Beklagten von den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hätte ausgehen müssen. Für die vom LSG erneut vorzunehmende Prüfung der Eignung der Klägerin weist der Senat aber darauf hin, dass diese sich nicht nur auf eine erfolgreiche Teilnahme an der Ausbildung selbst, sondern auch auf die spätere berufliche Betätigung erstrecken muss. Insoweit kann für die Beurteilung der Eignung von Bedeutung sein, dass sich weitere Anforderungen aus den Bestimmungen des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz ≪HPG≫ vom 17. Februar 1939, RGBl I S 251, bereinigte Fassung: BGBl III 2122-2) sowie aus der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 18. Februar 1939 (DV-HPG, RGBl I S 259, bereinigte Fassung: BGBl III 2122-2-1) ergeben dürften (vgl zur Verfassungskonformität dieser Vorschriften zB BVerfGE 78, 179; BVerfG NJW-RR 2004, 705; BVerwGE 66, 367).
Nach § 1 HPG bedarf jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird, der Erlaubnis. Nach § 2 Abs 1 der 1. DV-HPG (hier anzuwenden in der vom 1. April 1970 bis zum 30. April 2002 geltenden Fassung durch das Gesetz vom 25. Juni 1969, BGBl I S 582645) wird die Erlaubnis allerdings (ua) nicht erteilt, wenn dem Antragsteller infolge eines körperlichen Leidens oder wegen Schwäche seiner geistigen oder körperlichen Kräfte oder wegen einer Sucht die für die Berufsausbildung erforderliche Eignung fehlt (Buchst g), oder wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde (Buchst i; zu der amtsärztlichen Überprüfung vgl auch BVerwGE 100, 221). Das LSG wird ggfs unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis und der zu den genannten Vorschriften ergangenen Rechtsprechung (vgl etwa VGH Baden-Württemberg, MedR 1997, 555; VG Koblenz, Urteil vom 19. Juni 2000 – 3 K 155/00.KO, veröffentlicht in juris) zu prüfen haben, ob die Klägerin bei einem erfolgreichen Abschluss der Bildungsmaßnahme die für eine (selbstständige oder abhängige) berufliche Betätigung als Heilpraktikerin erforderliche Erlaubnis hätte erlangen können. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte bei ihrer Prognoseentscheidung diesen Gesichtspunkt nicht berücksichtigt hat. Denn bei der vorausschauenden Beurteilung der “Erfolgsaussicht”, die der Feststellung der Eignung in vorausschauender Betrachtung entspricht, handelt es sich um eine prognostische Einzelbeurteilung, die der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl BSG SozR 3-4100 § 36 Nr 5; Luik in Eicher/Schlegel, SGB III, § 97 RdNr 38, 45 mwN).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen