Verfahrensgang
SG Stuttgart (Urteil vom 13.12.1978) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene während eines Praktikums versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung war.
Der Beigeladene leistete das Praktikum, das Voraussetzung für die Aufnahme des angestrebten Architektur Studiums war, in der Zeit vom 9. Februar 1977 bis 8. Juni 1977 beim Universitätsbauamt Freiburg ohne Entgelt ab. Mit Bescheid vom 7. September 1977 forderte die Beklagte den Kläger auf, für den Beigeladenen Beiträge aus einem fiktiven Entgelt von monatlich 30,– DM zu entrichten. Zur Begründung führte sie aus, ein Praktikum, das im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, unterliege der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Entsprechend bestehe auch Versicherungspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Der Widerspruch des Klägers, der sich lediglich gegen die Feststellung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung richtete, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1977). Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat der Klage stattgegeben und die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 13. Dezember 1978). Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Der Beigeladene habe zwar in der streitigen Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO gestanden. Da er jedoch nicht gegen Entgelt beschäftigt gewesen sei, gelte für ihn die Ausnahme des § 165 Abs. 2 RVO. „Vorpraktikanten” könnten nicht unter den Begriff „Lehrlinge” subsumiert werden. Dieser Begriff umfasse den Personenkreis, der durch die Arbeit in einem handwerklichen Beruf eine Qualifikation für diesen Beruf erlange. Das vom Beigeladenen abgeleistete Praktikum habe jedoch eine völlig andere Punktion gehabt. Es sei darum gegangen, eine Voraussetzung für eine noch aufzunehmende Ausbildung zu schaffen. Würden diese Vorpraktikanten in der Regel unter § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO fallen, dann hätte es der Vorschrift des § 165 Abs. 1 Nr. 6 RVO nicht bedurft, auch wenn die Versicherungspflicht nach dieser Vorschrift derjenigen nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO nachgeordnet sei.
Mit der – vom SG im Urteil zugelassenen – Sprungrevision vertritt die Beklagte die Auffassung, daß auch nach § 19 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) die Praktikanten unter den an die Stelle des Begriffs „Lehrling” getretenen Begriff des „Auszubildenden” zu subsumieren seien. Das SG habe den Begriff des Lehrlings zu eng ausgelegt. Aus § 165 b Abs. 2 RVO ergebe sich, daß der Gesetzgeber ihn allumfassend verstanden wissen wollte,
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen,
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Begriff des Lehrlings in § 165 Abs. 2 RVO sei an Hand formeller Kriterien (klare Ausrichtung auf das Ziel der Berufsausbildung; Anleitung durch Lehrmeister; Festlegung und Bemessung der Lehrzeit zur Ermöglichung der Gesellenprüfung; Verpflichtung zur Gesellenprüfung, „Werkstatturlaub”; schriftlicher und in die Lehrlingsrolle eingetragener Lehrvertrag) eng auszulegen. Hiernach könne ein „Vorpraktikant” nicht als „Lehrling” bezeichnet werden. Auch aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) ergebe sich nichts anderes.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das SG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Beigeladene als Praktikant nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 iVm Abs. 2 RVO unterliegt. Er zählt nicht zu den „Lehrlingen” iS dieser Vorschrift, die auch dann krankenversicherungspflichtig sind, wenn sie ohne Entgelt beschäftigt werden. Auch wenn unterstellt wird 9 daß der Beigeladene bei der Ableistung seines durch eine Studienordnung vorgeschriebenen Berufspraktikums schon aus organisatorischen Gründen in den Betrieb des Universitätsbauamts eingegliedert und gewissen Weisungen unterworfen war, er mithin die Merkmale eines abhängig Beschäftigten aufwies, erfüllte er nicht die rechtlichen Voraussetzungen eines „Lehrlings”.
Zu den Lehrlingen rechnen zwar – entgegen der zu engen Abgrenzung des SG – nicht nur die für einen handwerklichen Beruf ausgebildeten „Arbeiter-Lehrlinge” (§ 165 a Nr. 2 RVO), sondern auch „Angestellten-Lehrlinge”, wenn sie sich in einer geregelten Ausbildung zu einem Angestelltenberuf befinden (§ 165 b Abs. 2 RVO). Zu ihnen könnten jedoch Praktikanten allenfalls dann gerechnet werden, wenn sie – ähnlich wie Lehrlinge – eine umfassende Fachausbildung erhalten, die sie befähigt, den fraglichen Beruf selbst auszuüben, wenn ihre Beschäftigung also nicht nur – wie dies in der Regel bei Praktikanten zutrifft – dazu dient, sie mit den im Beruf verwendeten Materialien, Werkzeugen und Maschinen vertraut zu machen, so daß sie den einschlägigen Vorlesungen auf der Hochschule mit Verständnis folgen können (so schon RVA, GE 2650, AN 1921, 339, 340, wo die Lehrlingseigenschaft verneint worden ist für „Maschinenbaubeflissene”, die vor ihrem Hochschulstudium ein Jahr in einer Eisenbahnwerkstatt praktisch arbeiteten; vgl. ferner GE 3497, AN 1929 IV, 310, 312; die Notwendigkeit einer „umfassenden” Fachausbildung betonen auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 51. Nachtrag, S. 303 c, und Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 49. Nachtrag, Anm. 5 zu § 165 a RVO, S. 17/83).
Dieser enge, Praktikanten im allgemeinen nicht mitumfassende Lehrlingsbegriff gilt bis heute. In der Rentenversicherung hat er allerdings seine einschränkende Bedeutung dadurch verloren, daß dort seit 1957 den Lehrlingen diejenigen gleichgestellt worden sind, die „sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind” (§ 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO) oder die „sonst zu ihrer Ausbildung für den Beruf eines Angestellten beschäftigt sind” (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG), was auch für Praktikanten zutreffen kann. Eine entsprechende Gleichstellungsvorschrift für die Krankenversicherung ist bisher nicht ergangen (vgl. den – nicht Gesetz gewordenen – Entwurf eines Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes, BR-Drucks 342/62, § 166 Abs. 1 Nr. 1 RVO und die Begründung dazu, S. 7 und S. 72 aaO).
Auch das BBiG vom 14. August 1969 (BGBl I 1112), das die Bezeichnung Lehrling durch Auszubildenden ersetzt hat, hat den alten Lehrlingsbegriff in der Sache im wesentlichen beibehalten (vgl. § 1 Abs. 2; danach hat die Berufsausbildung eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten Berufstätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln). Daß die §§ 3 bis 18 BBiG nach dessen § 19 mit bestimmten Einschränkungen auch für Personen gelten, die eingestellt werden, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben, ohne daß es sich um eine Berufsausbildung iS dieses Gesetzes handelt (hierzu können auch Praktikanten gehören), macht diese Personen nicht zu Auszubildenden oder Lehrlingen.
Auch daß eine Beschäftigung im Rahmen betrieblicher Berufsbildung, die dem Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen dient, als eine Beschäftigung iS des Sozialversicherungsrechts gilt (§ 7 Abs. 2 SGB 4), begründet für die so Beschäftigten nicht ohne weiteres Versicherungspflicht; denn auch deren Versicherungspflicht besteht nur „nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige” (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB 4). In der Krankenversicherung sind danach aber im Falle einer unentgeltlichen Beschäftigung nur Lehrlinge versicherungspflichtig, zu denen der Beigeladene – wie ausgeführt – nicht gehört.
Da dieser sonach nicht versicherungspflichtig nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 iVm Abs. 2 RVO war, durfte der Kläger auch nicht als beitragspflichtiger Arbeitgeber in Anspruch genommen werden.
Die Zugehörigkeit des Beigeladenen zum Personenkreis des § 165 Abs. 1 Nr. 6 RVO und seine Befreiung von einer nach dieser Vorschrift bestehenden Versicherungspflicht gemäß § 173 d RVO waren nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 925840 |
BSGE, 88 |