Leitsatz (amtlich)
1. Ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde kann auch gegeben sein, wenn die rechtswidrige Handlung oder Unterlassung (unzureichende Beratung), die zu Nachteilen für den Versicherten geführt hat, einer anderen Behörde zuzurechnen ist.
2. Eine Krankenkasse kann von einem Versicherten, der als Rentenantragsteller ihr Pflichtmitglied geworden ist (§ 165 Abs 1 Nr 3, § 306 Abs 2 RVO), für eine zurückliegende Zeit keine Beiträge fordern, wenn der Versicherte über seine - mit dem Tage des Rentenantrages eingetretene - Pflichtmitgliedschaft und die daraus folgende Leistungsberechtigung gegenüber der Krankenkasse nicht ausreichend aufgeklärt war und deshalb ihm zustehende Leistungen nicht in Anspruch genommen, sondern angefallene Krankheitskosten selbst oder über seine private Krankenversicherung getragen hatte.
Normenkette
SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11, § 15 Fassung: 1975-12-11; RVO § 165 Abs 1 Nr 3 Fassung: 1956-06-12, § 381 Abs 3 S 2 Fassung: 1956-06-12
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 14.02.1979; Aktenzeichen L 8 Kr 957/78) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.06.1978; Aktenzeichen S 9 Kr 82/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Krankenversicherung der Rentner nachträglich zu befreien ist und ob ihm gezahlte Beiträge für die Zeit zwischen Rentenantragstellung und Rentenbeginn von der Beklagten zu erstatten sind.
Der Kläger gehörte bereits in den Jahren 1949/1950 der Beklagten als Mitglied an. Danach war er privat krankenversichert. Im Januar 1976 beantragte er bei der B f A (BfA) die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung seines 65. Lebensjahres am 13. Juli 1976. Zugleich mit der Antragstellung (am 20. Januar 1976) füllte er das Formular für die Meldung zur Rentnerkrankenversicherung aus. Durch Ankreuzen der entsprechenden Rubrik dieses Meldeformulars beantragte er die Mitgliedschaft bei der für seinen Wohnort zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) B H, der Beklagten. Dabei gab er an, daß er privat krankenversichert sei. Die vorgedruckte Erklärung, daß er das Merkblatt über die Rentnerkrankenversicherung erhalten habe, ist nicht gestrichen. In dem Meldeformular war auch eine Belehrung darüber enthalten, daß sich Privatversicherte binnen eines Monats nach Rentenantragstellung von der Rentnerkrankenversicherung befreien lassen könnten. Mit einem Schreiben vom 8. März 1976 bat die Beklagte den Kläger um weitere Angaben und teilte ihm mit, daß er aufgrund seines Rentenantrags krankenversicherungspflichtig geworden sei. Ferner legte sie noch einmal dar, daß privatversicherte Rentner sich von der Pflichtversicherung befreien lassen könnten. Dieses Schreiben sandte der Kläger ausgefüllt zurück mit dem erneuten Antrag, die Rentnerkrankenversicherung bei der Ortskrankenkasse seines Wohnorts durchzuführen.
Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit Bescheid vom 5. Mai 1976 mit, daß er ab 20. Januar 1976 ihr Mitglied sei und von diesem Zeitpunkt an Beiträge zu entrichten habe. Zugleich forderte sie diese Beiträge an. Kurz danach wurden ihm - erstmalig - Krankenscheine zugesandt.
Der Kläger erhob gegen die Feststellung der Versicherungspflicht und die Heranziehung zu Beiträgen Widerspruch und widerrief schließlich mit Schreiben vom 20. Juni 1976 seine Erklärung, daß die Versicherung bei der AOK B H durchgeführt werden solle. Zur Begründung führte er aus, daß er das Geschäftsgebaren der Beklagten als unangemessen beanstande. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 1977). Klage und Berufung blieben ebenfalls erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- Frankfurt/M vom 30. Juni 1978; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 14. Februar 1979).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei nach § 165 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung in der vor dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung (RVO aF) und § 315a RVO als Rentenantragsteller kraft Gesetzes in der Rentnerkrankenversicherung versichert gewesen. Hieraus habe sich gem § 381 Abs 3 RVO seine Beitragspflicht ergeben. Nach § 257a RVO sei er Mitglied der Beklagten geworden, weil er dieser Kasse zuletzt angehört und keinen abweichenden Antrag gestellt habe. Von der Möglichkeit einer Befreiung von der Rentnerkrankenversicherung wegen der bestehenden Privatversicherung (§ 173a RVO) habe der Kläger trotz mehrfachen Hinweises keinen Gebrauch gemacht. Bei dieser Sachlage komme es auf den damaligen Willen und die damaligen Vorstellungen des Klägers nicht entscheidend an. Im übrigen sei er bereits mit dem Schreiben vom 8. März 1976 darauf hingewiesen worden, daß er aufgrund seines Rentenantrags krankenversicherungspflichtig geworden sei. Hierdurch seien seine Beanstandungen bzgl einer verspäteten Benachrichtigung über den Eintritt der Versicherung weitgehend hinfällig geworden, "mögen sie auch im übrigen nicht ganz unberechtigt sein".
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß er unzureichend über den Eintritt der Rentnerkrankenversicherung informiert worden sei. Das Merkblatt zur Rentnerkrankenversicherung habe er nicht erhalten. Hierzu verweist er auf den schon in der Vorinstanz angetretenen Beweis. Aus dem Antragsformular sei auch nicht zu entnehmen, daß er bereits mit der Antragstellung beitragspflichtig werde. Dies sei ebensowenig aus dem Schreiben vom 8. März 1976 zu entnehmen gewesen und ihm erst bewußt geworden, als die Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 1976 Beiträge angefordert habe. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er deshalb auch seine Privatversicherung kündigen können. Ferner beruft sich der Kläger darauf, daß er seine Erklärung, bei der AOK versichert sein zu wollen, wirksam wegen Irrtums angefochten habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
5. Mai 1976 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 1977
zu verurteilen, ihm die entrichteten Beiträge
in Höhe von 950,40 DM zurückzuerstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich im wesentlichen auf die Ausführungen des LSG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, obwohl die BfA nicht zum Verfahren beigeladen worden ist. Allerdings ist die BfA an dem hier streitigen Rechtsverhältnis - einer Pflichtversicherung des Klägers bei der beklagten AOK - insofern beteiligt, als sie im Falle der Versicherungspflicht des Klägers für die Zeit ab Rentenbeginn Beiträge nach §§ 380, 381 Abs 2, 385 Abs 2 RVO an die Beklagte entrichten müßte. Deshalb kann die Frage der Versicherungspflicht des Klägers auch im Verhältnis zur BfA nur einheitlich entschieden werden. Dennoch ist die BfA nicht nach § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig beizuladen, weil hier für eine solche Beiladung kein verfahrensrechtliches Bedürfnis besteht. Der Grund für die Notwendigkeit einer Beiladung liegt im Falle der - hier allein in Betracht kommenden - ersten Alternative des § 75 Abs 2 SGG darin, daß Urteile, die sich nur auf einen Teil der an einem Rechtsverhältnis beteiligten Personen oder Körperschaften erstrecken, nicht materiell rechtskräftig werden können, weil die am Verfahren nicht Beteiligten dieses jederzeit wieder in Gang bringen könnten (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG § 75 RdNr 13). Wenn, wie hier, ein eigenes Interesse des Rentenversicherungsträgers am Ausgang des Rechtsstreits fehlt - im Falle der Versicherungsfreiheit des Klägers müßte die BfA auf Antrag einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs 4 RVO aF bzw für die Zeit ab 1. Juli 1977 nach § 1304e RVO an den Kläger zahlen -, entfällt damit zugleich der Beiladungsgrund. Als ein prozessuales Instrument, das praktischen Bedürfnissen einer ordnungsgemäßen Verfahrensabwicklung dient, ist die Beiladung nicht unnötig auf Fälle auszudehnen, in denen ein Bedürfnis hierfür nicht besteht. Die Beiladung der BfA ist auch nicht deshalb notwendig, weil hier um Ansprüche gestritten wird, die möglicherweise auf verwaltungsmäßigen Fehlern der BfA beruhen. Die Entscheidung über die gegen die beklagte AOK erhobenen Ansprüche betrifft rechtlich nur das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten. Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit etwa im Innenverhältnis zwischen der AOK und der BfA ein Rückgriff möglich ist.
In der Sache ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten, weil der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann.
Der Kläger begehrt, nachdem er mit Schreiben vom 20. Juni 1976 seinen "Übertritt" zur AOK "widerrufen" hat, in erster Linie die nachträgliche Befreiung (§ 173a RVO aF) von der Rentnerkrankenversicherung (§§ 165 Abs 1 Nr 3, 306 Abs 2 RVO aF) und - daraus folgend - die Rückzahlung der von ihm bis zum Rentenbeginn gezahlten Beiträge. Diesem Anliegen kann im vorliegenden Fall nur im Wege des sog Herstellungsanspruchs entsprochen werden.
Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger kraft Gesetzes nach §§ 165 Abs 1 Nr 3, 306 Abs 2, 257a RVO aF als Pflichtversicherter Mitglied der Beklagten geworden ist und sich hieraus für ihn grundsätzlich eine eigene Beitragspflicht für die Zeit von der Rentenantragstellung bis zum Rentenbeginn ergibt (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO). Diese Rechtswirkung ist unabhängig von der in dem Meldeformular abgegebenen Erklärung des Klägers (Antrag auf Mitgliedschaft bei der Beklagten) eingetreten. Als Rentenantragsteller, der die gesetzlichen Voraussetzungen der Krankenversicherungspflicht erfüllte, konnte der Kläger nicht frei darüber entscheiden, ob er überhaupt Mitglied der Beklagten werden wollte; er konnte allein zwischen den nach § 257a RVO in Betracht kommenden Kassen wählen. In seinem Falle bestand indessen auch diese Wahlmöglichkeit nicht, da für ihn nur die beklagte AOK in Betracht kam, weil sie die Kasse ist, bei der er zuletzt Mitglied gewesen war (§ 257a Abs 1 RVO), und die zugleich die AOK seines Wohnorts ist (§ 257a Abs 4 RVO). Aus diesen Gründen ist es auch unerheblich, ob der Kläger die genannte Erklärung im Meldeformular rechtswirksam angefochten oder widerrufen hat.
Der Kläger könnte mit seiner Klage Erfolg haben, wenn sein - in dem "Widerruf" des "Übertritts" zur Beklagten liegender - Antrag auf Befreiung von der Rentnerkrankenversicherungspflicht als wirksam anzusehen wäre. Da dieser Antrag jedoch binnen einer Ausschlußfrist von einem Monat seit Rentenantragstellung zu stellen war (§ 173a Abs 2 RVO aF), diese Frist aber bereits verstrichen war, als der Kläger den Willen zur Befreiung von der Versicherungspflicht äußerte, wäre allein über einen Herstellungsanspruch eine - nachträgliche - Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zu begründen.
Ein solcher Herstellungsanspruch setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) voraus, daß eine Behörde durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen für die Rechtsstellung des Versicherten herbeigeführt hat und daß diese rechtlichen Nachteile durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, hat die Behörde grundsätzlich dem Versicherten die Rechtsposition einzuräumen, die er gehabt hätte, wenn von Anfang an ordnungsgemäß verfahren worden wäre (vgl BSGE 49, 76 mwN).
Im vorliegenden Fall fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen zu der Frage, ob und inwieweit ein der Verwaltung zuzurechnender Fehler vorliegt.
Der Kläger hat geltend gemacht, daß er unzureichend beraten worden sei: Er habe das Merkblatt für die Rentnerkrankenversicherung nicht erhalten und sei auch sonst nicht darüber aufgeklärt worden, daß er bereits mit Rentenantragstellung kraft Gesetzes krankenversichert sei und bis zum Rentenbeginn die Beiträge selbst zu zahlen habe. Damit macht er sinngemäß auch geltend, daß er wegen unzureichender Information über die für ihn wählbar gewesenen Alternativen - sofortiger Eintritt in die Pflichtversicherung mit eigener Beitragspflicht bis zum Rentenbeginn und anschließender Weiterführung der Versicherung auf Kosten des Rentenversicherungsträgers oder aber Befreiung von der Pflichtversicherung unter Fortsetzung der Privatversicherung mit Beitragszuschuß ab Rentenbeginn - seinerzeit keinen Befreiungsantrag gestellt habe, dies aber getan hätte, wenn er richtig und vollständig informiert worden wäre.
Bei der Prüfung dieses Vorbringens ist mit dem Kläger davon auszugehen, daß das Formular für die Meldung zur Krankenversicherung der Rentner die erforderlichen Informationen über die ihm zur Verfügung stehenden Alternativen nicht enthielt (ein gedruckter Hinweis auf dem Formular über eine Befreiungsmöglichkeit für privat krankenversicherte Personen beschränkte sich auf eben diese allgemeine Information). Alle späteren Schreiben der Beklagten sind insofern unerheblich, weil sie dem Kläger erst nach Ablauf der Frist für den Befreiungsantrag zugegangen sind. Die erforderlichen Informationen könnte der Kläger allerdings auch durch eine mündliche Beratung erhalten haben - von der bisher nichts bekannt ist -, ferner durch Aushändigung eines Merkblatts über die Krankenversicherung der Rentner. Letzteres bestreitet der Kläger jedoch. Er rügt mit Recht, daß das LSG allein aufgrund seiner Unterschrift unter einer vorgedruckten Erklärung auf dem Meldeformular ("Das Merkblatt über die Krankenversicherung der Rentner habe ich erhalten") festgestellt hat, daß er das Merkblatt auch tatsächlich erhalten habe, ohne den angebotenen Gegenbeweis zu erheben. Die Unterschrift unter einer formularmäßigen Erklärung kann keine Unwiderlegbarkeit beanspruchen. Das unterschriebene Formular ist lediglich ein Beweismittel neben anderen und deshalb unter Abwägung mit sonstigen in Betracht kommenden Beweisergebnissen zu würdigen. Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als die (vorgedruckte) Erklärung über den Erhalt des Merkblatts - im Gegensatz zu den anderen im Formular geforderten Erklärungen - nicht anzukreuzen war und deshalb von einem Laien leicht übersehen werden konnte. Es liegt deshalb nahe, daß auch der Kläger diese Erklärung bei seiner Unterschrift unter dem Formular übersehen hat.
Auf eine Beratung über die beiden genannten Alternativen war der Kläger auch angewiesen, wenn er, wie er vorgetragen hat, die Rechtslage nicht durchschaute. Im Hinblick auf die kurze für den Befreiungsantrag zur Verfügung stehende Frist von einem Monat war es (zunächst) Aufgabe der BfA, dem Kläger die fragliche Information selbst zu erteilen oder ihre Erteilung durch Dritte sicherzustellen. Die Notwendigkeit, innerhalb einer kurzen Frist eine - noch dazu unwiderrufliche - Erklärung abzugeben (§ 173a Abs 2 Satz 2 RVO), ist für die Verwaltung grundsätzlich ein Anlaß, der eine Belehrungs- und Beratungspflicht auslöst. Dies folgt schon aus der allgemeinen Aufgabe der Verwaltung, die Erreichung des Gesetzeszwecks zu fördern und zu sichern, vor allem aber aus ihrer Pflicht, einem Rentenantragsteller wie dem Kläger, dem der Gesetzgeber die Wahl unter mehreren Alternativen eröffnet hat, auch eine "informierte und damit nicht nur formal eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen. Wie der Senat bereits entschieden hat, erfordert gerade die Anerkennung der "Mündigkeit" des Bürgers eine Information, die ihn in den Stand setzt, in Kenntnis aller erheblichen Umstände eine seinen Bedürfnissen entsprechende Entscheidung zu treffen (BSG SozR 4100 § 44 Nr 9 S 29; ähnlich auch schon BVerwGE 25, 191, 196, 198 mwN).
Im vorliegenden Fall war der BfA allerdings ein Beratungsbedürfnis des Klägers bei Eingang seines Rentenantrags nicht erkennbar, weil der Kläger die Erklärung, er habe das Merkblatt erhalten, nicht gestrichen hatte. Dies würde indes die BfA nicht entlasten, wenn der Kläger sich bei Beantragung der Rente an eine Dienststelle der BfA gewandt, dort aber das Merkblatt nicht bekommen hätte oder wenn dieses die erforderlichen Informationen nicht enthalten hätte. Entsprechendes würde für die Beklagte oder ein Versicherungsamt gelten, wenn er den Rentenantrag dort gestellt hätte.
Zu einer Erörterung der weitergehenden Frage, ob eine Verwaltung, wenn sie Formulare (hier: Meldung zur Rentnerkrankenversicherung) Dritten zur Weitergabe überläßt, bei der Formulargestaltung dafür Sorge tragen muß, daß die notwendige Information nicht durch typisches Fehlverhalten des unerfahrenen Bürgers gefährdet wird (indem sie zB die Erklärung über den Erhalt des Merkblatts nicht ankreuzen läßt), gibt der bisher festgestellte Sachverhalt keinen Anlaß. Gegebenenfalls wäre zu prüfen, ob die Verpflichtung einer Behörde, die Erreichung des Gesetzeszwecks sicherzustellen, nicht auch die Verpflichtung einschließt, Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß typische Fehler bei der Ausfüllung und Einreichung eines Formblatts möglichst vermieden werden. Kein hinreichender Anlaß besteht vorerst ferner zu der Prüfung, ob ein Herstellungsanspruch auch durch eine zu stark verzögerte Bearbeitung der Meldung zur Rentnerkrankenversicherung ausgelöst worden sein könnte.
Sollte hiernach der Kläger letztlich aus Gründen, die dem Verantwortungsbereich der Verwaltung zuzurechnen sind, nicht in ausreichendem Maße beraten worden sein, so könnte sich daraus für ihn ein Herstellungsanspruch ergeben, sofern der in der unzureichenden Beratung liegende Mangel des Verwaltungsverfahrens auch ursächlich für die Entscheidung des Klägers war. Dies erscheint nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Zwar erweckt das Schreiben des Klägers vom 20. Juni 1976 den Eindruck, als habe er erst später, weil er über das Vorgehen der Beklagten verärgert war, auf eine Pflichtversicherung bei ihr "verzichten", sinngemäß also: einen Befreiungsantrag stellen wollen. Indes schließt dieses Verhalten nicht aus, daß der Kläger gleichwohl - in der Annahme, er habe nur zwischen einer erst mit Rentenbeginn einsetzenden und dann für ihn beitragsfreien Pflichtversicherung und einer mit eigenen Beitragslasten verbundenen Privatversicherung zu wählen - unterlassen hat, einen Befreiungsantrag zu stellen, daß er aber einen solchen Antrag rechtzeitig gestellt hätte, wenn er in vollem Umfang über die beiden zur Wahl stehenden Alternativen und ihre beitragsrechtlichen Auswirkungen informiert worden wäre.
Auch die weitere Voraussetzung des Herstellungsanspruchs, daß ihm nämlich durch ein der Art nach gesetzlich zulässiges Verwaltungshandeln entsprochen werden kann, ist gegeben. Der Senat hat bereits entschieden, daß der Herstellungsanspruch auch bei Versäumung von Ausschlußfristen durchgreifen kann (BSGE 49, 76, 81). Der Kläger wäre dann so zu behandeln, als ob er fristgerecht einen Befreiungsantrag gestellt und die Beklagte ihn darauf befreit hätte.
Der Herstellungsanspruch scheitert schließlich nicht daran, daß mögliche Mängel des Verwaltungsverfahrens nicht der Beklagten, sondern der BfA anzulasten wären. Der Herstellungsanspruch hat, wie in der soeben genannten Entscheidung des Senats (aaO S 81) ausgeführt ist, seine Wurzel im Folgenbeseitigungsanspruch, der auf Restitution gegenüber rechtswidrigem Verwaltungshandeln gerichtet ist. Mit ihm kann deshalb auch nur die Herstellung eines Rechtszustands verlangt werden, der bei ordnungsgemäßem, an der Verwirklichung des Gesetzeszwecks orientiertem Verwaltungshandeln bestehen würde. Ist aber der Herstellungsanspruch lediglich ein Instrument zur Erreichung und Sicherung des Gesetzeszwecks, so kann die organisatorische Verlagerung von Teilen eines Verwaltungsverfahrens auf eine andere Behörde grundsätzlich kein entscheidendes Argument gegen die Begründetheit des Anspruchs sein. Anders als bei Schadensersatzansprüchen, die uU dem Verpflichteten zusätzliche Lasten aufbürden, sind die aus dem Herstellungsanspruch erwachsenden Belastungen solche, die die Versichertengemeinschaft ohnehin nach den Bestimmungen des Gesetzes zu tragen hätte. Aus diesem Grund hat der erkennende Senat aaO bereits entschieden, daß der Herstellungsanspruch kein Verschulden seitens der verpflichteten Behörde voraussetzt. Ähnliche Überlegungen gelten auch im Verhältnis zu verwaltungsmäßigen Fehlern anderer Behörden. Dabei kann zwar im Einzelfall die Zubilligung eines Herstellungsanspruchs ausgeschlossen sein, wenn ein solcher Anspruch dem Gedanken der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit eines geordneten Verwaltungsverfahrens widerspricht. Die Frage der jeweiligen Behördenzuständigkeit hat insofern jedoch keine Bedeutung. Die letztlich zur Herstellung verpflichtete Behörde hat jedenfalls kein berechtigtes Interesse, den Herstellungsanspruch daran scheitern zu lassen, daß er auf Fehlern einer anderen Behörde beruht.
Eine andere Auffassung würde auch den in § 2 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen und Absichten des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Diese Vorschrift, deren rechtliche Relevanz vereinzelt, jedoch zu Unrecht bezweifelt worden ist (s den Aufsatz von Arndt SGb 79, 406), hat ihre Bedeutung, abgesehen vom Bereich der Ermessensentscheidungen, vor allem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens; denn die Verwirklichung sozialer Rechte geschieht weitgehend in dem und durch das Verwaltungsverfahren. Die insoweit bestehenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze sind deshalb im Zweifel so anzuwenden, daß den Schwierigkeiten des Bürgers im Umgang mit dem Recht und der Verwaltung hinreichend Rechnung getragen wird. Dazu gehört, daß der Bürger nicht ohne zwingenden Grund an Erklärungen und Handlungen festgehalten wird, die aufgrund unzureichender Information und Beratung zustande gekommen sind (s dazu Entscheidung des erkennenden Senats SozR 4100 § 44 Nr 9; BSGE 49, 76; Urteil vom 22. Februar 1980 - 12 RK 12/79 -, zur Veröffentlichung bestimmt; BVerwG aaO).
Im übrigen entspricht die vom Senat vertretene Ansicht über das Einstehenmüssen für Fehler anderer Behörden auch einer sich im verwaltungsrechtlichen Schrifttum zum Folgenbeseitigungsanspruch abzeichnenden Auffassung (vgl Obermayer in Mang/Maunz/Mayer/Obermayer, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 4. Aufl 1975, S 319 f und ihm folgend: Wolff, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl, S 478 oben). In die gleiche Richtung weist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zum enteignungsgleichen Eingriff. So hat der BGH in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß eine Körperschaft, der durch einen enteignungsgleichen Eingriff einer anderen Stelle in die Rechte eines Bürgers Vorteile zugeflossen sind, indem ihr eine Aufgabe abgenommen worden ist, die sie ohne den Eingriff zu erfüllen gehabt hätte, selbst zum Ausgleich verpflichtet ist (BGHZ 10, 255, 263 ff; 11, 248; NJW 62, 1673; JZ 73, 630). Wenn, wie im vorliegenden Fall, durch mögliche Verfahrensfehler anderer Stellen (hier: der BfA) das Entstehen eines Anspruchs verhindert wird, den die zur Entscheidung berufene Behörde anderenfalls zu erfüllen gehabt hätte, so entspricht diese Fallkonstellation in den Grundzügen derjenigen, die den Entscheidungen des BGH zugrunde lag.
Das Einstehenmüssen einer Behörde für das Verhalten einer anderen ist im übrigen auch sonst im Sozialrecht nicht unbekannt; so ist im Bereich der Wanderversicherung aus der "Funktionseinheit" der Rentenversicherungsträger gefolgert worden, daß Entscheidungen des einen Versicherungsträgers auch den anderen Versicherungsträger binden (BSG SozR Nr 7 und Nr 9 zu § 1311 RVO). Auch ist anerkannt, daß ein Versicherungsträger seine Leistungen gegenüber dem Versicherten mit Beitragsforderungen aufrechnen kann, die ein anderer Versicherungsträger gegenüber dem Versicherten hat (BSGE 28, 288, 290; s auch BSGE 11, 69, 72). Der Gedanke der Funktionseinheit läßt es in diesen Fällen, in denen der Gesetzgeber mehrere Behörden arbeitsteilig mit einer Aufgabe betraut hat, nicht zu, daß unterschiedliche Zuständigkeiten die Annahme eines einheitlichen Rechtsverhältnisses hindern. Ähnliches gilt beim Wechsel der Zuständigkeit im Rahmen der Krankenversicherung (s zB § 212 RVO).
Allerdings hat der 1. Senat des BSG in einer älteren Entscheidung, die einen Fall aus dem Rentenrecht (Antrag auf Witwenrente) betraf, zum Verhältnis von Versicherungsamt und Rentenversicherungsträger entschieden, daß der Rentenversicherungsträger für eine fehlerhafte Auskunft des Versicherungsamts nicht einzustehen habe (Urteil vom 20. Februar 1962 - 1 RA 215/59 - SozVers 1963, 62; s auch LSG Bremen DAngVers 64, 207; Bayerisches LSG MittLVA Oberfr 75, 26 und Urteil vom 25. Oktober 1978 - L 13 An 198/77 -). Eine ähnliche Auffassung wird in den Kommentaren zum SGB 1 überwiegend für die Auskunftsstellen der Sozialversicherung vertreten; sie hätten eine eigenständige Aufgabe wahrzunehmen, andere Sozialversicherungsträger hätten daher Fehler der Auskunftsstellen nicht zu vertreten (vgl zB Bley in Gesamtkommentar SGB 1 § 15 Anm 8; Grüner, SGB 1, § 15 Anm VIII). Ob diesen Auffassungen zu folgen ist, kann hier dahinstehen, denn in Fällen der vorliegenden Art ist der Rentenversicherungsträger anders als eine Auskunftsstelle - gesetzlich in die Abwicklung eines konkreten, durch die Antragstellung begründeten Versicherungsverhältnisses der Rentnerkrankenversicherung eingeschaltet. Beide Behörden sind (nach § 317 RVO) an der Abwicklung des Verfahrens beteiligt. Die Enge dieses Verbunds ähnelt dabei mehr dem Verbund von Versicherungsträgern im Rahmen der Wanderversicherung als dem Verhältnis der Auskunftsstellen zu den Trägern der Sozialversicherung (vgl auch das Urteil des BSG vom 29. November 1963 - 2 RU 69/61 - SozR Nr 4 zu § 1547 RVO zur Bedeutung einer von einer Krankenkasse erteilten Auskunft für den Unfallversicherungsträger). Im übrigen ist hier nicht zu entscheiden, ob die vom 1. Senat für einen Fall aus dem Leistungsrecht der Rentenversicherung vertretene Ansicht dort noch ihre Berechtigung hat. Im Versicherungsrecht im engeren Sinne, dh in denjenigen Bereichen, in denen es mit einer Einbeziehung in die Versicherungspflicht oder einer Freistellung von ihr zugleich um die Weichenstellung für die soziale Sicherung des einzelnen geht, muß jedenfalls sichergestellt werden, daß die Erfüllung des Gesetzeszwecks nicht durch Fehlentscheidungen, die auf unzureichender Information beruhen, gefährdet wird. Letztlich ist zu berücksichtigen, daß die genannte Entscheidung des 1. Senats zu einer Zeit ergangen ist, als der Herstellungsanspruch noch weitgehend unbekannt war oder mindestens noch ganz unter Gesichtspunkten des Schadenersatzrechts gesehen wurde. Mit einer begrifflichen "Umorientierung" des Herstellungsanspruchs zum Gedanken der Folgenbeseitigung hin, dh zur Herstellung des dem Gesetzeszweck entsprechenden rechtmäßigen Zustandes, wären auch die für das Urteil des 1. Senats maßgebend gewesenen Gründe neu auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen.
Da somit die Voraussetzungen für den Herstellungsanspruch im Falle des Klägers vorliegen können, muß der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden, damit dieses die insoweit noch erforderlichen Feststellungen treffen und sodann über den Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der streitigen Beiträge entscheiden kann.
Sollte sich dabei ergeben, daß kein Herstellungsanspruch auf nachträgliche Befreiung von der Krankenversicherungspflicht und deshalb auch kein Anspruch auf Rückerstattung sämtlicher vom Kläger gezahlten Beiträge besteht, so könnte die Klage dennoch teilweise begründet sein, nämlich soweit der Kläger die Rückzahlung der Beiträge für die Zeit bis Mai 1976 begehrt. Bis zu diesem Zeitpunkt (der Mitteilung der Beklagten über das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses) wußte der Kläger anscheinend nicht, daß er bei der Beklagten versichert war und von ihr Leistungen beanspruchen konnte. Der Kläger hat mit Recht darauf hingewiesen, daß aus dem Wort "(kranken)versicherungspflichtig" so, wie es im Formular für die Meldung zur Krankenversicherung der Rentner bzw im Schreiben der Beklagten vom 8. März 1976 verwendet worden ist, zumindest für den Laien nicht deutlich genug erkennbar war, daß bereits ein Versicherungsverhältnis bestand. Deshalb konnte der Kläger weder aus dem Meldeformular noch aus dem genannten Schreiben der Beklagten eindeutig entnehmen, daß er mit der Beantragung der Rente Ansprüche gegen die Beklagte aus der gesetzlichen Krankenversicherung erheben konnte. Auch die Krankenscheine hat der Kläger erst Mitte Mai 1976 erhalten, also lange nach Ablauf des ersten Quartals des Jahres 1976. Wenn der Kläger nicht - was noch festzustellen ist - auf andere Weise, zB durch das fragliche Merkblatt (sofern er es erhalten hat), über seine Rechtsstellung unterrichtet worden ist, konnte er von dem bestehenden Versicherungsschutz keinen Gebrauch machen. Bei dieser Sachlage würde es der Wechselbeziehung von Beitragspflicht und Leistungsansprüchen, im übrigen aber auch dem Grundsatz von Treu und Glauben (venire contra factum proprium) widersprechen, wenn die Beklagte für diesen Zeitraum Beiträge beanspruchen würde.
Dies hat der 3. Senat des BSG bereits in mehreren Entscheidungen für den Fall entschieden, daß rückwirkend ein Rentenanspruch festgestellt wird (BSGE 39, 235 mwN). Der 3. Senat hat dort dem Umstand entscheidende Bedeutung beigemessen, daß der Rentner zumindest die Möglichkeit besitzt, von seiner Leistungsberechtigung gegenüber der Krankenkasse Gebrauch zu machen (aaO, S 236 unten). Die damals entschiedenen Fälle lagen zwar insofern anders, als dort in der zurückliegenden Zeit zunächst kein Versicherungsverhältnis bestanden hatte. Demgegenüber ist im hier zu entscheidenden Fall ein Versicherungsverhältnis nicht erst rückwirkend begründet worden; es bestand vielmehr von Anfang an, dem Kläger war es lediglich unbekannt geblieben. Dieser Unterschied spielt jedoch für die Frage, ob Rechte und Pflichten aus einem Versicherungsverhältnis wahrgenommen werden können, keine entscheidende Rolle.
Daß im Falle des Klägers - anders als in den vom 3. Senat entschiedenen Fällen - an sich die Möglichkeit gegeben war, rückwirkend die dem Kläger erwachsenen Krankheitsaufwendungen zu erstatten, ändert nichts. Denn dies allein ist - abgesehen davon, daß eine solche Erstattung dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung wegen des Sachleistungsprinzips grundsätzlich fremd ist - schon deshalb unzureichend, weil sich die Bedeutung des Versicherungsschutzes nicht in der Entlastung von bereits aufgewendeten Krankheitskosten erschöpft. Der Krankenversicherungsschutz soll dem Versicherten auch ermöglichen, vorbeugend alle sachgerechten Maßnahmen zur Erhaltung seiner Gesundheit zu ergreifen. Das kann er aber nur, wenn er von dem Bestehen des Versicherungsschutzes Kenntnis hat. Deshalb ist in der Regel auch nur bei einer solchen Kenntnis die Grundlage für einen Beitragsanspruch gegeben.
Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen muß das LSG ebenfalls noch nachholen. Sollte sich auch insoweit ergeben, daß die Voraussetzungen für eine Rückforderung der Beiträge bis Mai 1976 nicht gegeben sind, käme allenfalls noch ein Schadensersatzanspruch in Betracht, und zwar ein Anspruch wegen einer vermeidbar gewesenen zusätzlichen Beitragszahlung an die Privatversicherung. Einen solchen Schadensersatzanspruch könnte der Kläger allerdings nicht im sozialgerichtlichen Verfahren - als Herstellungsanspruch - geltend machen, weil Schadensersatz in Geld nicht im Wege einer Amtshandlung erfolgen kann. Für derartige Klagen sind allein die Zivilgerichte zuständig (§§ 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes, 40 Abs 2 der Verwaltungsgerichtsordnung). Außerdem müßte der Schadensersatzanspruch, sofern allein ein Verschulden der BfA in Betracht kommt, gegen diese gerichtet werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1658579 |
BSGE, 89 |