Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Heilmittelbegriff
Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse gegen Krankheit freiwillig versichert. Er leidet an einer Glutenüberempfindlichkeit (Enzym-Defekt). Sein behandelnder Arzt hat ihm attestiert, daß sich die Erkrankung nur durch Verwendung glutenfreier Kost unter Kontrolle halten läßt.
In der Zeit vom 2. Januar bis zum 24. April 1974 kaufte der Kläger Lebensmittel - Toastbrote, Waffelbrote, Fertigmehl, Paniermehl und Patnareis - zum Preis von insgesamt 308,05 DM. Er übersandte die Rechnungen der Beklagten und forderte sie auf, sich an den Kosten zu beteiligen. Zur Begründung wies er darauf hin, daß die glutenfreie Nahrung wesentlich teurer sei als sonstige Lebensmittel. Da durch ihre Verwendung viele seiner Beschwerden verschwunden seien und sein Gesundheitszustand sich wesentlich gebessert habe, müßten die finanziellen Mehraufwendungen von der Beklagten übernommen werden. Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme oder Zuschußzahlung ab, weil glutenfreie Nahrung als Schonkost anzusehen sei. Diese sei jedoch nicht von der Krankenversicherung aufzubringen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg hat der Kläger sodann die Bescheide der Beklagten angefochten, deren Aufhebung beantragt und gefordert, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer lebensnotwendigen Spezialnahrung ganz oder zumindest teilweise zu übernehmen. Das SG hat die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger die Kosten für glutenfreie Diät abzüglich der ihm bei normaler Ernährungsweise entstehenden Kosten zu ersetzen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. März 1976): Nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten sei zwar eine Erstattung von Diätkosten nicht vorgesehen, jedoch sei Satzungsrecht nicht bindend, wenn es gegen zwingendes Recht verstoße. Die Verpflichtung zur Gewährung von Krankenhilfe umfasse auch die Lieferung von Arznei- und Heilmitteln. Die glutenfreie Diätkost sei ein medikamentenähnliches Mittel, weil nur ihre Verwendung die Erkrankung des Klägers verhindere. Deshalb sei sie von der Beklagten zu gewähren. Bei der Bemessung der dem Kläger zu ersetzenden Kosten seien dessen Ersparnisse für die entsprechenden normalen Nahrungsmittel abzusetzen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte das Landessozialgericht (LSG) Hamburg angerufen. Es hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. Januar 1977): Glutenfreie Nahrung könne nicht als Heilmittel angesehen werden, weil darunter nur von außen auf den Körper einwirkende Mittel zu verstehen seien. Sie gehöre auch nicht zu den Arzneimitteln, weil diese dazu dienten, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des menschlichen Körpers positiv zu beeinflussen oder vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen. Diese Voraussetzungen erfülle die glutenfreie Nahrung jedoch nicht. Schließlich sei es auch nicht zulässig, den Katalog der in § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im einzelnen aufgezählten Arten der Krankenpflege um eine zusätzliche Leistung "medikamentenähnliche Mittel" zu erweitern.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er beruft sich auf eine ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. C…, in der dieser die Auffassung äußert, die vom Kläger benötigte glutenfreie Kost sei als Heilmaßnahme anzusehen. Das LSG habe sich über diese Ansicht des Sachverständigen hinweggesetzt. Ihr sei jedoch zu folgen und daraus ergebe sich die Leistungspflicht der Beklagten. Sie werde zudem durch ein Rechtsgutachten des Dr. R… vom 6. Juni 1977 bestätigt und auch der Landesverband der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalens teile diese Auffassung.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 15. März 1976 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die glutenfreie Kost diene beim Kläger dazu, einen Krankheitszustand nicht zur Entfaltung kommen zu lassen, sie bezwecke aber keineswegs die Bekämpfung einer vorhandenen Krankheit. Schon deshalb könne sie nicht als Arznei- oder Heilmittel angesprochen werden. Sie sei vielmehr einer Diätkost vergleichbar und falle nicht unter die Leistungspflicht der Krankenkasse.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
1. Der vom Kläger im Rechtsstreit verfolgte materiell-rechtliche Anspruch umfaßt, wie sich aus seinem gesamten Klagevorbringen, seinem Antrag vor dem SG und dem erstinstanzlichen Urteil ergibt, einmal die Forderung auf volle oder teilweise Erstattung von Kosten in Höhe von 308,05 DM für Aufwendungen in der Zeit von Januar bis April 1974. Zum anderen begehrt er von der Beklagten auch für die Zukunft die Erstattung der Kosten oder zumindest der Mehrkosten, die ihm durch die Verwendung glutenfreier Nahrung entstehen werden. Über den Anspruch auf Erstattung von 308,05 DM hat die Beklagte durch Bescheid vom 17. Juli 1974 und Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 1974 entschieden. Soweit der Kläger sich dagegen wendet - das ist der erste Teil seines Begehrens -, handelt es sich um eine verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage i.S. des § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen. Soweit der Kläger darüber hinaus Ansprüche für die Zukunft geltend macht, ist seine Klage unzulässig, denn die Beklagte hat über die Gewährung zukünftiger Leistungen noch keinen Verwaltungsakt erlassen. Selbst wenn man die begehrte Leistungspflicht im Sinne einer vorbeugenden Feststellung werten wollte, wäre die Klage unzulässig. In einem solchen Fall müßte der Kläger sein Feststellungsinteresse darlegen, zumal bei der vorbeugenden Feststellungsklage daran hohe Ansprüche zu stellen sind (SozR Nr. 50 zu § 55 SGG sowie Bundessozialgericht - BSG - vom 2. Februar 1978 - 12 RK 17/76 -). Der Kläger hat jedoch nichts dargetan, aus dem sich ein Feststellungsinteresse entnehmen ließe. Hinzu kommt, daß sowohl die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage wie auch die Feststellungsklage ungeachtet ihrer prozessualen Verschiedenheiten den gleichen materiell-rechtlichen Anspruch beträfen. Wie der Senat jedoch bereits entschieden hat (SozR Nr. 51 zu § 55 SGG), ist neben einer verbundenen Aufhebungs- und Leistungsklage die Feststellungsklage unzulässig, mit der nur eine selbständige Feststellung zu einer Vorfrage des Leistungsstreits begehrt wird. Die gleiche Rechtsfolge muß aber erst recht eintreten, wenn die Feststellung dieselbe materiell-rechtliche Frage betrifft, die dem Leistungsstreit zugrunde liegt. Damit erweist sich der Klageanspruch, soweit er zukünftige Aufwendungen des Klägers betrifft, als unzulässig.
Die Unzulässigkeit ist zwar im Revisionsverfahren nicht gerügt worden; die Zulässigkeit der Klage gehört jedoch zu den unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen, die im Revisionsverfahren noch fortwirken und war daher von Amts wegen zu beachten (vgl. BSGE 2, 225, 226; 11, 22, 25).
2. Soweit der Kläger von der Beklagten die Erstattung seiner Aufwendungen in Höhe von 308,05 DM fordert, ist seine Klage zwar zulässig, sein Angriff auf das Urteil des LSG jedoch unbegründet. Der Kläger gehört zu den freiwilligen Mitgliedern der Beklagten. Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-Verordnung vom 24. Dezember 1935 (RGBl. I, 1537) i.d.F. der Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl. I, 439) gelten für die Versicherten nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung. Der Umfang der Leistungspflicht der Kasse ist daher grundsätzlich dem Satzungsrecht der Beklagten zu entnehmen (vgl. BSGE 25, 195, 197). Abschnitt G Nr. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten, der nach § 7 Abs. 1 der Satzung Bestandteil der Satzung ist, sieht für nichtversicherungspflichtige Mitglieder Leistungen nach den Bestimmungen des Abschnitts F vor. In dem Kapitel "Arzneien und Heilmittel" des Abschnitts F, der nach Lage der Dinge allein für den Anspruch des Klägers in Betracht kommt, wird unter Nr. 1 bestimmt, daß Arzneien sowie andere kleinere Heilmittel gegen Aushändigung der ärztlichen Verordnung für Rechnung der Kasse von bestimmten Lieferanten zu beziehen sind. Damit legt die Satzung für Arznei- und Heilmittel das Sachleistungsprinzip fest. Schon daran muß das Begehren des Klägers scheitern, denn seine Forderung geht auf Kostenerstattung.
Da das Satzungsrecht den Anspruch nicht zu begründen vermag, könnte er nur gegeben sein, wenn die Kasse kraft Gesetzes verpflichtet wäre, die Forderung des Klägers zu erfüllen. Der Senat kann im vorliegenden Rechtsstreit dahinstehen lassen, wie weit § 508 Satz 1 RVO die Ersatzkasse verpflichtet, ihren Mitgliedern Leistungen zu gewähren, die § 179 RVO ihrer Art nach bei den Krankenkassen zuläßt; denn selbst wenn die Ersatzkasse verpflichtet ist, die gleichen Leistungsmodalitäten zu beachten, wie die gesetzlichen Pflichtkassen (§ 225 RVO), wäre der Anspruch des Klägers nicht begründet. Auch diese Kassen haben die Versorgung ihrer Mitglieder mit Arznei- und Heilmitteln nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b RVO als Sachleistung durchzuführen. Der Senat hat das Sachleistungsprinzip als wesentlichen Grundsatz der gesetzlichen Krankenversicherung bereits in der Entscheidung vom 20. Juli 1976 (BSGE 42, 117, 119) für die Gewährung von Krankenhauspflege, in der Entscheidung vom 28. September 1976 (BSGE 42, 229, 230) für die Gewährung von Hilfsmitteln und in der Entscheidung vom 1. Juni 1977 (SozR 2200 Nr. 2 zu § 508 RVO) für die Gewährung ärztlicher Behandlung betont. Der Grundsatz gilt in gleicher Weise für die Gewährung von Arzneien oder Heilmitteln, denn auch sie gehören zu den Gegenständen der Krankenpflege, die § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a bis c RVO aufführt. Danach ist es dem Versicherten nicht erlaubt, sich diese Art der Krankenpflege selbst zu beschaffen und von der Kasse hinterher Erstattung der verauslagten Kosten zu verlangen. Vielmehr hat die Krankenkasse durch Abschluß von Verträgen mit den Lieferanten von Gegenständen der Krankenpflege, mit Kassenärztlichen Vereinigungen und mit Krankenhäusern die Lieferung zu gewährleisten und damit ihren Grundauftrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung ihrer Mitglieder zu erfüllen (vgl. § 368 Abs. 1 RVO). Gegen diese Regelung des Gesetzes sind keine Bedenken zu erheben; sie ist vielmehr sachgerecht, denn insbesondere bei der hier streitigen Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln ist die Verschaffungspflicht der Krankenkasse wesentlich, weil sie dadurch die Möglichkeit der Überwachung und Prüfung erhält und auf diese Art in der Lage ist, ihren Versorgungsauftrag ordnungsgemäß zu erfüllen.
Ein Ausnahmefall, der zur Kostenerstattung führt, wäre nur dann anzunehmen, wenn der Versicherte eine Arznei oder ein Heilmittel als Notfall sofort benötigt, ohne daß er den regelmäßigen Beschaffungsweg beschreiten könnte. Ein solcher Fall liegt hier jedoch unstreitig nicht vor. Schließlich könnte ein Erstattungsanspruch dann gerechtfertigt sein, wenn die Krankenkasse einen Antrag des Versicherten auf Verschaffung des Arznei- oder Heilmittels zuvor rechtswidrig abgelehnt hätte und der Versicherte dadurch gezwungen gewesen wäre, es sich auf eigene Kosten zu verschaffen. Auch dieser Sachverhalt ist hier nicht gegeben; das LSG hat nicht festgestellt, daß der Kläger bereits vor Einreichung der Rechnung an die Beklagte mit einem entsprechenden Antrag herangetreten wäre, der Kläger selbst hat auch keine dahingehenden Behauptungen aufgestellt.
Muß der Erstattungsanspruch schon aus diesen Gründen ohne Erfolg bleiben, so kommt hinzu, daß die Sachen, um deren Kosten es geht - Toastbrot, Waffelbrot, Fertigmehl, Paniermehl und Patnareis -, weder als Arznei- noch als Heilmittel i.S. des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b RVO anzusehen sind. Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß unter "Heilmittel" nur solche Mittel zu verstehen sind, die von außen auf den Körper wirken (vgl. BSGE 28, 158 ff. mit eingehender Darlegung). Die vom Kläger beschafften Lebensmittel gehören dazu jedenfalls nicht. Sie sind auch keine Arzneimittel; als solche sind nur Substanzen anzusprechen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen oder zu bessern. Der Kläger hat vielmehr Lebensmittel von besonderer Beschaffenheit erworbene die er anstelle von gewöhnlichen Nahrungsmitteln aus Weizen-, Roggen-, Hafer- oder Gersteprodukten verwendet. Er muß derartige Produkte vermeiden, weil sonst bei ihm Erkrankungserscheinungen auftreten. Die vom Kläger beschafften speziellen Lebensmittel sind somit einer Diätkost vergleichbar. Den Begriff des medikamentenähnlichen Mittels, auf den das SG seine Auffassung aufbaut, kennt das Gesetz nicht. Selbst wenn man die Vorschrift des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b RVO insoweit für erweiterungsfähig halten wollte, wie es das SG offenbar tun will, lassen sich Lebensmittel darunter nicht bringen. Das SG verkennt, daß der Kläger zwar die genannten Getreideprodukte vermeiden muß, daß ihm aber sonst in der Auswahl seiner Nahrung freie Hand bleibt. Der Kläger hat vor dem SG selbst vorgetragen, daß bei Benutzung von Maismehl und daraus hergestellten Produkten keine Krankheitserscheinungen eintreten und daß er diese Nahrungsmittel auch verwendet. Damit wird jedoch der eigentliche Kern seines Begehrens deutlich. Dem Kläger liegt weniger daran, jeweils von Fall zu Fall auf Grund ärztlicher Verordnung Toastbrot oder ähnliche Lebensmittel von der Beklagten geliefert zu erhalten oder sie auf eine Anweisung hin oder mit Einverständnis der Beklagten sich besorgen zu können, wie das bei Arznei- und Heilmitteln der Fall ist. Ihm liegt vielmehr daran, sich Lebensmittel nach seiner Auswahl zu beliebigen Zeitpunkten selbst zu beschaffen und er möchte von der Beklagten einen finanziellen Zuschuß zu seiner Lebenshaltung, um damit die Mehraufwendungen ausgleichen zu können, die ihm durch die Verwendung der speziellen Lebensmittel entstehen. In diesem Sinne hatte auch das SG entschieden. Solche Zuschußzahlungen, ebenso wie die für Diätkost, sind im System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten, die Barleistungen der Krankenkassen sind vielmehr im Gesetz abschließend aufgezählt. Ob Zuschußzahlungen als Mehrleistungen gewährt werden könnten, bedarf im vorliegenden Rechtsstreit keiner Erörterung, weil die Satzung der Beklagten sie jedenfalls nicht vorsieht.
Da der Anspruch des Klägers im vollen Umfang unbegründet ist, war seine Revision gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518699 |
BSGE, 179 |