Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzliche Rentenversicherung. Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen. gleichwertige Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der Ausschluss der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ist bei Personen, die wegen entgeltlicher Beschäftigung versicherungspflichtig, hiervon aber wegen der gleichzeitigen Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung befreit worden sind, verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Kindererziehungszeiten systembezogen annähernd gleichwertig in der berufsständischen Versorgungseinrichtung berücksichtigt werden. Andernfalls ist die Vorschrift über den Ausschluss solcher Befreiten nicht anwendbar.
Normenkette
SGB VI § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 2, 4 Nr. 2, § 57 S. 1, § 1 S. 1 Nr. 1, § 3 S. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 149 Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 2004 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die 1968 geborene Klägerin begehrt die Vormerkung von Kindererziehungszeiten.
Sie war nach ihrer juristischen Referendarzeit, die bei der Beklagten nachversichert wurde, ab 1. Mai 1997 versicherungspflichtig beschäftigt. Am 9. Mai 1999 gebar sie ein Kind. Seit 1. November 2001 war sie wegen einer Beschäftigung als Rechtsanwältin Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen. Auf ihren Antrag wurde sie aus diesem Grund ab demselben Zeitpunkt nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) von der Versicherungspflicht befreit (Bescheid vom 1. Februar 2002).
Mit Bescheid vom 28. November 2002 merkte die Beklagte – mit Zustimmung des Vaters zur Zuordnung an die Klägerin – die Zeiten vom 1. Juni 1999 bis 31. Oktober 2001 als Tatbestände von Beitragszeiten wegen Kindererziehung und die Zeiten vom 9. Mai 1999 bis 31. Oktober 2001 als Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten vor. Die Vormerkung solcher Tatbestände für die Zeiten vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2002 bzw für die Zeiten vom 1. November 2001 bis 31. Oktober 2002 lehnte sie unter Hinweis auf die Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Den gegen die Ablehnung erhobenen Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. August 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen, mit denen die Klägerin begehrte, die ablehnende Entscheidung der Beklagten aufzuheben und die Zeiten vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2002 als Tatbestände von Beitragszeiten wegen Kindererziehung sowie die Zeiten vom 1. November 2001 bis 31. Oktober 2002 als Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten vorzumerken, abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2004). Das Landessozialgericht (LSG) hat die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 2004) und zur Begründung ua Folgendes ausgeführt:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anrechnung der streitbefangenen Zeiten, denn die Voraussetzungen der §§ 56 Abs 1, 57 SGB VI lägen nur bis Ende Oktober 2001 vor. Mit Eintritt der von der Klägerin beantragten Befreiung von der Versicherungspflicht zum 1. November 2001 sei eine Anrechnung nach § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI ausgeschlossen. Bei allen in dieser Vorschrift genannten Personen habe der Gesetzgeber typisierend unterstellt, dass ihnen erziehungsbedingt keine Nachteile in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entstünden. Mit ihrer Entscheidung für das berufsständische Versorgungswerk habe die Klägerin das Rentenversicherungssystem verlassen. Soweit Umfang und Qualität des Versorgungswerks der Rechtsanwälte hinter denen der gesetzlichen Rentenversicherung zurückblieben, sei diese nicht subsidiär leistungspflichtig. Die von der Klägerin vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken könnten nicht geteilt werden. Aus Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) leite sich zwar eine Verpflichtung des Staates zum Schutz und zur Förderung der Familie ab, ua nach einem Familienlastenausgleich. Dessen Gestaltung im Einzelnen unterliege jedoch der gesetzgeberischen Freiheit. Die Grenze, das allgemeine Willkürverbot, sei durch den typisierenden Ausschluss in § 56 Abs 4 SGB VI nicht tangiert. Ab dem 1. November 2001 habe die Klägerin über den generativen Beitrag hinaus keine weiteren Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Der generative Beitrag allein reiche nicht aus, im Wege des Familienlastenausgleichs die Kindererziehung durch Kindererziehungszeiten bzw Berücksichtigungszeiten im Rentenversicherungssystem zu honorieren.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt, das LSG habe § 56 Abs 1 und Abs 4 Nr 2 SGB VI falsch angewendet und es unterlassen, § 56 Abs 4 SGB VI verfassungskonform auszulegen. Dadurch werde auch Art 3 Abs 1 und Abs 2 Satz 2 GG sowie Art 14 GG verletzt. Sie habe auf Grund der von ihr zurückgelegten Beitragszeiten von mehr als 60 Kalendermonaten eine feste Anwartschaft erworben. Darüber hinaus seien zwei Jahre und fünf Monate Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt worden. Für den nachfolgenden Zeitraum von sieben Monaten sei sie wieder aus dem System der gesetzlichen Rentenversicherung entfernt worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten nur diejenigen Personen ausgeschlossen werden, die nur auf Grund von Kindererziehungszeiten in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen worden seien. Es sei ein Systembruch für die Zeiten nach dem 31. Oktober 2001, auf Kindererziehungszeiten in der berufsständischen Versorgung verwiesen zu werden. Diese verweigere jedoch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, wenn das Kind vor dem Beitritt zum Versorgungswerk geboren sei und damit Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen seien. Der vom LSG herangezogene Gedanke der Systemabgrenzung sei nicht stringent durchgehalten. Die im Versorgungswerk versicherten Personen würden nicht von der Versicherungspflicht allgemein befreit, sondern nur im Rahmen ihrer besonderen Tätigkeit. Der Gesetzeswortlaut des § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI spreche nur allgemein von Elternteilen, die “während der Erziehungszeit von der Versicherungspflicht befreit sind”. In Versorgungswerken versicherte Personen seien aber gerade nicht allgemein von der Versicherungspflicht befreit.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 2004 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2004 sowie die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten im Bescheid vom 28. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2002 als Tatbestände von Beitragszeiten wegen Kindererziehung und die Zeiten vom 1. November 2001 bis 31. Oktober 2002 als Tatbestände von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vorzumerken.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Der Ausschluss der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für einen Elternteil, der von der Versicherungspflicht befreit sei, rechtfertige sich daraus, dass dieser in aller Regel wegen der Zugehörigkeit zu einem gleichwertigen Versorgungssystem keine rentenversicherungsrechtlichen Einbußen bei den Kindererziehungszeiten hinnehmen müsse. Konkrete Nachteile im Einzelfall hinderten die Anwendbarkeit von § 56 Abs 4 Nr 2 SGB VI nicht. Für die Auslegung dieser Vorschrift komme es auf eine typisierende Betrachtungsweise an. Diese Auslegung führe nicht zu einer Diskriminierung von Frauen iS von Art 3 Abs 2 Satz 1 GG. Art 3 Abs 1 GG sei ebenfalls nicht verletzt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet. Das LSG hat nicht festgestellt, ob und ggf in welcher Weise Zeiten der Kindererziehung im berufsständischen Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen berücksichtigt werden und wie diese landesrechtlichen (nicht revisiblen) Regelungen auf die Klägerin angewandt wurden. Ohne diese dem Berufungsgericht obliegenden Feststellungen kann sich der Senat bezogen auf den Fall der Klägerin keine Überzeugung iS des Art 100 Abs 1 GG von der Erforderlichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des sachlichen Anwendungsbereichs des § 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI (“während der Erziehungszeit von der Versicherungspflicht befreit waren …”) idF des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) im Zusammenwirken mit den landesrechtlichen Regelungen des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Hessen bilden. Denn der Ausschluss der Anrechnung trotz erfüllten Tatbestandes von Beitragszeiten wegen Kindererziehung (§ 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI) und von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 Satz 1 iVm § 3 Satz 1 Nr 1 iVm § 56 Abs 4 SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI) ist bei von der Versicherungspflicht wegen entgeltlicher Beschäftigung (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) auf Grund von § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI Befreiten nach Art 6 Abs 1 und 2, 3 Abs 1 GG nur dann gerechtfertigt, wenn die Kindererziehungszeiten systembezogen annähernd gleichwertig in der berufsständischen Versorgungseinrichtung (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) berücksichtigt werden. Zur Nachholung dieser Feststellungen war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫; § 202 SGG iVm § 563 Abs 4 Zivilprozessordnung).
1. Das LSG ist im Grundsatz und für den Regelfall zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte §§ 3 Satz 1 Nr 1 und 57 Satz 1 SGB VI, beide iVm § 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI richtig ausgelegt hat; es hat jedoch die – im vorliegenden Fall möglicherweise entscheidungserheblichen – grundgesetzlichen Vorgaben für die Anwendung der Unbeachtlichkeitserstreckung der Regelung 3 aaO auf die andersartige Vorleistung der Kindererziehung nicht hinreichend bedacht und deshalb objektiv notwendige tatsächliche Feststellungen nicht getroffen.
a) Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Vormerkung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten richtet sich nach § 149 Abs 5 SGB VI. Nach Satz 1 dieser Vorschrift stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (sog Vormerkungsbescheid). Der Versicherungsträger ist befugt, wenn auch nicht verpflichtet, auf Antrag auch solche geklärten Daten durch Bescheid festzustellen, die noch keine sechs Jahre zurückliegen. Leitet er also antragsgemäß ein Vormerkungsverfahren im Blick auf solche Daten ein, hat er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid zu erlassen (vgl stellvertr BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 12 S 56; BSG SozR 4-2600 § 56 Nr 1 S 3). Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat es (nach dem Gesetz) grundsätzlich zu Recht abgelehnt, die Erziehung des am 9. Mai 1999 geborenen Kindes für Zeiten ab 1. November 2001 als Tatbestände von Beitragszeiten wegen Kindererziehung iS von § 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI (bis zum 31. Mai 2002) und als Tatbestände von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung iS von § 57 Satz 1 SGB VI iVm § 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI (bis zum 31. Oktober 2002) vorzumerken. Nach §§ 3 Satz 1 Nr 1, 56 Satz 1 SGB VI sind die Tatbestände dieser rentenrechtlichen Zeiten von Personen in den Zeiten erfüllt, “für die ihnen Kindererziehungszeiten anzurechnen sind (§ 56)”.
b) Nach § 56 Abs 1 SGB VI idF des Rentenüberleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) wird einem Elternteil eine Kindererziehungszeit von 36 Monaten nach Ablauf des Monats der Geburt als Zeit der Versicherungspflicht wegen Kindererziehung (§ 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI) angerechnet, wenn
(1) die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist (dazu § 56 Abs 2 SGB VI),
(2) die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt oder einer solchen gleichsteht (dazu § 56 Abs 3 SGB VI) und
(3) der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (dazu § 56 Abs 4 SGB VI).
Soweit in der Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr auch in dieser Zeit (dh nach Ablauf der Beitragszeit des § 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI) die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit vorliegen, ist die Zeit gemäß § 57 SGB VI bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit. Haben also die Eltern die in § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB VI beschriebenen Tatbestände erfüllt, sind diese anzurechnen, es sei denn, dass ausnahmsweise ein Ausschlussgrund iS von § 56 Abs 4 SGB VI eingreift.
c) Die umstrittenen Zeiten sind der Klägerin zuzuordnen. Gemäß § 56 Abs 2 Satz 1 SGB VI ist eine Erziehungszeit dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind (allein) erzogen hat. Haben mehrere Elternteile ein Kind erzogen, ohne dass sie “gemeinsam” erzogen haben, ist nach Satz 9 aaO die Erziehungszeit demjenigen zuzuordnen, der das Kind “überwiegend” erzogen hat. Haben Eltern ihr Kind, wie es regelmäßig schon wegen der ihnen gemeinsam zustehenden elterlichen Sorge (§ 1626 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch) der Fall ist, “gemeinsam” erzogen, wird die Erziehungszeit nur einem von ihnen zugeordnet (Satz 2 aaO), wobei sie durch übereinstimmende Erklärung bestimmen können, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist (Satz 3 aaO; dazu: BSG SozR 3-6180 Art 13 Nr 2 S 9 f; BSGE 71, 227, 229 f = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 13 f; BSG SozR 4-2600 § 56 Nr 1 S 4). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG hat der Vater zugestimmt, dass die Kindererziehungszeiten vollständig der Klägerin zugeordnet werden. Damit liegen übereinstimmende Willenserklärungen iS des § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VI vor. Ferner hat die Klägerin das Kind im streitigen Zeitraum ab 1. November 2001 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erzogen (§ 56 Abs 1 Satz 2 Nr 2 iVm Abs 3 Satz 1 SGB VI).
d) Die Klägerin ist jedoch ab 1. November 2001 grundsätzlich von der Anrechnung ausgeschlossen. Nach § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI idF des RRG 1992 sind diejenigen Eltern trotz der Kindererziehung im Inland von der Anrechnung ausgeschlossen, die während der Erziehungszeit von der Versicherungspflicht befreit waren. Insoweit kommt es auf die Verhältnisse während der Zeiten der Erziehung des Kindes im Inland an, welche für Beitragszeiten (§ 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI) auf den Zeitraum der ersten 36 Monate, für Berücksichtigungszeiten auf die nachfolgenden Zeiten bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres nach seiner Geburt begrenzt sind. Die Beklagte und das LSG sind zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin ab dem 1. November 2001 iS von § 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit war.
Die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht wegen entgeltlicher Beschäftigung (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) erfolgte hier bereits mit dem Bescheid vom 1. Februar 2002. Darin wurde iS des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (Verfügungssatz) geregelt, dass und ab wann die Klägerin von dieser Versicherungspflicht befreit ist (vgl BSGE 80, 215, 221 = SozR 3-2940 § 7 Nr 4 S 17; BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 12 S 57). Grundlage für den Anspruch auf Befreiung von dieser Versicherungspflicht, den die Klägerin mit ihrem Antrag geltend gemacht hat, ist § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes vom 15. Dezember 1995 (BGBl I 1824). Danach sind ua gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte – wie die Klägerin –, die nach § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI versicherungspflichtig sind, von dieser Versicherungspflicht auf Antrag zu befreien, aber nur für diejenige Beschäftigung, “wegen der sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung … für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c) auf Grund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.”
Sachgrund für das Recht auf Befreiung von dieser Versicherungspflicht ist der doppelte gesetzliche Schutz, der ua mit einer zweifachen Beitragslast verbunden sein kann; der Beschäftigte wird wegen einer bestimmten Beschäftigung von der bundesrechtlichen Rentenversicherung und zugleich von der (hier: landesrechtlichen) berufsständischen Versorgungseinrichtung erfasst, die einen im Wesentlichen gleichwertigen Versicherungsschutz gewährt.
Diese Befreiung gilt, wie in § 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI und § 231 Abs 1 Satz 1 SGB VI klargestellt ist, nur für die Beschäftigung, für die sie ausgesprochen worden ist, sie ist also tätigkeitsbezogen (vgl BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 12 S 58 f; BSG SozR 3-2600 § 6 Nr 5 S 9 f). Hier hat sich die Befreiung auf die (vom LSG nicht festgestellte) Beschäftigung der Klägerin als (angestellte) Rechtsanwältin bezogen. Dadurch wurde diese Beschäftigung, die nach § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI grundsätzlich eine Vorleistung für die gesetzliche Rentenversicherung ist, insoweit für rentenversicherungsrechtlich unbeachtlich erklärt. Grund ist, dass sie – auf Grund der Wahl des doppelt gesicherten Beschäftigten – konkret nur einem anderen Sicherungssystem zu Gute kommt. Anhaltspunkte, dass die Klägerin während des strittigen Zeitraums eine andere versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (dazu: BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 12), liegen nicht vor. Das LSG hat weder Entsprechendes festgestellt noch hat die Klägerin diesbezüglich etwas vorgetragen.
Diese Wirkung der Befreiung von der Versicherungspflicht wegen entgeltlicher Beschäftigung erstreckt § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI rechtlich auch auf die völlig anders geartete, aber zeitgleich erbrachte Vorleistung der Kindererziehung iS der §§ 3 Satz 1 Nr 1 und 57 Satz 1 SGB VI; auch diese wird rentenversicherungsrechtlich unbeachtlich, solange der Erziehende daneben nur “die befreite Beschäftigung” verrichtet. Dadurch wird die Wirkung der Erklärung, die Beschäftigung sei rentenversicherungsrechtlich unbeachtlich, auf die Vorleistung der Kindererziehung erstreckt, die völlig andersartig und für alle Formen der “Alterssicherung” gleichermaßen grundlegend ist. Geburt, Pflege und Erziehung von Kindern im Inland sind für den Bestand des Deutschen Volkes (Präambel, Art 1 Abs 2, Art 146 GG) und aller seiner – auch nach Europäischem Recht – national im Rahmen seiner Nationalökonomie zu gestaltenden Alterssicherungssysteme grundlegend.
2. Ob diese Unbeachtlichkeitserstreckung bei Angehörigen einer berufsständischen Versorgungseinrichtung im vorliegenden Fall einer verfassungskonformen Auslegung ihres Anwendungsbereichs bedarf, kann auf Grund der bisherigen Feststellungen des LSG noch nicht abschließend beurteilt werden. Ihre Verfassungsmäßigkeit hängt entscheidend auch davon ab, ob alle Kalendermonate an Zeiten der Kindererziehung iS von § 56 Abs 1 und 2 SGB VI im berufsständischen Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen nach den Maßstäben der Leistungserbringung dieses Systems systembezogen annähernd gleichwertig wie in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden und wie diese landesrechtlichen Regelungen auf die Klägerin angewandt wurden. Das LSG wird deshalb Feststellungen zu den landesrechtlichen Regelungen und zu deren Anwendung auf den konkreten Fall der Klägerin nachzuholen haben.
a) § 56 Abs 4 SGB VI enthält in Nr 2 Regelung 3 aaO eine Ausnahmevorschrift. Der darin geregelte Ausschluss der Anrechnung von Kindererziehungszeiten bedarf im Hinblick auf die damit verbundene Ungleichbehandlung von Personengruppen (Art 3 Abs 1 GG) eines rechtfertigenden Grundes (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 88, 87, 96 f; 100, 195, 205; 107, 205, 213 f), wobei bei einer Differenzierung zum Nachteil der Familie der besondere Schutz zu beachten ist, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Familie schuldet (vgl BVerfGE 87, 1, 36 f; 103, 242, 258). Alleiniger Sachgrund dafür, dass die Kindererziehungszeiten der von der Versicherungspflicht (für eine bestimmte Beschäftigung) Befreiten in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nicht anzurechnen sind, ist der prinzipiell gleichwertige Schutz für den Erziehenden durch eine berufsständische Versorgungseinrichtung “während der Erziehungszeit” (§ 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI; so schon BSGE 69, 101, 105 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 19 S 68 f zu § 28a Abs 4 AVG). Das Gesetz setzt also voraus, dass bei denjenigen, die wegen einer bestimmten Beschäftigung Pflichtmitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind und sich wegen der doppelten Pflichtmitgliedschaft für dieselbe Beschäftigung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung haben befreien lassen, auch “während der Erziehungszeit” ein prinzipiell gleichwertiger Schutz durch eine berufsständische Versorgungseinrichtung besteht, dass also bei diesem Personenkreis die für alle Arten der “Altersvorsorge” grundlegende Kindererziehungsleistung durch eine berufsständische Versorgungseinrichtung im Wesentlichen gleichwertig nach deren Maßstäben angerechnet wird.
Der Gedanke der Systemabgrenzung kann aber nur dann und nur insoweit zum Tragen kommen, als ein prinzipiell gleichwertiger Schutz wie in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt wird (so schon BSGE 69, 101, 108 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 19 S 71). Dieser beinhaltet aber nicht nur eine gleichwertige Absicherung gegen die Risiken des Alters, der Invalidität und des Todes (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst c SGB VI), sondern angesichts der grundlegenden bestandssichernden Bedeutung der Kindererziehung für alle Arten der “Altersvorsorge”, nicht nur für die gesetzliche Rentenversicherung (dazu BVerfGE 87, 1, 37 f; 94, 241, 263 f; zur Pflegeversicherung: BVerfGE 103, 242, 263 f), auch eine prinzipiell gleichwertige – wenn auch möglicherweise systembezogen differenzierte – Anrechnung des Vorleistungswerts der Kindererziehung in allen Arten der “befreienden” Altersvorsorge. Dabei kommt es für den Wert der Kindererziehung für die “Alterssicherung” schlechthin nicht darauf an, ob diese durch “Kapitalbildung”, Steuern, Beiträge, in welcher Art von Umlageverfahren oder auf sonstige Weise gesichert werden soll. Dies erfordert eine zwar nicht gleichartige, im Wesentlichen aber eine gleichwertige Berücksichtigung der Vorleistung der Kindererziehung in allen “Alterssicherungssystemen”, welche an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung treten sollen, also auch bei der Zugehörigkeit zu einem berufsständischen Versorgungswerk. Nur dann, wenn während der von der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannten Zeit der Kindererziehung auch in der berufsständischen Versorgungseinrichtung die Kindererziehung systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird, ist eine Erstreckung der Befreiungswirkung auf Kindererziehungszeiten und damit ein Ausschluss der Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung sachlich gerechtfertigt. Ein Wechsel des Systems während der von der gesetzlichen Rentenversicherung gesetzlich anerkannten Zeiten der Kindererziehung darf nicht zu einer mit Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG unvereinbaren Benachteiligung von Familien führen, in denen sich ein Elternteil der Kindererziehung widmet (vgl BVerfGE 87, 1, 37 ff), nämlich zum Verlust der restlichen Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Aufnahme einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die Versicherungspflicht (und zusätzliche Beitragslasten) auch in einem berufsständischen Versorgungswerk begründet. Nur die Doppelpflichtmitgliedschaft in zwei annähernd gleichwertigen Sicherungssystemen rechtfertigt den Anrechnungsausschluss des § 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI. Insoweit liegt bei den Kindererziehungszeiten der §§ 3 Satz 1 Nr 1, 57 Satz 1, 56 SGB VI im Verhältnis zu “befreienden Systemen” eine “Systemsubsidiarität” der gesetzlichen Rentenversicherung vor, jedoch – entgegen der Ansicht der Klägerin – keine “Einzelfallsubsidiarität”. Das LSG wird deshalb ua festzustellen haben, ob das Vorbringen der Klägerin, die Anerkennung von Kindererziehungszeiten würde vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen verweigert, wenn das Kind bereits vor dem Beitritt zum Versorgungswerk geboren sei, den Gegebenheiten entspricht.
b) Sollten die weiteren Feststellungen des LSG dazu führen, dass die Zeiten der Kindererziehung der Klägerin ab 1. November 2001 nicht oder nicht mit einem für dieses System durchschnittlichen Vorleistungswert in der berufsständischen Versorgungseinrichtung berücksichtigt werden, so ist durch die genannte nahe liegende, verfassungskonforme, den Anwendungsbereich der Unbeachtlichkeitserstreckung des § 56 Abs 4 Nr 2 Regelung 3 SGB VI einschränkende Auslegung die verfassungswidrige Nichtberücksichtigung der für alle “Alterssicherungen” grundlegenden Vorleistung der Kindererziehung zu beseitigen (§ 170 Abs 5 SGG). Das Verbot der Vormerkung und Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ist bei von der Versicherungspflicht Befreiten nach Art 6 Abs 1 und 2, 3 Abs 1 GG nur dann gerechtfertigt, wenn die Kindererziehungszeiten systembezogen annähernd gleichwertig in der berufsständischen Versorgungseinrichtung berücksichtigt werden.
3. Die Entscheidung über die Kosten auch des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen