Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 30.05.1996) |
Tenor
Auf die Revisionen des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1. bis 4. wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 1996 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger zu 1. nimmt als Allgemeinarzt/Badearzt, der Kläger zu 2. als praktischer Arzt an der vertragsärztlichen Versorgung in Manderscheid/Eifel teil. Die in einer Gemeinschaftspraxis tätigen Kläger wenden sich gegen die Kürzung ihres vertragsärztlichen Honorars wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise im Quartal III/92.
In diesem Quartal behandelten sie 1880 Patienten gegenüber 860 Patienten in der Fachgruppe der praktischen Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin in sog Landpraxen. Ihre Gesamthonorarforderung überschritt den Durchschnittswert der Fachgruppe um 45,8 % (nach dem geringfügig abweichenden Rentneranteil gewichtet um 43,2 %). In der Honorarsparte Besuche überschritt die Honorarforderung der Kläger den Vergleichswert um 100,1 % und bei den Wegegeldern um 170,9 %. Der beklagte Beschwerdeausschuß wies den Widerspruch der Kläger gegen die vom Prüfungsausschuß festgesetzte Honorarkürzung auf + 50 % bei den Besuchen und + 85 % bei den Wegegeldern (insgesamt um 224.885,6 Punkte) durch Bescheid vom 11. Januar 1994 (Beschluß vom 14. Dezember 1993) zurück. Er erkannte den Fall F 223 der AOK Bernkastel-Wittlich als „Besonderheit” an und wies insbesondere darauf hin, daß die Kläger über ihre „Überschreitungswerte” in den Quartalen IV/90, I/91, III/91, IV/91 und II/92 schriftlich informiert worden und Prüfmaßnahmen in Aussicht gestellt worden seien.
Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Mainz (SG) sowie den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 2. April 1992 und den Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 1994 aufgehoben (Urteil vom 30. Mai 1996). Wegen Verstoßes gegen § 106 Abs 5 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), nach dem vorherige gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen sollten, habe das Honorar der Kläger nicht gekürzt werden dürfen. Auch der Bescheid des Prüfungsausschusses sei daher – ausnahmsweise – aufzuheben.
Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. bis 4., Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sei allein der Bescheid des Beklagten. Dieser habe entgegen der Auffassung des LSG nicht gegen § 106 Abs 5 Satz 2 SGB V verstoßen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden habe, sei bei Überschreitungswerten im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses eine Beratung des Vertragsarztes vor einer Honorarkürzung nicht erforderlich. Im übrigen hätten die Kläger vor der hier streitigen Kürzung mehrfach Hinweise auf die Unwirtschaftlichkeit ihrer Behandlungsweise erhalten bis hin zur Honorarkürzung im Vorquartal I/92.
Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. bis 4. beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 1996 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 5. April 1995 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 1996 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil des LSG und tragen ergänzend vor, gegenüber der vom Senat durch Urteil vom 19. Juni 1996 – 6 RKa 40/95 – entschiedenen Streitsache weise der vorliegende Fall Besonderheiten auf, die eine vorherige gezielte Beratung vor der Honorarkürzung erforderlich gemacht hätten. Im Zeitpunkt der Prüfung des 3. Quartals des Jahres 1992 hätten die Ergebnisse der Prüfung des 1. Quartals des Jahres 1992 noch nicht endgültig vorgelegen. Sie hätten somit keine Möglichkeit gehabt, ihr Verhalten zu ändern. Zudem seien ihre Praxisbesonderheiten, die gesamtwirtschaftliche Betrachtung sowie alle übrigen Einwendungen, die sie schon in der Berufungsbegründung ausführlich dargelegt hätten, zu berücksichtigen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässigen Revisionen des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1. bis 4. sind iS der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet.
Keinen Bestand kann das Urteil des LSG zunächst insoweit haben, als es nicht nur den Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 1994, sondern auch den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 2. April 1993 aufgehoben hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats beschränkt sich bei Entscheidungen in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich auf den das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheid des Beschwerdeausschusses (vgl BSGE 74, 59 = SozR 3-2500 § 106 Nr 22; BSGE 75, 220 = SozR aaO Nr 24; BSGE 76, 53 = SozR aaO Nr 26). Der Beschwerdeausschuß wird mit seiner Anrufung gemäß § 106 Abs 5 Satz 4 SGB V für das weitere Prüfverfahren, ggfs auch für dessen Wiederholung nach einer erfolgreichen gerichtlichen Anfechtung, ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses, der abweichend von § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Falle der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird. Eine dennoch gegen diesen Bescheid erhobene Klage ist unzulässig (vgl zuletzt Senatsurteil vom 19. Juni 1996 – 6 RKa 40/95 – SozR 3-2500 § 106 Nr 35 mwN). Ausnahmen von diesem Grundsatz hat der Senat und der zeitweise für das Kassenzahnarztrecht zuständig gewesene 14a-Senat des BSG nur für den Fall zugelassen, daß der Bescheid des Prüfungsausschusses wegen formaler Mängel des Verwaltungsverfahrens vom Beschwerdeausschuß ohne Prüfung in der Sache hätte aufgehoben werden müssen (zusammenfassend Urteil vom 19. Juni 1996, aa0, mwN). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Im Mittelpunkt des Streitverfahrens stand bisher ausschließlich die Frage, ob den Klägern vor der streitigen Honorarkürzung eine Beratung iS des § 106 Abs 5 Satz 2 SGB V hätte zuteil werden müssen. Selbst wenn eine Verpflichtung zur Beratung bestanden hätte, liegt hierin jedoch, wie der Senat im Urteil vom 19. Juni 1996 (aa0) im einzelnen dargelegt hat, kein formaler Mangel des Prüfverfahrens, der es ausnahmsweise rechtfertigen könnte, einen Bescheid des Prüfungsausschusses zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens zu machen.
Zu Unrecht hat das LSG auch insoweit der Klage entsprochen, als es den angefochtenen Bescheid des Beklagten wegen eines Verstoßes gegen § 106 Abs 5 Satz 2 SGB V aufgehoben hat. Im Rahmen der kassen- bzw vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung ist bei Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses eine Honorarkürzung nicht deshalb rechtswidrig, weil ihr keine gezielte Beratung des Kassen- bzw Vertragsarztes vorangegangen ist. Dies hat der Senat erneut in dem bereits zitierten Urteil vom 19. Juni 1996 entschieden. Hieran ist festzuhalten.
Obgleich der Beklagte im angefochtenen Bescheid eine exakte Grenzziehung zum sogenannten offensichtlichen Mißverhältnis in den gekürzten Honorarsparten Besuche und Weggebühren nicht vorgenommen hat, hat er doch deutlich gemacht, daß er bei Ausgangsüberschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts von 100,1 % bei den Besuchen und 170,9 % bei den Wegegebühren vom Vorliegen eines offensichtlichen Mißverhältnisses ausgegangen ist. Dies kann auch angesichts der deutlichen Überschreitungen der Kläger bei ihrer Gesamthonorarforderung nicht beanstandet werden.
Entgegen der Auffassung der Kläger rechtfertigen die tatsächlichen Unterschiede in der Vorgeschichte der hier umstrittenen Honorarkürzungen gegenüber dem dem Urteil vom 19. Juni 1996 (aa0) zugrunde liegenden Sachverhalt keine abweichende Entscheidung. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Wenn bereits dort der Umstand, daß das Honorar des Arztes jahrelang nicht gekürzt worden ist, ihn nicht vor einer Honorarkürzung ohne vorherige gezielte Beratung schützt, besteht bei dem vorliegenden Sachverhalt, nach dem die Kläger in den Vorquartalen mehrfach auf die Unwirtschaftlichkeit ihrer Behandlungsweise hingewiesen worden sind, erst recht keine Veranlassung, eine entsprechende vorherige Beratung der Kläger zu fordern; denn nach den Feststellungen des LSG, die dieses unter Wiedergabe des Inhalts des angefochtenen Bescheides des Beklagten getroffen hat und an die der Senat gebunden ist, sind die Kläger vor der hier angefochtenen Honorarkürzung im Quartal III/92 mehrfach über ihre Abrechnungswerte und die Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts informiert sowie auf drohende Honorarkürzungen hingewiesen worden. Angesichts dieser Feststellungen wäre es selbst auf der Grundlage der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung geboten gewesen, die den Klägern erteilten Informationen näher zu untersuchen und zu prüfen, ob durch sie bereits der Tatbestand der „gezielten” Beratung erfüllt wird.
Da der angegriffene Bescheid des Beklagten nach alledem jedenfalls nicht wegen des Fehlens einer vorherigen gezielten Beratung rechtswidrig ist, ist nunmehr zu prüfen, ob die vorgenommenen Honorarkürzungen in materieller Hinsicht rechtmäßig sind. Verfahrensgegenstand ist allein der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses. Insoweit sieht es der Senat als untunlich an, in der Sache selbst zu entscheiden. Er verweist den Rechtsstreit daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das LSG zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 1174403 |
SozSi 1998, 75 |