Leitsatz (amtlich)
Der Versicherte kann für Tage, an denen während seiner Arbeitsunfähigkeit in seinem Betrieb im Rahmen einer Arbeitszeitverlegung eine Sonderschicht - "Vorarbeit" - geleistet wurde, kein höheres oder zusätzliches Krankengeld beanspruchen (Rechtslage seit dem 1.10.1974).
Orientierungssatz
Krankengeldzahlung: 1. Gegen die seit Inkrafttreten des RehaAnglG geltende gesetzliche Regelung, daß das Krankengeld für Kalendertage gezahlt wird und ein ganzer Kalendermonat mit 30 Tagen anzusetzen ist (§ 182 Abs 4 S 3 und 4 RVO) bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Gewisse Vor- und Nachteile, die mehr oder weniger mit jeder pauschalierten Regelung verbunden sind, ergeben noch keinen Verfassungsverstoß (zur Verfassungsmäßigkeit typisierender Regelungen vergleiche BVerfG vom 1979-01-17 1 BvR 446/77 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8 mwN).
Normenkette
RVO § 182 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07, Abs. 5 Fassung: 1974-08-07; GG Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
SG Lübeck (Entscheidung vom 24.11.1981; Aktenzeichen S 7 Kr 49/81) |
Tatbestand
Umstritten ist die Höhe des Krankengeldes für Bezugstage, an denen im Betrieb der arbeitsunfähigen Klägerin sogenannte Vorarbeit geleistet wurde.
Die 1931 geborene Klägerin war vom 20. Mai 1980 bis 7. Februar 1981 arbeitsunfähig krank. Die beklagte Krankenkasse zahlte ihr ein kalendertägliches Krankengeld von 37,20 DM. Die Klägerin verlangte jedoch ein zusätzliches Krankengeld für den 10. und 24. Januar sowie 7. Februar 1981. An diesen Tagen sowie am 21. Februar 1981, es waren Samstage, wurden bei ihrem Arbeitgeber aufgrund einer Betriebsvereinbarung Sonderschichten geleistet, die teilweise mit arbeitsfrei gestellten Tagen in den Monaten Mai und Juni 1981 verrechnet werden sollten; das restliche Stundenguthaben konnte auf Wunsch in Freizeit genommen werden. Nach einer Auskunft des Arbeitgebers betrug der Arbeitsverdienst für eine Sonderschicht 88,17 DM brutto bzw 56,67 DM netto. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab, weil die Ableistung von Sonderschichten während des Krankengeldbezuges keinen Einfluß auf die Höhe des Krankengeldes habe und mit Inkrafttreten des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG- (BGBl I 1882) am 1. Oktober 1974 die Zahlungsweise des Krankengeldes von Arbeits- bzw Werktagen auf Kalendertage umgestellt worden sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die vom Bundessozialgericht (BSG) zur Arbeitszeitverlagerung entwickelten Grundsätze seien, da ab 1. Oktober 1974 die Zahlung des Krankengeldes von den betriebsüblichen Arbeitstagen losgelöst sei, nicht mehr unmittelbar anzuwenden. Zwar sollten den Versicherten durch eine Arbeitszeitverlagerung grundsätzlich weder Vor- noch Nachteile erwachsen. Im vorliegenden Fall sei entscheidend, daß nach der gesetzlichen Regelung ausdrücklich auf den Abrechnungszeitraum vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt werde. Diese pauschalierte gesetzliche Regelung, die im Einzelfall Nachteile, aber auch Vorteile für den Versicherten bringen könne, verstoße nicht gegen Verfassungsgrundsätze, da eine pauschalierte gesetzliche Regelung bei der Vielfalt der Lebenssachverhalte notwendig sei.
Gegen das Urteil des SG wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Sprungrevision. Sie rügt eine fehlerhafte Anwendung des § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Absatz 4 Satz 1 dieser Vorschrift stelle auf den während der Arbeitsunfähigkeit entgangenen Lohn ab. In der Regel werde man davon ausgehen müssen, daß die Perpetuität des im Bemessungszeitraum ermittelten Regellohnes auch der ökonomischen Wirklichkeit im Leben des arbeitsunfähig erkrankten Versicherten entspreche. Doch seien Sachverhalte denkbar, die dadurch gekennzeichnet seien, daß sich die Höhe des infolge Arbeitsunfähigkeit entgangenen Regellohnes zu Ungunsten des Versicherten verändere. Dies sei hier so. Sie habe keinen Ersatz für den entgangenen Lohn der Sonderschichten erhalten. Das BSG habe bisher nicht zu erkennen gegeben, die Ansprüche der Versicherten seien eines einfacheren Verwaltungshandelns wegen zu beschränken; vielmehr sei die Verwaltungspraxis zu optimieren, um die sozialen Rechte der Versicherten weitgehend zu verwirklichen (§ 2 Abs 2 SGB I). Versicherte, die in der Zeit der Vorarbeit arbeitsunfähig seien, müßten einen Ausgleich in Form eines (höheren) Krankengeldes erhalten. Die Grundsätze der Entscheidung des BSG vom 20. Dezember 1966 - 3 RK 68/66 - hätten ihre Bedeutung durch die Regelung des § 182 Abs 4 Satz 3 RVO nicht verloren (vgl Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Anm 4.9 zu § 182). Nach wie vor gelte der Grundsatz, daß der arbeitsunfähige Versicherte infolge Arbeitszeitverlegung weder Nachteile erleiden noch Vorteile erringen dürfe (vgl BSG vom 16. Dezember 1970 - 3 RK 97/69 -).
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 24. November 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. April 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den 10. und 24. Januar sowie 7. Februar 1981 ein höheres Krankengeld unter Berücksichtigung eines Bruttolohnes von täglich 88,17 DM bzw eines Nettolohnes von täglich 56,67 DM zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Klägerin stand für den 10. und 24. Januar sowie 7. Februar 1981 kein höheres Krankengeld als für die anderen Tage der Krankengeldbezugszeit zu. Die an jenen Samstagen im Betrieb des Arbeitgebers der Klägerin geleisteten Sonderschichten hatten auf den laufenden Krankengeldbezug der Klägerin keinen Einfluß. Dies gilt auch, soweit mit den Sonderschichten für arbeitsfrei gestellte Tage im Mai und Juni 1981 vorgearbeitet wurde. Die frühere Rechtsprechung des Senats, nach der dem arbeitsunfähigen Versicherten auch für eine vorverlegte Arbeitszeit ein (zusätzliches) Krankengeld zu zahlen war (vgl SozR Nr 20, 21, 22, 27 und 41 zu § 182 RVO; Urteil des Senats vom 12. Dezember 1972 - 3 RK 44/70 - SGb 1973, 402), hat durch das am 1. Oktober 1974 in Kraft getretene RehaAnglG ihre Bedeutung verloren.
Der früheren Rechtsprechung des Senats lag die damals geltende gesetzliche Regelung zugrunde, daß das Krankengeld grundsätzlich "für Werktage und bezahlte Feiertage" oder, wenn in dem Betrieb regelmäßig nur an fünf Tagen in der Woche gearbeitet und der Regellohn entsprechend berechnet wurde, "für Arbeitstage und bezahlte Feiertage" zu zahlen war (§ 182 Abs 5 Satz 6 und 9 RVO idF des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961, BGBl I, 913). Versicherte, die in Betrieben mit Sechstagewoche arbeiteten, erhielten also bei Arbeitsunfähigkeit ebenfalls für sechs Tage Krankengeld, Versicherte in Betrieben mit Fünftagewoche für fünf Tage. In beiden Fällen wurde Krankengeld lediglich für die im Betrieb jeweils "bezahlten" Tage gewährt. Anders verhält es sich seit Inkrafttreten des RehaAnglG. Die durch dieses Gesetz geänderten Vorschriften über die Krankengeldgewährung bestimmen nun, daß das Krankengeld für Kalendertage gezahlt wird und ein ganzer Kalendermonat mit 30 Tagen anzusetzen ist (§ 182 Abs 4 Satz 3 und 4 RVO). Die Verlegung der Arbeitszeit in einem Betrieb kann daher die Zahl der Tage, für die Krankengeld zu zahlen ist, weder erhöhen noch verringern.
Das Vorziehen einer an sich später zu erbringenden Arbeit in die Krankengeldbezugszeit eines arbeitsunfähigen Betriebsangehörigen und die höhere Entlohnung der vorgezogenen Arbeit kann auch nicht zu einer Erhöhung des für einen Kalendertag zustehenden Krankengeldbetrages führen. Zwar richtet sich die Höhe des Krankengeldes nach dem wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Arbeitsentgelt, dem sog Regellohn (§ 182 Abs 4 Satz 1 RVO). Der maßgebende Regellohn ist aber nicht der dem Versicherten während der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich entgangene Verdienst, der innerhalb derselben Krankengeldbezugszeit entsprechend der jeweiligen Lohnhöhe und Arbeitszeit verschieden hoch sein könnte und sich oft erst im nachhinein feststellen ließe. Im Gesetz ist vielmehr ein von vornherein berechenbarer Regellohn bestimmt, der kraft unwiderlegbarer gesetzlicher Vermutung als dasjenige Entgelt gilt, das der Versicherte unter normalen Verhältnissen während der Arbeitsunfähigkeit verdient hätte (BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr 59).
Für die Berechnung des Regellohnes ist das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum erzielte Entgelt maßgebend (§ 182 Abs 5 Satz 1 RVO). Das Krankengeld bemißt sich also nach den Lohnverhältnissen des Versicherten vor Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit.
Etwas anderes läßt sich auch nicht daraus ableiten, daß ein Faktor der Regellohnberechnung die Zahl der sich aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ergebenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden ist (§ 182 Abs 5 Satz 2 RVO). Maßgebend ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Versicherten, also nicht die Arbeitszeit, die während der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten - evtl nur ausnahmsweise und nicht bei allen Arbeitnehmern des Betriebes gleich - angefallen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es für die Einbeziehung von Überstunden (Mehrarbeitsstunden) in die Regellohnberechnung nicht darauf an, ob der Versicherte, falls er nicht arbeitsunfähig geworden wäre, sie geleistet hätte, vielmehr ist entscheidend, ob er sie bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit - während der letzten abgerechneten drei Monate - ohne längere Unterbrechung geleistet hat (SozR 2200 § 182 RVO Nr 59 mwN). Diese Rechtsprechung steht in Einklang mit allen weiteren Vorschriften über die Berechnung des Krankengelds, die ebenfalls an die Lohnverhältnisse vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit anknüpfen (vgl § 182 Abs 5 Satz 3, Abs 6 RVO). Lediglich der allgemeinen Lohnentwicklung während der Arbeitsunfähigkeit trägt das Gesetz Rechnung, indem es bestimmt, daß sich das Krankengeld jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraumes um den Vomhundertsatz erhöht, um den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen zuletzt vor diesem Zeitpunkt nach dem jeweiligen Rentenanpassungsgesetz angepaßt worden sind (§ 182 Abs 8 Satz 1 RVO).
Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes berufen. Der eindeutigen gesetzlichen Regelung ist die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, durch das Krankengeld die bisherige Lebenshaltung des arbeitsunfähigen Versicherten zu sichern. Das für die Lohnfortzahlung nach dem Lohnfortzahlungsgesetz geltende Lohnausfallprinzip, bei dem auch Lohnänderungen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugunsten bzw zuungunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind, ist bei der Krankengeldberechnung nicht abwendbar (vgl SozR 2200 § 182 RVO Nr 59).
Gegen diese gesetzliche Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Gewisse Vor- und Nachteile, die mehr oder weniger mit jeder pauschalierten Regelung verbunden sind, ergeben noch keinen Verfassungsverstoß. Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß bei der Vielfalt der Lebenssachverhalte auf pauschalierte Regelungen nicht verzichtet werden kann. Es besteht kein Anhalt dafür, daß die hier anzuwendenden Vorschriften verfassungsrechtliche Grenzen verletzen (zur Verfassungsmäßigkeit typisierender Regelungen vgl BVerfG SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 8 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1659042 |
Breith. 1984, 552 |