Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.10.1993) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Vormerkung einer Anrechnungszeit wegen einer abgeschlossenen Hochschulausbildung von Oktober 1972 bis Oktober 1977 während Ordenszugehörigkeit.
Der 1951 geborene Kläger absolvierte nach der Reifeprüfung in der Zeit vom 8. September 1971 bis 7. September 1972 das Noviziat des K. … im Kloster M. … und wurde am 8. September 1972 satzungsgemäßes Mitglied des Ordens. Sein am 4. Oktober 1972 an der J. … -G. … Universität, M. …, aufgenommenes Studium der Katholischen Theologie schloß er am 14. Oktober 1977 mit der Diplomprüfung erfolgreich ab. Während dieses Zeitraums wurden seine Aufwendungen für den Lebensunterhalt vom Orden getragen.
Am 11. Januar 1985 schied der Kläger aus dem K. … aus und wurde nachfolgend für die Zeiträume vom 8. September 1971 bis 30. September 1972 und vom 14. Oktober 1977 bis 11. Januar 1985 in der Rentenversicherung der Angestellten nachversichert.
Die Beklagte lehnte den streitigen Bescheid vom 9. September 1991, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1992, ua die „Anerkennung” der Zeit vom 4. Oktober 1972 bis 14. Oktober 1977 als Ausfallzeit mit der Begründung ab, der Kläger habe im fraglichen Zeitraum weder eine Lehrzeit noch eine Ausbildung im Sinne des § 36 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vom 20. Dezember 1911 (RGBl I S 989) absolviert.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Beklagte mit Urteil vom 2. Juni 1993 verpflichtet, die Studienzeit des Klägers vom 4. Oktober 1972 bis zum 14. Oktober 1977 als Ausfallzeit vorzumerken.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des SG Köln am 20. Oktober 1993 mit der Maßgabe bestätigt, daß die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. September 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1992 verurteilt wird, die Studienzeit des Klägers vom 4. Oktober 1972 bis zum 14. Oktober 1977 bis zur gesetzlichen Höchstdauer als Anrechnungszeit vorzumerken. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe nach Vollendung des 16. Lebensjahres das Theologiestudium an der Universität M. … mit dem Bestehen der Diplomprüfung erfolgreich abgeschlossen und erfülle damit die für die Vormerkung einer Anrechnungszeit erforderlichen sachlichen Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Vormerkung werde weder durch die Systematik noch durch Sinn und Zweck des Gesetzes ausgeschlossen. Der Gesetzgeber sei von einer Berücksichtigung der Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung als Ausfall- bzw Anrechnungszeiten ausgegangen und habe diese Zeiträume daher auch für Ordensangehörige bewußt von Versicherungspflicht und Nachversicherung ausgenommen. Zwar könne eine im Rahmen eines an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungs- oder Dienstverhältnisses absolvierte Ausbildung, deren Ableistung Arbeitspflicht im Rahmen dieses Verhältnisses ist, nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht als Ausfallzeit berücksichtigt werden. Das Verhältnis zwischen Orden und Ordensmitglied sei jedoch ein Verhältnis eigener Art und nicht mit einem Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis vergleichbar. Zudem sei der Kläger im streitigen Zeitraum nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG gerade nicht „an sich” versicherungspflichtig gewesen.
Zur Begründung der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG bzw 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI. Aus § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG (bzw § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI) könne kein Anspruch auf Vormerkung einer Anrechnungszeit hergeleitet werden, da der Kläger nicht durch seine Ausbildung an der Entrichtung von Pflichtbeiträgen gehindert, sondern als Mitglied der Ordensgemeinschaft nicht der Rentenversicherung des AVG unterworfen gewesen sei. Der Kläger habe in einem „Gewaltsverhältnis” zum Orden gestanden, das in seiner Ausgestaltung einem „Dienstverhältnis” weitgehend vergleichbar sei. Die Hochschulausbildung innerhalb eines Dienst- bzw Beschäftigungsverhältnisses teile aber das versicherungsrechtliche Schicksal dieses Verhältnisses und könne nicht losgelöst als selbständiger Tatbestand betrachtet werden. Auch aus der ausdrücklichen Ausklammerung der Hochschulausbildung in § 2 Abs 1 Nr 7 AVG könne nicht ohne weiteres auf die Berücksichtigung dieser Zeit als Anrechnungszeit im Sinne des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG (bzw § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI) geschlossen werden. Gleiches gelte für die Tatsache, daß die Zeit der Hochschulausbildung nicht von der Nachversicherung erfaßt werde. Ergänzend verweist sie auf die Entscheidung des Senats vom 16. März 1989 (4 RA 10/88, AmtlMittLVA Rheinpr 1990, 339), in der dieser die Vormerkung einer Ausfallzeit iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG für während der Ordenszugehörigkeit zurückgelegte Ausfallzeittatbestände abgelehnt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1993 und des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 2. Juni 1993 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG sei dem Anspruch auf Vormerkung einer Anrechnungszeit stattzugeben. Die von der Beklagten benannte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) betreffe keinen vergleichbaren Sachverhalt; die dort streitgegenständliche Ausbildungszeit habe kein abgeschlossenes Hochschulstudium, sondern eine ordensinterne Aus- und Weiterbildung betroffen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die (kombinierte Anfechtungs- und) Verpflichtungsklage (stellvertretend BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 2) ist begründet; der Kläger hat Anspruch auf Vormerkung seiner Studienzeit.
Klageziel ist noch nicht die Verpflichtung der Beklagten, die Studienzeit bei der späteren Rentenberechnung – ggf mit bestimmtem Wert – anzurechnen. Dies kann und darf derzeit auch noch nicht abschließend beurteilt werden. Hierüber ist – wie § 149 Abs 5 Satz 2 SGB VI klarstellt – erst bei Eintritt des Versicherungsfalls zu entscheiden (stellvertretend BSG SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 = SozSich 1991, 352 ≪nur LS≫). Streitgegenständlich ist vielmehr ein Anspruch des Klägers auf die beweissichernde Feststellung, daß seine Studienzeit den Tatbestand einer Anrechnungszeit iS des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI darstellt.
Anspruchsgrundlage ist § 149 Abs 5 (iVm § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b) SGB VI. Die Vorschriften des SGB VI, das (im wesentlichen und mit allen hier anzuwendenden Vorschriften) am 1. Januar 1992 in Kraft getreten ist und das AVG ersetzt hat (Art 1, 83, 85 Abs 1 des Rentenreformgesetzes 1992 – RRG 1992 -vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 226 –), sind hier anzuwenden.
Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI finden die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auch dann auf einen Sachverhalt oder Anspruch Anwendung, wenn dieser bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat. Dementsprechend sind sowohl die Vorschriften über das in § 149 Abs 5 SGB VI geregelte Vormerkungsverfahren als auch die Regelung der §§ 1 Satz 1 Nr 4, 5 Abs 1 Nr 3, 58 Abs 1 Nr 4 Buchst b SGB VI maßgeblich. Von § 300 Abs 1 SGB VI abweichende Regelungen über den Beginn der Anwendbarkeit neuen Rechts greifen nicht ein. Die Ausnahmeregelung der §§ 300 Abs 3, 301 bis 308 SGB VI setzen ausdrücklich einen schon bestehenden Sozialleistungsanspruch (auf Rehabilitation oder auf eine Rente) voraus; demgegenüber streiten die Beteiligten im vorliegenden Fall nur über die Vormerkung rechtserheblicher Tatbestände für einen erst in der Zukunft liegenden Leistungsfall. Aus diesem Grunde kann auch § 300 Abs 2 SGB VI keine Anwendung finden. Danach sind aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuches und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung (nur dann) noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Diese Regelung will lediglich sicherstellen, daß auch „bei rückwirkender Leistungserbringung … das zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns maßgebende Recht zum Zuge kommt” (so BT-Drucks 11/4124 S 206 zum damaligen § 291).
Nach § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI hat der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid festzustellen, wenn er das Versicherungskonto geklärt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger ist Versicherter, die umstrittenen Zeiten (1972 bis 1977) liegen länger als sechs Kalenderjahre zurück und sind durch Bescheid noch nicht festgestellt worden. Die Klärung des Versichertenkontos hat darüber hinaus ergeben, daß er ab Oktober 1972 eine Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung iS von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI zurückgelegt hat. Nach dieser Vorschrift sind Anrechnungszeiten ua Zeiten, in denen nach dem vollendeten 16. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht und die Ausbildung abgeschlossen wurde. Diesen Tatbestand hat der Kläger im streitigen Zeitraum erfüllt:
Er ist 1951 geboren, hat unstreitig und nach den bindenden (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG) Feststellungen des LSG in der Zeit vom 4. Oktober 1972 bis 14. Oktober 1977, also nach Vollendung seines 16. Lebensjahres, als immatrikulierter Student einer Universität eine Hochschulausbildung (Studium der katholischen Theologie) absolviert und mit dem Diplom erfolgreich abgeschlossen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht die Entscheidung des Senats vom 16. März 1989 (4 RA 10/88 – AmtlMittLVA Rheinpr 1990, 339) der Vormerkung des Hochschulstudiums als Anrechnungszeit nicht entgegen. Die dort streitbefangene Ausbildungszeit betraf weder Schulbesuch noch abgeschlossenes Fachhochschul- oder Hochschulstudium, sondern eine ordensinterne Aus- bzw Weiterbildung (vgl BSG aaO S 342). Unschädlich ist, daß der Kläger satzungsmäßiges Mitglied des K. …, mithin einer geistlichen Genossenschaft war und ihm (aus damaliger Sicht) nach den Regeln der Gemeinschaft Anwartschaft auf die in der Gemeinschaft übliche Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert war. Damit war er damals versicherungsfrei gestellt. Dies schließt nicht aus, daß er zugleich den Tatbestand der vorgenannten Anrechnungszeit erfüllt hat. Dabei bedarf die Frage, ob die satzungsgemäße Mitgliedschaft in der Ordensgemeinschaft, wie die Beklagte meint, einem Dienstverhältnis weitgehend vergleichbar ist, keiner Erörterung. Die Hochschulausbildung teilt weder notwendigerweise das versicherungsrechtliche Schicksal des zeitgleichen satzungsgemäßen Mitgliedschaftsverhältnisses in der Ordensgemeinschaft der K. …, noch erfüllt die Mitgliedschaft des Klägers in der Ordensgemeinschaft einen rentenversicherungsrechtlichen Tatbestand, der die Bestimmung über die Anrechnungszeit nach den allgemeinen Konkurrenzregeln zu verdrängen vermöchte:
Die Vormerkung ist – wie gesagt – ein feststellender Verwaltungsakt, mit dem der Versicherungsträger gesetzliche Tatbestandsmerkmale einer künftigen Leistungsgewährung ausnahmsweise im voraus feststellt (stellvertretend BSGE 31, 226/230, insoweit nicht abgedruckt in SozR Nr 30 zu § 1259 RVO). Mit der Vormerkung (Anerkennung, Feststellung) eines Anrechnungstatbestandes wird dementsprechend noch keine Entscheidung über die spätere Anrechenbarkeit und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten getroffen (vgl BSG, SozR 3-6180 Art 13 Nr 2; Entscheidungen des Senats vom 28. November 1990 – 4 RA 42/90 – S 5 = SozSich 1991, 352 ≪nur LS≫ und vom 29. März 1990 – 4 RA 37/89 – S 5 = SozSich 1991, 31 ≪nur LS≫; BSGE 49, 44/46 = SozR 2200 § 1259 Nr 44 S 119; BSGE 42, 159/160; 31, 226/230, insoweit nicht abgedruckt in SozR Nr 30 zu § 1259 RVO).
Schon deswegen ist nicht zu prüfen, ob die Zeit des Hochschulbesuchs nach der gegenwärtigen Rechtslage für den Kläger als Ausfallzeit Rechtswirkungen auslösen könnte. Dazu wäre die Anrechenbarkeit der Ausbildungszeit in einem fiktiven „Leistungsfall” festzustellen; dies ist aber nicht Aufgabe des Vormerkungsverfahrens. Außerdem könnte das dennoch nicht die Vormerkung des Ausfallzeittatbestandes für spätere Leistungsfälle hindern, weil sich bis dahin die Rechtslage ändern kann (vgl BSGE 56, 151/153 = SozR 2200 § 1259 Nr 82 S 227; BSG, SozR 2200 § 1251 Nr 8 S 26 f). Es ist aber gerade der Sinn der Vormerkung, für den zukünftigen Leistungsfall das Vorhandensein von Ausfallzeittatbeständen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorabzuklären. Es kommt daher nur darauf an, ob der vom Kläger behauptete Anrechnungszeittatbestand nach seinen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt ist (vgl BSGE 56, 151/152 = SozR 2200 § 1259 Nr 82 S 225).
Eine Anrechnungszeit verlangt nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI tatbestandlich nur die Absolvierung und den Abschluß einer Schul-, Fachschul-oder Hochschulausbildung nach Vollendung des 16. Lebensjahres. Insbesondere ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, daß in einem Zeitraum, in dem Versicherungsfreiheit besteht, nicht zugleich der Tatbestand einer Anrechnungszeit erfüllt werden kann. Dementsprechend kommt es grundsätzlich weder darauf an, ob zeitgleich eine versicherungspflichtige Beschäftigung (Tätigkeit) verrichtet (BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 107 S 287; BSGE 56, 151/152 SozR 2200 § 1259 Nr 82 S 225) oder eine Versicherungszeit nach ausländischem Recht zurückgelegt wurde (Senatsentscheidung vom 28. November 1990 – 4 RA 42/90 – S 5 = SozSich 1991, 352 ≪nur LS≫) noch darauf, ob gleichzeitig aus einem anderen Grunde Versicherungsfreiheit bestand.
Das BSG hat allerdings wiederholt entschieden, daß solche Ausbildungszeiten, die innerhalb eines zumindest an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zurückgelegt werden, grundsätzlich keine Anrechnungs-/Ausfallzeiten sein können (BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 107 S 287; BSGE 56, 5/7 = SozR 2200 § 1259 Nr 79 S 218; SozR 2200 § 1255a Nr 6 S 7; Entscheidung des 1. Senats vom 15. März 1978 – 1/5 RJ 138/76 – SozSich 1978, 252 ≪nur LS≫). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ausbildung Teil eines umfassenderen Beschäftigungsverhältnisses ist (BSGE 56, 5/7 = SozR 2200 § 1259 Nr 79 S 218), wenn die Ausbildung zugleich Inhalt der Arbeits- und Dienstpflicht ist (BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 90 S 242). In diesen Fällen kann nicht die Ausbildung, sondern nur das sie umschließende Beschäftigungsverhältnis „für die Entrichtung oder Nichtentrichtung von Pflichtbeiträgen” maßgebend sein. Die Berücksichtigung von Anrechnungs-/Ausfallzeiten bezweckt einen Ausgleich dafür, daß der Versicherte durch bestimmte, in seiner Person liegende Umstände ohne eigenes Verschulden gehindert war, einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen und so Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten (vgl BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 102 S 277; SozR 2200 § 1259 Nr 23 S 70; BSGE 38, 116/117 = SozR 2200 § 1259 Nr 5 S 15). Demzufolge muß eine sich innerhalb eines allgemeinen Beschäftigungsverhältnisses vollziehende Ausbildung, die zugleich Inhalt der Arbeits- und Dienstpflicht gewesen ist, versicherungsrechtlich das Schicksal des Beschäftigungsverhältnisses teilen (BSGE 56, 5/7 = SozR 2200 § 1259 Nr 79 S 218).
An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest. Maßgebender rechtlicher Grund dieser Ansicht ist die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI durch Kollision mit einer anderen rentenversicherungsrechtlichen Regelung. Das Rentenversicherungsrecht wird durch den Grundsatz geprägt, daß (im Leistungsfall) auf ein und denselben Lebenssachverhalt nicht zugleich Regeln über verschiedene rentenrechtliche Zeiten (§ 54 SGB VI) anwendbar sind.
Die (an sich dem Versicherungsprinzip widersprechende) Berücksichtigung von Anrechnungszeiten als Zeiten ohne Beitragsleistung ist eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft, die – anders als bei den von hoher Hand angeordneten Ersatzzeittatbeständen wie zB Kriegs- oder Militärdienstzeiten (§ 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI) – auf staatlicher Gewährung als Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge beruht. Zur Vermeidung einer übermäßigen Belastung der Versichertengemeinschaft hat das Gesetz davon abgesehen, Ausbildungszeiten schlechthin den Charakter von Anrechnungs-/Ausfallzeiten zu verleihen (BSG, AmtlMittLVA Rheinpr 1994, 529/530), so daß akademische Ausbildungszeiten nicht in jedem Fall und nicht lückenlos anerkannt werden müssen. Vielmehr werden gezielt nur bestimmte typische Ausbildungen, die wesentlich durch den Charakter der Ausbildungsstätte geprägt sind, als Anrechnungszeiten berücksichtigt. Selbst typische Ausbildungen wie zB ein Hochschulstudium sind – ohne Rücksicht auf das im Einzelfall Erforderliche – zeitlich begrenzt (§ 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI; vgl zB BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 87 S 236 mit zahlreichen weiteren Nachweisen und BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 92 S 247). Kommt Ausbildungszeiten dementsprechend nicht schlechthin der Charakter von Anrechnungs-/Ausfallzeiten zu, so muß bereits ihre Vormerkung als Anrechnungszeiten dann entfallen, wenn sie auf einem Lebenssachverhalt basieren, der zugleich den Tatbestand einer vorrangigen rentenrechtlichen Zeit (§ 54 SGB VI) erfüllt.
Die Anrechnungszeit ist zwar eine beitragslose rentenrechtliche Zeit, mit der zu Lasten der Allgemeinheit die Vergünstigung beitragsgeminderter oder beitragsfreier Zeiten (§ 54 Abs 3 und 4 SGB VI) für den Versicherten geschaffen wird (vgl BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 90 S 241). Daraus kann hingegen nicht geschlossen werden, daß die Vormerkung von Ausbildungszeittatbeständen immer schon dann unzulässig ist, wenn ein anderer für rentenrechtliche Zeiten bedeutsamer Tatbestand lediglich in derselben Zeitspanne, also in zeitlicher Parallele vorliegt, ohne auf dem nämlichen Lebenssachverhalt zu beruhen (vgl Senatsurteil vom 21. März 1991 – 4/1 RA 33/89 S 7; BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 107 S 287). Entsprechendes gilt, wenn zeitgleich eine auf anderen Sachverhalten basierende Versicherungsfreiheit vorliegt.
Dementsprechend hat das BSG auch wiederholt festgestellt, daß ein und derselbe Zeitraum zugleich Beitragszeit und Anrechnungs-/Ausfallzeit sein kann, wenn die Absolvierung der Ausbildung nicht Bestandteil der Arbeitspflicht des beitragspflichtigen Beschäftigungs- bzw Dienstverhältnisses ist, sondern Ausbildungszeit und Beschäftigungsverhältnis lediglich zeitlich nebeneinander stehen (vgl Entscheidungen des Senats vom 21. März 1991 – 4/1 RA 33/89 S 7 mwN – und vom 28. Januar 1990 – 4 RA 42/90 – SozSich 1991, 352 ≪nur LS≫; BSG, SozR 2200 § 1259 Nr 107 S 287; SozR 2200 § 1259 Nr 90 S 242; BSGE 56,
151/154 = SozR 2200 § 1259 Nr 82 S 227). Deswegen wird auch die Anrechnungszeit wegen einer Ausbildung, die während der Zeit der Zugehörigkeit zu einer geistlichen Genossenschaft, aber nicht als deren integrierender Bestandteil absolviert wurde, nicht ausgeschlossen.
Diese Fallgestaltung liegt vor. Der den Tatbestand der Anrechnungszeit erfüllende Hochschulbesuch des Klägers ist ein Sachverhalt, der typischerweise auch ohne den Sachverhalt der Ordenszugehörigkeit und die damit verbundenen Umstände erfüllt werden kann. Der Kläger war im Blick hierauf wegen seiner Ordenszugehörigkeit auch weder versicherungspflichtig noch nachversichert, als er dort unversorgt ausschied.
Ob zwischen der rentenrechtlichen Zeit des Hochschulbesuchs und der zeitgleichen Ordenszugehörigkeit, soweit diese eine andere rentenrechtliche Zeit sein sollte, eine Rangfolge (Priorität) bei der Rentenberechnung besteht, ist nicht zu entscheiden. Vielmehr ist dies der Anrechnung im Leistungsfall vorbehalten. Eine Rangfolge von Zeitarten bei der Feststellung der Rentenhöhe bedeutet – wie ausgeführt – nicht, daß eine Zeitspanne schon abstrakt nur eine bestimmte rentenrechtliche Zeit im Sinne der versicherungsrechtlich „stärkeren” Zeitart sein kann. Die abstrakte rechtliche Rangfolge kann sich vielmehr erst bei der späteren Rentenberechnung auswirken; erst dort wird uU die schwächere Zeit durch die stärkere „verdrängt”, dh ggf allein berücksichtigt (vgl BSGE 56, 151/153 = SozR 2200 § 1259 Nr 82 S 226).
Nach alledem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen