Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragliche Regelung. Übertragung. Prüfungs- und Beschwerdeausschuß. Festsetzung von Schadenersatzspruch wegen unzulässiger Arzneiverordnung. Randzuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer vertraglichen Regelung, durch die den für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen auch die Festsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen unzulässiger Arzneiverordnungen übertragen wird.
Normenkette
SGB V § 75 Fassung: 1992-12-21, § 106 Fassung: 1992-12-21; EKV-Z § 15; SGB V § 82 Abs. 1 Fassung: 1992-12-21, § 83 Abs. 1 Fassung: 1992-12-21
Verfahrensgang
SG Kiel (Entscheidung vom 13.07.1994; Aktenzeichen S 8b Ka 27/94) |
Tatbestand
Auf Antrag der beigeladenen Ersatzkassenverbände kürzten die Prüfungseinrichtungen die Sprechstundenbedarfsanforderung des zu 3) beigeladenen Zahnarztes für das Quartal II/1992 wegen Unwirtschaftlichkeit um 234,14 DM. Außerdem setzten sie den Betrag von 23,56 DM für 2x100 Lüer-Einmalspritzen ab, weil diese nicht als Sprechstundenbedarf verordnet werden könnten (Bescheide des Prüfungsausschusses vom 12. Mai 1993 und des beklagten Beschwerdeausschusses vom 6. Januar 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat auf die Klage der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) den Arzneikostenregreß bezüglich der Verordnung der Einmalspritzen aufgehoben (Urteil vom 13. Juli 1994). Die insoweit vorgebrachte Beanstandung betreffe nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern die Zulässigkeit der Verordnungstätigkeit. Der Sache nach handele es sich um eine Richtigstellung der Sprechstundenbedarfsanforderung, die der KZÄV und nicht den Prüfgremien obliege. Bei Maßnahmen der Eingriffsverwaltung, um die es hier gehe, sei die gesetzliche Zuständigkeitsregelung aus rechtsstaatlichen Gründen strikt zu beachten. Sie könne weder durch gesamtvertragliche Vereinbarung modifiziert noch durch Zubilligung einer "Randzuständigkeit" oder "Annexkompetenz" unterlaufen werden, auch wenn im Einzelfall der auf die unzulässige Verordnung entfallende Betrag geringfügig sei und gegenüber dem durch Unwirtschaftlichkeit verursachten Schaden nicht ins Gewicht falle.
Mit der Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung der §§ 75 und 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Dem Gesetz sei eine abschließende und verbindliche Zuständigkeitsabgrenzung, wie sie das SG unterstelle, nicht zu entnehmen. Die Befugnis, unzulässige Arzneiverordnungen zu beanstanden und den Zahnarzt wegen des dadurch verursachten Schadens in Regreß zu nehmen, könne deshalb durch gesamtvertragliche Vereinbarung den Prüfungseinrichtungen übertragen werden, wie dies durch die Regelung in § 15 Ziff 3 Zahnarzt/Ersatzkassen-Vertrag (EKV-Z) geschehen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 13. Juli 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf das angefochtene Urteil.
Der Beigeladene zu 1), der ebenso wie die Beigeladenen zu 2) und 3) keine Anträge stellt, schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Beklagten ist begründet.
Der im Bescheid vom 6. Januar 1994 verfügte Schadensregreß wegen Unzulässigkeit der Verordnung von Einmalspritzen als Sprechstundenbedarf ist entgegen dem angefochtenen Urteil nicht deshalb rechtswidrig, weil er von einem für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Gremium festgesetzt worden ist.
Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des beklagten Beschwerdeausschusses war die Regelung in § 15 Ziff 2 und 3 EKV-Z. Danach stellen die Prüfungseinrichtungen fest, ob der Vertragszahnarzt den Anforderungen an eine notwendige und wirtschaftliche Verordnungsweise entsprochen hat (Ziff 2 Satz 1), und entscheiden gegebenenfalls, ob und in welcher Höhe er den Vertragskassen Schadenersatz zu leisten hat (Ziff 3 Satz 1). Ergänzend bestimmt Ziff 3 Satz 2, daß bei unzulässigen Verordnungen die entstandenen Kosten in jedem Fall zu ersetzen sind. Die zuletzt genannte Vorschrift kann nach ihrem Standort und dem Sinnzusammenhang mit den zuvor erwähnten Regelungen nur so verstanden werden, daß den bei der KZÄV gebildeten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen die Prüfung der Verordnungstätigkeit der Vertragszahnärzte und die Feststellung etwaiger Schadenersatzansprüche der betroffenen Krankenkassen auch insoweit zugewiesen worden ist, als es um die Zulässigkeit der ausgestellten Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen geht. Dies hat auch das SG nicht verkannt; es hat die gesamtvertragliche Vereinbarung aber in diesem Punkt für unwirksam gehalten, weil sie der aus § 106 SGB V zu entnehmenden, als abschließend zu bewertenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelung widerspreche. Dieser rechtlichen Beurteilung kann nicht zugestimmt werden.
§ 106 SGB V enthält eine verbindliche, abweichender Vereinbarung nicht zugängliche Kompetenzzuweisung nur insofern, als die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung besonderen, paritätisch besetzten und personell wie organisatorisch unabhängigen Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen übertragen und damit der Zuständigkeit der K(Z)ÄV entzogen ist (zur Unzulässigkeit der Verlagerung von Kompetenzen im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die K(Z)ÄV vgl BSGE 63, 163 = SozR 2200 § 368p Nr 2; BSGE 69, 154, 155 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 8 S 39). Aus der Vorschrift kann dagegen nicht umgekehrt abgeleitet werden, daß die Tätigkeit der genannten Prüfgremien zwingend auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung im engeren Sinne beschränkt bleiben muß. Zwar obliegt die Gewährleistung einer den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechenden vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung nach § 75 Abs 1 SGB V den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen. Deren Gewährleistungsverpflichtung ist indessen, wie der Senat im Urteil vom 31. Juli 1991 (BSGE 69, 154, 157 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 8) mit Bezug auf die frühere inhaltsgleiche Regelung in § 368n Abs 1 und Abs 4 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) näher dargelegt hat, nicht im Sinne einer prinzipiellen Alleinzuständigkeit zu interpretieren. Das Gesetz geht vielmehr im Grundsatz von einer gemeinsamen Erfüllung der bei der Durchführung und Überwachung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung anfallenden Aufgaben durch Krankenkassen und Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen aus. Die im Zuge der Neuordnung der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) erfolgte organisatorische Trennung der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse von der K(Z)ÄV und ihre Ausgestaltung als eigenständige Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung hat daran nichts Grundlegendes geändert.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat es dementsprechend in der Vergangenheit wiederholt als zulässig angesehen, daß den Prüfungseinrichtungen durch gesamtvertragliche Vereinbarung auch andere als die in § 106 SGB V (früher: § 368n Abs 5 RVO) angesprochenen Aufgaben zugewiesen werden (allgemein in diesem Sinne zB: BSGE 42, 268, 270 = SozR 2200 § 368n Nr 9 S 22 mwN). Gebilligt worden ist zum einen die Übertragung solcher Entscheidungskompetenzen, die zwar nicht der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung zuzurechnen sind, sich aber im weitesten Sinne noch innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken halten (Feststellung eines sonstigen Schadens: BSGE 55, 144, 150 = SozR 2200 § 368n Nr 26; SozR 5540 § 34 Nr 1; SozR 5545 § 24 Nr 2; Richtigstellung der Honorarabrechnung bei Nichtbeachtung vertraglicher Bestimmungen: BSGE 31, 33, 35 = SozR Nr 1 zu EKV-Zahnärzte Allg; Arzneikostenregreß bei Verstoß gegen Sprechstundenbedarfs-Richtlinien: BSGE 26, 16, 21 = SozR Nr 12 zu § 368n RVO; zum Ganzen vgl auch BSGE 27, 146, 147 f; BSGE 69, 264 ff = SozR 3-5540 § 38 Nr 1). Durch Pflichtverstöße in diesem Bereich werden regelmäßig auch Belange der Krankenkassen berührt, so daß deren Beteiligung an den Überwachungs- und Entscheidungsprozessen folgerichtig ist. Namentlich wenn es, wie im Fall einer unzulässigen Arzneiverordnung, um die Feststellung eines Schadens geht, den ein Vertrags(zahn)arzt durch pflichtwidriges Verhalten unmittelbar und ausschließlich einer Krankenkasse verursacht hat, ist die Wahrnehmung der Kontrollaufgabe durch die gemeinsamen Prüfungseinrichtungen anstelle der K(Z)ÄV sachgerecht und der beiderseitigen Interessenlage angemessen.
Die Prüfungsinstanzen sind ferner für befugt gehalten worden, auch außerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung liegende sachlich-rechnerische Berichtigungen der Honorarabrechnungen und Verordnungen eines Vertrags(zahn)arztes dann vorzunehmen, wenn sich die Notwendigkeit dazu im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nachträglich ergibt und der Frage der Berechnungs- bzw Verordnungsfähigkeit im Verhältnis zur Wirtschaftlichkeit keine derart überragende Bedeutung zukommt, daß eine Abgabe an die K(Z)ÄV geboten ist (BSGE 60, 69, 75 = SozR 2200 § 368n Nr 42 S 142 f; BSGE 72, 271, 279 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 19 S 114). Die Zubilligung einer derartigen "Randzuständigkeit" aus verfahrensökonomischen Gründen begegnet angesichts der ohnedies bestehenden Überschneidungen zwischen beiden Prüfbereichen keinen durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken. Das SG übersieht, daß die von ihm geforderte "randscharfe" Abgrenzung und Trennung zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der einen und sachlich-rechnerischer Richtigstellung auf der anderen Seite in der Praxis oftmals gar nicht möglich ist und die Prüfgremien deshalb erst aufgrund einer Wahlfeststellung zwischen unzutreffender gebührenordnungsmäßiger Abrechnung und unwirtschaftlicher Behandlung zu einer Honorarkürzung gelangen können (siehe dazu BSGE 71, 194, 200 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 92; BSGE 72, 271, 279 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19 S 114). In der Übertragung der Befugnis, Abrechnungs- oder Verordnungskorrekturen geringeren Umfangs im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit zu erledigen, kann unter diesen Umständen keine unzulässige Durchbrechung der gesetzlichen Kompetenzverteilung gesehen werden.
Ob bei Beachtung dieser Grundsätze die Feststellung der durch unzulässige Verordnungen verursachten Schäden ausnahmslos den Prüfungseinrichtungen überlassen werden durfte oder ob § 15 Ziff 3 Satz 2 EKV-Z einer einengenden Interpretation dahingehend bedarf, daß sich die Zuständigkeit der Prüfgremien auf Korrekturen beschränkt, die zumindest mittelbar die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise betreffen, kann auf sich beruhen. Denn der Beklagte war zu der sowohl betragsmäßig als auch im Verhältnis zum Gesamtschaden geringfügigen Richtigstellung jedenfalls kraft der ihm zukommenden Annexkompetenz berechtigt.
Das Urteil des SG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Auch von der Klägerin wird nicht in Zweifel gezogen, daß Einmalspritzen nicht zu Lasten der betroffenen Ersatzkassen verordnet werden konnten und die Entscheidung des Beklagten deshalb in der Sache nicht zu beanstanden ist. Welche Mittel als Sprechstundenbedarf verordnungsfähig sind, ist in Abschnitt V der als Anlage 12 zum EKV-Z vereinbarten Richtlinien für die Verordnung von Arzneimitteln im einzelnen festgelegt. In dem dort unter Ziffer 3 aufgeführten, als abschließend zu bewertenden Katalog sind Einmalspritzen nicht enthalten. Ihr Ausschluß ist darin begründet, daß Injektionsspritzen, einerlei ob wiederverwendbar oder nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt, von den Vertragspartnern zu den zahnärztlichen Instrumenten gerechnet werden, deren Kosten nach Nr 4 Satz 1 der Allgemeinen Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen bereits in den Leistungsansätzen der vertragszahnärztlichen Gebührentarife enthalten sind. Damit verbietet es sich, sie den Krankenkassen auf dem Umweg über die Verordnung als Sprechstundenbedarf gesondert in Rechnung zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 946289 |
NJW 1996, 3101 |