Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammentreffen von Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Freibetrag. Beschädigtengrundrente. Beitrittsgebiet. sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit eines Grundurteils
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Anrechnung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist allein der Beschädigten-Grundrentenbetrag als sogenannter Freibetrag zu berücksichtigen, der sich aus der Anwendung des § 31 BVG ergibt (Anschluss an BSG vom 10.4.2003 – B 4 RA 32/02 R = SozR 4-2600 § 93 Nr 2).
Normenkette
SGB VI § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 4; BVG § 31 Abs. 1, § 84a; EinigVtr Anlage I Kap. VIII K III Nr. 1 Buchst. a; EinigVtr Anlage I Kap. VIII K; SGB X § 44 Abs. 1; SGG § 130 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Oktober 2002 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Dezember 2001 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, in welcher Höhe die Verletztenrente des Versicherten auf die von der Beklagten gewährte Altersrente (AlR) aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen ist.
Der am 28. September 1924 geborene Kläger bezog ab 1. September 1989 eine nach den Vorschriften der ehemaligen DDR berechnete AlR, die aufgrund des Umwertungs- und Anpassungsbescheids vom 20. Dezember 1992 ab 1. Januar 1992 als Regelaltersrente (RAR) unter Anrechnung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) geleistet wird. Mit Bescheiden vom 29. Mai 1994 und vom 13. Januar 1998 wurde die RAR jeweils neu berechnet.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2001 beantragte der Kläger eine Überprüfung des letzten Bescheids vom 13. Januar 1998 mit der Begründung, bei der Anrechnung von Einkommen gemäß § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. März 2000 (BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) ab dem 1. Januar 1999 bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH eine Beschädigten-Grundrente in Höhe von 297,-- DM nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) – anstelle der von der Beklagten berücksichtigten Beschädigten-Grundrente in Höhe von 249,-- DM – als Freibetrag anzurechnen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2001 die Rücknahme ihres Bescheids vom 13. Januar 1998 im Wesentlichen mit folgender Begründung ab: Das vom Kläger angeführte Urteil des BVerfG habe keine Auswirkung auf die Anwendung des § 93 SGB VI. Das BVerfG habe nur für den Personenkreis der Kriegsopfer festgestellt, dass eine Differenzierung in der Höhe der Beschädigten-Grundrenten jeweils nach alten und neuen Ländern (ab dem 1. Januar 1999) gegen den Gleichheitssatz verstoße. Bei Beziehern einer Unfallrente aus der gesetzlichen UV stehe das schädigende Ereignis nicht in Zusammenhang mit Kriegsfolgen.
Das Sozialgericht Leipzig (SG) hat mit Urteil vom 12. Dezember 2001 den Bescheid vom 14. Februar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt, “unter Berücksichtigung einer ab dem 1. Januar 1999 einheitlich geltenden Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz die Altersrente des Klägers neu zu berechnen”.
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt:
Eine teilweise Rücknahme – gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) – des Umwertungs- und Anpassungsbescheids vom 20. Dezember 1992 und der Neuberechnungsbescheide vom 29. Mai 1994 und 13. Januar 1998 sei ausgeschlossen. Selbst unter Zugrundelegung der Auffassung des Klägers, aufgrund des Urteils des BVerfG vom 14. März 2000 dürfe nach dem 31. Dezember 1998 die Berechnung der Beschädigtenrente im Beitrittsgebiet nicht mehr nach § 84a BVG erfolgen, seien diese Bescheide zum Zeitpunkt ihres Erlasses nicht rechtswidrig gewesen.
Der Kläger könne die teilweise Aufhebung des Bescheids vom 13. Januar 1998 und die Neuberechnung der AlR auch nicht nach § 48 Abs 1 SGB X verlangen, weil eine wesentliche Änderung iS dieser Vorschrift aufgrund der (teilweisen) Nichtigerklärung des § 84a BVG durch dieses Urteil des BVerfG nicht eingetreten sei. Die aufgrund des Urteils des BVerfG vom 14. März 2000 durch Gesetz vom 6. Dezember 2000 in § 84a Satz 3 BVG eingefügten Ausnahmefälle lägen hier nicht vor, weil der Kläger keine Beschädigten-Grundrente nach § 1 BVG, nach dem Häftlingshilfegesetz, nach dem Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetz oder nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitationsgesetz erhalte.
In § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI würden zwar weder § 31 BVG noch § 84a BVG zitiert, doch werde mit dem Wortlaut “Grundrente nach dem BVG” sowohl auf § 31 BVG als auch auf § 84a BVG verwiesen, wobei § 84a Satz 1 BVG auf den Einigungsvertrag (EV) weiterverweise. Soweit § 84a BVG vom BVerfG für nichtig erklärt worden sei, sei dieses Urteil auf den vorliegenden Fall weder direkt noch entsprechend anwendbar. Unmittelbar würden von dem Urteil nur Kriegsbeschädigte erfasst. Auf Bezieher von Verletztenrenten aus der gesetzlichen UV sei es nicht anwendbar; dem stehe der unterschiedliche Regelungszweck des Versorgungsanspruchs nach dem BVG einerseits und der Verletztenrente der gesetzlichen UV andererseits entgegen.
Schließlich habe das BVerfG seine Entscheidung maßgeblich auf das Argument gestützt, es sei spätestens seit 1998 erkennbar gewesen, dass eine Gleichstellung der Kriegsopfer in den neuen und alten Ländern bis auf Weiteres nicht absehbar sei und die Gefahr einer dauerhaften Ungleichbehandlung für diesen Personenkreis bestehe. Die Gruppe der Unfallrentenbezieher erstrecke sich dagegen auf alle Altersgruppen, und es sei nicht fernliegend, dass die Gruppe der Unfallrentner-Ost das Leistungsniveau des Westens einmal erreichen werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI, des § 84a BVG sowie der Art 3 Abs 1 und Art 14 Abs 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Zur Begründung der Revision trägt er im Wesentlichen folgendes vor:
Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge überhaupt und auch weiterhin einen geminderten Beschädigten-Grundrentenbetrag für Versicherte in den neuen Bundesländern angerechnet habe. Dieses Vorgehen sei erst recht nach der Entscheidung des BVerfG vom 14. März 2000 nicht mehr verständlich. Ein immaterieller Schaden eines Beziehers einer Verletztenrente-Ost dürfe im Verhältnis zu einem Rentenbezieher-West nicht anders bewertet und berücksichtigt werden.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ordne § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI keine Ungleichbehandlung unfallverletzter Rentenberechtigter an; die Beklagte habe vielmehr die Grundrente, so wie sie in § 31 Abs 1 BVG aufgeführt werde, als Freibetrag im Rahmen des § 93 Abs 2 Satz 2 Buchst a SGB VI zu berücksichtigen. Jedenfalls seit dem 1. Januar 1999 sei eine Differenzierung zwischen einer so genannten Grundrente-Ost und einer so genannten Grundrente-West im Rahmen des § 93 SGB VI nicht mehr gerechtfertigt, nachdem § 84a BVG seit dem 1. Januar 1999 vom BVerfG für nichtig erklärt worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Oktober 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Dezember 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Er hat einen Anspruch auf Neufeststellung der RAR unter Berücksichtigung eines Freibetrags ausschließlich nach § 31 Abs 1 BVG bei der Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen UV im Rahmen des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI.
Der Zulässigkeit der Klage steht vorliegend nicht entgegen, dass der Kläger vor dem SG keinen genauen Zahlbetrag seiner Rente eingeklagt, sondern neben der Aufhebung des angefochtenen Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2001 nur die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheids beantragt hat. Der weitere Antrag des Klägers vor dem SG, “bei der Einkommensanrechnung gemäß § 93 Abs 2 Nr 2a SGB VI den Grundrentenbetrag (West) abzusetzen”, drückt das Klagebegehren noch hinreichend klar aus. Erkennbares Klageziel des Klägers war die Aufhebung des eine neue Berechnung ablehnenden Bescheids der Beklagten vom 14. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2001 und die Verpflichtung der Beklagten, bei der Berechnung des Zahlbetrags der RAR die Vorschrift des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI in der Weise anzuwenden, dass bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen UV der Betrag unberücksichtigt bleibt, der ihm als Beschädigten-Grundrente allein nach § 31 Abs 1 BVG (so genannte Grundrente-West) – ohne Anwendung des § 84a BVG iVm den Bestimmungen des EV (so genannte Grundrente-Ost) – geleistet würde. Aus dem Klageantrag wie auch aus den angefochtenen Bescheiden ergibt sich hinreichend klar und deutlich, dass alle anderen Berechnungs- bzw Anrechnungsfaktoren, die für den monatlichen Zahlbetrag der RAR des Klägers von Bedeutung sind, zwischen den Beteiligten nicht streitig sind. In welcher Höhe die RAR für den Kläger zu zahlen ist, sollte dagegen von Beginn an dem anschließenden Durchführungsbescheid vorbehalten bleiben, wenn der Kläger mit seinem Begehren durchdringt. Der Erlass eines solchen Grundurteils iS des § 130 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist auch möglich, wenn nur über die Leistungshöhe gestritten wird oder wenn – wie vorliegend – nur ein Berechnungsfaktor streitig ist (vgl hierzu Pawlak in Hennig, SGG-Kommentar, § 130, RdNr 53; s auch Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 130 RdNr 2 ff; zur Zulässigkeit eines Grundurteils vgl auch BSGE 66, 44 = SozR 5795 § 7 Nr 1).
Dem Kläger kann ein rechtliches Interesse an der Neuberechnung der Rente entsprechend seinem bereits bei der Beklagten und beim SG gestellten Antrag nicht abgesprochen werden. Es unterlag von Beginn des Verfahrens an keinem Zweifel, dass aufgrund der vom Kläger begehrten Neuberechnung unter Zugrundelegung der Beschädigten-Grundrente allein nach § 31 BVG als zu berücksichtigendem “Freibetrag” bei der Anrechnung der Unfallrente im Ergebnis ein höherer Rentenzahlbetrag aus der gesetzlichen Rentenversicherung resultiert. Dies hat die vom Senat eingeholte Auskunft der Beklagten vom 27. Oktober 2003 bestätigt, wonach sich für die Zeit vom 1. Januar 1999 bis 30. November 2003 ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.083,44 € ergibt, wenn die vom Kläger begehrte Anrechnung des Freibetrags nach der so genannten Grundrente-West zugrunde gelegt wird.
Das SG hat auch mit hinreichender Bestimmtheit über das Klagebegehren entschieden. Soweit es die Beklagte verurteilt hat, unter Berücksichtigung einer ab dem 1. Januar 1999 einheitlich geltenden Grundrente nach dem BVG die AlR des Klägers neu zu berechnen, so kann dieser Ausspruch unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils nur dahingehend verstanden werden, dass die Beklagte verpflichtet wurde, die RAR des Klägers neu zu berechnen und anstelle des bei der Anrechnung der Unfallrente zugrunde gelegten Freibetrags nach der Grundrente-Ost (gemäß § 84a BVG) den Freibetrag nach der Grundrente-West (gemäß § 31 Abs 1 BVG) zugrunde zu legen.
Aus dem vom Kläger vor dem SG gestellten Antrag allein geht allerdings nicht hervor, ab welchem Zeitpunkt die Neuberechnung der AlR begehrt wurde. Gleichwohl ist auch insoweit der Streitgegenstand hinreichend bestimmt, weil das SG die Beklagte ausweislich des Urteilstenors verurteilt hat, unter Berücksichtigung einer ab dem 1. Januar 1999 einheitlich geltenden Grundrente nach dem BVG die RAR des Klägers neu zu berechnen. Die Neuberechnung bereits ab einem früheren Zeitpunkt war von dem Kläger weder mit seinem bei der Beklagten gestellten Antrag noch nach seinem Vorbringen im Klage-verfahren geltend gemacht worden, weshalb nicht davon auszugehen ist, das SG habe das Klagebegehren hinsichtlich des streitigen Zeitraums nicht in vollem Umfang beschieden. Ungeachtet dessen ist vom Kläger keine Berufung gegen das Urteil des SG mit dem Ziel einer weitergehenden Verurteilung der Beklagten eingelegt worden und auch im Berufungsverfahren keine entsprechende Klageerweiterung erfolgt. Der erkennende Senat hat somit allein darüber zu entscheiden, ob der Kläger ab 1. Januar 1999 die Neuberechnung seiner RAR unter Berücksichtigung des höheren Freibetrags gemäß § 31 BVG anstelle des bisher in Ansatz gebrachten Freibetrags gemäß § 84a BVG iVm den entsprechenden Bestimmungen des EV bei der Anrechnung der Unfallrente verlangen kann.
Das Urteil des LSG kann keinen Bestand haben. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verletzt die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Neuberechnung seiner AlR ab dem 1. Januar 1999 diesen in seinen Rechten.
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 SGB X. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Von der Beklagten ist bei der Berechnung der monatlichen Zahlbeträge aus der RAR des Klägers in dem allein zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 13. Januar 1998 – wie auch in den früheren Bescheiden vom 20. Dezember 1992 und vom 29. Mai 1994 – das Recht insofern unrichtig angewandt worden, als im Rahmen des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI bei der Ermittlung der zusammentreffenden Rentenbeträge nur ein Beschädigten-Grundrentenbetrag unberücksichtigt geblieben ist, wie er sich in Anwendung des § 84a BVG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung iVm dem EV (Anlage 1 Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1a) ergab. Richtigerweise hätte die Beklagte allein den Beschädigten-Grundrentenbetrag als so genannten Freibetrag einsetzen müssen, der sich aus der Anwendung des § 31 Abs 1 BVG ergibt.
Zu Unrecht stützt sich die Beklagte für ihre Rechtsauffassung auf den Wortlaut des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI, denn dieser differenziert nicht zwischen verschiedenen Grundrenten bei gleichem MdE-Grad. Die Vorschrift enthält keinen Hinweis darauf, dass zu unterscheiden sei zwischen den Berechtigten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in den neuen oder alten Bundesländern hatten bzw haben (so auch BSG, Urteil vom 10. April 2003 – B 4 RA 32/02 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Es ist der Beklagten zuzugeben, dass allein der Wortlaut des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI für eine Auslegung dahingehend offen ist, dass als Freibetrag dann die Grundrente nach § 84a BVG iVm den Bestimmungen des EV einzusetzen ist, wenn der Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für eine Anwendung des § 84a BVG erfüllt. Für eine solche Auslegung könnte die konjunktivische Form “… geleistet würde …” sprechen, die so verstanden werden könnte, als sei diejenige Beschädigten-Grundrente zu berücksichtigen, die je nach Herkunft des Versicherten als Beschädigten-Grundrente konkret zu leisten wäre.
Gegen eine derartige Auslegung spricht jedoch, dass das Rentenversicherungsrecht keine Vorschrift kennt, die eine solche Differenzierung geböte. § 93 SGB VI enthält Regelungen, die einheitliche Geltung im gesamten Bundesgebiet beanspruchen. Hierzu zählt auch der Verweis auf die grundsätzlich im gesamten Bundesgebiet einheitliche Beschädigten-Grundrente in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI, die der Höhe nach nicht zwischen Gebieten mit niedrigeren oder höheren Lebenshaltungskosten differenziert. Das Rentenrecht enthält keine Vorschrift, die gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 93 SGB VI speziell für das Beitrittsgebiet eine abweichende Regelung vorsieht. Insbesondere kann sich die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht auf § 84a BVG berufen, weil dieser Vorschrift nicht zu entnehmen ist, dass mit ihr auch die Freibetragsregelung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI zu Lasten der Versicherten im Beitrittsgebiet abgeändert werden sollte (BSG, Urteil vom 10. April 2003 – aaO).
Die Berücksichtigung allein der Grundrenten nach § 31 Abs 1 BVG für alle Berechtigten, bei denen auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente aus der UV anzurechnen ist, entspricht auch Ziel und Zweck des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI. Zweck der Freibetragsregelung ist es, beim Zusammentreffen dieser beiden Renten den Anteil der Unfallrente von der Anrechnung auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auszunehmen, der dem Ausgleich immaterieller Schäden dient. Da sich aus den Unfallrenten selbst der Anteil des immateriellen Schadens nicht ermitteln lässt, knüpft § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI an die Beschädigten-Grundrente des BVG an, um so die Gleichbehandlung der unfallverletzten Rentenberechtigten zu sichern. Bei gleichem Grad der MdE und damit gleichem immateriellen Schaden gewährleistet diese Regelung einen gleichen Freibetrag und trägt auf diese Weise der Tatsache Rechnung, dass diese Schäden bei leichten, mittelschweren und schweren Unfällen unterschiedlich zu bemessen sind und damit die Festsetzung unterschiedlicher Freibeträge erfordern (vgl zum Vorhergehenden ausführlich: BSG, Urteil vom 10. April 2003 – aaO, mwN).
Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht, dass § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI ohnehin nur pauschal auf die Grundrente nach dem BVG verweist und dabei in Kauf nimmt, dass im Einzelfall die Berücksichtigung eines immateriellen Schadens durchaus unterschiedlich ausfallen kann. So führt zB eine Unfallrente aufgrund eines niedrig anzusetzenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV) trotz vergleichsweise höherer MdE zu einem relativ niedrigen Zahlbetrag, während sich umgekehrt aus hohem einzusetzenden JAV auch bei relativ niedriger MdE eine vergleichsweise hohe Unfallrente ergibt. Der Anteil des immateriellen Schadens wird gleichwohl nur pauschal in Anknüpfung an die Grundrente des BVG berücksichtigt. Allein der Umstand, dass – jedenfalls zur Zeit noch – die Bezieher von Unfallrenten aus dem Beitrittsgebiet möglicherweise in größerer Anzahl von einem vergleichsweise hohen Freibetrag profitieren, wenn die Unfallrente trotz relativ hoher MdE tatsächlich vergleichsweise niedrig ausfällt, berechtigt nicht dazu, ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung von dem niedrigeren Grundrentenbetrag des § 84a BVG iVm den Bestimmungen des EV auszugehen.
Gegen die Annahme, für die Höhe des Freibetrags und damit für das Ausmaß der Berücksichtigung des Anteils an immateriellen Schäden bei der Unfallrente komme es auf den Wohnsitz des Unfallopfers zu einem bestimmten Zeitpunkt an, spricht bereits der Hinweis auf die Grundrente nach dem BVG als Maßstab für den zu berücksichtigenden immateriellen Schaden. Die Grundrente wird einheitlich gewährt ungeachtet der Lebenshaltungskosten am Wohnort des Berechtigten. Bis zum Beitritt der DDR kannte das BVG keine unterschiedlichen Leistungssätze bei der Grundrente, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse auch in den alten Bundesländern durchaus unterschiedlich waren und sind (vgl hierzu BSGE 73, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 1). Soweit in § 84a BVG für das Leistungsrecht des BVG im Beitrittsgebiet Ausnahmen vorgesehen waren und teilweise noch sind (vgl § 84a in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze vom 6. Dezember 2000 ≪BGBl I 1676≫), kommt es hierauf nicht an, weil die Anknüpfung in § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI an § 31 BVG eine Rechtsfolgen-, nicht aber eine Rechtsgrundverweisung beinhaltet (BSG, Urteil vom 10. April 2003 – aaO).
Gegen die Berücksichtigung des jeweiligen Wohnsitzes oder Herkunftsorts des Rentenberechtigten bei der Ermittlung des Freibetrags nach dem BVG spricht auch § 93 Abs 4 Satz 1 Nr 4 SGB VI. Danach ist ua § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI auch anzuwenden beim Zusammentreffen von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung mit Renten einer – vergleichbaren – ausländischen UV. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass für diesen Personenkreis nur ein Freibetrag nach § 31 Abs 1 BVG in Betracht kommen kann, und zwar ganz unabhängig davon, in welcher Höhe eine solche Unfallrente vom ausländischen Unfallversicherungsträger gezahlt wird. Auch hier kann – abstrakt gesehen – der Anteil des immateriellen Schadens in völlig unterschiedlichen Relationen zur jeweiligen Höhe einer Unfallrente stehen. Fällt zB die ausländische Unfallrente trotz vergleichsweise hoher MdE aufgrund der dortigen Berechnungsmodalitäten niedrig aus, so ist gleichwohl der sich aus § 31 Abs 1 BVG ergebende, vergleichsweise hohe Freibetrag zu berücksichtigen. Umgekehrt ist bei einer vergleichsweise niedrigen Bemessung des MdE-Grades der ausländischen Unfallrente nur der Freibetrag anzusetzen, wie er sich aus § 31 Abs 1 BVG ergibt, auch wenn der Zahlbetrag der Unfallrente aufgrund der ausländischen Berechnungsmodalitäten relativ – zum deutschen Recht – hoch ausfällt.
Da für die Festsetzung des Freibetrags bereits auf § 84a BVG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung iVm den Bestimmungen des EV nicht zurückgegriffen werden konnte, gilt dies auch für den aufgrund des BVerfG-Urteils geänderten bzw ergänzten § 84a BVG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung, so dass der Auslegung im Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 17. August 2001 (BArbBl 2001 ≪10≫, 66) nicht gefolgt werden kann. Wie sich aus Vorstehendem ergibt, konnte das Urteil des BVerfG keine Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Anwendung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI bewirken, weil die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift durch die Beklagte von Beginn an nicht dem geltenden Recht entsprach.
Der Kläger hat mit seinem Antrag von Januar 2001 nur den Bescheid vom 13. Januar 1998 zur Überprüfung gestellt und die Berücksichtigung des höheren Freibetrags erst ab 1. Januar 1999 begehrt, so dass die Beklagte auch nur verpflichtet ist, die Rentenberechnung ab diesem Zeitpunkt neu vorzunehmen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1113624 |
NZS 2004, 137 |
NZS 2004, 488 |
SozR 4-2600 § 93, Nr. 3 |