Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfeanspruch; zweite Sperrzeit; Erlöschen; überprüfungsantrag; Bestandskraft des ersten Sperrzeitbescheides; Sperrzeitereignis
Leitsatz (amtlich)
1. Steht das gänzliche Erlöschen des Leistungsanspruchs wegen Eintritts einer zweiten Sperrzeit im Streit, muss das Gericht jedenfalls dann auch den Anspruch auf Rücknahme des ersten Sperrzeit-Bescheides nach § 44 Abs 1 SGB 10 prüfen, wenn der Arbeitslose bereits mit dem Widerspruch gegen den Erlöschensbescheid geltend gemacht hat, schon die erste Sperrzeit sei nicht berechtigt gewesen (Abgrenzung zu BSG vom 26.11.1992 - 7 RAr 38/92 = BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Lehnt das Sozialgericht dies wegen der Bestandskraft des ersten Sperrzeit-Bescheides ab, so verletzt es § 123 SGG.
2. Zu den Konsequenzen, wenn das Sozialgericht einen anderen Zeitpunkt des Sperrzeit-Ereignisses annimmt als die Behörde.
Normenkette
AFG § 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; SGB X § 44 Abs. 1, 4 S. 1, §§ 45, 48 Abs. 1; SGG § 123
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 2000 aufgehoben, soweit es im Entscheidungssatz ausspricht, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits am 18. Dezember 1996 erloschen sei. Unter Aufhebung des Urteils auch im Übrigen wird die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen Eintritts einer zweiten 12-wöchigen Sperrzeit mit Erlöschen des Leistungsanspruchs; er begehrt auch die Überprüfung des ersten Sperrzeitbescheides aus dem Jahre 1990.
Der Kläger bezieht seit 1988 Leistungen der Beklagten, zunächst Arbeitslosengeld und dann, mit kurzen Unterbrechungen, Alhi. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Dezember 1990 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi wegen Eintritts einer 12-wöchigen Sperrzeit (10. November 1990 bis 1. Februar 1991) auf; der Kläger habe ein Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund gelöst und dadurch den Eintritt der Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt.
Ende November 1996 unterbreitete die Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit als Krankenpflegehelfer beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Durch eine Nachricht des DRK vom 18. Dezember 1996 erfuhr die Beklagte, dass sich der Kläger nicht beim DRK vorgestellt hatte; am 12. März 1997 erläuterte der Kläger dem zuständigen Vermittler, er habe sich für die Stelle nicht geeignet gehalten. Mit Bescheid vom 3. April 1997 (idF des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997) hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi vom 3. Januar 1997 wegen des Erlöschens des Leistungsanspruchs bei Eintritt einer weiteren 12-wöchigen Sperrzeit (§ 119 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) ab 13. März 1997 auf: Dem Kläger sei ein zumutbares Stellenangebot unterbreitet worden, das er am 12. März 1997 ohne wichtigen Grund abgelehnt habe. In dem Widerspruchsschreiben machte der Kläger ua geltend, bereits die Verhängung der ersten Sperrzeit sei unberechtigt gewesen; er weise auf „§ 44 SGB” hin.
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat mit Urteil vom 20. August 1999 die Klage, mit der der Kläger schriftsätzlich ua auch die „Aufhebung des Bescheides, der zur ersten Sperrzeit führte” begehrt hatte, abgewiesen. Hinsichtlich des Bescheides vom 27. Dezember 1990 führt das Urteil aus, dass dieser Bescheid bestandskräftig und der Kläger bereits hierin darauf hingewiesen worden sei, dass sein Leistungsanspruch erlösche, wenn er in Zukunft erneut Anlass für eine Sperrzeit gebe. Mit Urteil vom 8. Juni 2000 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) die Berufung des Klägers „mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits am 18. Dezember 1996 erloschen ist”. Die angefochtenen Bescheide und das diese bestätigende SG-Urteil seien hinsichtlich der Feststellung des Eintritts einer zweiten Sperrzeit richtig, allerdings sei diese bereits am 18. Dezember 1996 eingetreten; entsprechend sei dieser Umstand im Tenor auszusprechen gewesen. Darin liege keine unzulässige sog Verböserung gegenüber dem Kläger, denn die Rechtsfolgen des § 119 AFG träten kraft Gesetzes ein. Der durch den Bewilligungsbescheid anerkannte Alhi-Anspruch werde dadurch nicht berührt (Hinweis auf Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 9. September 1999 – B 11 AL 17/99 R). Auf den Eintritt des Erlöschens des Leistungsanspruchs wirke sich der vom Kläger gestellte Überprüfungsantrag hinsichtlich der Entscheidung vom 27. Dezember 1990 (Sperrzeit vom 10. November 1990 bis 1. Februar 1991) nicht aus. Die Bestandskraft dieser Entscheidung sei maßgeblich, solange die Beklagte hierüber nicht zu Gunsten des Klägers entschieden habe. Sollte die Beklagte den Sperrzeitbescheid aufheben oder die Regelsperrzeit von 12 Wochen reduzieren, so hätte dies zur Folge, dass der Anspruch auf Alhi nicht mit dem 18. Dezember 1996 weggefallen sei.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Er rügt als Verfahrensfehler, dass das LSG – entgegen § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) – entschieden habe, die Sperrzeit habe bereits am 18. Dezember 1996 und nicht erst – wie von der Beklagten entschieden – am „12.” März 1997 begonnen. Auch habe das LSG seinen (des Klägers) Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bezüglich des ersten Sperrzeitbescheides vom 27. Dezember 1990 nicht beachtet. Ferner trägt er vor, seine Ablehnung des Arbeitsplatzangebotes vom November 1996 beruhe auf einer Gewissensentscheidung; das Berufungsurteil habe insoweit zu Unrecht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 5. März 1968, BVerfGE 23, „172-135”) und des BSG (Urteil vom 23. Juni 1982, BSGE 54, 7 – 14) nicht berücksichtigt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20. August 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. April 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 27. Dezember 1990 zurückzunehmen.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der „Maßgabe” im Entscheidungssatz des Berufungsurteils und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Dem LSG ist – wie vom Kläger gerügt – ein Verfahrensmangel unterlaufen. Das Berufungsurteil beruht sowohl für den Zeitraum vom 18. Dezember 1996 bis 12. März 1997 als auch für den Zeitraum ab 13. März 1997 auf einer Verletzung des § 123 SGG iVm § 153 Abs 1 SGG. Hiernach entscheidet – auch in der Berufungsinstanz – das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.
§ 123 SGG umfasst zum einen das Verbot, die Verwaltungsentscheidung zum Nachteil des Klägers zu ändern (Verböserungsverbot). Hiergegen hat das LSG dadurch verstoßen, dass es die Berufung des Klägers, der sich erstinstanzlich vergeblich gegen die Entziehung seines Anspruchs auf Alhi mit Wirkung ab 13. März 1997 gewandt hatte, „mit der Maßgabe zurückgewiesen (hat), dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits am 18. Dezember 1996 erloschen ist” (1.). Ein Verstoß des LSG gegen § 123 SGG ist – auch soweit er das Verböserungsverbot betrifft – ein im Revisionsverfahren erheblicher Verfahrensmangel (zum Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vgl den – im vorliegenden Verfahren ergangenen – Senatsbeschluss vom 29. März 2001, SozR 3-1500 § 123 Nr 1). Gegen das zum anderen in § 123 SGG enthaltene Gebot, über alle vom Kläger geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden, hat das LSG gleichfalls verstoßen: Es hat den vom Kläger im Gerichtsverfahren auch geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 27. Dezember 1990 nicht als Streitgegenstand angesehen, sondern den Kläger auf ein gesondertes Verfahren verwiesen (2.). Auf dieser Grundlage ist der Rechtsstreit in der Sache noch nicht – auch nicht teilweise – entscheidungsreif (3.).
1. Die Berechtigung des Klägers, die ihm zwischen dem 18. Dezember 1996 und dem 12. März 1997 ausgezahlte Alhi zu behalten, war zwischen den Beteiligten nie streitig. Die Leistungsbewilligung ist für diese Zeit durch den dem vorliegenden Verfahren zu Grunde liegenden Bescheid (vom 3. April 1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997) nicht aufgehoben worden. Der angefochtene Bescheid beschränkt sich vielmehr darauf, den Bewilligungsbescheid vom 3. Januar 1997 mit Wirkung ab 13. März 1997 aufzuheben, weil die Voraussetzungen für die Leistung weggefallen seien: Der Kläger habe am 12. März 1997 eine ihm angebotene Arbeit nicht angenommen; damit liege der Tatbestand für den Eintritt einer dem Normalmaß entsprechenden Sperrzeit von 12 Wochen vor. Da er nach Entstehung des Leistungsanspruches schon einmal Anlass für den Eintritt einer das gesetzliche Normalmaß umfassenden Sperrzeit gegeben habe (Hinweis auf den Bescheid vom 27. Dezember 1990), erlösche der Leistungsanspruch.
Einerlei, ob man in diesem Bescheid neben der Aufhebungsentscheidung noch eine eigenständige Entscheidung über das Erlöschen des Leistungsanspruchs nach § 119 Abs 3 AFG sieht (hierzu BSG vom 9. September 1999, SozR 3-4100 § 119 Nr 18 S 90 f), sind hierin – und im Widerspruchsbescheid – jedenfalls Zeiträume vor dem 13. März 1997 nicht geregelt. Insoweit bestehen die vorherigen Leistungsbewilligungen fort.
Demgegenüber hat das LSG im Entscheidungssatz seines Urteils die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil „mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits am 18. Dezember 1996 erloschen ist”. Es hat damit gegen das in § 123 SGG enthaltene Verbot verstoßen, die Verwaltungsentscheidung zum Nachteil des Klägers zu ändern.
Hierüber hilft auch die Argumentation des LSG (Bl 9 f seines Urteils) nicht hinweg, es liege keine unzulässige sog Verböserung gegenüber dem Kläger vor, da die Rechtsfolgen des § 119 AFG kraft Gesetzes einträten; der durch den Bewilligungsbescheid anerkannte Anspruch auf Alhi werde dadurch nicht berührt. Dem kann in dieser Form nicht beigepflichtet werden. Denn wenn die „Maßgabe” den streitigen Anspruch nicht betrifft, verbietet sich bereits deshalb, sie im Entscheidungssatz zu erwähnen. Da die Maßgabe darüber hinaus zu Ungunsten des Klägers über seinen Antrag hinausgeht, verletzt sie auch § 123 SGG. Zwar mag das Gericht – wie hier das LSG – zur Überzeugung kommen, dass der Alhi-Anspruch bereits zu einem früheren Zeitpunkt entfallen war, als von der Beklagten im angefochtenen Bescheid festgestellt. Diese kann jedoch nur insoweit den – der Rechtskraft unterfallenden – Ausspruch im Tenor des Urteils beeinflussen, als sie zur Folge hat, dass der angefochtene Verwaltungsakt antragsgemäß zu Gunsten des Klägers zu ändern oder aufzuheben ist. Jede darüber hinaus gehende Feststellung im Tenor – wie hier – verletzt § 123 SGG, auch wenn das Gericht meint, dass sie keine unmittelbaren Rechtswirkungen auslöse.
Nichts anderes folgt aus dem Urteil des BSG vom 9. September 1999 (B 11 AL 17/99 R, SozR 3-4100 § 119 Nr 18), das das LSG heranzieht. Nach diesem Urteil bedarf es über ein gerichtliches Teilanerkenntnis hinaus keiner weiteren Bescheidung, wenn die Bundesanstalt für Arbeit (BA) den Eintritt einer Sperrzeit im Laufe eines Verfahrens auf ein späteres Ereignis innerhalb eines einheitlichen Lebenssachverhalts stützt. Hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass im Entscheidungssatz eines sozialgerichtlichen Urteils das Gericht das Ende eines Leistungsanspruches früher festsetzen darf als im angefochtenen Bescheid geschehen. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 119 Abs 3 AFG vorliegen und die Rechtsfolgen dieser Vorschrift kraft Gesetzes eintreten, ist die Feststellung der hierin geregelten Erlöschenswirkung lediglich Voraussetzung (Teil der Begründung) für die Aufhebungsentscheidung, die die Bindungswirkung des Alhi-Bewilligungsbescheides beseitigt (BSG aaO S 90), und auch nur als solche zu überprüfen.
Die „Maßgabe”-Entscheidung des LSG kann auch nicht aus dem Gesichtspunkt gerechtfertigt werden, dass das Berufungsgericht das tatsächliche Geschehen am 12. März 1997 nicht (mehr) für geeignet angesehen hatte, die Voraussetzungen des Sperrzeittatbestandes nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG zu erfüllen, wohl aber das Geschehen vom 18. Dezember 1996: Durch eine Mitteilung unter diesem Datum hatte die Beklagte vom damaligen prospektiven Arbeitgeber (dem DRK) erfahren, dass sich der Kläger weder vorgestellt noch telefonisch gemeldet oder schriftlich beworben hatte; am 12. März 1997 hingegen hatte der Kläger seine Gründe hierfür gegenüber dem Vermittler des Arbeitsamtes angegeben. Auch eine auf Grund eines Ereignisses vom 18. Dezember 1996 eingetretene zweite Sperrzeit kann (zu den Einzelheiten s weiter unten) das Erlöschen des Anspruchs (§ 119 Abs 3 AFG) mit Wirkung ab 13. März 1997 begründen, ohne dass der Sperrzeitbeginn im Tenor der gerichtlichen Entscheidung festgestellt werden müsste. In einem solchen Fall ist auch unschädlich, wenn der die Leistungsbewilligung aufhebende Bescheid von einem unzutreffenden Sperrzeitereignis und damit einem falschen Sperrzeitbeginn ausgeht. Die Erlöschenswirkung entfällt nicht, wenn die BA die Sperrzeit – deklaratorisch – falsch festgestellt hat. (Selbst wenn man im Übrigen der Ansicht des LSG folgen würde, das die Sperrzeit begründende Ereignis habe am 18. Dezember 1996 stattgefunden, würde hieraus das Erlöschen des Alhi-Anspruchs nicht bereits – wie vom LSG festgestellt – ab diesem Tage folgen, sondern erst ab 19. Dezember 1996 – dem Tag nach dem begründenden Ereignis: § 119 Abs 1 Satz 2 AFG.)
Beginnt während einer laufenden Bewilligung von Alhi eine zweite Sperrzeit mit der Rechtsfolge des Erlöschens des Leistungsanspruchs (§ 119 Abs 3 AFG), so setzt die tatsächliche Leistungseinstellung einen die Bewilligung aufhebenden Verwaltungsakt nach § 48 Abs 1 SGB X voraus (BSG vom 9. September 1999, SozR 3-4100 § 119 Nr 18 S 90); dieser wiederum hat (unter Beachtung der für eine Rückwirkung geltenden Vorschriften des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X) den Zeitpunkt seiner Wirkung festzusetzen. Ein solcher Bescheid wird nicht dadurch rechtswidrig, dass er – wenn beiden Daten ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu Grunde liegt – insoweit einen späteren als den frühestmöglichen Zeitpunkt festsetzt. Dann bedeutet die Aufhebung der Bewilligung zu einem späteren Zeitpunkt lediglich eine günstigere Rechtsfolge für den Versicherten, in keinem Fall jedoch eine Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Grundlage der bescheidmäßigen Regelung zu seinen Ungunsten. Ist freilich der Leistungsanspruch gemäß § 119 Abs 3 AFG bereits bei Erlass eines Bewilligungsbescheides erloschen gewesen, kann die Bewilligung nur gemäß § 45 SGB X zurückgenommen werden; eine Aufhebung nach § 48 Abs 1 SGB X scheidet dann mangels einer späteren Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse aus. Dies ist zu beachten, wenn man als Beginn einer zweiten Sperrzeit (und des Erlöschens nach § 119 Abs 3 AFG) einen Zeitpunkt vor Erlass des Bewilligungsbescheides vom 3. Januar 1997 annimmt.
Auch aus einem weiteren Gesichtspunkt kann im vorliegenden Fall bedeutsam werden, wann auf Grund des Verhaltens des Klägers eine Sperrzeit eingetreten ist: am 19. Dezember 1996, am 13. März 1997 oder zu einem anderen Zeitpunkt. Wegen des kalendermäßigen Ablaufs der Sperrzeit (hierzu Senatsurteil vom 22. Juli 1982, BSGE 54, 41, 43 ff = SozR 4100 § 119 Nr 20) wirkt es sich regelmäßig zu Gunsten des Arbeitslosen aus, wenn die BA von einem zu späten sperrzeitbegründenden „Ereignis” ausgeht; dann kann Ergebnis eines Klageverfahrens sein, dass der Leistungsanspruch bereits früher wieder einsetzt als im „Sperrzeit-Bescheid” geregelt oder gar – wie sich aus Folgendem ergibt – nie entfallen ist:
Wäre im Falle des Klägers der „Sperrzeit-Bescheid” vom 27. Dezember 1990 nach § 44 Abs 1 SGB X aufzuheben (hierzu unter 2.), käme es auch aus diesem Grunde darauf an, ob das „Sperrzeit-Ereignis” bereits am 18. Dezember 1996 stattgefunden hat. Denn dann wäre die Sperrzeit innerhalb der 12 Wochen vom (Donnerstag) 19. Dezember 1996 bis zum (Mittwoch) 12. März 1997 abgelaufen, sodass ab 13. März 1997 (Entziehungszeitpunkt laut Bescheid vom 3. April 1997) wieder ein Leistungsanspruch bestanden hätte. Wann allerdings das „Sperrzeit-Ereignis” im vorliegenden Fall stattgefunden hat, kann der Senat anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entscheiden. Dies könnte davon abhängen, ob am 12. März 1997 das DRK noch bereit gewesen wäre, den Kläger einzustellen; unter Umständen ist erst mit dem Ende dieser Bereitschaft eine Arbeitsablehnung durch Nichtmeldung beim Arbeitgeber im Rechtssinne wirksam (s Senatsurteil vom 20. März 1980 – 7 RAr 4/79, DBlR Nr 2530 zu § 119 AFG). Hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen.
2. Ein weiterer Verfahrensfehler iS des § 123 SGG liegt darin, dass das LSG über den vom Kläger gestellten Überprüfungsantrag hinsichtlich des Bescheides vom 27. Dezember 1990 (Sperrzeit vom 10. November 1990 bis 1. Februar 1991) nicht selbst sachlich entschieden hat, sondern die Bestandskraft dieser Entscheidung für maßgeblich gehalten hat, solange die Beklagte über den Antrag nicht zu Gunsten des Klägers entschieden habe. Diese Vorgehensweise stimmt mit dem geltenden Recht nicht überein.
Der Senat kann im vorliegenden Fall offen lassen, ob dadurch, dass ein Verwaltungsakt angefochten wird, mit dem gemäß § 119 Abs 3 AFG (jetzt: § 147 Abs 1 Nr 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch) das Erlöschen des Leistungsanspruchs bei Eintritt einer zweiten (oder weiteren) Sperrzeit angefochten wird, stets gleichzeitig ein Antrag nach § 44 Abs 1 SGB X auf Überprüfung auch des früheren Sperrzeitbescheides (der früheren Sperrzeitbescheide) gestellt wird – oder ob dies (nur/jedenfalls) dann gilt, wenn Gründe vorgetragen werden, die gegen die Rechtmäßigkeit des früheren Bescheides (der früheren Bescheide) sprechen.
Denn zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden ist im Rahmen des § 44 Abs 1 SGB X auch der erste „Sperrzeit-Bescheid” zu überprüfen: Der Kläger hatte bereits in der Begründung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 3. April 1997 ausdrücklich vorgetragen, dass auch die erste Sperrzeit unberechtigt gewesen sei und auf „§ 44 SGB” hingewiesen. Wenn bei einer derartigen Fallgestaltung der Widerspruchsbescheid sich darauf beschränkt, auf den ersten Sperrzeit-Bescheid vom 27. Dezember 1990 hinzuweisen und ihn als „bestandskräftig geworden” zu bezeichnen, so kann jener Bescheid – da er nicht etwa eine weitere, gesonderte Entscheidung über den Antrag nach § 44 SGB X ankündigt – nur als abschlägige Bescheidung des gesamten Widerspruchsvorbringens, wozu auch der Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X gehörte, angesehen werden. Auf eine entsprechende Klage aber haben dann die Sozialgerichte auch hierüber zu entscheiden; einer Ergänzung des angefochtenen Bescheides oder der Erhebung einer Untätigkeitsklage bedarf es nicht (BSG vom 17. Mai 1989, BSGE 65, 84, 85 f = SozR 1200 § 30 Nr 17; vgl auch die Vorgehensweise in BSG vom 8. April 1987, SozR 1300 § 48 Nr 36 S 109). Gegebenenfalls sind die Beteiligten auf jenen rechtlichen Gesichtspunkt hinzuweisen (§ 62 SGG).
Jedenfalls auf einen Fall wie den vorliegenden ist die Rechtsprechung des Senats (vgl Senatsurteil vom 26. November 1992, BSGE 71, 256, 258 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7 mwN zu Urteilen vor Inkrafttreten des SGB X; im Ergebnis auch zB BSG vom 3. Mai 2001 – B 11 AL 80/00 R, SozR 3-4100 § 119 Nr 21) nicht anwendbar, wonach in einem späteren Streit über das Erlöschen des Anspruchs die Rechtmäßigkeit des bindend gewordenen früheren „Sperrzeit-Bescheids” nicht zu überprüfen ist.
Eine Überprüfung des „Sperrzeit-Bescheides” vom 27. Dezember 1990 scheidet auch nicht etwa deswegen aus, weil seine Rücknahme keine Auswirkung mehr haben könnte, selbst wenn dieser Bescheid rechtswidrig wäre. Zwar kann der Kläger die nachträgliche Erbringung der ihm während der damaligen Sperrzeit nicht gezahlten Alhi nicht mehr verlangen, da die Vier-Jahres-Frist nach § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X verstrichen ist. Hat jedoch – wie hier – der Anspruch des Klägers auf Alhi über den 12. März 1997 hinaus (möglicherweise) zur Voraussetzung, dass ihm auch in der „Sperrzeit” laut Bescheid vom 27. Dezember 1990 Alhi zustand, er also iS des § 119 Abs 3 AFG damals für den Eintritt einer Regel-Sperrzeit keinen Anlass gegeben (hatte), so ist er auch dann so zu stellen, als sei er in der Vergangenheit richtig behandelt worden, wenn wegen § 44 Abs 4 SGB X insoweit kein unmittelbarer Leistungsanspruch mehr besteht (vgl BSG vom 27. April 1989, SozR 4100 § 134 Nr 36 S 104; s auch Bundesverwaltungsgericht vom 10. August 1999 – 5 B 138/98, HVBG-Info 1999, 3336).
Darin, dass das LSG über den Rücknahmeanspruch des Klägers nach § 44 Abs 1 SGB X nicht mitentschieden, sondern ihn ausdrücklich auf ein gesondert durchzuführendes Verfahren verwiesen hat, hat es § 123 SGG verletzt: Es hat nicht vollständig über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entschieden (hierzu BSG vom 26. August 1994 – 13 RJ 9/94; BSG vom 29. Juni 1979, SozR 5310 § 6 Nr 2 S 6 f). Unerheblich ist, dass der Kläger im Gerichtsverfahren nicht (mehr) ausdrücklich beantragt hatte, die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 27. Dezember 1990 zurückzunehmen. Denn nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche (näher hierzu BSG vom 18. August 1999, SozR 3-1500 § 96 Nr 9 S 18 f), ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.
3. Von einer Bewertung des Revisionsvorbringens zum materiellen Recht sieht der Senat ab. Eine endgültige Entscheidung in der Sache (§ 170 Abs 1 Satz 2 oder Abs 2 Satz 1 SGG) ist beim gegenwärtigen Streitstand nicht möglich – auch nicht für einen Teil-Zeitraum.
Das LSG wird nach Zurückverweisung den „Sperrzeit-Bescheid” vom 27. Dezember 1990 im Rahmen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs nach § 44 Abs 1 SGB X zu überprüfen haben; einer Vorgehensweise, die sich streng an ein – wie auch immer gestaltetes – „Stufen-Schema” hält, bedarf es dabei nicht. § 44 SGB X ist zwar eine Regelung über das Verwaltungsverfahren, was vor allem bedeutet, dass nur die Behörden zur Aufhebung von Verwaltungsakten nach dieser Vorschrift befugt sind. Doch dies ändert nichts daran, dass diese Vorschrift von den Gerichten anzuwenden ist und daher von ihnen – ohne Rücksicht auf die Substantiierung des Überprüfungsantrags – ein etwaiger Rechtsfehler von Amts wegen zu berücksichtigen ist (zum Ganzen vgl BSG vom 16. Mai 2001, SozR 3-2600 § 243 Nr 8 S 27 ff).
a) Sollte der erste „Sperrzeit-Bescheid” vom 27. Dezember 1990 rechtswidrig gewesen sein – was bisher noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung war –, ist die Aufhebung der Bewilligung der Alhi lediglich für die Dauer einer Sperrzeit wegen der Ablehnung der Tätigkeit als Krankenpflegehelfer beim DRK zu prüfen. Hierzu bedarf es der Entscheidung, ob und wann das zur Sperrzeit führende Ereignis stattgefunden hat. Wäre dies bereits am 18. Dezember 1996 der Fall gewesen, erwiese sich der Bescheid vom 3. April 1997 schon deshalb als insgesamt rechtswidrig: Er regelt lediglich die Entziehung der Bewilligung der Alhi ab 13. März 1997, also nach Ende einer am 19. Dezember 1996 beginnenden Sperrzeit. Läge hingegen das Sperrzeit-Ereignis erst am 12. März 1997, so ist erheblich, ob die weiteren Voraussetzungen für ihren Eintritt vorlagen. Dies obliegt der Prüfung des LSG; dieses wird ggf zu prüfen haben, ob das Arbeitsangebot den Anforderungen des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG entsprach und ob es für den Kläger zumutbar war; hierbei mag auch zu würdigen sein, ob sich der Kläger bereits in den Vorinstanzen darauf berufen hatte, sein Gewissen erlaube ihm keine Tätigkeit als Krankenpflegehelfer. Sollte sich der angefochtene Bescheid vom 3. April 1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997 insoweit als rechtmäßig erweisen, als er annimmt, dass über den 12. März 1997 hinaus kein Anspruch auf Zahlung der Alhi bestand, wird das LSG schließlich noch zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X iVm § 152 Abs 3 Satz 1 AFG für die Aufhebung der Alhi-Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit (bereits ab 13. März 1997 bei Bescheid- und Absendedatum 3. April 1997) vorlagen. Hierzu enthalten weder der Bescheid noch das SG- oder das LSG-Urteil Ausführungen; der Widerspruchsbescheid weist auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X hin, ohne freilich eine Bösgläubigkeit des Klägers ausdrücklich festzustellen.
b) Sollte sich der Bescheid vom 27. Dezember 1990 hingegen als rechtmäßig erweisen, käme es ebenfalls darauf an, ob und wann das zu einer weiteren Sperrzeit führende Ereignis vorgelegen hat. Wäre es bereits auf den 18. Dezember 1996 zu datieren, so wäre die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 3. April 1997 idF des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 1997 verwaltungsverfahrensrechtlich nicht an § 48 Abs 1 SGB X, sondern an § 45 SGB X zu messen. Denn dann wäre die Erlöschenswirkung nach § 119 Abs 3 AFG bereits bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 3. Januar 1997 eingetreten gewesen. Auch für § 45 SGB X könnte es – sowohl für die Wirkung für die Vergangenheit als auch für die Zukunft – auf die Bösgläubigkeit des Klägers ankommen (§ 45 Abs 2 Satz 3 SGB X iVm § 152 Abs 2 AFG). Einer Umdeutung (§ 43 SGB X) des sich auf § 48 Abs 1 SGB X stützenden Bescheides in einen Bescheid nach § 45 SGB X bedarf es nicht, wenn es sich bei der Rücknahme nach § 45 SGB X um keine andere Regelung handelt als die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Aufhebung nach § 48 Abs 1 SGB X (s BSG vom 29. Juni 2000, BSGE 87, 8, 11 f = SozR 3-4100 § 152 Nr 9).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
FA 2002, 256 |
NZS 2003, 551 |
SozR 3-4100 § 119, Nr. 23 |
SozSi 2003, 399 |
info-also 2002, 227 |