Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Juni 1996 aufgehoben. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist der Wert des Rechts auf eine Regelaltersrente streitig. Der Kläger begehrt die Berücksichtigung der Zeit vom 26. Juni bis 31. Juli 1954, nämlich die Zeit zwischen Ablegung seiner Lehramtsprüfung und der Aufnahme der nachfolgenden Beschäftigung, als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit.
Der am 27. Februar 1929 geborene Kläger war ab Juni 1951 als pädagogische Hilfskraft und ab Februar 1952 als Lehramtsbewerber beim Rat der Stadt L angestellt. Ab 1. September 1953 wurde er vom Ministerium für Volksbildung zu einem einjährigen Zusatzstudium im Sonderschulwesen abgeordnet. Er nahm zum 7. September 1953 ein Studium der Sonderpädagogik an der M -L -U H -W auf und legte am 25. Juni 1954 erfolgreich die Prüfung für das Lehramt an Hilfsschulen und Heimen für Schwererziehbare ab. Zum 1. August 1954 nahm er eine Tätigkeit als Lehrer beim Rat des Kreises Leipzig auf.
Auf Antrag erkannte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger ab 1. März 1994 das Recht auf eine Regelaltersrente zu (Bescheid vom 11. Mai 1994). Den Wert der monatlichen Rente stellte sie ab 1. März 1994 mit 2.454,45 DM und ab 1. Juli 1994 mit 2.539,11 DM fest. Der Widerspruch des Klägers hatte insoweit Erfolg, als die BfA unter Berücksichtigung einer weiteren rentenrechtlichen Zeit den Wert der monatlichen Rente ab 1. März 1994 mit 2.502,78 DM und ab 1. Juli 1994 mit 2.589,11 DM feststellte (Bescheid vom 15. September 1994). Durch Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1995 wurde der Widerspruch im übrigen zurückgewiesen, und zwar ua insoweit, als der Kläger die Berücksichtigung der Zeit nach Ablegung der Lehramtsprüfung bis zur Beschäftigungsaufnahme als Anrechnungszeit begehrte.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 26. Juni bis 31. Juli 1954 als Ausbildungsansrechnungszeit anzuerkennen und der Rentenberechnung zugrunde zu legen (Urteil vom 13. Juni 1996). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 11. Dezember 1997).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI. Sie macht geltend, das Studium des Klägers sei mit der Prüfung vom 25. Juni 1954 beendet worden. Besondere Gegebenheiten des Fach- und Hochschulwesens und der Arbeitsrechtsordnung der DDR rechtfertigten nicht, die Zwischenzeit bis zur Arbeitsaufnahme am 1. August 1954 als Anrechnungszeit zu werten. Insoweit berufe sie sich ua auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1997 (4 RA 67/97).
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. Dezember 1997 und des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Juni 1996 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden sei.
II
Die Revision ist begründet. Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu Unrecht zurückgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß die strittige Zeit vom 26. Juni bis 31. Juli 1954 als Anrechnungszeit bei der Ermittlung des monatlichen Wertes der ihm zuerkannten Altersrente rentensteigernd berücksichtigt wird. Diese Zeit erfüllt nicht den Tatbestand einer Anrechnungszeit. Für Bezugszeiten bis zum 31. Dezember 1996 kommt es maßstäblich auf § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI idF des Art 1 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) an, für Bezugszeiten vom 1. Januar bis 31. Dezember 1997 auf deren Neufassung durch Art 1 Nr 11 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) vom 25. September 1996 (BGBl I 1461) und für Bezugszeiten ab 1. Januar 1998 auf deren Fassung durch Art 1 Nr 28 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998).
Danach sind – unabhängig von den genannten Änderungen des Gesetzestextes – Anrechnungszeiten die Zeiten, in denen der Versicherte nach dem vollendeten 16. (17.) Lebensjahr eine Fachschule oder Hochschule besucht (und abgeschlossen) hat, begrenzt auf die Höchstdauer von sieben (drei) Jahren. Wie der Senat in stRspr (zuletzt Urteil vom 16. Dezember 1997 - 4 RA 67/97 –, SozR 3-2600 § 58 Nr 13 mwN; vgl ferner die Parallelentscheidungen vom selben Tag in den Verfahren 4 RA 14/97, 4 RA 65/97 und 4 RA 69/97 sowie die Urteile vom 4. August 1998 - B 4 RA 8/98 R – und 27. Januar 1999 - B 4 RA 10/98 R –) dargelegt hat, erfüllen nur solche Zeiten einer Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung den Tatbestand einer Anrechnungszeit iS des SGB VI, die der „Ausbildung” dienen, in denen also Berufsausbildung tatsächlich erfolgt ist; das Ende der Ausbildung wird danach grundsätzlich durch die Abschlußprüfung gesetzt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Versicherte eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht hat. Derartige – ohne eigene Beitragsleistung zurückgelegte – (Ausbildungs-)Anrechnungszeiten dienen nicht der Vervollständigung der Versicherungsbiographie, sondern stellen eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft dar. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung von rentenrechtlichen Zeiten im Bereich des sozialen Ausgleichs unter den Rentenversicherten einen weiten Gestaltungsspielraum. Wenn er dabei typisierend darauf abstellt, daß der Versicherte durch seine Ausbildung eine berufliche Qualifikation erreicht hat, die ihm die Aufnahme einer regelmäßig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigung ermöglicht und deshalb als Endzeitpunkt für den berücksichtigungsfähigen Umfang auf den letzten Ausbildungstag abstellt, ist dies auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Zeit vom 26. Juni bis 31. Juli 1954 ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog unvermeidbaren Zwischenzeit als (Ausbildungs-)Anrechnungszeit zu berücksichtigen. Dies setzt voraus – was das LSG verkannt hat –, daß die „Zwischenzeit” zwischen zwei ihrer Art nach anrechenbaren Ausbildungsabschnitten liegt (siehe og Senatsrechtsprechung). Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Nach Abschluß seiner Fachschulausbildung am 25. Juni 1954 hat er nicht später eine weitere Berufsausbildung aufgenommen, die den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit erfüllt, sondern ist zum 1. August 1954 in ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis eingetreten.
§ 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI (in der jeweils geltenden Fassung) ist auch nicht im Hinblick auf „DDR-spezifische Besonderheiten” analog anzuwenden; mangels einer planwidrigen Unvollständigkeit kommt dies nicht in Betracht. Denn es liegt nicht im Konzept des Gesetzes, eine „lückenlose Versicherungsbiographie” zu gewähren. Dies würde dem im Bundesrecht dominierenden Prinzip der Beitragsbezogenheit widersprechen. Soweit dennoch auch beitragslose Zeiten im Rahmen des sozialen Ausgleichs berücksichtigt werden, handelt es sich um Ausnahmetatbestände vom Grundprinzip, bei deren Ausgestaltung dem Gesetzgeber – wie schon dargelegt – eine weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen ist. Deshalb sind zB nicht alle möglichen Ausbildungsformen als Anrechnungszeiten rentenrechtlich zu berücksichtigen, sondern nur die ausdrücklich in § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI typisiert und limitiert aufgeführten.
Durch die Nichtberücksichtigung der Lücke vom 26. Juni bis 31. Juli 1954 ist dem Kläger bei der Überführung seiner in der DDR erworbenen Rentenanwartschaften in das ab 1. Januar 1992 einheitlich geltende Bundesrecht (SGB VI) wirtschaftlich auch nichts genommen worden. Im Hinblick auf den Staatsbankrott der DDR waren deren Rentenzusagen wirtschaftlich letztlich ohnehin nicht mehr gedeckt (BSG, Teilurteil und Beschluß vom 14. Juni 1995 - 4 RA 98/94 – ≪S 7, 8, 22 des Umbruchs≫, unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Deutschen Bundesbank vom 15. Mai 1995). Diese ungedeckten Forderungen sind zunächst durch nominal gleiche und auf DM aufgewertete – und auch einlösbare – Ansprüche und Anwartschaften nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Überführungsprogramm (Fortgeltung des DDR-Rentenrechts als sekundäres Bundesrecht) ersetzt worden, um dann nach dem zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen und nunmehr einheitlich in ganz Deutschland geltenden Rentenrecht durch Ansprüche und Anwartschaften nach dem SGB VI endgültig ersetzt zu werden (sog gesetzliche Novation). Abgesehen davon, daß in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle der Wert der (dynamisierbaren) SGB VI-Renten auch im Nominalwert höher ist als die jeweilige Summe aller (statischen) Rechte, Ansprüche und Anwartschaften, die der Berechtigte nach DDR-Rentenrecht erworben hatte bzw erwerben konnte, ist darüber hinaus durch bestandserhaltende und damit vertrauensschützende Komponenten (vgl Art 2 des Rentenüberleitungsgesetzes) sichergestellt, daß jeder Berechtigte im Beitrittsgebiet beim Übergang auf das bundeseinheitliche Recht des SGB VI mindestens den Betrag verlangen kann, den er als Gesamtanspruch seiner in der DDR erworbenen Berechtigungen höchstens hätte beanspruchen können (vgl dazu ua BSGE 81, 1, 3 = SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9 Nr 14).
Schon im Hinblick auf die Qualität dieser Überführung war der Gesetzgeber nicht gehalten, jede einzelne Regelung des DDR-Rechts daraufhin zu überprüfen, ob sie – nur für sich genommen, also ohne Berücksichtigung des Gesamtergebnisses – den Versicherten „günstiger” als nach Bundesrecht gestellt hat, ob insoweit zB eine Lückenlosigkeit der Versicherungsbiographie im DDR-Rentenrecht umfassender gewährleistet war. Damit ist hier nicht weiter darzustellen, daß insoweit auch rechtliche Bindungen fehlen, die den Gesetzgeber hätten daran hindern können, mit der Einführung eines einheitlichen Rentenrechts das Prinzip der Beitragsbezogenheit mit (Ausnahme-)Tatbeständen des sozialen Ausgleichs und damit unter Inkaufnahme von Versicherungslücken auch für das Beitrittsgebiet zu realisieren.
Geschehe – entgegen der gesetzgeberischen Konzeption – eine solche Lückenschließung durch Richterspruch nur für im Beitrittsgebiet zurückgelegte Zeiten, würde dies letztlich zu einer Benachteiligung der Beitragszahler in den alten und in den neuen Bundesländern gegenüber den Rentenbeziehern des Beitrittsgebietes führen; dies wäre nach Einführung eines einheitlichen Rentenrechts in ganz Deutschland sachlich nicht zu rechtfertigen. Im übrigen sind – relativ kurzfristige – Unterbrechungen im Versicherungsverlauf nach Abschluß eines Hochschulstudiums bis zum Eintritt in das Erwerbsleben auch in den alten Bundesländern in der Vergangenheit nicht ungewöhnlich gewesen, da es derartigen Absolventen nur selten gelingt, unmittelbar im Anschluß an die Abschlußprüfung sofort eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Insoweit wird der Kläger nicht schlechter gestellt als vergleichbare Versicherte in den alten Bundesländern. Auf die vom LSG betonte planwirtschaftliche Ausschaltung des Grundrechts der Berufsfreiheit in der DDR kommt es also nach dem für alle Versicherten einheitlichen Bundesrecht – weder begünstigend noch belastend – an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
ZAP-Ost 1999, 264 |
SGb 1999, 351 |