Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. November 1968, des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. Juni 1967 sowie der Bescheid des Beklagten vom 13. April 1966 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin ist die Witwe des Frauenarztes Dr. R., der in der Nacht vom 13. zum 14. März 1965 auf einer Fahrt mit seinem Pkw von Bremen nach seinem Wohnort B. verunglückte und hierbei tödlich verletzt wurde. Über die Berufstätigkeit des Verunglückten hat das Landessozialgericht (LSG) folgende Feststellungen getroffen:
„Dr. R. war seit 1953 als Chefarzt der gynäkologischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses B. GmbH tätig. Ein schriftlicher Vertrag über Art und Umfang seiner Tätigkeit bestand nicht. Als im Jahre 1958 der Landkreis Harburg Träger dieses Krankenhauses wurde und es als Kreiskrankenhaus weiterbetrieb, wurde Dr. R. als Chefarzt der gynäkologischen Abteilung übernommen, ohne daß ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen wurde. Mit Schreiben des Landkreises Harburg vom 11. Dezember 1958 wurde er mit der Wahrnehmung der Aufgaben des ärztlichen Direktors des Kreiskrankenhauses in B. beauftragt. Von dieser Pflicht wurde er im März 1964 auf eigenen Wunsch freigestellt. Für seine Tätigkeit als Chefarzt erhielt Dr. R. vom Landkreis monatlich 500,– DM zuzüglich 50,– DM Kindergeld. Für die Patienten der 1. und 2. Pflegeklasse und für die Selbstzahler der 3. Pflegeklasse stand ihm das volle Liquidationsrecht zu. Die gynäkologische Abteilung des Kreiskrankenhauses hat 40 Betten in der 3. Pflegeklasse und 10 Betten in der 1. und 2. Pflegeklasse.
In der Zeit vom 14. März 1964 bis zum 13. März 1965 wurden in der gynäkologischen Abteilung 1090 Patienten (davon 51 Selbstzahler) der dritten Klasse mit insgesamt 13274 Pflege tagen stationär behandelt. In der 1. und 2. Pflegeklasse wurden 192 Patienten an insgesamt 1958 Pflegetagen behandelt. Neben der Chefarzttätigkeit übte Dr. R. in den Räumen des Krankenhauses eine ambulante Überweisungspraxis aus. Die 10 Betten der 1. und 2. Pflegeklasse gehörten zur Privatstation des Dr. R. der das Arzthonorar diesen Patienten selbst in Rechnung stellte, während die Pflegekosten von der Krankenhausverwaltung unmittelbar von den Patienten eingezogen wurden. Im Einkommensteuerbescheid von 1964 hatte Dr. R. als Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit 6000,– DM und als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit 90.000,– DM angegeben.”
Dr. R. der am 13. März 1965 an einer Familienfeier in Bremen teilnahm, erhielt am 14. März 1965 gegen 1 Uhr die fernmündliche Mitteilung einer im Kreiskrankenhaus B. angestellten Hebamme, eine Patientin sei zur Entbindung in die 2. Pflegeklasse aufgenommen worden; diese Patientin war auf Krankenschein vom Kassenarzt an Dr. R. überwiesen worden, den sie bereits im Januar und am 2. März 1965 in der ambulanten Sprechstunde aufgesucht hatte; den Mehrbetrag der Pflegekosten in der zweiten Klasse zahlte sie selbst. Dr. R. sagte der Hebamme, er werde gegen 2 Uhr aus Bremen in das Krankenhaus zurückkehren. Auf der gegen 2 Uhr angetretenen Fahrt geriet der von Dr. R. gelenkte Pkw kurz vor B. in einer Rechtskurve von der Straße und prallte gegen einen Baum.
Der Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, Dr. R. sei bei seiner Tätigkeit, deren Schwerpunkt die Facharztpraxis – einschließlich der Betreuung der stationär behandelten Privatpatienten – gebildet habe, nach § 541 Abs. 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsfrei gewesen. Die unfallbringende Fahrt habe einer Privatpatientin gelten sollen und sei daher einer Tätigkeit in der Privatpraxis zuzusprechen. Im übrigen habe es sich um den unversicherten Rückweg von einer privaten Verrichtung gehandelt, so daß ein Wegeunfall im Sinne des § 550 RVO zu verneinen sei.
Das Sozialgericht Lüneburg hat durch Urteil vom 21. Juni 1967 die Klage abgewiesen.
Ihr Berufungsvorbringen hat die Klägerin u. a. auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. September 1965 (BSG 24, 29) gestützt. Das LSG Niedersachsen hat am 19. November 1968 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit habe Dr. R. eine zweifache Stellung im Krankenhaus B. innegehabt, nämlich die eines angestellten Chefarztes der gynäkologischen Abteilung (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) und die eines freiberuflich tätigen Arztes (§ 541 Abs. 1 Nr. 4 RVO). Als freiberuflich selbständige Tätigkeit sei dabei nicht nur die ambulante Behandlung der Patienten in der Überweisungspraxis (§ 368 a Abs. 8 RVO) anzusehen, sondern auch die stationäre Behandlung der Patienten, die vor der Krankenhausaufnahme in seiner Privatpraxis behandelt wurden; diese stationären Behandlungen hätten nur die Fortsetzung der selbständigen ambulanten Tätigkeit dargestellt. Insoweit habe weder eine persönliche noch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Dr. R. zum Landkreis Harburg bestanden, ungeachtet des Umstandes, daß der Krankenhausträger Personal, Instrumente und Einrichtungen zur Verfügung stellte,
Die am Unfalltag beabsichtigte stationäre Entbindung der – von Dr. E. schon vorher ambulant untersuchten – Patientin habe mithin die Fortsetzung der ambulanten Behandlung bedeutet; hieran ändere sich nichts dadurch, daß die Patientin Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse war und die Abrechnung in Höhe der Kosten der 3. Pflegeklasse über die Krankenkasse, im übrigen mit der Patientin selbst erfolgte. Der Auffassung der Klägerin, ihr Ehemann sei trotz des ihm eingeräumten Rechts auf Eigenliquidation gegenüber Privatpatienten als angestellter Chefarzt tätig geworden, könne nicht gefolgt werden; gegenüber den Privatpatienten habe nämlich nicht der Landkreis, sondern der insoweit frei praktizierende Chefarzt für ärztliche Kunstfehler gehaftet. Die freiberufliche Tätigkeit des Dr. P. erhelle auch insbesondere daraus, daß er die Krankenhaushebamme für ihr Tätigwerden bei einer Privatpatientin mit 10,– DM entlohnt habe. Der Hinweis der Klägerin auf BSG 24, 29 lasse keine andere Beurteilung zu, denn dieses Urteil betreffe die hier nicht interessierende Frage des Unfallversicherungs-(UV)schutzes für einen Belegarzt.
Selbst bei Annahme einer an sich versicherten Tätigkeit des Dr. R. fehle es an dem in § 550 RVO vorausgesetzten wesentlichen inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Zurücklegung des Weges. Dr. R. habe sich ausschließlich aus privaten Gründen in Bremen aufgehalten. Bei der unfallbringenden Fahrt habe es sich um den Rückweg von einer privaten Betätigung gehandelt, der hinsichtlich Entfernung und Dauer zum üblichen Weg zur Arbeitsstätte in keinem angemessenen Verhältnis gestanden habe (BSG 22, 60, 62). Ob in sogenannten Notfällen etwas anderes gelte, könne dahinstehen, denn ein solcher Fall sei hier nicht gegeben; die ärztliche Versorgung der Patientin durch den Oberarzt sei sichergestellt gewesen, Anhaltspunkte für gesundheitliche Komplikationen hätten nicht bestanden. – Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 26. Dezember 1968 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. Januar 1969 Revision eingelegt und sie am 4. Februar 1969 folgendermaßen begründet: Die vom LSG vorgenommene Differenzierung je nach der von Dr. R. im Einzelfall verrichteten konkreten Tätigkeit sei verfehlt (BSG 24, 29, 35). Zu Unrecht habe das LSG überhaupt dieses BSG-Urteil mit einer beiläufigen Bemerkung abgetan; wenn das BSG sogar für einen sogenannten Belegarzt den UV-Schutz nicht ausschließen konnte, so sei bei Dr. K. noch viel eher eine versicherte Tätigkeit anzunehmen. In der Eigenliquidation eines Chefarztes sei kein Anzeichen für eine freiberufliche Tätigkeit zu erblicken, vielmehr handele es sich um eine besondere Art der Vergütung für ärztliche Dienste im Rahmen des allgemeinen Angestelltenverhältnisses. Die Art, wie Dr. R. seine Einnahmen steuerlich aufgegliedert habe, sei für die Frage, ob er hauptsächlich freipraktizierender oder abhängig beschäftigter Arzt gewesen sei, nicht maßgebend. Die ärztliche Versorgung der 3. Klasse-Patienten, bei denen Dr. R. nicht selbst liquidieren konnte, hätte seine Tätigkeit in der 1. und 2. Pflegeklasse ganz erheblich überwogen (Verhältnis 7 zu 1). Dr. R. sei in jeder Hinsicht in seiner Stellung als Chefarzt wirtschaftlich abhängig gewesen, weit mehr, als wenn er Belegarzt gewesen wäre. Um das Gesamtbild seiner ärztlichen Tätigkeit richtig beurteilen zu können, hätte das LSG den Sachverhalt – unter Umständen durch Anhörung von Sachverständigen – weiter aufklären müssen. Die Erwägungen des LSG zum UV-Schutz nach § 550 RVO widersprächen der Rechtsprechung (BSG 8, 53, 56). Dabei sei zu berücksichtigen, daß Dr. R. sich nach der telefonischen Nachricht von der bevorstehenden Entbindung aus objektiven und subjektiven Gründen veranlaßt sah, die Nacht nicht – wie zunächst beabsichtigt – in Bremen zu verbringen, sondern sofort nach B. zu fahren. Das LSG habe verkannt, daß ein Arzt sich in ständiger Einsatzbereitschaft befinde. Die Klägerin beantragt,
Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II.
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet.
Die Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin im Kreiskrankenhaus B. als Chefarzt der gynäkologischen Abteilung war nicht durch schriftliche Vereinbarungen mit dem Krankenhausträger geregelt. Um die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus träger und Chefarzt beurteilen zu können, mußten daher die notwendigen Anhaltspunkte aus umfangreichen tatsächlichen Feststellungen über die Ausgestaltung der Chefarzttätigkeit gewonnen werden. Das LSG hat derartige Feststellungen getroffen, deren wesentlicher Inhalt eingangs wiedergegeben ist. Es hat aus ihnen gefolgert, nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit sei Dr. R. im Krankenhaus B. sowohl in einem Beschäftigungsverhältnis (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) als auch freiberuflich (§ 541 Abs. 1 Nr. 4 RVO) tätig gewesen, zur selbständigen beruflichen Tätigkeit sei auch die stationäre Behandlung der Patienten in der Privatstation zu rechnen. Dieser Beurteilung pflichtet der erkennende Senat nicht bei. Das LSG hat die wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkte, welche die Klägerin schon im Berufungsverfahren mit ihrem Hinweis auf das Urteil des Senats vom 29. September 1965 (BSG 24, 29) hervorgehoben hatte, außer acht gelassen; mit seiner Bemerkung, jenes Urteil betreffe die Frage der Versicherungspflicht eines Belegarztes, die für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung sei, hat das LSG verkannt, daß die von Dr. R. ausgeübte Chefarzttätigkeit sogar weitaus stärker die Elemente eines Beschäftigungsverhältnisses aufgewiesen hat, als es bei einer typischen Belegarztpraxis der Fall zu sein pflegt.
In seinem angeführten Urteil (vgl. hierzu auch Kamcke, Berliner Ärzteblatt 1966, 266) hat es der Senat für die Frage, ob ein Arzt im Krankenhaus aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses beschäftigt ist, als maßgebend erachtet, ob der Arzt nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Krankenhaus träger steht. Daß eine persönliche Abhängigkeit durch die weisungsfreie und eigenverantwortliche Stellung eines. Chefarztes nicht berührt wird, bedarf keiner näheren Darlegungen (vgl. BSG 24, 32; DAG 11, 225, 227). Bei Dr. R. der über 5 Jahre lang bis März 1964 sogar mit der Wahrnehmung der Aufgaben des ärztlichen Direktors im Kreiskrankenhaus beauftragt gewesen war (zur arbeits- und versicherungsrechtlichen Bedeutung dieser Funktion vgl. BAG 11, 229, Bay. LSG Amtsbl. des Bay. Arbeitsministeriums 1956 B 74), erhielt das Gesamtbild seiner im Krankenhaus ausgeübten Tätigkeit das Gepräge durch den erheblichen Umfang der von ihm verantwortlich geleiteten gynäkologischen Abteilung, die mit 40 Betten in der 3. Pflegeklasse sowie 10 Betten in der 1. und 2. Pflegeklasse an über 15000 Pflegetagen im Jahr vor dem Unfall belegt gewesen war; dabei hat den Schwerpunkt – sowohl hinsichtlich der Bettenzahl als auch hinsichtlich der Pflegetage – ganz eindeutig die ärztliche Betreuung der Patienten der 3. Pflegeklasse gebildet, wogegen die Frequenz an Privatpatienten weit in den Hintergrund getreten ist. Mit diesem von Dr. R. zu versehenden dienstlichen Aufgabenbereich stand freilich die Vergütung, die er für seine Tätigkeit als Chefarzt bezog, offensichtlich nicht im Einklang; insoweit kann auch die steuerliche Aufgliederung für das Jahr 1964 in 6000,– DM Einkommen aus unselbständiger und 90.000,– DM Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nicht das wirkliche Berufsbild des Chefarztes wiedergespiegelt haben. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn bei der Würdigung des von Dr. R. erzielten Arbeitseinkommens die – vom LSG übersehene – Rechtsauffassung herangezogen wird, nach der in Fällen der hier vorliegenden Art das einem Krankenhaus-Chefarzt eingeräumte Recht zur Eigenliquidation bei den stationären Patienten der 1. und 2. Pflegeklasse einen – das verhältnismäßig niedrige feste Gehalt ergänzenden – Teil des Arbeitsentgelts darstellt und somit nicht etwa als eine Honorierung selbständiger ärztlicher Berufsausübung anzusehen ist (vgl. BGHZ 7, 1, 12 bis 16; BGH Urteil vom 22.10.1957 in AP Nr. 1 zu § 611 BGB, Arzt – Krankenhaus – Vertrag; BAG 11, 229; Bay. LSG aaO; BSG 24, 35). Die vom LSG getroffenen Feststellungen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß bei der Frage, ob Dr. R. als Abteilungschefarzt des Kreiskrankenhauses in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Landkreis Harburg stand, auch seine – mit dem Recht zur Eigenliquidation ausgestattete – Tätigkeit im Rahmen seiner Privatstation als Teil seines Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigen ist. Schon hieraus folgt nach Meinung des Senats, daß die Betrachtungsweise des LSG nicht zutrifft, ohne daß es noch auf genauere Ermittlungen zur Höhe der auf diese Eigenliquidationen entfallenden Einkommensbeträge ankäme.
Die Gründe, die das LSG im übrigen für seine gegenteilige Auffassung dargelegt hat, überzeugen nicht. Die – aus den Bekundungen des Zeugen Dr. B. gefolgerte – Annahme, gegenüber den Privatpatienten habe nicht der Krankenhausträger, sondern Dr. R. persönlich für Kunstfehler gehaftet, erscheint nicht hinreichend rechtlich gesichert und überprüft (vgl. etwa BGH Urteil vom 22.10.1957 aaO). Demgegenüber hat das LSG aber nicht berücksichtigt, daß Dr. R. – nach der Aussage des Dr. B. – u. a. auch verpflichtet war, seinen zeitlich genau begrenzten Urlaub beim Landkreis zu beantragen.
Hiernach muß – entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung – davon ausgegangen werden, daß der Ehemann der Klägerin bei seiner Tätigkeit als Abteilungschefarzt gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO unfallversichert gewesen ist; der Betrieb der ambulanten Facharztpraxis – womit übrigens der hier streitige Unfall nicht zusammenhängt – trat demgegenüber soweit zurück, daß diese Praxisausübung nicht das Gesamtbild der von Dr. B. verrichteten ärztlichen Tätigkeit zu beeinflussen vermochte.
Auf dem Wege, bei dessen Zurücklegung der Ehemann der Klägerin tödlich verunglückte, befand dieser sich unter dem UV-Schutz nach § 550 Satz 1 RVO. Es handelte sich um einen Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit. Allerdings war die Zurücklegung dieses Weges insofern außergewöhnlich, als sie nicht auf der Strecke zwischen Wohnung und Krankenhaus erfolgte, sondern von Bremen aus, wohin sich Dr. R. wegen einer Familienfeier, also aus einem völlig betriebsfremden Anlaß, begeben hatte. Hierbei ist in der Regel der UV-Schutz ausgeschlossen, da es sich unter solchen Umständen um den nicht versicherten Rückweg von einer privaten Verrichtung handelt (vgl. BSG 1, 171; 8, 53). Von diesem Grundsatz gelten jedoch Ausnahmen für die Fälle, in denen ein Beschäftigter, der sich – unter Umständen auch in weiter Entfernung von seiner Wohnung – privatem Zeitvertreib widmet, plötzlich wegen dringender betrieblicher Angelegenheiten sofort zur Arbeitsstätte beordert wird (vgl. RVA EuM 21, 2; BSG 8, 56). Ein solcher Ausnahmefall liegt nach Meinung des Senats hier vor. Dr. R. hatte fernmündlich die Nachricht erhalten, eine Patientin sei zur Entbindung in seine gynäkologische Abteilung aufgenommen worden; daß er sich auf diese Nachricht hin entschlossen hat, die – nach seiner Ansicht sofort einzuleitende – geburtshelferische Behandlung selbst zu übernehmen, lag im Rahmen seiner chefärztlichen Kompetenzen. Es versteht sich von selbst, daß einem für die ordnungsgemäße Betreuung der Patienten verantwortlichen Chefarzt bei derartigen Entschlüssen ein Spielraum für die Beurteilung der Frage zugebilligt werden muß, ob sein persönliches Eingreifen erforderlich ist oder der Behandlungsfall den nachgeordneten ärztlichen und pflegerischen Kräften überlassen werden kann. Anhaltspunkte dafür, daß Dr. R. bei seinen Überlegungen vor Antritt seiner unfallbringenden Fahrt die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums überschritten haben könnte, sind den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen.
Erst in der Revisionsverhandlung hat der Beklagte vorgetragen, der Ehemann der Klägerin sei in der fraglichen Nacht infolge Alkoholbeeinflussung außerstande gewesen, die von ihm beabsichtigte geburtshelferische Tätigkeit auszuüben. Zu dieser Frage, die übrigens im Bescheid der Beklagten vom 13. April 1966 nicht einmal angeschnitten wurde, fehlt es an tatsächlichen Feststellungen in den vorinstanzlichen Urteilen. Das Vorbringen des Beklagten stützt sich somit auf neue Tatsachen und kann deshalb im Revisionsverfahren gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht berücksichtigt werden.
Auf die begründete Revision muß hiernach unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen der Beklagte dem Klagantrag entsprechend verurteilt werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Bundesrichter Dr. Kaiser ist durch Urlaub verhindert, das Urteil zu unterschreiben. Dr. Baresel, Brackmann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.10.1970 durch Hoppe Amtsinspektor als Urk.Beamter der Gesch.Stelle
Fundstellen
Haufe-Index 707725 |
BSGE, 38 |
NJW 1971, 1103 |
MDR 1971, 337 |