Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres. unterbliebene Korrektur eines bindenden Feststellungsbescheides nach Rechtsänderung bei Erlass eines rechtmäßigen, auf dem geänderten Recht basierenden und inzwischen bestandskräftig gewordenen Rentenbescheides. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht Sinn des Zugunstenverfahrens, für die Vergangenheit oder für die Zukunft mehr zu gewähren, als nach materiellem Recht zusteht.
2. Unterbleibt die von Gesetzes wegen vorgeschriebene Korrektur eines Feststellungsbescheids nach Rechtsänderung, so begründet dies kein schützenswertes Vertrauen.
Orientierungssatz
Dies ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar, denn zu den tragenden Prinzipien des Rechtsstaats gehört der Grundsatz, dass nach Abschluss eines Verfahrens durch unanfechtbare Entscheidung allenfalls ausnahmsweise eine neue Entscheidung in der Sache möglich ist (vgl BSG vom 7.2.2012 - B 13 R 40/11 R = BSGE 110, 97 = SozR 4-5075 § 3 Nr 2).
Normenkette
SGB VI § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 1989-12-18, Nr. 4 Fassung: 2000-12-21, § 109 Abs. 1 Fassung: 1996-07-23, Abs. 2 Fassung: 1996-07-23, § 149 Abs. 5 S. 2 Fassung: 1997-12-16; RVO § 1325 Abs. 3 Sätze 1-2; SGB X §§ 28, 39 Abs. 2, § 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 48 Abs. 3; SGG § 77; GG
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Altersrente unter Berücksichtigung von Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung im Zugunstenverfahren.
Für den 1941 geborenen Kläger wurden mit Bescheid vom 8.2.1989 die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten für Zeiten bis 31.12.1982 verbindlich nach § 1325 Abs 3 RVO festgestellt, darunter elf Monate Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres und 35 Monate Hochschulausbildung (insg 46 Kalendermonate). In der Rentenauskunft vom 8.9.1997 wurden Zeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres nicht mehr als Schulausbildung erwähnt.
Dem Kläger wurde ab 1.6.2001 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit iHv 2708,69 DM monatlich gewährt (bestandskräftiger Bescheid vom 29.3.2001). Auch hierbei wurden Zeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres nicht als Schulausbildung ausgewiesen ("keine Anrechnung").
Im November 2005 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von 46 Kalendermonaten für Anrechnungszeiten mit Schul- und Hochschulausbildung; er wies auf Urteile des BSG vom 30.3.2004 (B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1) und des Bayerischen LSG vom 10.8.2005 (L 13 R 4204/03) hin. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag ab (Bescheid vom 20.9.2007). Ein Anspruch auf Rücknahme des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 bestehe nicht, da zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung nur noch ab Vollendung des 17. Lebensjahres hätten berücksichtigt werden können (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI). Aus dem Feststellungsbescheid vom 8.2.1989 könne der Kläger keine höhere Altersrente herleiten. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.1.2008), ebenso das Klage- und Berufungsverfahren (Urteile des SG München vom 23.4.2009 und des Bayerischen LSG vom 12.12.2012). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar sei der Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1) zur Bindungswirkung von Vormerkungsbescheiden teilweise rechtswidrig. Da die Schulzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres infolge einer Gesetzesänderung (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes ≪WFG≫ vom 25.9.1996, BGBl I 1461) rentenrechtlich nicht mehr hätten berücksichtigt werden dürfen, hätte die Beklagte den Feststellungsbescheid vom 8.2.1989 insoweit spätestens im Altersrentenbescheid nach § 149 Abs 5 S 2 SGB VI aufheben müssen. Allein deshalb sei der bestandskräftige Altersrentenbescheid aber nicht nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Denn bis auf den entgegenstehenden Feststellungsbescheid sei der Altersrentenbescheid recht- und verfassungsmäßig ergangen (Hinweis auf BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7; Senatsurteil vom 13.11.2008 - B 13 R 77/07 R - Juris). Insbesondere sei die Gesamtleistungsbewertung (§§ 72, 74 SGB VI, Hinweis auf Senatsurteil vom 19.4.2011 - B 13 R 27/10 R - BSGE 108, 126 = SozR 4-2600 § 74 Nr 3) unter Berücksichtigung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten zutreffend berechnet worden.
Aus § 44 Abs 1 SGB X könne der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines günstigeren Altersrentenbescheids herleiten. Diese Norm diene allein der Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit. Der Kläger sei aus dem Restitutionsgedanken von § 44 SGB X nur so zu stellen, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden (Hinweis auf BSGE 85, 151, 159 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15; BSGE 62, 143, 146 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5). Die Beklagte sei bei Erteilung des Altersrentenbescheids verpflichtet gewesen, die aktuelle Gesetzeslage zugrunde zu legen (Hinweis auf Senatsurteile vom 13.11.2008 - B 13 R 43/07 R - und - B 13 R 77/07 R - beide in Juris). Ein Vertrauen in den Fortbestand des Feststellungsbescheids sei mit Eintritt der Bestandskraft des Altersrentenbescheids entfallen (Hinweis auf Bayerisches LSG vom 24.5.2011 - L 6 R 332/10; Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 374; aA Bayerisches LSG vom 17.12.2009 - L 14 R 916/08). Unanfechtbare Verwaltungsentscheidungen seien nur ausnahmsweise durch eine neue Sachentscheidung zu ändern. Dies entspreche auch dem Verfassungsrecht (Hinweis auf BVerfGE 20, 230, 235; BVerfGE 117, 302, 315 = SozR 4-8100 Art 19 Nr 1 RdNr 32). Der Kläger habe versäumt, fehlerhaftes Handeln der Beklagten innerhalb der geltenden Anfechtungsfristen geltend zu machen. Diesem Ergebnis stehe auch nicht das Urteil des BSG vom 30.3.2004 (B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1) entgegen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 64 SGB VI. Die Höhe seiner Altersrente sei unzutreffend berechnet worden (Hinweis auf BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1). Er beruft sich auf schutzwürdiges Vertrauen aus dem bindenden Feststellungsbescheid vom 8.2.1989. Da eine Aufhebung des Feststellungsbescheids nicht mehr möglich sei, hätte die Beklagte die dort festgestellten Zeiten für Schulausbildung bei der Rentengewährung berücksichtigen müssen. Im Übrigen sei die Neuregelung von § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI (idF des WFG) eine unzulässige Verkürzung seiner Rentenanwartschaft. Hierzu sei ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig (47505/10). Ein Verstoß gegen Art 1 des Zusatzprotokolls Nr 1 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vom 20.3.1952, BGBl II 1879 bzw vom 17.5.2002, BGBl II 1072, Eigentumsschutz) sei nicht ausgeschlossen, sodass die Ruhendstellung des Verfahrens geboten sei. Jedenfalls liege auch eine Rechtsbeeinträchtigung aus Art 3 GG und Art 14 GG vor.
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Der Kläger beantragt, |
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die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2012 und des Sozialgerichts München vom 23. April 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2008 zu verpflichten, unter Rücknahme des Altersrentenbescheids vom 29. März 2001 die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung der Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung entsprechend dem Bescheid vom 8. Februar 1989 in Höhe von insgesamt 46 Monaten zu berücksichtigen und zu bewerten. |
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Die Beklagte beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Bei Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 habe sie die Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung dem geltenden Recht entsprechend berücksichtigt. § 44 Abs 1 S 1 SGB X sei dahin auszulegen, dass die begehrte Sozialleistung aus materiell-rechtlichen Gründen zu Unrecht vorenthalten worden sein müsse. Hierfür beruft sie sich auf Rechtsprechung des BSG (vom 22.3.1989 - 7 RAr 122/87 - SozR 1300 § 44 Nr 38; vom 10.12.1985 - 10 RKg 14/85 - SozR 5870 § 2 Nr 44). Für eine Ruhendstellung des Verfahrens bestehe kein Anlass.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.
I. Der Senat sieht sich an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Die Voraussetzungen für die Ruhendstellung des Verfahrens (§ 202 SGG iVm § 251 ZPO; vgl BSG SozR 1750 § 251 Nr 1) liegen mangels übereinstimmender Anträge nicht vor (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 10. Aufl 2012, Vor § 114 RdNr 4 mwN). Auch wenn der Kläger die Ruhendstellung für geboten hält, hat die Beklagte dem widersprochen. Es kommt auch keine Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs 2 SGG in Betracht. Der Hinweis des Klägers auf ein vor dem EGMR anhängiges Verfahren zu Anrechnungszeiten wegen Ausbildung (47505/10) reicht hierfür nicht aus. Den Urteilen des EGMR kommt lediglich eine begrenzte materielle Rechtskraft zu, die nach Art 46 EMRK nur für die an dem Verfahren beteiligten Vertragsparteien verbindlich gilt (vgl BVerfGE 111, 307, 320). Angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung von Schulzeiten ab Vollendung des 17. Lebensjahres und zur rentenrechtlichen Neubewertung der ersten Berufsjahre (vgl die Nachweise unter II.2.b) besteht kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens.
II. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.9.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.1.2008, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, den Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 teilweise, soweit es um die Berücksichtigung von Anrechnungszeiten für Schulausbildung geht, zurückzunehmen und dem Kläger unter Zugrundelegung von Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres höhere Altersrente zu gewähren. Die Ablehnung ist zu Recht erfolgt. Dem Kläger steht keine höhere Rente zu, als ihm mit Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 unter Berücksichtigung der dortigen Anrechnungszeiten wegen Ausbildung bewilligt worden ist.
Einzig denkbare Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 SGB X in Bezug auf den bestandskräftigen Altersrentenbescheid. Das LSG ist zutreffend von einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG; vgl dazu BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 13 zitiert nach juris) ausgegangen. Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet.
Gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der in Abs 1 nicht ausdrücklich geregelte Anspruch auf eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft ergibt sich aus § 44 Abs 2 S 1 SGB X. Der bestandskräftige Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 ist insofern ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, als er nicht die jetzt begehrte höhere Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Anrechnungszeiten gewährt. In dieser Hinsicht verlangt der Kläger die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts, durch den Sozialleistungen iS von § 44 Abs 1 SGB X zu Unrecht nicht in der begehrten Höhe erbracht worden seien (vgl BSGE 55, 87, 88 = SozR 1300 § 44 Nr 4; BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 107).
Die Voraussetzung (§ 44 Abs 1 S 1 SGB X), dass bei Erlass des Altersrentenbescheids das Recht unrichtig angewandt worden sein muss, ist jedoch nicht erfüllt. Selbst wenn der Altersrentenbescheid allein wegen der unterbliebenen Aufhebung des bindenden Vormerkungsbescheids objektiv rechtswidrig ergangen ist (1.), kann der Kläger die Rücknahme des Altersrentenbescheids weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft verlangen, weil dieser bei seinem Erlass der materiellen Rechtslage entsprach (2.). Auch aus Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes folgt nichts anderes (3.). Verfassungsrecht steht dem nicht entgegen (4.).
1. Das Recht war bei Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 insoweit unrichtig angewandt worden, als die Beklagte es versäumt hatte, nach § 149 Abs 5 S 2 SGB VI (idF vom 16.12.1997, BGBl I 2970) den Vormerkungsbescheid vom 8.2.1989 spätestens "im Rentenbescheid" aufzuheben, soweit es um Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres ging. Im Vormerkungsbescheid vom 8.2.1989 waren - von insgesamt 46 Monaten mit Schul- und Hochschulzeiten - elf Monate vor Vollendung des 17. Lebensjahres als sog Ausfallzeiten anerkannt worden. Der Begriff Anrechnungszeit ist in § 58 SGB VI (idF des Rentenreformgesetzes vom 18.12.1989, BGBl I 2261 mit Wirkung vom 1.1.1992 ≪RRG 1992≫) an die Stelle des Begriffs der vormaligen "Ausfallzeit" getreten (§ 300 Abs 4 S 2 SGB VI; vgl auch BSG SozR 3-2600 § 252 Nr 2 S 9; SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 15 zitiert nach juris). Unerheblich ist auch, dass der Vormerkungsbescheid nach § 1325 Abs 3 RVO vor Inkrafttreten des SGB VI am 1.1.1992 ergangen ist. § 1325 Abs 3 S 1 und 2 RVO (idF vom 19.12.1986, BGBl I 2586) entsprechen der Vorschrift des § 149 Abs 5 S 1 und 3 SGB VI (idF vom 16.12.1997, BGBl I 2970).
Sinn und Zweck eines Vormerkungsbescheids ist es, bereits im Vorfeld eines Leistungsfeststellungsverfahrens für den Fall einer zukünftigen Rentengewährung verbindlich Klarheit über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von rentenrechtlich relevanten Zeiten zu schaffen (stRspr, vgl BSGE 56, 165, 171 f = SozR 1300 § 45 Nr 6; BSGE 58, 49, 51 = SozR 1300 § 45 Nr 15). Der Vormerkungsbescheid, der ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, stellt rechtserhebliche Tatbestände verbindlich fest mit der Folge, dass diese Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 16 zitiert nach juris mwN). Hingegen ist die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten nicht Gegenstand des Vormerkungsbescheids (vgl § 149 Abs 5 S 3 SGB VI; BSG SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 S 6).
Da der Vormerkungsbescheid nicht aufgehoben worden war und sich auch nicht durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt hatte (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 18 zitiert nach juris), waren die dort enthaltenen Regelungen im Hinblick auf ihren Rechtscharakter und den zeitlichen Umfang für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG) geworden (vgl BSG aaO; ferner Senatsurteil vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 R - Juris RdNr 16).
Dem standen auch nicht die später erfolgten Gesetzesänderungen zur Berücksichtigung von Ausbildungs-Anrechnungszeiten entgegen (hier durch § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI idF des WFG zum 1.1.1997). Vielmehr stellt § 149 Abs 5 S 2 SGB VI klar, dass auch bei Gesetzesänderungen die mit der materiellen Rechtslage nicht mehr übereinstimmenden Feststellungen im Vormerkungsbescheid über Tatbestände von rentenrechtlicher Relevanz mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben sind (vgl Senatsurteile vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 R - Juris RdNr 16; vom 13.11.2008 - B 13 R 43/07 R - Juris RdNr 16; ferner BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 20 zitiert nach juris). Die Aufhebung des der geänderten Gesetzeslage nicht mehr entsprechenden Vormerkungsbescheids aber hatte die Beklagte versäumt. Allerdings hat sie die aktuelle materielle Gesetzeslage bei Erteilung des Altersrentenbescheids zutreffend umgesetzt (vgl dazu noch unter 2.b).
2. Wie der Konflikt zwischen den beiden - sich hinsichtlich der Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung entgegenstehenden - bestandskräftigen Bescheide zu lösen ist, ergibt sich aus § 44 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X im Fall der Rücknahme des Verwaltungsakts für die Vergangenheit bzw nach § 44 Abs 2 S 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft. In Anwendung dieser Vorschrift genügt die fehlerhaft unterbliebene Aufhebung des Vormerkungsbescheids allein nicht, um einen Anspruch des Klägers auf Rücknahme des Altersrentenbescheids und Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung der im Vormerkungsbescheid festgestellten Zeiten der Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres begründen zu können.
a) Während der Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X ("und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind") einen Zusammenhang zwischen der unrichtigen Rechtsanwendung bei Erlass des Verwaltungsakts (hier: unterlassene Anwendung von § 149 Abs 5 S 2 SGB VI) und dem Nichterbringen der begehrten Sozialleistung (hier: höhere Altersrente) herstellt, setzt § 44 Abs 2 S 1 SGB X keinen solchen Zusammenhang voraus (zum Verhältnis von § 44 Abs 1 zu Abs 2 SGB X, vgl BSGE 61, 184 = SozR 1300 § 44 Nr 26 mwN). Es wäre jedoch nicht folgerichtig, nach materiellem Recht nicht zustehende Sozialleistungen zwar nicht für die Vergangenheit, jedoch mit Wirkung für die Zukunft (ab dem Überprüfungsantrag) zu gewähren (vgl Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 373 f). Daher ist insofern eine einheitliche Auslegung und Anwendung beider Normen geboten.
§ 44 SGB X soll dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung verschaffen und der Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit eröffnen, Fehler, die im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, zu berichtigen. Hierbei soll nach dem Willen des Gesetzgebers dessen Rücknahme nur dann in Betracht kommen, soweit eine erneute Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers falsch gehandelt hat (vgl BT-Drucks 8/4022 S 82). Ansonsten soll der Verwaltungsakt bestehen bleiben. Nicht Sinn und Zweck des Zugunstenverfahrens kann es daher sein, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht (so BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 108; vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand September 2013, § 44 SGB X RdNr 40 ff; ders in DAngVers 1989, 372, 374). Hierfür lässt sich zudem der Restitutionsgedanke anführen, der § 44 SGB X allgemein zugrunde liegt (vgl BSGE 62, 143, 146 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5 S 13). Nicht zuletzt verfolgt diesen Zweck auch die Regelung des § 48 Abs 3 SGB X, die verhindern soll, dass die zu hohe Leistung, die durch einen Fehler entstanden ist, durch eine Veränderung zugunsten des Betroffenen immer noch höher wird; dh materielles Unrecht soll nicht weiter wachsen (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 108 unter Hinweis auf BSGE 63, 259 = SozR 1300 § 48 Nr 49 und SozR 1300 § 48 Nr 51; vgl auch BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 15). Nach diesen Maßstäben lag im Zeitpunkt der Erteilung des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 ein der materiellen Rechtslage widersprechender Altersrentenbescheid nicht vor.
b) Der Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 war im Zeitpunkt seiner Erteilung materiell recht- und verfassungsmäßig ergangen. Nach § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI (idF des WFG) sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen der Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht hat. Von dieser am 1.1.1997 (durch das WFG) in Kraft getretenen Rechtsänderung war bei Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 auszugehen (§ 300 Abs 1 SGB VI). Auf dieser Rechtslage hatte die Beklagte auch bereits die zutreffende Rentenauskunft vom 8.9.1997 erteilt.
Die Vorschrift des § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI (idF des WFG), die - im Gegensatz zum früheren Recht - nur noch solche Zeiten einer Ausbildung als rentenrechtlich erhebliche Ausbildungszeiten anerkennt, die nach Vollendung des 17. Lebensjahres absolviert wurden, ist verfassungsgemäß. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich nicht um eine unzulässige Verkürzung seiner Rentenanwartschaft. Der Senat hat sich der Entscheidung des BVerfG vom 27.2.2007 angeschlossen, mit der es über die im WFG enthaltene rentenrechtliche Neubewertung der ersten Berufsjahre entschieden hat (BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7) und verweist zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auf seine Urteile vom 13.11.2008 (B 13 R 43/07 R; B 13 R 77/07 R - die Verfassungsbeschwerde gegen das letztere Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG vom 7.4.2010 - 1 BvR 718/09).
Im Ergebnis hat die Beklagte daher zu Recht 32 Monate an Hochschulausbildung als beitragsfreie Zeiten (§ 54 Abs 1 Nr 2 SGB VI) und die Zeiträume, in denen neben der Hochschulausbildung eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt worden ist, als beitragsgeminderte Zeiten (§ 54 Abs 1 Nr 1b SGB VI) berücksichtigt. Gegen die Berechnung seiner Altersrente im Übrigen hat sich der Kläger nicht gewandt, und es ist auch nicht ersichtlich, dass diese unzutreffend erfolgt sein könnte (zur Gesamtleistungsbewertung nach §§ 72, 74 SGB VI bei schulischen Ausbildungszeiten nach § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI idF des WFG vgl Senatsurteil vom 20.10.2010 - B 13 R 23/10 R - Juris; BSG SozR 4-2600 § 72 Nr 3).
3. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers kann er sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.
a) Es ist bereits fraglich, ob die Regelung des § 149 Abs 5 S 2 SGB VI (idF vom 16.12.1997, BGBl I 2970) auf Vertrauensschutz abzielt. Sie stellt eine spezielle Verfahrensvorschrift des Rentenrechts dar und verdrängt § 48 SGB X (vgl BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 20 zitiert nach juris); die vereinfachte Aufhebung der festgestellten Daten des Versicherungsverlaufs im Fall nachträglich eingetretener Gesetzesänderungen lässt sie sogar ohne Anhörung nach § 24 SGB X zu (vgl Kohl in GK-SGB VI, Stand April 2009, § 149 RdNr 64 ff). Damit regelt die Norm gerade Ausnahmen von der Anwendung vertrauensschützender Vorschriften (§§ 24, 48 SGB X; vgl Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 374). Um den durch § 149 Abs 5 S 2 SGB X entstehenden Verwaltungsaufwand gering zu halten, ist den Rentenversicherungsträgern die Möglichkeit eingeräumt worden, die an sich durch jede Rechtsänderung bedingte Pflicht der Aufhebung von änderungsbedürftigen Vormerkungsbescheiden auch noch im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen (vgl BT-Drucks 13/8994, Zu Art 4, Zu Nr 1b ≪neu≫, S 69). Diesem Erfordernis ist selbst dann noch Genüge getan, wenn eine solche Regelung während eines laufenden Widerspruchsverfahrens gegen den Rentenbescheid oder im Widerspruchsbescheid selbst geschieht (vgl Senatsurteil vom 13.11.2008 - B 13 R 77/07 R - Juris RdNr 19, 22) bzw in einem gesonderten Bescheid getroffen wird (Senatsurteile vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 - Juris RdNr 16; vom 13.11.2008 - B 13 R 43/07 R - Juris RdNr 17).
b) Jedenfalls kann der Kläger nach Eintritt der Bestandskraft (§ 77 SGG) des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 keinen Vertrauensschutz aus der Bindungswirkung des Feststellungsbescheids vom 8.2.1989 mehr herleiten. Denn spätestens bei Erlass dieses Bescheids musste er davon ausgehen, dass die hierin getroffenen Feststellungen zu seinen Ausbildungs-Anrechnungszeiten rechtsverbindlich werden, wenn er sich nicht mit dem zulässigen Rechtsbehelf des Widerspruchs dagegen zur Wehr setzt. Hiervon hat der Kläger allerdings keinen Gebrauch gemacht. Selbst dann aber hätte die Beklagte, wie oben erörtert, den entgegenstehenden Feststellungsbescheid noch im Widerspruchsbescheid aufheben können (§ 149 Abs 5 S 2 SGB VI). Der Kläger kann jedoch im Verfahren nach § 44 SGB X nicht besser gestellt werden, als hätte er fristgerecht Widerspruch eingelegt (so bereits BSG vom 27.3.1984 - SozR 1200 § 34 Nr 18 S 70 für einen Anhörungsfehler).
Im Übrigen war dem Kläger nicht erst seit Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 bekannt, dass die Schulzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres abweichend von den Feststellungen des Vormerkungsbescheids bei der Rentenbewilligung nicht mehr berücksichtigt werden würden. Dies war ihm bereits mehr als drei Jahre (im September 1997) vor Erteilung des Rentenbescheids durch eine der materiellen Rechtslage entsprechende unverbindliche Rentenauskunft (§ 109 Abs 1 SGB VI) mitgeteilt worden.
c) Diesem Ergebnis steht auch nicht Rechtsprechung anderer Senate entgegen. Der 14. Senat des BSG (Urteil vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 S 42 ff) und der 9. Senat (Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - SozR 3-1300 § 44 Nr 24 S 56 f; ähnlich bereits Urteil vom 8.3.1995 - 9 RV 7/93 - Juris RdNr 17) halten § 44 Abs 1 S 1 SGB X - abweichend von dem og Grundsatz, dass es nicht Sinn des Zugunstenverfahrens sei, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zustehe - auch dann für (entsprechend) anwendbar, wenn die Rechtswidrigkeit eines bestandskräftig gewordenen Widerrufs- bzw Rückforderungsbescheids allein auf der Verletzung von vertrauensschützenden Vorschriften beruht (dieser Rspr folgend: Schütze in von Wulffen, 8. Aufl 2014, SGB X, § 44 RdNr 7; Merten in Hauck/Noftz, Stand Dezember 2012, SGB X, K § 44 RdNr 50; Rüfner in Wannagat, Stand Mai 2002, SGB X, § 44 RdNr 26 f; Baumeister in jurisPK-SGB X, 2013, § 44 RdNr 73; zur Darstellung des Meinungsstands vgl Senatsurteil vom 1.7.2010 - BSG SozR 4-2600 § 48 RdNr 43 ff).
Der Senat kann weiterhin offenlassen, ob er dieser Rechtsprechung folgt. Denn eine Konstellation, in der sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen kann, liegt - wie oben ausgeführt - nicht vor. Anders als in den vom 14. und 9. Senat entschiedenen Fällen geht es dem Kläger um das Vorenthalten einer Sozialleistung (§ 44 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 SGB X in direkter Anwendung). Er hat keine Vertrauensposition wegen langjährig zu Unrecht bezogener Sozialleistungen erworben, die ihm durch einen Aufhebungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft entzogen bzw durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit darüber hinaus auch zurückgefordert worden waren, sodass erheblich werden könnte, ob Vertrauensschutzvorschriften ein eigenständiger materieller Rechtsgrund für den Weiterbezug unter Verstoß gegen das materielle Leistungsrecht bewilligter Sozialleistungen sind (so aber die Konstellationen in den Urteilen des 9. Senats vom 8.3.1995 - 9 RV 7/93 - und vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - SozR 3-1300 § 44 Nr 24 S 54 sowie des 14. Senats vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 S 38 f). Denn der Kläger hat nie ihm materiell nicht zustehende Leistungen erhalten. Schließlich liegt auch keine Abweichung vom Urteil des 4. Senats vom 30.3.2004 (B 4 RA 36/02 R - BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1) vor. Dort ging es nicht um die Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen Rentenbescheids, sodass der Anwendungsbereich des § 44 SGB X von vornherein nicht betroffen war. Eines Anfrageverfahrens nach § 41 SGG bedarf es nicht.
4. Dieses Ergebnis ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 7.2.2012 - BSGE 110, 97 = SozR 4-5075 § 3 Nr 2, RdNr 27) gehört zu den tragenden Prinzipien des Rechtsstaats der Grundsatz, dass nach Abschluss eines Verfahrens durch unanfechtbare Entscheidung allenfalls ausnahmsweise eine neue Entscheidung in der Sache möglich ist. Demgemäß ist die öffentliche Gewalt von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, rechtswidrige Verwaltungsakte ohne Rücksicht auf ihren formellen Rechtsbestand auf Antrag oder von Amts wegen zu beseitigen (vgl BVerfGE 20, 230, 235; BVerfGE 117, 302, 315 = SozR 4-8100 Art 19 Nr 1 RdNr 32). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der (materiellen) Gerechtigkeit abzuwägen. Über das hiernach verfassungsrechtlich Gebotene ist der Gesetzgeber mit der am 1.1.1981 in Kraft getretenen Regelung von § 44 Abs 1 SGB X bereits hinausgegangen (vgl Senatsurteil aaO, RdNr 28 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen