Verfahrensgang
BezirksG Magdeburg (Urteil vom 20.02.1992) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bezirksgerichts Magdeburg vom 20. Februar 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Nachzahlung von 15.130,00 DM (nebst Zinsen) als rückständige Altersrente für die Zeit vom 1. September 1978 bis zum 30. Juni 1990 aus der Rentenversicherung der DDR.
Der im September 1913 geborene Kläger war nach dem Kriege im Beitrittsgebiet als Jurist bei verschiedenen Betrieben beschäftigt und beitragspflichtig in der Sozialpflichtversicherung der DDR. Seit Oktober 1951 war er nach der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl I Nr 93 S 839) bei der Staatlichen Versicherung der DDR – Altersversorgung der Intelligenz (AVI) – „versorgungsversichert” (§ 1 AVI-Verordnung ≪VO≫).
Diese gewährte ihm ab September 1978 eine Zusatzversorgungsrente von monatlich 800,00 M (Rentenbescheid vom 11. Juni 1978). Der „Freie Deutsche Gewerkschaftsbund” (FDGB) – Verwaltung der Sozialversicherung – bewilligte dem Kläger ab September 1978 eine monatliche Rente aus der Sozialpflichtversicherung von 294,00 M (Rentenbescheid vom 25. Juli 1978). Dabei wurde dem Kläger zwar der sog Steigerungsbetrag, nicht aber der sog Festbetrag von 110,00 M (ab Dezember 1985: 140,00 M, ab Dezember 1989 höchstens 210,00 M) gewährt. Grund hierfür war, daß nach § 52 Abs 1 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung (Rentenverordnung) vom 4. April 1974 (GBl I Nr 22 S 201) wie schon nach § 51 der Rentenverordnung vom 15. März 1968 (GBl II Nr 29 S 135) und nachfolgend nach § 52 der Rentenverordnung vom 23. November 1979 (GBl I Nr 38 S 401; sog 1. Rentenverordnung) bei Anspruch auf zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz neben einem Anspruch auf eine Rente der Sozialversicherung diese Rente grundsätzlich nur in Höhe des Steigerungsbetrages zu zahlen war. Dieser betrug 1 vH des Durchschnittsverdienstes (bis 600,00 M) für jedes Jahr der versicherungspflichtigen Tätigkeit sowie für jedes Jahr der Zurechnungszeit. Der FDGB erhöhte die Sozialversicherungsrente des Klägers ab 1. Dezember 1989 um 70,00 M auf 364,00 M, weil gemäß § 20 der 4. Rentenverordnung vom 8. Juni 1989 (GBl I Nr 19 S 229), seither an ua Empfänger einer zusätzlichen Altersversorgung der Intelligenz ein von der Zahl der Arbeitsjahre abhängiger Festbetrag von höchstens 70,00 M zu zahlen war (Bescheid des FDGB vom 30. November 1989). Hiergegen wandte sich der Kläger im Dezember 1989 mit der Forderung, einen Festbetrag von 110,00 M zu gewähren und die bislang vorenthaltenen Festbeträge nachzuzahlen. Zum 1. Juli 1990 wurden die Renten des Klägers ohne Zahlbetragsänderung auf Zahlung in DM umgestellt. Nach § 6 Abs 1 und 2 der Ersten Verordnung zur Anpassung der Renten in dem in Art 3 des Einigungsvertrages (EV) genannten Gebiet (1. Rentenanpassungsverordnung – 1. RAV) vom 14. Dezember 1990 (BGBl I S 2867) erhielt der Kläger seine Sozialversicherungsrente ab 1. Juli 1990 auch unter Anrechnung des vollen Festbetrages (vgl §§ 23, 24 Abs 1 Nr 1 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR vom 28. Juni 1990 ≪GBl I Nr 38 S 495, ber S 1457≫).
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 1990 wies die Beklagte „Widersprüche” des Klägers vom 5. Dezember 1989 und vom 17. Juli 1990 zurück, weil kein Anspruch auf einen Festbetrag (bzw einen höheren Festbetrag) bestehe. Dies widerspreche entgegen der Ansicht des Klägers den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Kreisgerichts Halle vom 14. Februar 1991; Urteil des Bezirksgerichts Magdeburg vom 20. Februar 1992). Das Berufungsgericht ist folgender Ansicht: Wie auch der Kläger nicht verkenne, gebe es nach den maßgeblichen Rentenverordnungen der DDR für die Zeit von September 1978 bis November 1989 keinen Anspruch auf einen Festbetrag, für die Zeit von Dezember 1989 bis Juni 1990 keinen auf einen höheren Festbetrag. Dies verstoße weder gegen DDR-Verfassungsrecht noch gegen das Grundgesetz (GG).
Mit der – vom Bezirksgericht zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) sowie der rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Der DDR-Verordnungsgeber habe durch Streichung bzw Kürzung des Festbetrages rückwirkend belastend in seine Rentenanwartschaft eingegriffen, seinen durch § 1 AVI-VO begründeten Vertrauensschutz, die Zusatzversorgung über den Rahmen der Sozialversicherungsrente hinaus zu erhalten, verletzt, in seinem Kampf gegen die Intelligenz die Zusatzversorgungsberechtigten einem Sonderrecht unterstellt, in den zivilrechtlichen Zusatzversicherungsvertrag mit der staatlichen Versicherung der DDR (AVI-VO) sittenwidrig eingegriffen und zugleich wegen des Bestehens dieses privatrechtlichen Verhältnisses die Sozialversicherungsrente gemindert. Das Berufungsgericht habe die politische Situation, in der sich die Intelligenz befunden habe, völlig falsch eingeschätzt. Der Kläger meint, es sei mit dem Wesen der Sozialversicherung unvereinbar, einzelne Gruppen von Versicherten, aus welchen Gründen auch immer, mit den Rentenverordnungen von 1968, 1974 und 1979 großer Teile ihrer Rentenansprüche nachträglich zu berauben, weil dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung der ehemaligen DDR (Art 19, 20) und auch mit dem Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht im Einklang stehe. Sein durch eigene Beitragsleistung erworbener Sozialrentenanspruch werde, ohne daß seine Beitragspflicht verringert worden sei, wegen des Bestehens eines privaten Versicherungsschutzes durch die AVI eingeschränkt. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf seine Schriftsätze vom 3. April 1992 (Bl 19 bis 34 der Akte des Bundessozialgerichts ≪BSG-Akte≫) und vom 27. Oktober 1992 (Bl 49 bis 51 der BSG-Akte) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Urteile des Bezirksgerichts Magdeburg vom 20. Februar 1992 und des Kreisgerichts Halle vom 14. Februar 1991 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14. November 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 25. Juni 1978 sowie des Bescheides vom 30. November 1989 für die Zeit vom 1. September 1978 bis zum 30. November 1989 je Kalendermonat den Betrag von 110,00 DM als rückständige Altersrente und für die Zeit vom 1. Dezember 1989 bis zum 30. Juni 1990 je Kalendermonat den Betrag von 40,00 DM als rückständige Altersrente, insgesamt also 15.130,00 DM nebst 4 vH Zinsen jeweils seit Fälligkeit der einzelnen Monatsraten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Bezirksgerichts Magdeburg für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden, daß ihm kein Anspruch auf Zahlung von 15.130,00 DM als aus DDR-Zeiten rückständige Altersrente zusteht.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gemäß § 51 Abs 1 SGG eröffnet, weil der Kläger höhere Rente für zurückliegende Zeiträume von einem Sozialversicherungsträger in Angelegenheiten der Sozialversicherung begehrt. Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Bezirksgericht auch zutreffend angenommen, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in eigener Zuständigkeit über Streitigkeiten um den Inhalt und Umfang von Rechten aus dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVI-VO) zu entscheiden haben. Gemäß §§ 1, 17 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606, 1677) entscheiden über Streitigkeiten aufgrund dieses Gesetzes die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Das AAÜG gilt für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit ua zu Zusatzversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Ein solches Zusatzversorgungssystem ist das der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz, eingeführt mit Wirkung vom 17. August 1950 (Anl 1 Nr 1 zum AAÜG). Deswegen bedarf keiner näheren Darlegung, daß entgegen der Ansicht des Klägers jedenfalls solche Rechte und Ansprüche aus diesem Zusatzversorgungssystem, die ausschließlich auf staatlicher Norm (AVI-VO) gegründet und ausschließlich gegen einen staatlichen Träger, nämlich die Staatliche Versicherung der DDR, gerichtet waren, nach den hier maßgeblichen Kriterien der auf dem GG gegründeten Rechtsordnung dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind.
Im Ergebnis kann in Fällen der vorliegenden Art für eine seit dem Inkrafttreten des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) am 1. Januar 1992, also mit dem 31. Dezember 1991 abgelaufene Übergangszeit noch hingenommen werden, daß die Vorinstanzen die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage des Klägers als zulässig erachtet haben.
Diese Kombination von Klagearten erfaßt das Begehren des Klägers. Es ist darauf gerichtet, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides zu verpflichten, die (entgegen der Ansicht des Klägers bindend gebliebenen: Art 19 Satz 1 des EV) Bescheide des FDGB vom 25. Juli 1978 und vom 30. November 1989 – durch Verwaltungsakte – teilweise zurückzunehmen, soweit darin – wie er meint – die Zahlung von Festbeträgen zu Unrecht abgelehnt worden ist, und die Beklagte zu verurteilen, diese Festbeträge nachzuzahlen. Voraussetzung für die Zulässigkeit dieser Kombination von Verpflichtungs- und allgemeiner Leistungsklage ist aber, daß die Beklagte einen Antrag des Klägers durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat, der mit der Anfechtungsklage angegriffen werden könnte.
Ein solcher ablehnender Verwaltungsakt der Beklagten oder ihrer Funktionsvorgängerinnen liegt jedoch nicht vor. Erstmals mit dem Widerspruchsbescheid vom 14. November 1990 hat die – als Ausgangsbehörde funktionell unzuständige -Widerspruchsstelle der Beklagten über das Begehren des Klägers auf Teilrücknahme der früheren Bescheide und Nachzahlung der Festbeträge entschieden. Zwar hatte die Widerspruchsstelle zu entscheiden, soweit über einen Einspruch bei einer Beschwerdekommission der Sozialversicherung in der DDR bis zum 30. Juni 1990 noch nicht entschieden worden war (§ 78 Abs 3 des Gesetzes über die Sozialversicherung der DDR vom 28. Juni 1990 ≪GBl I S 486≫ iVm EV Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet F, Abschnitt III, Nr 2 Buchst b). Ein „Einspruch” iS des zum 1. Juli 1990 aufgehobenen (§ 3 Nr 1 der VO über die Änderung oder Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 28. Juni 1990 ≪GBl I S 509≫) § 78 der 1. RentenVO lag aber nicht vor. Denn der Kläger begehrte mit seiner Eingabe vom 5. Dezember 1989 gerade keine „Leistung nach dieser VO”, sondern eine darin nicht vorgesehene Begünstigung, über welche in den Bescheiden des FDGB nicht entschieden worden war. Auch seine Eingabe vom 17. Juli 1990, die anläßlich der Zahlbetragsumstellung auf DM erfolgte, betraf keinen Verwaltungsakt, durch den eine höhere Rente abgelehnt worden wäre. Ein die Forderung des Klägers ablehnender Verwaltungsakt, der Gegenstand der Prüfung durch die Widerspruchsstelle hätte sein können, lag also nicht vor.
Jedoch kann jedenfalls in der in den Jahren 1990 und 1991 für die Bürger im Beitrittsgebiet und für die Beklagte besonders schwierigen rechtlichen und tatsächlichen Umbruchsituation derartigen Zuständigkeitsmängeln, wenn der Bürger sich hierauf nicht beruft, kein solches Gewicht beigemessen werden, daß ihm – jedenfalls nach Ausschöpfung von zwei gerichtlichen Instanzen – eine Sachprüfung in der dritten, der Revisionsinstanz verwehrt werden dürfte. Dies würde der wertsetzenden Bedeutung des formellen Hauptgrundrechtes (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG) widersprechen, zumal die Beklagte ihre Rechtsauffassung außer im Widerspruchsbescheid auch in ihren Stellungnahmen in allen drei Instanzen abschließend bekräftigt hat (vgl BSG SozR 1500 § 54 Nr 45).
Die Sachentscheidung des Berufungsgerichts ist jedoch im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Bezirksgericht hat zutreffend erkannt, daß es für das Begehren des Klägers keine Anspruchsgrundlage gibt. Das wird für die frühere Rechtslage nach den Rentenverordnungen der DDR insoweit auch vom Kläger nicht in Frage gestellt. Der Senat hat hierauf nicht einzugehen, weil er ausschließlich an das Bundesrecht gebunden ist (§ 162 SGG). Dieses trägt das Begehren des Klägers nicht.
Eine ausdrückliche (spezial-)gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) oder ihrer Funktionsvorgängerinnen „Der Gemeinsame Träger der Sozialversicherung”; „Überleitungsanstalt Sozialversicherung, Der Träger der Rentenversicherung”), nach DDR-Vorschriften entstandene Rentenansprüche von Versicherten im Beitrittsgebiet für Zahlungszeiträume vor dem 1. Juli 1990, die auf die Zahlung von Mark der DDR gerichtet waren, durch DM-Beträge zu befriedigen, ist nicht ersichtlich.
Zutreffend weist der Kläger darauf hin, daß das Recht der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich nur auf Ansprüche angewendet werden kann, die nach dem 3. Oktober 1990 entstanden sind (Art 8 EV). Der Kläger trägt hierzu richtig vor, daß nach Art 20 Abs 1 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 537 – Staatsvertrag) iVm Art 30 Abs 5 EV und den Vorschriften der Rentenanpassungsverordnungen nur gewährleistet ist, daß – grundsätzlich – bei der Vereinheitlichung des Rentenversicherungsrechts, also zukunftsgerichtet, die bis zum 30. Juni 1990 erworbenen Ansprüche und Anwartschaften erhalten bleiben sollen. Für die Zeit ab 1. Juli 1990 erhielt der Kläger aber seine Sozialversicherungsrente in voller Höhe. Aus den Vorschriften des Staatsvertrages und des EV ergibt sich nicht, daß ein dem GG unterstehender Rentenversicherungsträger Sozialversicherungsrentenansprüche eines Versicherten gegen einen untergegangenen DDR-Versicherungsträger durch Gewährung von Renten für Zeiten vor dem 1. Juli 1990 erfüllen muß. Danach hat vielmehr das bis zum 30. Juni 1990 gültige Rentenrecht der DDR für die seit dem 1. Juli 1990 maßgebliche Rechtslage nur im Hinblick auf Zahlungszeiträume nach dem ersten Zeitpunkt Bedeutung. Dies betrifft vor allem die Frage, ob und ggf in welcher Höhe am 1. Juli 1990 ein zukunftsgerichteter Rentenanspruch objektiv bestanden hat (vgl BSGE 72, 50, 53, 55, 65, 76).
Das Bundesrecht einschließlich der Vorschriften der DDR, die nach EV Anlage II Sachgebiet F Abschnitt III oder Sachgebiet H Abschnitt III seit dem 3. Oktober 1990 als Bundesrecht fortgalten, enthält auch im übrigen keine Bestimmung darüber, daß (und ggf in welchem Umfang und auf welche Weise) uU rechtswidrige Rentenbescheide der DDR-Versicherungsträger für Bewilligungs- und Zahlungszeiträume vor dem 1. Juli 1990 zurückzunehmen und Sozialversicherungsrenten nachträglich zu gewähren sind. Neues, dh ab 1. Juli 1990 in Kraft getretenes Recht der DDR, soweit es über den 3. Oktober 1990 hinaus gilt, und das im Beitrittsgebiet am 3. Oktober 1990 in Kraft getretene Bundesrecht wirken rechtlich aber gleichfalls nur in der jeweiligen Geltungszeit, dh für Zeiten und Sachverhalte nach dem Inkrafttreten, da keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen angeordnet worden ist (vgl BVerfGE 72, 200, 242; BSGE 62, 191, 195 ff). Keine Norm des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung wirkt in diesem Sinne auf Zeiten vor dem 1. Juli 1990 zurück.
Die BfA war nicht einmal befugt, die Bescheide des FDGB mit Wirkung für Zeiten vor dem 1. Juli 1990 teilweise zurückzunehmen. Art 19 Satz 2 EV oder Art 19 Satz 3 EV iVm § 44 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bieten hierfür keine Grundlage. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, daß nach EV Anlage I Sachgebiet D Abschnitt III Nr 2 das SGB X für den Bereich ua der Rentenversicherung erst „ab 1. Januar 1991 anzuwenden” ist. Daher war § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 14. November 1990 noch nicht anwendbar. Nach Art 19 Satz 2 EV können vor dem Wirksamwerden des Beitritts (am 3. Oktober 1990) ergangene Verwaltungsakte der DDR, die nach Satz 1 aaO wirksam bleiben, aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des EV unvereinbar sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift, die auf Eingriffsakte in bestehende subjektive (vor allem: Menschen-)Rechte zugeschnitten ist, uU auch nach Maßgabe von DDR-Vorschriften rechtswidrige Leistungsablehnungen in der Sozialversicherung der DDR erfaßt. Denn auch diese Vorschrift gilt nur ab 3. Oktober 1990. Außerdem sind dem Kläger die ihm nach den Rentenverordnungen zustehenden Beträge bewilligt und gezahlt worden.
Zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis führt auch nicht Art II § 37 Abs 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469, ber S 2218). Danach sind bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes (SGB X) zu Ende zu führen, wenn die angefochtene Verwaltungsentscheidung in dem Zeitpunkt, in dem die Vorschriften des SGB X anwendbar wurden (hier: 1. Januar 1991), noch Gegenstand eines anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens war (BSG SozR 1200 § 51 Nr 11; BSG – Großer Senat – BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3).
Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß die Bescheide des FDGB vom 1. September 1978 und vom 30. November 1989 mit den damals gültigen Vorschriften des Rentenversicherungsrechts der DDR übereinstimmten. Dies wird vom Kläger auch nicht bestritten. Bei dieser Sachlage bedarf keiner näheren Darlegung, daß die BfA sogar auch dann zur Teilrücknahme und Nachzahlung nicht verpflichtet wäre, wenn diese Bescheide des FDGB dem Kläger den Festbetrag zu Unrecht nicht oder nicht in voller Höhe gewährt hätten. Denn § 44 Abs 1 und 4 SGB X gilt nur für Zeiten und Sachverhalte ab 1. Januar 1991, für frühere Zeiten nur insoweit, als das materielle Rentenversicherungsrecht darauf abstellt. Das aber sieht – wie ausgeführt – keine Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Zeiträume vor dem 1. Juli 1990 vor.
Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, daß diese Rechtslage verfassungswidrig ist, dh dem GG für die Bundesrepublik Deutschland widerspricht. Das Berufungsgericht hat zwar im Kern zutreffend erkannt, daß sogar der Verordnungsgeber der früheren DDR bei Ausgestaltung der Höhe der Sozialversicherungsrente sachlich vertretbare Gründe (Vermeidung von Überversorgung, soziale Umverteilung) gehabt haben mag, Berechtigten aus den von ihm gewährten öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgungssystemen den Festbetrag grundsätzlich ganz oder teilweise zu versagen, wenn diese neben der nach dem Steigerungssatz berechneten Sozialversicherungsrente noch eine – höhere – Rente aus der Zusatzversorgung bezogen. Dies wäre unabhängig davon gewesen, ob die vom Kläger geschilderten diskriminierenden Motive und Absichten des Verordnungsgebers in dieser oder ähnlicher Form tatsächlich gegeben waren. Hierauf ist aber nicht weiter einzugehen. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG), der im übrigen in den verschiedenen Verfassungen der DDR keine stärkere Ausprägung als im GG für die Bundesrepublik Deutschland gefunden hatte (vgl zB Art 20 der Verfassung der DDR vom 6. April 1968 idF des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1974 ≪GBl I S 432≫), liegt nämlich nicht vor. Alle Versicherten im Beitrittsgebiet werden hinsichtlich ihrer Rentenansprüche vor dem 1. Juli 1990 gleichbehandelt, weil der DDR-Versicherungsträger untergegangen ist, ohne zur Deckung seiner Rentenlast taugliches Vermögen zu hinterlassen. Soweit er rechtswidrig gehandelt hatte, wird dies ab 1. Juli 1990 berichtigt. Das Berufungsgericht hat also im Ergebnis richtig erkannt, daß ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze nicht vorliegt. Erst recht gab es für den Kläger keinen Grund anzunehmen, die Versichertengemeinschaft werde ihm aus ihrem Beitragsaufkommen in DM nachträglich gewähren, was ihm der Gesetzgeber der DDR – nach Ansicht des Klägers: zu Unrecht und aus unlauteren Motiven – damals versagt hat.
Nach alledem war die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bezirksgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173777 |
Breith. 1994, 679 |