Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe die Beklagte Arbeitslosengeld (Alg) zu zahlen hat.
In den Jahren 1991 und 1992 war der Kläger mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern als Arbeiter und Dachdecker beitragspflichtig beschäftigt, und zwar zuletzt vom 15. Juli bis 7. August 1991 und vom 4. März bis 27. Mai 1992. Vom 28. Mai bis 3. Juli 1992 bezog er Krankengeld (Krg). Am 6. Juli 1992 (Montag) meldete er sich arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Die Beklagte bewilligte ihm Alg in Höhe von wöchentlich 309,00 DM ab 20. August 1992 (Ablauf einer Sperrzeit) für 84 Tage (Bescheid vom 7. August 1992). Der Leistungsberechnung legte die Beklagte ua ein wöchentliches Bruttoarbeitsentgelt von 760,00 DM zugrunde. Nach Aufhebung des Sperrzeitbescheides gewährte die Beklagte dem Kläger Alg ab 4. Juli 1992 für 156 Tage und zahlte den entsprechenden Betrag nach (Bescheid vom 27. Januar 1993).
Mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger ein höheres Alg unter Zugrundelegung eines wöchentlichen Bemessungsentgelts von 780,00 DM. Er war der Auffassung, daß allein der in der letzten Beschäftigung erzielte Verdienst zugrunde zu legen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, die letzte Beschäftigung umfasse keine vollen drei Monate. Deshalb sei auch die davor liegende Beschäftigung vom 15. Juli bis 7. August 1991 in den Bemessungszeitraum einzubeziehen. Aus beiden Beschäftigungszeiten errechne sich das wöchentliche Bemessungsentgelt von 760,00 DM (Widerspruchsbescheid vom 21. April 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 7. August 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1993 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg ab 4. Juli 1992 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 780,00 DM zu zahlen. Die Berufung ist zugelassen worden (Urteil vom 23. September 1993). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 25. August 1994). Zur Begründung ist ausgeführt worden, die Lohnabrechnungszeiträume müßten nicht drei Monate umfassen, sondern nur innerhalb eines dreimonatigen Rahmens mindestens 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Da der Kläger am 27. Mai 1992 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, umfasse der Dreimonatszeitraum die Zeit vom 27. Februar bis 27. Mai 1992. In dieser Zeit sei allein der Zeitraum vom 6. März (gemeint ist offensichtlich der 4. März) bis 27. Mai 1992 abgerechnet worden. Da er 61 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfasse, sei der Dreimonatszeitraum nicht zu verlängern. Aus der letzten Abrechnung ergebe sich das gerundete wöchentliche Arbeitsentgelt von 780,00 DM.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 2 Satz 1 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aF. Entgegen der Auffassung des LSG müßten die Lohnabrechnungszeiträume volle drei Monate umfassen, so daß nicht nur die Abrechnungszeiträume aus der letzten Beschäftigung vom 4. März bis 27. Mai 1992, sondern auch aus der vorhergehenden Beschäftigung vom 15. Juli bis 7. August 1991 zu berücksichtigen seien.
Die Beklagte beantragt,
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die Urteile des LSG und SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
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Der Kläger beantragt,
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Die Revision zurückzuweisen. |
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Er hält die Rechtsauffassung des LSG im wesentlichen für zutreffend mit der Abweichung, daß der Dreimonatszeitraum nicht die Zeit vom 27., sondern vom 28. Februar bis 27. Mai 1992 umfasse.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
II
Die Revision ist iS der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Bescheide vom 7. August 1992 und 27. Januar 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1993, mit denen die Beklagte dem Kläger ab 4. Juli 1992 Alg in Höhe von 309,00 DM bewilligt hat. Hiergegen richtet sich die auf höhere Leistung gerichtete Anfechtungs-und Leistungsklage. Ob die Vorinstanzen die Beklagte in der Sache zutreffend zur Zahlung von höherem Alg verurteilt haben, läßt sich wegen fehlender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.
Die Höhe des Alg, dessen Anspruchsvoraussetzungen im Falle des Klägers dem Grunde nach vorliegen, bestimmt sich nach § 111 AFG idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477), nach § 112 AFG idF des Gesetzes vom 23. September 1990 zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990 und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (BGBl II 885) und nach § 113 AFG idF durch das 3. Rechtsbereinigungsgesetz vom 28. Juni 1990 (BGBl I 1221). Spätere Rechtsänderungen, insbesondere ab 1. Januar 1994, werden im Revisionsverfahren nicht relevant.
Nach § 111 AFG beträgt das Alg für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (Abs 1 Nr 1), für die übrigen Arbeitslosen 63 vH (Abs 1 Nr 2). Der konkrete Leistungssatz wird jeweils für ein Kalenderjahr vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung bestimmt (Abs 2 Satz 1), wobei zwischen verschiedenen Leistungsgruppen unterschieden wird (Abs 2 Satz 2 Nr 1); die Eingruppierung ist davon abhängig, welche Lohnsteuerklasse zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse sind nach Maßgabe des § 113 Abs 1 Satz 2 und 3 sowie Abs 2 AFG zu berücksichtigen.
Demzufolge bestimmt sich die Höhe des Alg nach drei Berechnungskriterien, zu denen das LSG keine oder nur unzureichende Feststellungen getroffen hat. Welche Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte 1992 des Klägers eingetragen war, hat das LSG nicht ermittelt. Damit läßt sich nicht beurteilen, ob die Beklagte in dem vom LSG in Bezug genommenen Bescheid vom 7. August 1992 und dem weiteren Bescheid vom 27. Januar 1993 zutreffend von der Leistungsgruppe A ausgegangen ist. Ebenso fehlen Angaben zum Familienstatus, so daß der Senat nicht prüfen kann, ob die Beklagte zu Recht eine Lohnersatzquote von 63 vH zugrunde gelegt hat. Schließlich läßt sich nicht beurteilen, ob die Vorinstanzen die Beklagte zur Zahlung von höherem Alg unter Zugrundelegung eines wöchentlichen Bemessungsentgelts von 780,00 DM verurteilen durften.
Das Bemessungsentgelt iS des § 112 AFG ist das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat (Abs 1 Satz 1). Der Bemessungszeitraum umfaßt die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat (Abs 2 Satz 1). Enthalten die Lohnabrechnungszeiträume weniger als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt, verlängert sich der Bemessungszeitraum um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht sind (Abs 2 Satz 3). Für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts wird dann das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (Abs 3 Satz 1). Arbeitsentgelt, das nach Monaten bemessen ist, gilt als in der Zahl von Arbeitsstunden erzielt, die sich ergibt, wenn die Zahl der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden mit 13 vervielfacht und durch drei geteilt wird (Abs 3 Satz 2).
Im vorliegenden Rechtsstreit kommt es entscheidend auf die Festlegung des Bemessungszeitraums an, die der Ermittlung von Lohn- und Zeitfaktor stets vorherzugehen hat. Bemessungszeitraum iS von § 112 Abs 2 Satz 1 AFG ist hier allein die Zeit vom 4. März bis 27. Mai 1992, wenn das für diesen Zeitraum erarbeitete Arbeitsentgelt bis zum Ausscheiden am 27. Mai 1992 nicht nur abgerechnet, sondern - was bisher nicht festgestellt ist - auch zugeflossen ist.
Bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums geht der Senat davon aus, daß zunächst ein dreimonatiger Zeitraum festzulegen ist, der sich vom Ende der letzten beitragspflichtigen Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs rückwärts kalendermäßig nach Zeitmonaten, nicht nach Kalendermonaten berechnet (vgl Urteile des Senats vom 9. Februar 1995 - 7 RAr 2/94 - und 28. Juni 1995 - 7 RAr 102/95 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Den eigentlichen Bemessungszeitraum bilden die in diesen feststehenden Rahmen fallenden (oder hineinragenden) Lohnabrechnungszeiträume, wenn das in ihnen erarbeitete Arbeitsentgelt bis zum Ausscheiden abgerechnet und erzielt iS von zugeflossen ist und wenn diese berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume mindestens 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten; bei weniger als 60 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt verlängert sich der Bemessungszeitraum um weitere (volle) Lohnabrechnungszeiträume, bis mindestens diese 60 Tage erreicht sind (§ 112 Abs 2 Satz 3 AFG). Der Senat räumt ein, daß der Wortlaut der Ausgangsbestimmung, der schon wegen der Anhäufung von Genitiven schwer verständlich ist, insoweit einer Auslegung bedarf.
Eindeutig ist zunächst, daß der Dreimonatszeitraum - ebenso wie der in ihm enthaltene Bemessungszeitraum - immer vor dem Zeitpunkt liegen muß, zu dem der Anspruch auf Alg entstanden ist. Dies ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "vor der Entstehung des Anspruchs". Gemeint ist damit die Entstehung des Stammrechts iS des § 100 Abs 1 AFG (vgl hierzu BSGE 72, 177, 179 = SozR 3-4100 § 112 Nr 13). Der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs bildet die äußerste Grenze, vor dessen Eintritt alle weiteren Tatbestandsmerkmale des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG erfüllt sein müssen (zur Bedeutung der Anspruchsentstehung vgl BSG, aaO).
Dem Wortlaut der Ausgangsnorm läßt sich ferner entnehmen, daß zwischen einem Dreimonatszeitraum iS eines "Bemessungsrahmens" (vgl insoweit auch Gagel, Komm z AFG, Stand Dezember 1994, § 112 Rz 44 ff; Wissing, SGb 1995, 181, 183 f) und dem eigentlichen Bemessungszeitraum zu unterscheiden ist: Der Bemessungsrahmen umfaßt "die letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen". Den eigentlichen Bemessungszeitraum bestimmen die in diesen Bemessungsrahmen fallenden (oder hineinragenden) Lohnabrechnungszeiträume, sofern sie nach der näheren Begriffsbestimmung des § 112 Abs 2 Satz 1 berücksichtigungsfähig sind. Als Lohnabrechnungszeiträume sind zu berücksichtigen "die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume ...., in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat". Der Dreimonatszeitraum umrahmt damit im Regelfall den Bemessungszeitraum. Beginnt jedoch ein berücksichtigungsfähiger Lohnabrechnungszeitraum vor dem Bemessungsrahmen und reicht er teilweise in diesen hinein, so ist auch dieser Lohnabrechungszeitraum in vollem Umfang in den Bemessungszeitraum einzubeziehen, auch wenn schon ohne seine Berücksichtigung 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erfüllt sind (vgl BSG SozR 4100 § 111 Nr 3, S 14; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 28. Juni 1995 - 7 RAr 102/95 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Denn das Gesetz sieht nur die Berücksichtigung von vollen Lohn-, nicht aber von Teilabrechnungszeiträumen vor.
Dem Gesetzeswortlaut läßt sich des weiteren entnehmen, daß maßgeblicher (End-)Zeitpunkt für die Rückrechnung des dreimonatigen Bemessungsrahmens das Ende der letzten beitragspflichtigen Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs ist und nicht etwa der Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Beschäftigung bzw aus dem Arbeitsverhältnis oder der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs (so zB Eckert in Gemeinschaftskomm z AFG, § 112 Rz 8). Zwar werden diese Zeitpunkte häufig zusammentreffen bzw aneinander anschließen, etwa wenn der Arbeitslose mit dem Ende der letzten beitragspflichtigen Beschäftigung aus dieser ausscheidet und unmittelbar danach Alg beantragt bzw der Anspruch entsteht. Wird der Antrag aber erst einige Zeit nach dem Ende der beitragspflichtigen Beschäftigung gestellt oder scheidet der Arbeitnehmer erst nach einer beitragsfreien Beschäftigung aus dieser aus und beantragt er Alg, so ist maßgebend stets der letzte Tag der durch Beschäftigung begründeten Beitragspflicht. Der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung bildet - wie dargelegt - nur die äußerste Grenze für die Berücksichtigungsfähigkeit aller weiteren Tatbestandsmerkmale des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG. Würde dieser Zeitpunkt zugleich als Endzeitpunkt für die Bestimmung des Dreimonatszeitraums herangezogen, wäre Satz 1 des § 112 Abs 2 AFG insoweit überflüssig, als er - zusätzlich - auf die letzten drei Monate "der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen" abstellt.
Aus der engen sachlichen Verknüpfung mit den abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen, in denen Arbeitsentgelt erzielt worden ist, folgt ferner, daß § 112 Abs 2 Satz 1 AFG nur auf die Beitragspflicht aus Beschäftigung nach § 168 AFG abstellt, also auf eine Beitragspflicht, die einen Entgeltanspruch aus Beschäftigung voraussetzt. Außer Betracht bleibt daher eine Beitragspflicht, die zB auf der Gewährung von Lohnersatzleistungen beruht. Demzufolge ist im vorliegenden Fall der Bezug von Krg (zur Beitragspflicht bei Krg-Zahlung vgl § 186 AFG) in der Zeit vom 28. Mai bis 3. Juli 1992 für die Bestimmung des Bemessungsrahmens ohne Bedeutung.
Liegt das Ende des Bemessungsrahmens fest, bestimmt sich dessen Beginn in jedem Fall - und nicht nur bei kontinuierlich fortbestehender Beschäftigung durch kalendermäßige Rückrechnung von drei Zeitmonaten, also vorliegend vom 27. Mai 1992 zurück auf den 28. Februar 1992. Das gilt unabhängig davon, ob der Dreimonatszeitraum voll mit beitragspflichtigen Beschäftigungen ausgefüllt ist oder nicht.
Der Senat folgt damit nicht der abweichenden Auffassung, wonach der Dreimonatszeitraum (Bemessungsrahmen) stets drei volle Monate mit beitragspflichtigen Beschäftigungen umfassen muß (Gagel, aaO, § 112 Rz 44 ff; Wissing, aaO, S 184). Entsprechendes gilt für die damit korrespondierende Auffassung, die zwar nicht zwischen Bemessungsrahmen und Bemessungszeitraum unterscheidet, aber fordert, daß der Bemessungszeitraum stets die Lohnabrechnungszeiträume für volle drei Monate umfassen müsse (so die Beklagte in Ziff 2 Abs 4 ihrer Durchführungsanweisungen zu § 112 AFG [Stand: 12. ErgLfg 7/94]; Brand in Niesel, Komm z AFG, 1995, § 112 Rz 12 f). Für die Annahme, daß rückschauend vom Ende der letzten beitragspflichtigen Beschäftigung jeweils so viele beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnisse addiert werden müssen, bis exakt drei Monate mit beitragspflichtigen Beschäftigungen ausgefüllt sind, könnten zwar der Gesetzeswortlaut und insbesondere die Verwendung des Plurals "Beschäftigungen" sprechen (so Gagel, aaO). Gleichwohl gebietet der Normzweck eine andere, vom Wortlaut ebenfalls gedeckte Auslegung. Daß der Gesetzgeber den Begriff "Beschäftigungen" gewählt hat und nicht mehr - wie vor dem 1. Januar 1988 - von der "letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung" spricht, erklärt sich aus der Vorgeschichte der Norm. Nach dem früheren, bis 31. Dezember 1987 geltenden Recht war es zweifelhaft gewesen, ob für die Ermittlung des Arbeitsentgelts ggf Lohnabrechnungszeiträume aus mehreren Beschäftigungen zugrunde zu legen waren, sofern die letzte Beschäftigung nicht die Mindestzahl von 20 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt abdeckte. Dies hatte das Bundessozialgericht (BSG) bejaht und ausgeführt, daß der Begriff "Beschäftigung" auch eine allgemeine Bedeutung haben könne und Sinn und Zweck der Regelung eine Erfassung der Lohnabrechnungszeiträume aus mehreren Beschäftigungen erfordere (BSG SozR 4100 § 112 Nr 13). Angesichts dieser Entscheidung läßt sich aus dem seit dem 1. Januar 1988 geltenden Wortlaut nicht zwingend entnehmen, daß der Dreimonatszeitraum voll mit beitragspflichtigen Beschäftigungen ausgefüllt sein muß. Die Entstehungsgeschichte spricht eher dafür, daß der Gesetzgeber nunmehr den Begriff "Beschäftigungen" allein aus Gründen der Klarstellung verwandt hat, um deutlich zu machen, daß die letzten drei Monate nicht nur eine, sondern ggf auch mehrere Beschäftigungen umfassen können.
Dafür, daß der Bemessungsrahmen voll mit - ggf zu addierenden - Beschäftigungen ausgefüllt sein muß, bieten weder der Normzweck noch die Entstehungsgeschichte einen hinreichenden Anhalt. Vielmehr wird der Gesetzeszweck, einfache Maßstäbe für die Leistungsberechnung vorzugeben, die eine beschleunigte Leistungsfeststellung und rasche Auszahlung ermöglichen (vgl hierzu ua BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr 6), am ehesten realisiert, wenn bei der Berechnung des Bemessungsrahmens auf den Zeitpunkt des Endes der letzten beitragspflichtigen Beschäftigung abgestellt und der Zeitraum kalendermäßig unter Zurückrechnung von drei (Zeit-)Monaten bestimmt wird. Eine solche Auslegung wird insbesondere auch dem Zweck gerecht, die Leistungsbemessung an einem möglichst aktuellen, dh vor der Entstehung des Anspruchs zuletzt erzielten, Arbeitsentgelt auszurichten. Dabei trägt sie auch dem vom Gesetzgeber möglicherweise verfolgten Ziel, durch die Einführung eines Bemessungsrahmens eine breitere Basis für die berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume (den Bemessungszeitraum) zu schaffen, Rechnung. Denn auch nach der hier vertretenen Auffassung sind für den Bemessungszeitraum grundsätzlich alle in den Bemessungsrahmen fallenden (oder hineinragenden) berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume heranzuziehen, auch wenn schon weniger Lohnabrechnungszeiträume 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten. Nur wenn die berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume nicht diese 60 Tage enthalten, gewährleistet § 112 Abs 2 Satz 3 AFG als Mindestregelung eine Erstreckung des Bemessungszeitraums auf frühere Lohnabrechnungszeiträume.
Die Entstehungsgeschichte des § 112 AFG gebietet keine abweichende Auslegung. Nicht nur bei einer Addition beitragspflichtiger Beschäftigungen auf volle drei Monate, sondern auch bei der vom Senat vertretenen Auffassung ist berücksichtigt, daß die Neuregelung eine qualitative Änderung gegenüber dem bisherigen Recht bewirkt. Das bis zum 31. Dezember 1987 geltende Recht stellte allein auf die abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume vor dem Ausscheiden aus der Beschäftigung und vor der Anspruchsentstehung ab, die mindestens 20, ab 1. Januar 1986 mindestens 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten mußten (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG in der ab 1. Januar 1975 geltenden Fassung durch Art 27 Nr 9 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 12. Dezember 1974, BGBl I S 3656, bzw in der ab 1. Januar 1986 geltenden Fassung durch Art 1 Nr 21 Buchst a des Siebten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1985, BGBl I S 2484). Auf einen bestimmten Zeitraum, dem die berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume hätten zugeordnet werden müssen, kam es damals nicht an. Der Dreimonatszeitraum iS eines Bemessungsrahmens ist erst zum 1. Januar 1988 durch das Achte Gesetz zur Änderung des AFG (8. AFG-ÄndG) vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) eingeführt worden, der im übrigen den bisherigen Abs 3 Satz 1 als Abs 2 Satz 1 übernahm.
Die Gesetzesmaterialien enthalten keinen eindeutigen Hinweis, welche Funktion dieser Bemessungsrahmen hat. Insoweit ist lediglich angegeben worden, daß Abs 2 Satz 1 den "Grundsatz des geltenden Rechts" fortführe, nach dem das Alg "grundsätzlich" nach dem Arbeitsentgelt bemessen werde, das der Arbeitslose "in den letzten drei Monaten, mindestens in 60 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erzielt" habe (BT-Drucks 11/800, S 21, zu Nr 29 Buchst a). Dabei ist der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen, daß der Bemessungszeitraum im Regelfall "grundsätzlich" drei Monate umfassen soll. Unverändert fortgeschrieben worden ist das bisherige Recht aber nur in den Fällen, in denen monatlich bei einer Fünf- oder Sechs-Tage-Woche abgerechnet wird. Denn in diesen Fällen sind regelmäßig drei Abrechnungsmonate erforderlich, um die Mindestzahl von 60 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zu erreichen (bei drei Abrechnungsmonaten 65 bzw 78 derartige Tage, bei zwei Abrechnungsmonaten dagegen nur ca 44 bzw 52 Tage). Insoweit hätte es nicht eines dreimonatigen Bemessungsrahmens bedurft, um den als Regelfall angestrebten dreimonatigen Bemessungszeitraum zu realisieren.
Eine breitere Basis für die berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume ist dagegen für zwei weitere Fallkonstellationen geschaffen worden. Bei wöchentlichen Lohnabrechnungen konnten nach dem bisherigen Recht weniger als drei Monate den Bemessungszeitraum bestimmen, nämlich zwölf Wochen bei einer Fünf-Tage-Woche und zehn Wochen bei einer Sechs-Tage-Woche. Ferner wird nach der Neuregelung - wie bereits ausgeführt - auch ein nur teilweise in den Bemessungsrahmen hineinragender Lohnabrechnungszeitraum insgesamt erfaßt, also nicht nur der innerhalb des Rahmens befindliche Teil. Danach bleiben auch bei der hier vertretenen kalendermäßigen Bestimmung des Bemessungsrahmens durchaus Fälle denkbar, in denen die Neuregelung zu einer Erweiterung des früheren Bemessungszeitraums führt.
Vor allem vermeidet die hier vertretene Auslegung die Schwierigkeiten, die sich bei einer Addition einzelner Beschäftigungen ergeben, wenn Reste oder Beschäftigungen von weniger als einem Monat zusammenzurechnen sind. Warum bezüglich eines solchen Restes der Monat mit 30 Tagen zugrunde gelegt werden soll (so Gagel, aaO; Wissing, aaO), läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Dies führt auch zu dem wenig überzeugenden Ergebnis, daß bei vollen Kalendermonaten die jeweiligen konkreten Tage (31, 30, 29 oder 28), bei zu addierenden Resten dagegen immer nur 30 Tage zugrunde zu legen wären. Auch dies legt nahe, dem hier aufgezeigten einfacheren Lösungsweg zu folgen. Im übrigen gewinnen diese Fragen und die Schwierigkeit der Handhabung der Regelung ein größeres Gewicht, je weiter der Gesetzgeber den Bemessungsrahmen ausdehnt (ab 1. Januar 1994 sechs Monate).
Aus dem Gesamtzusammenhang der vom LSG festgestellten Tatsachen ergibt sich für den Senat bindend (§ 163 SGG), daß die letzte beitragspflichtige Beschäftigung des Klägers vor Entstehung des Anspruchs (4. Juli 1992) mit Ablauf des 27. Mai 1992 endete. Der dreimonatige Bemessungsrahmen umfaßt damit die Zeit vom 28. Februar bis 27. Mai 1992. In diesen Rahmen fielen die Lohnabrechnungszeiträume vom 4. März bis 27. Mai 1992, die nach den Feststellungen des LSG beim Ausscheiden abgerechnet waren und insgesamt 61 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfaßten. Gleichwohl läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob sämtliche der genannten Lohnabrechnungszeiträume für den Bemessungszeitraum berücksichtigungsfähig sind.
Das in diesem Zeitraum erarbeitete Arbeitsentgelt muß bis zum Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht nur abgerechnet, sondern "erzielt", dh bis zum Ausscheiden zugeflossen sein. Das bedeutet, daß es bis dahin entweder tatsächlich ausgezahlt oder zumindest soweit abgerechnet sein mußte, daß es nur noch des technischen Überweisungsvorganges bedurfte, damit der Arbeitnehmer darüber verfügen konnte (vgl zuletzt BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 10; Urteil vom 23. Juli 1992 - 7 RAr 2/92 -, NZA 1993, 621). Insoweit hat der Senat in seinem Urteil vom 28. Juni 1995 (- 7 RAr 102/94 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) für die Bestimmung des Bemessungszeitraums nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG am strengen Zuflußprinzip festgehalten und lediglich hinsichtlich der Korrekturmöglichkeiten bei nachträglicher Vertragserfüllung im Rahmen des § 112 Abs 1 AFG die bisherige Rechtsprechung modifiziert. Ob und wann dem Kläger Arbeitsentgelt aus den Lohnabrechnungszeiträumen vom 4. März bis 27. Mai 1992 zugeflossen ist, hat das LSG bisher nicht festgestellt.
In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils heißt es lediglich, das Entgelt für diesen Zeitraum sei bis zum 27. Mai 1992 abgerechnet gewesen. Da der Kläger nach den weiteren Feststellungen des LSG mit Ablauf des 27. Mai 1992 nicht nur aus dem Beschäftigungs- sondern auch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, kann im Hinblick auf die Feststellung des Bemessungszeitraums dahinstehen, ob mit "Ausscheiden" iS von § 112 Abs 2 Satz 1 AFG - wie ausdrücklich nach dem bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Recht - auf ein Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis, nicht aber dem Arbeitsverhältnis abgestellt werden sollte; es könnte jedenfalls dann das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis maßgeblich sein, wenn der Arbeitslose erst danach Leistungen beantragt hat bzw der Anspruch entstanden ist. Da im vorliegenden Fall beide Zeitpunkte identisch sind, bedurfte es keiner Entscheidung dieser Frage.
Sollten die vom LSG nachzuholenden Feststellungen ergeben, daß dem Kläger das abgerechnete Entgelt bis zum Ablauf des 27. Mai 1992 in dem oben aufgezeigten Sinn auch zugeflossen war, ist die Zeit vom 4. März bis 27. Mai 1992 der maßgebende Bemessungszeitraum. Sollte dies nicht der Fall sein, könnten die Lohnabrechnungszeiträume, für die der Zufluß erst nach dem 27. Mai 1992 erfolgt ist, nicht in den Bemessungszeitraum einbezogen werden mit der Folge, daß dann nach Maßgabe des § 112 Abs 2 Satz 3 AFG auf die frühere Beschäftigung zurückgegriffen werden müßte.
Dies gilt auch dann, wenn das abgerechnete Arbeitsentgelt noch vor der Entstehung des Anspruchs, also hier bis zum 4. Juli 1992, zugeflossen sein sollte. Wie dargelegt, setzt das Tatbestandsmerkmal der Anspruchsentstehung zwar eine äußerste Grenze, vor deren Eintritt alle weiteren Tatbestandselemente des Bemessungszeitraums erfüllt sein müssen. Jedoch ist dieses Merkmal nicht der Regelung über die berücksichtigungsfähigen Lohnabrechnungszeiträume zuzuordnen. Für diese setzt das Ausscheiden des Arbeitnehmers den Endzeitpunkt. Eine erweiternde Auslegung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen, etwa im Hinblick auf das Äquivalenzprinzip (vgl hierzu BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1995 - 1 BvR 892/88 -; EuGRZ 1995, 429 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 = DB 1995, 1084), geboten. Hierbei verkennt der Senat nicht, daß der Zweck des Gesetzes, der Arbeitsverwaltung eine relativ einfache und rasche Leistungsfeststellung an Hand der vorzulegenden Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers (§ 133 AFG) zu ermöglichen, auch gewährleistet wäre, wenn der bis zur Anspruchsentstehung erfolgte Zufluß zu berücksichtigen wäre. Demgegenüber stellt § 112 Abs 2 Satz 1 AFG - iS zulässiger Typisierung - auf den Regelfall ab, in dem der Arbeitnehmer/Arbeitslose unmittelbar für die Zeit nach seinem Ausscheiden Leistungen beantragt, also der Zeitpunkt des Ausscheidens und der der Anspruchsentstehung regelmäßig aneinander anschließen. Eine über diesen Regelfall hinausgehende Erweiterung brauchte der Gesetzgeber nicht vorzunehmen, zumal die Lohnabrechnungszeiträume bzw die ihnen zugrundeliegenden beitragspflichtigen Beschäftigungen, die mangels Entgeltzuflusses bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums unberücksichtigt bleiben, im Leistungsrecht des AFG durchaus ihre Bedeutung behalten, zB für die Anwartschaft (§ 104 AFG) oder für die Dauer des Anspruchs (§ 106 AFG). Davon abgesehen ist es keinesfalls sicher, daß bei einer erweiternden Auslegung der Arbeitslose stets einen höheren Leistungsanspruch realisieren könnte. Dies hängt von der Höhe des abgerechneten und zugeflossenen Arbeitsentgelts ab, kann also im Einzelfall günstiger oder ungünstiger für den Arbeitslosen sein.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch die notwendigen weiteren Feststellungen zu den aufgezeigten Berechnungskriterien (Lohnsteuerklasse, Familienstatus) zu treffen, aber auch zu berücksichtigen haben, daß - wofür Anhaltspunkte nach den Akten gegeben sind - zeitweise Sozialhilfe bezogen worden ist und Leistungsansprüche gepfändet worden sind, wobei hier das LSG auch die Frage einer notwendigen Beiladung zu prüfen haben wird. Darüber hinaus wird auch zu beachten sein, daß weitere Bescheide Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sein dürften. Schließlich wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzubefinden haben.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517766 |
BSGE, 244 |