Entscheidungsstichwort (Thema)
Kosten des Rücktransports nach beendeter Krankenhausbehandlung bei Rückkehr an einen anderen als den Wohnort
Leitsatz (amtlich)
Der Träger der Krankenversicherung ist grundsätzlich verpflichtet, die nach beendeter Krankenhausbehandlung entstehenden notwendigen Kosten der Fahrt vom Krankenhaus zur Wohnung des Versicherten zu tragen.
Ausnahmsweise hat der Träger der Krankenversicherung die Kosten einer Fahrt vom Krankenhaus zu einem weiter entfernten Ort zu tragen, wenn ein wichtiger Grund dies verlangt und die entstehenden Mehrkosten nicht unangemessen hoch und in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Hauptleistung stehen.
Normenkette
RVO § 184 Abs. 1 Fassung: 1973-12-19; RKG § 20 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 18. September 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für die Revisionsinstanz zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die nach beendeter Krankenhausbehandlung entstandenen Fahrtkosten zu ersetzen.
Die Klägerin, die der Krankenversicherung der Rentner der Beklagten angehört, lebte allein in ihrer Wohnung in Herford. In der Zeit vom 19. Juli bis zum 17. August 1973 wurde sie auf Kosten der Beklagten in einem H Krankenhaus stationär behandelt. Nach ihrer Entlassung begab sie sich nicht in ihre Wohnung, sondern zu ihrer Tochter in H, die sich bereiterklärt hatte, die bis zur Genesung erforderliche Pflege zu übernehmen.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 16. Januar 1974 ab, die über die Fahrt vom Krankenhaus zur Wohnung in H hinausgehenden Mehrkosten für die Fahrt nach H zu übernehmen. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 18. September 1974 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 1974 verurteilt, an die Klägerin 128,54 DM zu zahlen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei einer Krankenhausbehandlung müsse die Krankenkasse die Transportkosten des Versicherten von der Wohnung zum Krankenhaus und zurück tragen. Die Krankenkasse müsse aber auch die Kosten des Rücktransportes aus dem Krankenhaus an einen anderen Ort als den Wohnort dann tragen, wenn dies notwendig und zweckmäßig sei. Das werde immer dann der Fall sein, wenn in der Wohnung des Versicherten die erforderliche Betreuung nicht gewährleistet und der Verbringungsort vom Wohnort des Versicherten nicht weit entfernt gelegen sei. Die Klägerin habe nach durchgeführter Unterleibsoperation der weiteren Pflege bedurft. Die erforderliche Pflege habe in der Wohnung der Klägerin nicht gewährt werden können. Ihr Wunsch, sich nach der Entlassung aus der stationären Behandlung zunächst von ihrer Tochter pflegen zu lassen, sei verständlich, vernünftig und zweckmäßig gewesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob eine pflegerische Betreuung mit den gleichen Erfolgsaussichten auch in einem Pflegeheim am Wohnort hätte durchgeführt werden können. Aus wirtschaftlicher Sicht wären die Kosten für einen Aufenthalt im Pflegeheim jedenfalls unvergleichlich viel höher gewesen.
Die Beklagte hat dieses Urteil, in dem die Berufung zugelassen worden ist, mit der Sprungrevision angefochten und eine schriftliche Einverständniserklärung des Unterbevollmächtigten der Klägerin vorgelegt. Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nur verpflichtet, die Kosten für den Rücktransport der Klägerin in ihre Wohnung in H zu tragen. Für die Klägerin hätten im Anschluß an ihre stationäre Behandlung verschiedene Möglichkeiten bestanden, die erforderliche Pflege sicherzustellen. Zunächst wäre die Pflege in ihrer Wohnung durch geeignete Pflegepersonen (Gemeindeschwester, Angehörige freier Wohlfahrtsverbände oder ähnlichen Einrichtungen) möglich gewesen; es hätte aber auch die Möglichkeit einer Pflege in einem Alters- oder Pflegeheim bestanden. Die Klägerin habe sich nur deshalb zu ihrer Tochter in H begeben, weil die anderen möglichen Pflegearten mit erheblichen Unkosten verbunden gewesen wären. Die Kosten für die Pflege, derer Patienten nach beendeter stationärer Krankenhausbehandlung teilweise bedürften, könnten nicht zu Lasten der Krankenversicherung übernommen werden, da sie nicht zur Ermöglichung und sachgemäßen Durchführung der Krankenhilfe gehörten. Derartige Kosten - einschließlich der Kosten des Transports zur Erlangung der notwendigen Pflege - seien von dem Berechtigten selbst bzw. von dem zuständigen Sozialhilfeträger zu tragen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet. Zusätzlich trägt sie noch vor, die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung hätte über den 17. August 1973 hinaus fortbestanden, wenn sich nicht ihre Tochter bereiterklärt hätte, die erforderliche Pflege zu übernehmen. Mindestens hätte sich der Krankenhausaufenthalt um weitere zwei Tage verlängert, weil die Pflege durch eine fremde Person erst hätte organisiert werden müssen, was am Wochenende nur schwer realisierbar gewesen sei. Darüber hinaus hätte die Beklagte prüfen und entscheiden müssen, ob der Klägerin nach § 185 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Hauspflege zu gewähren sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das SG hat die Beklagte mit Recht zur Zahlung der Fahrtkosten in Höhe von 128,54 DM verurteilt.
Nach § 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) führt die Bundesknappschaft die Krankenversicherung nach den Vorschriften der RVO und des RKG durch. Gegenstand der Krankenversicherung bei der Beklagten sind also die im zweiten Buch der RVO vorgeschriebenen Leistungen (§ 179 RVO). Die §§ 182 ff RVO sehen als Leistungen der Krankenhilfe die Beförderung eines Versicherten zum Arzt oder zum Krankenhaus und zurück bzw. die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten nicht ausdrücklich vor. Gleichwohl gehören auch sie - als unselbständige Nebenleistungen - zu der vom Träger der Krankenversicherung zu gewährenden Krankenhilfe, wenn ohne sie die "Hauptleistungen" der Krankenhilfe, insbesondere die ärztliche Behandlung und die Krankenhauspflege nicht erbracht werden können (vgl. BSG in SozR Nr. 42 zu § 182 RVO mit weiteren Hinweisen sowie Urteil des erkennenden Senats vom 29. Januar 1975 - 5 RKn 42/73 -). Wenn auch die Krankenhauspflege selbst bereits mit der Entlassung aus dem Krankenhaus abgeschlossen sein mag, so gehört doch der Weg des Patienten vom Krankenhaus zu seiner Wohnung notwendig zur Durchführung der Krankenhauspflege (vgl. hierzu insbesondere BSG in SozR Nr. 8 zu § 19 BVG). Soweit überhaupt die Benutzung eines Fahrzeugs erforderlich ist, wird es im allgemeinen genügen, wenn dem Patienten die Rückkehr in seinen Haushalt ermöglicht wird. Ausnahmsweise kann die Rückkehr in die Wohnung für den Patienten wertlos sein, z. B. wenn die Wohnung zerstört oder sonst unbenutzbar geworden ist. In solchen Fällen muß der Patient Gelegenheit haben, sich dorthin zu begeben, wo er bis zur Wiederherstellung seiner Wohnung oder zur Gründung einer neuen Wohnung seinen ständigen Aufenthalt nehmen will. Das gilt auch und insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die eigene Wohnung für den Patienten deshalb wertlos geworden ist, weil er in ihr nicht existenzfähig ist. Das SG hat unangefochten und für den Senat nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend festgestellt, daß die Klägerin nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bis zu ihrer vollständigen Genesung der weiteren Pflege bedurfte. Das bedeutet, daß sie zur Durchführung bestimmter, zum Leben notwendiger Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen war. Da sie aber in ihrer Wohnung allein und ohne Hilfe gewesen wäre, hätte sie dieser lebensnotwendigen Verrichtungen entbehren müssen. Die Wohnung war für sie daher wertlos, so daß ein wichtiger Grund dafür vorlag, ihren Aufenthalt nach der Entlassung aus dem Krankenhaus dort zu nehmen, wo die notwendige Wartung und Hilfe gewährleistet waren. Wenn die Klägerin auch nicht die nach § 185 RVO vorgesehene Sachleistung (Hilfe und Wartung durch einen Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pfleger) in Anspruch genommen hat, so zeigt diese Vorschrift doch, daß bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Beschaffung der Hilfe und Wartung nicht ausschließlich Sache des Versicherten ist, sondern auch dem Träger der Krankenversicherung obliegen kann. Verschafft sich der Versicherte die notwendige Hilfe und Wartung selbst an einem anderen als an seinem Wohnort, so kann sich der Träger der Krankenversicherung für die Erstattung der Fahrtkosten bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht darauf berufen, die Beschaffung der notwendigen Wartung und Pflege sei Sache des Versicherten. Ein wichtiger Grund für die Selbstbeschaffung der notwendigen Hilfe und Wartung an einem anderen als dem Wohnort liegt jedenfalls dann vor, wenn die selbstbeschaffte Hilfe und Wartung im Verhältnis zu anderen Möglichkeiten die billigste und zweckmäßigste ist. Allerdings dürfen die Kosten der Fahrt nicht unangemessen hoch sein, sondern müssen in einem angemessenen Verhältnis zu der vom Träger der Krankenversicherung zu erbringenden Hauptleistung stehen. Der Versicherte darf sich also nicht zum Zwecke der Selbstbeschaffung der notwendigen Hilfe und Wartung an einem von seinem Wohnort unverhältnismäßig weit entfernten Ort begeben, sondern muß die Hilfe und Wartung in der näheren Umgebung seines Wohnortes suchen.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin von der billigsten und zweckmäßigsten Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich die notwendige Hilfe und Wartung zu verschaffen. Es lag für sie nahe, sich in die Wohnung ihrer zur Pflege bereiten Tochter zu begeben, zumal die Entfernung von H nach H nicht sehr groß ist und die Mehrkosten für die Fahrt verhältnismäßig gering sind.
Der Senat hat die danach unbegründete Sprungrevision der Beklagten zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1648777 |
BSGE, 88 |