Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.10.1991) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Unfall der Klägerin vom 13. April 1990 als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.
Die im Jahre 1941 geborene Klägerin ist als Inhaberin einer Gaststätte in Dortmund bei der Beklagten versichert. Ihre Wohnung befindet sich im ersten Stock der Gaststätte. Am 13. April 1990 erlitt sie gegen 15.35 Uhr einen Verkehrsunfall, als sie beim Überqueren der Straße, in der ihre Gaststätte liegt, auf dem Zebrastreifen von einem Pkw angefahren wurde. Sie zog sich Prellungen des linken Ellenbogengelenks, des rechten und linken Fußes und des Schädels, sowie oberflächliche Hautabschürfungen zu. Nach ihrem eigenen Vorbringen hatte sie ihre nachmittägliche „Freistunde” zwischen 14.30 Uhr und 16.30 Uhr dafür genutzt, in der ihrer Gaststätte gegenüberliegenden Eisdiele Kaffee zu trinken. Sie habe auch einmal selbst bedient werden wollen und sich mit Bekannten unterhalten. Ihr Ehemann habe zudem eine Schale mit Schlagsahne für die Kaffeegäste der eigenen Gaststätte aus der Eisdiele mitgenommen. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. August 1990 eine Entschädigung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, da der Aufenthalt in der Eisdiele aus eigenwirtschaftlichen Gründen erfolgt sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Mai 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 1991). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, daß die Klägerin weder auf einem gemäß § 548 Reichsversicherungsordnung (RVO) geschützten Betriebsweg verunglückt sei, noch ein Wegeunfall gemäß § 550 RVO vorliege. Der Weg vom Betrieb zur Nahrungsaufnahme unterliege schon deshalb nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, weil die Klägerin sich auch in ihrer eigenen Gaststätte habe Kaffee zubereiten können und somit keine betriebliche Notwendigkeit bestanden habe, die Eisdiele aufzusuchen. Diese habe die Klägerin lediglich aus dem eigenwirtschaftlichen Grund heraus besucht, auch einmal bedient werden zu wollen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 548 Abs 1 Satz 1 und des § 550 Abs 1 RVO. Sie könne nicht darauf verwiesen werden, sich in ihrem Lokal selbst Kaffee zu kochen. Dies würde eine Benachteiligung von Kleinbetrieben ohne eigene Kantine darstellen, da die Mitarbeiter zur Nahrungsaufnahme diesen Betrieb verlassen müßten, während in Unternehmen mit eigener Kantine der Weg zur Kantine innerhalb des Betriebsgeländes als Betriebsweg versichert sei. Die Nahrungsaufnahme sei im übrigen für sie zwingend erforderlich gewesen, um ihre Arbeitskraft zu erhalten.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 1991 sowie des Sozialgerichts Dortmund vom 22. Mai 1991 und den Bescheid der Beklagten vom 6. August 1990 aufzuheben und festzustellen, daß die am 13. April 1990 erlittenen Gesundheitsstörungen „Schädelprellung und Prellung des linken Ellenbogens, des rechten und linken Fußes” Folgen eines Arbeitsunfalles sind.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend. Der zur Einnahme einer Mahlzeit unternommene Weg in eine Gaststätte unterliege dem Versicherungsschutz nur insoweit, als er zur unmittelbaren Erhaltung der Arbeitskraft notwendig sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das LSG festgestellt, daß die Klägerin am 13. April 1990 keinen Arbeitsunfall erlitten hat.
Arbeitsunfall ist ein Unfall, den eine Versicherte bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO). Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem der Unfall sich ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Zurechnung) und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also – worauf das LSG zu Recht abgestellt hat – eine wesentliche sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit, hier der Unternehmertätigkeit als Gastwirtin gemäß § 543 Abs 1 RVO, bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, die betreffende Verrichtung der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 58, 76, 77; 63, 273, 274; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 82 und 97; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 5).
Die Urteile von SG und LSG stimmen mit der nicht umstrittenen allgemeinen Ansicht überein, wonach die Nahrungsaufnahme und ihr gleichgestellt das Trinken im allgemeinen dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen sind (BSGE 12, 247, 249; BSG SozR 2200 § 548 Nr 97; BSG SozR Nr 41 zu § 542 RVO aF und Nr 26 zu § 543 RVO aF; weitere Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 481c und 481d; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, § 548 RdNr 47; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Kennzahl 105, S 14 ff). Nur beim Vorliegen „außergewöhnlicher Begleitumstände” (BSG, Urteil vom 7. März 1969 – 2 RU 264/66 – Breithaupt 1969, 755, 756) können die Nahrungsaufnahme und das Trinken als betriebs- bzw unternehmensbedingt gewertet werden (BSG SozR 2200 § 548 Nrn 68, 73, 82 und 86, SozR Nr 41 zu § 542 RVO aF; BSG, Breithaupt 1969, 755).
Das LSG, dessen Sachverhaltsfeststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden sind und die daher den Senat gemäß § 163 SGG binden, hat jedoch keine solchen außergewöhnlichen Umstände ermittelt, die einen inneren Zusammenhang des Besuchs der Eisdiele durch die Klägerin mit ihrer Unternehmertätigkeit herstellen.
Zu Recht hat das LSG auch entschieden, daß die Klägerin nicht auf einem Betriebsweg (s BSGE 45, 254, 256; SozR 2-2500 § 539 Nr 6) verunglückt ist. Nach ihren eigenen Angaben besorgte und trug der Ehemann der Klägerin die Schale mit Schlagsahne für das Unternehmen. Eine unternehmensbedingte Notwendigkeit, ihren Ehegatten beim Sahnekauf zu begleiten, hat die Klägerin selbst nicht dargetan. Mithin kann auch die Tatsache, daß ihr Ehegatte möglicherweise einen Betriebsweg zurücklegte, zugunsten der Klägerin jedenfalls keinen Versicherungsschutz gemäß § 548 Abs 1 iVm § 543 RVO begründen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann aber, auch wenn die Einnahme einer Mahlzeit oder das Trinken selbst wesentlich allein dem privaten und damit unversicherten Bereich zuzuordnen sind, auf den Wegen zur Einnahme der Mahlzeit oder zum Trinken Versicherungsschutz nach § 550 RVO bestehen (BSG SozR Nr 26 zu § 543 RVO aF; zahlreiche Nachweise bei Brackmann aaO, S 486i I, 486k). Der Versicherungsschutz ist auf Wegen zur Nahrungsaufnahme außerhalb der Arbeitsstätte nicht dadurch ausgeschlossen, daß im Betrieb eine Werkskantine eingerichtet ist. Es steht dem Versicherten grundsätzlich frei, das Essen an dem ihm genehmen Ort einzunehmen (BSGE 50, 100, 101; BSG SozR 2200 § 550 Nr 28, BSG SozR 2200 § 548 Nr 33; Brackmann, aaO, S 486k). Insofern durfte der Klägerin Versicherungsschutz – entgegen der Auffassung des LSG – nicht deshalb versagt werden, weil sie sich auch in ihrer eigenen Gaststätte hätte Kaffee kochen können. Diese Tatsache könnte allenfalls maßgeblich werden, wenn die zum Kaffeetrinken aufgesuchte Eisdiele unverhältnismäßig weit entfernt vom Ort der Tätigkeit gelegen hätte (s hierzu insbesondere BSG SozR 2200 § 548 Nr 33).
Dennoch ist hier unter Anwendung der vom erkennenden Senat insbesondere in seinem Urteil vom 6. Dezember 1989 (BSG SozR 2200 § 548 Nr 97) aufgestellten Grundsätze der Weg der Klägerin von der Eisdiele zu ihrer Gaststätte als unversichert zu bewerten. In dieser, auch vom LSG in bezug genommenen Entscheidung, hat der Senat den Versicherungsschutz für Wege zur Nahrungsaufnahme, die über das Betriebsgelände hinausgehen, bejaht, soweit zwei Voraussetzungen kumulativ gegeben sind. Zum einen muß der Weg zur Nahrungsaufnahme durch die versicherte Tätigkeit außerhalb des häuslichen Bereichs betriebsbedingt gewesen sein, zum anderen muß die Nahrungsaufnahme selbst zumindest mittelbar von einem betriebsbedingten Handlungsziel wesentlich bestimmt sein. Die mittelbare wesentliche Betriebsbedingtheit der Nahrungsauf-nahme und der hierfür zurückgelegten Wege von und nach dem Ort der Tätigkeit bejaht der Senat, da Essen und Trinken regelmäßig unaufschiebbare, notwendige Handlungen darstellen, die jedenfalls mittelbar es erst ermöglichen, daß der Versicherte die aktuelle betriebliche Tätigkeit fortsetzen kann. Aus diesem Zusammenhang wird deutlich, daß nicht jeder Nahrungsaufnahme und nicht jedem Trinken sowie nicht jedem hierfür zurückgelegten Weg diese Tendenz innewohnt, vielmehr im Einzelfall abzuwägen ist, ob die konkrete Verrichtung des Essens oder Trinkens und des damit verbundenen Weges zumindest mittelbar dem Betrieb bzw dem Unternehmen der Klägerin dienen konnte.
Nach den Feststellungen des LSG und den im angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Angaben der Klägerin hatte sich die Klägerin in der Eisdiele mit Bekannten unterhalten wollen. Sie hatte zudem den Wunsch, auch einmal bedient zu werden. Die Klägerin war daher motiviert von dem Bestreben, die Zeit zwischen ihrer versicherten Tätigkeit in einer besonderen Atmosphäre zu verbringen. Eine irgendwie geartete unternehmensbezogene Notwendigkeit, Kaffee zu sich zu nehmen, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Zwar ist auch die Entspannung und die Einnahme von Genußmitteln möglicherweise für das Unternehmen der Klägerin förderlich, jedoch reicht dieses eher allgemeine Interesse nicht dafür aus, die erforderliche Beziehung zu der versicherten Tätigkeit herzustellen (vgl auch BSG, Urteil vom 29. Mai 1984 – 5a RKnU 1/83 – HV-Info 1984, Nr 15, S 28 bis 31; Brackmann aaO S 481h II). Auch Tätigkeiten im Rahmen der Freizeitgestaltung müssen eine wesentliche innere Beziehung zur versicherten Tätigkeit aufweisen, um dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu unterfallen (grundlegend BSG SozR 2200 § 539 Nr 100, § 550 Nr 62; Brackmann aaO S 481h II).
Wie in der Entscheidung des Senats vom 6. Dezember 1989 (SozR 2200 § 548 Nr 97) bereits zum Ausdruck gebracht wurde, stellen Wege zum Essen und Trinken nur „regelmäßig” (aaO, S 275) unaufschiebbare Handlungen dar, um die Arbeitskraft des Versicherten zu erhalten, so daß sich die dort genannten Grundsätze an dem Regelfall einer „normalen Mahlzeit” orientieren. Diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat bereits der 8a Senat des BSG im Jahre 1980 herausgestellt (Urteil vom 26. Juni 1980 – 8a RU 36/79 – USK 80107), indem er zwar den Versicherungsschutz auf den Wegen zu einer Gaststätte – wie auch der erkennende Senat – bejaht, sodann jedoch feststellt, daß kein Versicherungsschutz bestünde, „wenn der Beschäftigte eine bestimmte Gaststätte aufsucht, ohne daß die Einnahme der üblichen Mahlzeit dafür der wesentliche Grund ist” (aaO, S 506). Entsprechend liegen die Verhältnisse im vorliegenden Falle. Die Klägerin hat sich am Nachmittag zu einem Treffen und Gespräch mit Bekannten in die Eisdiele begeben. Daher stand der Weg zur „Kaffeestunde” der Klägerin hier in einem so entfernten Zusammenhang zu ihrer unternehmerischen Tätigkeit, daß auch der erforderliche mittelbare Unternehmensbezug nicht mehr gegeben war. Dieser wäre allenfalls bei einem Weg zu einer üblichen oder im Einzelfall sonst unaufschiebbaren Nahrungsaufnahme gegeben gewesen, die zumindest mittelbar ein Weiterarbeiten der Klägerin erst ermöglicht hätte. Somit befand sich die Klägerin auch unter Anwendung der Grundsätze des Urteils vom 6. Dezember 1989 (aaO) nicht auf einem versicherungsrechtlich geschützten Weg zur Nahrungsaufnahme.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen