Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 19.03.1991) |
SG Kiel (Entscheidung vom 14.03.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. März 1991 und des Sozialgerichts Kiel vom 14. März 1990 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1987 aufgehoben.
Die Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Kläger betrieben bzw betreiben als zugelassene Kassenärzte (jetzt: Vertragsärzte) eine Gemeinschaftspraxis für Laboratoriumsmedizin im Bereich der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV). Mit Bescheid vom 16. Januar 1987 kürzte diese auf der Grundlage einer Honorarbegrenzungsregelung ihres Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) das kassenärztliche Honorar der Kläger für das Quartal III/86 wegen übermäßiger Ausdehnung kassenärztlicher Tätigkeit um 6.721,25 DM.
Widerspruch, Klage und Berufung der Kläger sind erfolglos geblieben. Im angefochtenen Urteil vom 19. März 1991 hat das Landessozialgericht (LSG) im wesentlichen ausgeführt, § 11 Abs 7 HVM, der den für Laborärzte geltenden Honorargrenzbetrag von der durchschnittlichen Honorarauszahlung im Bereich der Beklagten abhängig mache, sei rechtmäßig. Die Vorschrift verstoße weder gegen § 368f Abs 1 Satz 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch gegen Art 3 Abs 1 und 12 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Zwar erscheine für die verhältnismäßig kleine Gruppe von nur 16 Laborärzten in Schleswig-Holstein die Anwendung statistischer Methoden wegen der Gruppengröße nicht zweifelsfrei. Eine praktikable Alternative bestehe jedoch für die Beklagte nicht. Nicht zu beanstanden sei auch, daß in § 11 Abs 7 HVM der bei der Ermittlung des Honorargrenzbetrages abzuziehende Praxiskostenanteil auf 75 vH begrenzt werde. Aufgrund der unterschiedlichen wissenschaftlich fundierten Berechnungen über die Praxiskosten von Laborärzten halte sich die Beklagte mit dieser Festlegung im Rahmen des ihr eingeräumten Gestaltungsspielraumes, zumal der Praxiskostenanteil ab 1. Oktober 1988 auf 80 vH festgesetzt worden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für eine nach Art 3 Abs 1 GG relevante Ungleichbehandlung der Kläger gegenüber anderen Laborärzten in Schleswig-Holstein vor. Zwar würden etwa 2/3 aller Laborärzte im Bereich der Beklagten regelmäßig gekürzt. Darunter befänden sich aber auch Einzelpraxen. Die Praxis der Kläger werde deshalb prinzipiell nicht anders als jede andere laborärztliche Praxis behandelt. Auch der Einwand der Kläger, der Einzugsbereich ihrer Patienten liege vornehmlich im Raum Hamburg und Niedersachsen, wo keine dem § 11 HVM entsprechenden Regelungen gälten, könne für sie keine günstigere Rechtsfolge begründen. Maßgeblich für ihre Unterstellung unter die Satzungsregelungen der Beklagten sei ihre Zugehörigkeit zu dieser Körperschaft. Die weiter geltend gemachten Praxisbesonderheiten seien im Rahmen einer Kürzung nach § 11 HVM ohne Bedeutung.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie tragen im wesentlichen vor, § 11 Abs 7 HVM verletze Art 12 Abs 1 Satz 2 GG, weil danach die Honorarbegrenzung von statistischen Werten abhängig sei. Die Anzahl von nur 16 Laborärzten im Bereich der Beklagten lasse aber eine statistisch verwertbare Aussage für die Honorarverteilung und -begrenzung nicht zu. Soweit § 11 Abs 7 HVM den Praxiskostenanteil generell auf 75 vH des ausgezahlten Honorars festlege, habe die Beklagte ebenfalls den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum rechtswidrig überschritten. Eine Pauschalierung des Praxiskostenanteils hätte vielmehr eine vorherige Untersuchung der jeweiligen Praxiskosten der von der Honorarbegrenzung betroffenen Laborärzte erforderlich gemacht. Die fragliche Vorschrift sei darüber hinaus nicht geeignet, eine übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit zu verhindern. Das zeige sich schon darin, daß regelmäßig 2/3 aller Laborärzte in Schleswig-Holstein gekürzt würden. Die Regelung verstoße auch gegen Art 3 Abs 1 GG, weil sie zum einen Einzelpraxen und Gemeinschaftspraxen gleichbehandele und zum anderen nicht berücksichtige, daß sie, die Kläger, Leistungen auch für Versicherte aus Bereichen anderer KÄVen erbrächten, bei denen eine Honorarbegrenzung nicht stattfinde.
Die Kläger beantragen,
die Urteile des Sozialgerichts Kiel vom 14. März 1990 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. März 1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1987 aufzuheben,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt im einzelnen vor, im Unterschied zu den Regelungen für die anderen Arztgruppen habe bei den Laborärzten wegen der geringen Zahl dieser Arztgruppe eine statistische Festlegung von Grenzwerten nicht erfolgen können. Deshalb seien andere Maßstäbe zur Verhütung übermäßiger Ausdehnung kassenärztlicher Tätigkeit herangezogen worden. Dies sei auch deshalb erforderlich gewesen, weil bei den Laborärzten im Verhältnis zu allen anderen Arztgruppen erheblich höhere Praxiskosten anfielen. Vor diesem Hintergrund sei § 11 Abs 7 HVM rechtmäßig. Nicht beanstandet werden könne auch, daß der Praxiskostenanteil auf seinerzeit 75 % des ausgezahlten Honorars festgelegt worden sei. Dem lägen statistische Erhebungen des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung in Köln zugrunde, das bei Laborärzten im Jahre 1979 einen Praxiskostenanteil von 69,7 % ermittelt habe. Dieser Praxiskostenanteil sei inzwischen (mit Wirkung ab 1. Oktober 1988) auf 80 % angehoben worden. Zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme könne auch nicht führen, daß die Kläger mit ihrer Gemeinschaftspraxis im Nahbereich der Freien und Hansestadt Hamburg und des nördlichen Niedersachsen tätig seien, ohne daß es in den HVM der zuständigen KÄVen Begrenzungsregelungen gebe. Jeder Kassenarzt müsse die innerhalb seines KÄV-Bereiches bestehenden jeweiligen Regelungen, die durchaus differieren könnten, gegen sich gelten lassen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Kläger ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgericht (SG) zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1987 ist mangels hinreichend bestimmter Rechtsgrundlage rechtswidrig.
Die in dem Bescheid vorgenommene Honorarbegrenzung erging in Anwendung der Begrenzungsregelung des § 11 HVM der Beklagten. Für die Laborärzte bestimmt Abs 7 der Vorschrift, daß – abweichend von den für die übrigen Arztgruppen geltenden Bestimmungen der Abs 1 bis 4 und 6 – eine übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit angenommen wird, wenn die Honoraranforderung nach Abzug eines Praxiskostenanteils von 75 % das Zweifache von 52 % der durchschnittlichen Honorarauszahlung aller Kassenärzte im Bereich der Beklagten (Gesamtdurchschnitt) übersteigt. Honoraranforderungen, die den so errechneten Grundbetrag überschreiten, werden nicht vergütet. Ergänzend hierzu hat das LSG in Anwendung des § 11 Abs 1 Buchst b HVM festgestellt, daß Honorarbegrenzungen auch insoweit nicht erfolgen, als die Fallzahl des Arztes geringer ist als 150 vH der Durchschnittsfallzahl aller Laborärzte (im Quartal).
Bei dem HVM der Beklagten, einer Satzung, handelt es sich um nichtrevisibles Recht; denn sein Geltungsbereich erstreckt sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus (§ 162 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Feststellung der Vorinstanz über das Bestehen und den Inhalt nichtrevisiblen Rechts bindet das Revisionsgericht (für einen HVM zB: BSG SozR 2200 § 368f Nr 8 S 15; Nr 15 S 61). Das Revisionsgericht kann nichtrevisibles Recht auch nicht anders auslegen als das Tatsachengericht (vgl zB BVerwGE 56, 308, 309). Allerdings steht vorliegend die Auslegung des nichtrevisiblen Rechts in offensichtlichem Widerspruch zu seinem festgestellten Wortlaut. Nach dem vom LSG herangezogenen § 11 Abs 1 Buchst b HVM erfolgt eine Honorarbegrenzung nämlich nicht, sofern die Fallzahl des betroffenen Arztes geringer ist als 150 vH der Durchschnittsfallzahl der betreffenden Gruppe im Quartal. Dem angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, daß sich die Durchschnittsfallzahl der Laborärzte im Quartal III/86 auf 2.687 und die Grenzfallzahl auf 4.300 belief. Die Kläger erreichten in diesem Quartal aber nur eine Fallzahl von 2.402 pro Arzt (Gesamtfallzahl 12.010), so daß danach die Voraussetzungen für eine Honorarbegrenzung nicht gegeben waren. Das LSG hätte schon auf der Grundlage des von ihm festgestellten nichtrevisblen Rechts den angefochtenen Bescheid als rechtswidrig aufheben müssen. Die Beklagte selbst versteht jedoch § 11 Abs 7 ihres HVM als eigenständige Regelung für Laborärzte, die sich nicht auf die allgemeine Vorschrift des § 11 Abs 1 HVM bezieht. Danach kommt es bei Laborärzten auf das Überschreiten einer Grenzfallzahl nicht an. Dieses Verständnis legt auch der Wortlaut der Regelung nahe. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann es allerdings offen bleiben, ob das Revisionsgericht an eine in sich widersprüchliche Feststellung und Auslegung nichtrevisiblen Rechts gebunden ist; denn der angefochtene Bescheid erweist sich aus anderen Gründen als rechtswidrig. Die ihm zugrundeliegende Regelung des § 11 Abs 7 HVM verstößt gegen höherrangiges (Bundes-) Recht.
Nach der hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO (nunmehr § 85 Abs 4 S 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫) sollte der – von der KÄV im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen festzusetzende – HVM „zugleich sicherstellen, daß eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes verhütet wird”. Die Norm diente dem Ziel, eine sorgfältige und gründliche Behandlung der Patienten durch eine persönliche Tätigkeit des Kassenarztes zu gewährleisten (stRspr; vgl zB BSGE 22, 218, 220 ff = SozR Nr 4 zu § 368f RVO; BSG SozR 2200 § 368f Nr 6 S 10; Nr 8 S 19; Nr 14 S 48). Die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigte Regelung ermöglichte Eingriffe in den durch Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG gesicherten Grundrechtsbereich des betreffenden Kassenarztes. Die auf § 368f Abs 1 Satz 5 RVO gestützten Eingriffsbefugnisse untergesetzlicher Rechtsnormen durften aber, um insgesamt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Berufsausübungsregelungen zu genügen, die Grenze des Zumutbaren für den Betroffenen nicht überschreiten; die gewählten Mittel mußten zudem für das Erreichen des verfolgten Zweckes geeignet und erforderlich sein (zum Ganzen: BVerfGE 33, 171, 187; BSG SozR 2200 § 368f Nr 15 S 63 ff, mwN; BSG USK 88196, S 987).
§ 368f Abs 1 Satz 5 RVO ließ zur Erreichung des Zweckes einer Begrenzung übermäßiger Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit auch Regelungen zu, aufgrund derer die Vergütung des betroffenen Kassenarztes gekürzt, also sein im übrigen ordnungsgemäß erarbeitetes Honorar beschnitten wird (BVerfGE 33, 171, 187; BSG SozR 2200 § 368f Nr 14 S 47). Derartige Begrenzungsregelungen mußten aber dem sich aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG ergebenden Differenzierungsgebot genügen. Danach sind bei Berufsausübungsregelungen die Unterschiede zu berücksichtigen, die typischerweise innerhalb der Berufsgruppe bestehen (BVerfGE aaO, 188; BSG SozR aaO S 50). Bereits unter diesem Gesichtspunkt können sich Bedenken gegen die in Frage stehende Vorschrift des § 11 Abs 7 HVM ergeben. Die Regelung stellte nicht – wie es das Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ (aaO) für erforderlich gehalten hat – iS einer gebotenen Differenzierung auf das Durchschnittshonorar oder die Durchschnittsfallzahl der jeweiligen Arztgruppe, hier also der Laborärzte, ab. Der in ihr festgelegte Grenzbetrag, dessen Überschreitung zur Kürzung der Honorarforderung berechtigt, knüpfte – nach Abzug eines Praxiskostenanteils – vielmehr an die durchschnittliche Honorarauszahlung an alle Kassenärzte im Bereich der Beklagten an. Es ist zumindest fraglich, ob dieses Durchschnittshonorarvolumen Rückschlüsse auf eine übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit bei Laborärzten zuläßt (vgl zu dem Erfordernis der Differenzierung bei den Grenzwerten nach Arztgruppen BSG SozR aaO Nr 14 S 56). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist jedoch ein einheitlicher Grenzbetrag für alle Kassenärzte dann mit dem Gleichheitssatz vereinbar, wenn er entsprechend hoch bemessen wird und/oder Sonderregelungen für bestimmte Fachgebiete oder Leistungsarten den unterschiedlichen Verhältnissen ausreichend Rechnung tragen (vgl zuletzt BSG USK 88196, S 988). Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob diese Voraussetzungen hier deshalb vorliegen, weil bei der Prüfung einer übermäßigen Ausdehnung laborärztlicher Tätigkeit vom erwirtschafteten Honoraranspruch ein Praxiskostenanteil von 75 vH abgezogen und der Honoraranteil auf das Zweifache von 52 vH der Durchschnittshonorarauszahlung an alle Kassenärzte im Bereich der Beklagten festgelegt wird. Der Verstoß des § 11 Abs 7 HVM gegen höherrangiges Recht ergibt sich schon aus einem anderen Grund.
§ 368f Abs 1 Satz 5 RVO stellte, wie ausgeführt, eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für solche untergesetzlichen Normen dar, die als Rechtsfolge übermäßiger Praxisausdehnung zu Honorarkürzungen, somit zu Eingriffen in die Freiheit der Berufsausübung des Arztes, berechtigen. Wie schon der Wortlaut der Vorschrift zeigt, bestand ihre Zielrichtung nicht darin, eine eingetretene übermäßige Ausdehnung im nachhinein zu sanktionieren, sondern darin, dieser schon im Ansatz – präventiv – entgegenzuwirken (so bereits BSG SozR 2200 § 368f Nr 6 S 10; Stiller, Der Honoraranspruch des „überbeschäftigten” Kassenarztes, 1992, S 68). Normzweck war mithin, die Praxisführung des Kassenarztes im Blick auf dessen künftiges Verhalten zu beeinflussen (BSG USK 8364, S 290). Eine dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechende Umsetzung in einem HVM gebot daher eine Festlegung von Grenzbeträgen in der Weise, daß sich der Arzt von vornherein darauf einstellen konnte, von welchen Grenzbeträgen ab eine übermäßige Ausdehnung seiner kassenärztlichen Tätigkeit iS des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO vorliegen würde (vgl dazu unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns: BSG USK 8364, S 290). Das aber setzt seinerseits voraus, daß der maßgebende Grenzbetrag für ihn schon zu Beginn seiner Arbeit – und nicht erst danach – hinreichend bestimmt oder zumindest hinreichend bestimmbar war. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied des Wesens der Honorarbegrenzung wegen übermäßiger kassenärztlicher Tätigkeit im Verhältnis zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungs- bzw Verordnungsweise, die bei der sog statistischen Methode auf die Überschreitung von – erst im nachhinein zu ermittelnden – statistischen Durchschnittswerten abhebt; denn diese Vergleichswerte sollen dem Arzt gerade nicht dazu dienen, sein Verhalten an ihnen auszurichten. Sie sind vielmehr der Maßstab zur nachträglichen Überprüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungs- oder Verordnungsweise.
Regelungen eines HVM, die der Notwendigkeit einer vorherigen Festlegung von Grenzbeträgen nicht gerecht wurden, waren durch die Ermächtigungsgrundlage des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO nicht gedeckt. Sie verstießen gegen das sich aus Art 12 Abs 1 GG ergebende Gebot der Geeignetheit des Mittels, mit dem in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung des Arztes eingegriffen wurde. Zu diesem Ergebnis führt schon – im Umkehrschluß – die Entscheidung des BVerfG vom 10. Mai 1972 (BVerfGE 33, 171, 187), wenn in dem damals zu entscheidenden Rechtsstreit die nachträgliche Vergütungskürzung deshalb als taugliches Mittel gewertet wurde, weil es den Kassenärzten in Kenntnis der Vorschrift des HVM und der tatbestandsmäßig deutlichen Ertragsstaffel möglich war, „ihre Tätigkeit im voraus in der erforderlichen Weise einzuschränken”. Honorarbegrenzungsregelungen, die gegen das Gebot der vorherigen Festlegung von Grenzbeträgen verstoßen, waren damit mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtlich unwirksam (iE ebenso Henke in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 85 SGB V RdNr 48; Stiller in: GK – SGB V, § 85 RdNr 65; noch zurückhaltender ders, Der Honoraranspruch, S 161).
§ 11 Abs 7 HVM der Beklagten entspricht den aufgezeigten Anforderungen nicht. Der für die Berechnung des Grenzbetrages mitbestimmende Arzthonoraranteil wurde gemäß Buchstabe c) nach der durchschnittlichen Honorarauszahlung aller Kassenärzte im Bereich der Beklagten (dem Gesamtdurchschnitt) berechnet. Damit stand zwar für die rein rechnerische Durchführung einer Honorarbegrenzung abstrakt fest, bis zu welchem Grenzbetrag eine kassenärztliche Tätigkeit nicht „übermäßig” iS des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO war, eine Minderung des Honorars also nicht in Betracht kam. Diese Gewißheit der Begrenzung ergab sich aber erst nach Ablauf des jeweiligen Abrechnungszeitraums, weil die Honorarauszahlung aller Kassenärzte faktisch nicht früher beziffert werden konnte. Der Norm konnte somit nicht, wie für die gesetzlich bezweckte Vorbeugung notwendig war, im voraus entnommen werden, wo die maßgebende Schnittstelle zwischen übermäßiger und nicht übermäßiger Ausdehnung der ärztlichen Tätigkeit lag; dem Arzt war es nicht möglich, sich in der Führung seiner Praxis an die gesetzlich beabsichtigte quantitative Vorgabe zu halten.
Der Senat hat zwar in seiner bisherigen Rechtsprechung zu diesem Fragenkreis das Erfordernis der vorherigen Festlegung von Grenzbeträgen nicht in den Vordergrund gestellt, zumal sich bei den Entscheidungen, die ähnliche Fallgestaltungen betrafen (vgl BSG SozR 2200 § 368f Nr 6 und Nr 8), die einschlägigen Regelungen von der hier zu überprüfenden unterschieden und es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht darauf ankam. Der Senat hat jedoch schon in anderem Zusammenhang auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit einer Honorarbegrenzung hingewiesen (BSG USK 8364, S 290, 291) und hervorgehoben, daß die Festlegung genau bestimmter Punkt- und Fallzahlengrenzbeträge für jeden Kassenarzt klare Verhältnisse schafft (BSG SozR 2200 § 368f Nr 8 S 19).
Für die Geeignetheit der nachträglichen Festsetzung von Grenzbeträgen auf der Grundlage von Durchschnittswerten kann nicht ins Feld geführt werden, daß sich der Arzt an den Grenzbeträgen früherer Quartale orientieren könne (s dazu auch Stiller, Der Honoraranspruch, S 160 f). Diese geben – bedingt durch die Schwankungen der durchschnittlichen Honorarauszahlungen von Quartal zu Quartal – keinen geeigneten Anhaltspunkt und Maßstab dafür ab, ab welchem Grenzbetrag eine übermäßige Praxisausdehnung vorliegt. Das zeigt bereits der Vergleich mit dem Quartal IV/86. Im Quartal III/86 betrug der durchschnittliche Honorarumsatz aller Kassenärzte der Beklagten 37.247,43 DM, der im Rahmen des § 11 Abs 7 HVM als Grenzbetrag maßgebende Honoraranteil eines Laborarztes also 38.737,32 DM. Aus den vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten ergibt sich ein durchschnittlicher Honorarumsatz im Quartal IV/86 von 38.681,02 DM. Damit hätte sich der Honoraranteil eines Laborarztes auf 40.228,26 DM belaufen. Wäre mithin der durchschnittliche Honorarumsatz des Quartals IV/86 auch im Quartal III/86 zugrunde zu legen gewesen, wäre der Honoraranspruch der Kläger nicht von der Begrenzungsregelung des § 11 Abs 7 HVM erfaßt worden.
§ 11 Abs 7 HVM kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- bzw Erprobungsregelung als rechtmäßig angesehen werden. Danach kann dem Normgeber bei der Regelung komplexer Sachverhalte zunächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen eingeräumt werden (vgl hierzu etwa BSG SozR 2200 § 368f Nr 14 S 50, mwN). Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Beklagte noch im Jahre 1986 aufgrund mangelnder Erfahrung gehindert gewesen wäre, im voraus die Grenzbeträge für eine übermäßige Praxisausdehnung zu bestimmen. Auch die entsprechenden Regelungen in HVMs anderer KÄVen belegen, daß eine vorherige Festlegung möglich und üblich war.
Nach allem waren die Entscheidungen der Vorinstanzen und der angegriffene Honorarbegrenzungsbescheid aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen