Beteiligte
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Landwirtschaftliche Alterskasse Hessen |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. September 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte ab 1. Januar 1995.
Sie ist die Ehefrau des Nebenerwerbslandwirts H K M, der seit dem Jahre 1991 von der Beitragspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse befreit ist.
Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) richtete die beklagte landwirtschaftliche Alterskasse erstmals im Oktober 1994 ein Rundschreiben an die (versicherungspflichtigen und die von der Versicherungspflicht befreiten) landwirtschaftlichen Unternehmer, um die von der neugeschaffenen sogenannten Ehegattenversicherung betroffenen Personen zu erfassen. Dem Rundschreiben waren ua ein „Merkblatt über die eigenständige Sicherung der Bäuerin” sowie ein zur Rücksendung vorgesehener Fragebogen „Prüfung der Versicherungspflicht” beigefügt. Soweit – wie im vorliegenden Fall – keine Rückmeldung erfolgte, wurden im Dezember 1994, im Mai 1995 und nochmals im November 1995 weitere Anfragen an den landwirtschaftlichen Unternehmer sowie an den örtlichen Kreisbauernverband gerichtet. In den danach noch offenen Fällen wandte die Beklagte sich sodann (nach eigenen Angaben) „im Mai/Juni 1996” mit Auskunftsersuchen an die jeweiligen Gemeindeverwaltungen. Auf diesem Weg erlangte die Beklagte schließlich auch Kenntnis davon, daß die Klägerin Ehegattin eines Landwirts war.
Mit Bescheid vom 23. Juli 1996 wandte sich die Beklagte erstmals unmittelbar an die Klägerin und teilte ihr mit, daß gemäß § 1 Abs 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) für sie als Ehegattin eines Landwirts vom 1. Januar 1995 an Versicherungspflicht bestehe. Es wurden eine monatliche Beitragshöhe von DM 291,– für 1995 bzw von DM 311,– für 1996 festgesetzt und ein Beitragsrückstand in Höhe von insgesamt DM 5.669,– errechnet, welcher „umgehend zu überweisen” sei.
Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und beantragte zugleich die dauerhafte Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 85 ALG. Dies lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. August 1996 und Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1996 mit der Begründung ab, daß der Befreiungsantrag erst nach Ablauf der bis zum 30. Juni 1996 bestehenden Antragsfrist gestellt worden und deshalb verspätet sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei gesetzlich ausgeschlossen. Daß man den „Aufnahmebescheid” der Klägerin erst am 23. Juli 1996 und damit erst nach Ablauf der Befreiungsfrist zugestellt habe, sei unerheblich, weil man den landwirtschaftlichen Unternehmer (Ehemann der Klägerin) mehrfach gebeten habe, die entsprechenden Unterlagen zu übersenden. Die Klägerin sei daher nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, den Befreiungsantrag rechtzeitig zu stellen.
Mit Urteil vom 15. Juli 1997 hat das Sozialgericht (SG) Marburg die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, die Klägerin ab dem 1. Januar 1995 von der Versicherungs- und Beitragspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse zu befreien. Die Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 25. September 1998 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle, wie zwischen den Beteiligten auch unstreitig, die Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 85 Abs 3a Nrn 1 bis 3 ALG idF des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (ASRG-ÄndG). Zwar habe sie nicht, wie nach Nr 4 aaO vorausgesetzt, die Befreiung bis zum 30. Juni 1996 bei der Beklagten beantragt. Die Klägerin könne jedoch verlangen, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe sie rechtzeitig den Befreiungsantrag gestellt. Für den Fall, daß wie nach § 85 Abs 3a Satz 2 iVm Abs 3 Satz 3 ALG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist, bleibe der Herstellungsanspruch anwendbar (Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ vom 18. Februar 1997 – 8 C 38/95, NJW 1997, 2966 ff). Im Hinblick auf die Befreiungsmöglichkeit des § 85 Abs 3a ALG mit der relativ engen Begrenzung der Antragsfrist auf den 30. Juni 1996 sei die Beklagte auch gegenüber dem Personenkreis, dem die Klägerin angehöre, verpflichtet gewesen, die Betroffenen mit allem Nachdruck zu ermitteln, zur Beitragszahlung heranzuziehen und hierbei gleichzeitig über die neugeschaffene zusätzliche Befreiungsmöglichkeit zu informieren. Dies gelte auch im Hinblick darauf, daß jene Befreiungsmöglichkeit mit Blick auf verfassungsrechtliche Bedenken geschaffen worden sei. Der Gesetzgeber sei bei Bemessung der Ausschlußfrist zum 30. Juni 1996 offenkundig davon ausgegangen, daß diese Frist dem betroffenen Versicherten die reale Möglichkeit biete, auf der Grundlage des geänderten Rechts eine Entscheidung für und gegen den Austritt aus der Alterssicherung der Landwirte zu treffen. Das der Klägerin mit dem ASRG-ÄndG zugebilligte Gestaltungs-(Befreiungs-)Recht habe zu seiner wirksamen Ausübung nicht nur „logisch” ein bestehendes Pflichtversicherungsverhältnis vorausgesetzt, sondern zumindest praktisch auch, daß die Versicherungs- und Beitragspflicht durch den Versicherungsträger zuvor festgestellt worden sei. Ohne jene Konkretisierung des Versicherungsverhältnisses bestehe für den Versicherten in der Regel kein Anlaß, vorsorglich einen Befreiungsantrag zu stellen. Die von der Beklagten in den Jahren 1994 und 1995 versandten Merkblätter hätten überdies die erst zum 1. Januar 1996 eingeführte Befreiungsmöglichkeit nach § 85 Abs 3a ALG nicht aufführen können; aus jener unvollständig und damit unrichtig gewordenen früheren Information ergebe sich ein „Ingerenzgesichtspunkt”. Insgesamt habe sich für die Beklagte ab dem 1. Januar 1996 die Verpflichtung zur unverzüglichen und intensiven Fortsetzung der Ermittlung und ggf zur individuellen und konkreten Information der Betroffenen ergeben, um diese Personengruppe auch ohne konkretes Beratungsersuchen im Wege der sogenannten Spontanberatung in die Lage zu versetzen, sich ggf befreien zu lassen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte in nicht ausreichendem Maße nachgekommen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung des § 85 Abs 3a ALG; die Klägerin habe den Antrag auf Befreiung nach dieser Vorschrift erst nach Ablauf der Ausschlußfrist des Satzes 1 Nr 4 aaO gestellt. Die Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könnten keine Anwendung finden, da das ALG eine abschließende Regelung enthalte, die die Berücksichtigung eines nachträglich gestellten fristgebundenen Antrags ausschließe. Jedenfalls aber seien die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht erfüllt. Die Beklagte habe gegenüber der Klägerin keine Pflicht verletzt. Ein Herstellungsanspruch wegen Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht nach § 13 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) scheide aus (Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫). Vor dem Hintergrund der Berichte über die neue „Bäuerinnen-Pflichtversicherung” in den Medien habe sich die Beklagte zulässigerweise darauf beschränken können, die bei ihr im Datenbestand geführten Landwirte auf die neue Rechtssituation für einen etwaigen Ehegatten und das diesbezügliche Auskunfts- und Beratungsangebot hinzuweisen. Nach dem Prinzip der formellen Publizität gälten die Gesetze im übrigen grundsätzlich allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie von ihnen tatsächlich Kenntnis erlangt hätten. Die Befreiung von der Versicherungspflicht könne im übrigen nicht als im Sinne der Rechtsprechung „naheliegende Gestaltungsmöglichkeit” aufgefaßt werden, die von jedem verständigen Versicherten genutzt würde. Schließlich fehle es auch an einem sozialrechtlichen Nachteil durch den Fortbestand der Versicherungspflicht der Klägerin. Denn mit der Beitragszahlung korrespondiere eine spätere Leistungsberechtigung; hierbei sei unter Berücksichtigung der Beitragssubvention aus Bundesmitteln von einer angemessenen „Rendite” auszugehen.
Die Beklagte beantragt,
die angefochtenen Entscheidungen des SG und LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Für den Personenkreis, der erst nach Ablauf des 30. Juni 1996 erstmals angeschrieben worden sei, bestehe eine Regelungslücke, die nur durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geschlossen werden könne.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin rückwirkend ab dem 1. Januar 1995 nach § 85 Abs 3a ALG von der Versicherungspflicht zu befreien.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen nach § 85 Abs 3a Satz 1 Nrn 1 bis 3 und Abs 3 Satz 2 Nr 1 ALG: Sie war am 31. Dezember 1994 nicht beitragspflichtig (§ 85 Abs 3a Satz 1 iVm Abs 3 Satz 2 Nr 1), an diesem Tage mit einem zu jenem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte befreiten Landwirt verheiratet (§ 85 Abs 3a Satz 1 Nr 1 ALG), der Wirtschaftswert des betreffenden Unternehmens der Landwirtschaft hatte nach den betrieblichen Verhältnissen am 1. Januar 1995 20.000,– DM nicht überschritten (aaO Nr 2) und der befreite Unternehmer (der Ehemann der Klägerin) hatte im Jahre 1994 Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 40.000,– DM erzielt (Nr 3 aaO).
Im Ergebnis zu Recht haben die Vorinstanzen ferner entschieden, daß dem Befreiungsanspruch der Klägerin die Versäumung der Ausschlußfrist nach § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 4 ALG (30. Juni 1996) nicht entgegensteht. Denn der Ablauf jener Frist kann jenen Betroffenen wie der Klägerin nicht entgegengehalten werden, deren Versicherungspflicht nicht bereits bescheidmäßig festgestellt war. Der Senat wendet insoweit den Rechtsgedanken der Regelung des § 34 Abs 2 Satz 3 iVm Satz 1 ALG auf die hier vorliegende Fallkonstellation an.
Nach Satz 1 und 2 dieser Vorschrift wird der Beitragszuschuß von Anfang an geleistet, wenn der Antrag binnen dreier Monate nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt wird; bei späterer Antragstellung jedoch erst ab dem Antragsmonat. In Satz 3 heißt es dann: „Bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, daß die Frist mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt.” Satz 4 schränkt Satz 3 wiederum für den Fall ein, daß die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung nach § 3 Abs 1 (zB außerlandwirtschaftliches Arbeitsentgelt, Pflege) oder § 85 Abs 3b ALG (übergangsrechtliche Befreiungsmöglichkeit für „Neubäuerinnen”, solange eine Wirtschaftswertgrenze unter- und eine Erwerbseinkommensgrenze überschritten wird) rückwirkend festgestellt wird: Dann setzt die Anwendung des Satzes 3 voraus, daß die Frist nach Satz 1 aus Gründen versäumt wurde, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat.
Diese Vorschrift trägt dem grundlegenden Umstand Rechnung, daß der Beitragszuschuß des § 32 ALG entsprechend seinem Zweck notwendigerweise die Beitragspflicht in der Alterssicherung der Landwirte voraussetzt. Solange nicht geklärt ist und feststeht, daß diese Beitragspflicht besteht, fehlt ein sinnvoller Anlaß, den betreffenden Beitragszuschuß zu beantragen. Die Beitragspflicht in der Alterssicherung der Landwirte ist aber von Anfang an und nach wie vor von so vielen verschiedenartigen Voraussetzungen abhängig, daß es für Personen, die auf diesem Rechtsgebiet keine Erfahrung haben, schwierig ist zu erkennen, ob Beitragspflicht besteht oder nicht. Es ist in erster Linie dieser Vertrauensschutz des Landwirts, den § 34 Abs 2 Satz 3 ALG meint. Die landwirtschaftsrechtlich Unerfahrenen werden mit der Regelung geschützt, daß bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht die Antragsfrist nicht schon von dem Kalendermonat an beginnt, in dem die Beitragspflichtvoraussetzungen erfüllt sind, sondern erst dann, wenn die landwirtschaftliche Alterskasse ihren Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht bekannt gegeben hat. Nach § 34 Abs 2 Satz 3 ALG kann der Betroffene darauf vertrauen, daß ihm auch bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht eine dreimonatige Antragsfrist zur Verfügung steht, um wenigstens in den Genuß des Beitragszuschusses zu gelangen (Kommentar zur Alterssicherung der Landwirte, herausgegeben vom Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, § 34 S 1.2 zu Abs 2 Satz 3).
Nicht weniger gewichtig ist die dadurch gewahrte Einhaltung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG). Die Regelung vermeidet es, solche Personen zu bevorzugen, die noch so rechtzeitig einen Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht erhalten haben, daß sie die Antragsnotwendigkeit erkennen und noch vor Ablauf der allgemeinen Antragsfrist den Beitragszuschuß beantragen konnten.
Nach dem Sinnzusammenhang des ALG, wie er sich aus dessen Zwecken und dem in § 34 Abs 2 Satz 3 und 4 ALG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken ergibt (vgl Larenz, Die Sinnfrage in der Rechtswissenschaft, Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz Wieacker, 1978, S 411 ff, 422), erscheint es dem Senat gerechtfertigt, diesen Rechtsgedanken auch auf die Antragsfälle des § 85 Abs 3a und Abs 3 ALG zu übertragen; sie betreffen Sachverhalte, die von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des ALG an nur noch übergangsweise auftreten können (§ 82 ALG).
Mehr noch als in den Beitragszuschußfällen des § 34 Abs 2 Sätze 3 und 4 ALG sind in den Übergangsfällen des § 85 Abs 3a und 3 ALG die betroffenen Versicherungspflichtigen einer Fülle von gesetzlichen Neuregelungen ausgesetzt, die von Laien auf diesem Fachgebiet nur schwer zu durchschauen sind. Dazu gehört vor allem auch die neu eingeführte eigenständige Versicherungspflicht von Landwirtsehegatten. Wie wichtig es dem Gesetzgeber grundsätzlich ist, in rechtlich schwer zu durchschauenden Verhältnissen (Stichwort: Scheinselbständigkeit) den Versicherten vor Nachteilen zu schützen, die ihn bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht träfen, zeigen auch die Regelungen in den §§ 7b und 7c Sozialgesetzbuch, Viertes Buch, idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1999 (BGBl 2000 I 2). In dieselbe Richtung weist auch der Kommentar des Gesamtverbandes der landwirtschaftlichen Alterskassen zur Alterssicherung der Landwirte (Anm zu § 3 Abs 2, S 6.1. Stand: 1997). Er befürwortet die analoge Anwendung des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG im Rahmen des § 3 Abs 2 ALG (Drei-Monats-Frist für den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1 ALG).
Der Senat läßt es hier ausdrücklich offen, ob auch die Übertragung des Rechtsgedankens aus § 34 Abs 2 Sätze 3 und 4 ALG auf die Antragsfälle des § 3 Abs 2 ALG gerechtfertigt ist. Immerhin ist nicht zu übersehen, daß die Antragsfristen nach § 85 Abs 3 Satz 2 Nr 3 ALG (bis zum 31. März 1996, unter Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) und § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 4 ALG (bis zum 30. Juni 1996, unter Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zwar anders ausgestaltet sind, dennoch die Grundsituation mit derjenigen des § 3 Abs 2 ALG übereinstimmt: In beiden Fällen erfüllen nach dem Gesetz grundsätzlich Versicherungspflichtige gleichzeitig die Voraussetzungen für ein ihnen zustehendes Gestaltungsrecht, nämlich für die Befreiung von jener Versicherungspflicht; ebenso haben die Betroffenen in beiden Fällen gleichermaßen noch keine Bestätigung jener Versicherungspflicht von der hierfür zuständigen Behörde, nämlich der landwirtschaftlichen Alterskasse.
Der Senat sieht jedenfalls in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Antragsfrist für die Befreiung im Rahmen des § 3 Abs 2 ALG einerseits und im Rahmen des § 85 Abs 3 und 3a ALG andererseits keinen Anlaß, die Anwendung des Rechtsgedankens des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG bei § 85 Abs 3a ALG von vornherein auszuschließen. Zwar handelt es sich im Rahmen des § 3 Abs 2 ALG ebenso wie bei § 34 Abs 2 ALG grundsätzlich um eine individuelle Drei-Monats-Frist nach Eintritt der Voraussetzungen (für den Beitragszuschuß bzw die Befreiung). Demgegenüber wird in § 85 Abs 3 und Abs 3a eine datumsmäßig fixierte Ausschlußfrist (30. Juni 1996) statuiert und diese noch zusätzlich mit dem Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewehrt. Dafür, jedenfalls jene Frist doch nicht derart absolut anzusetzen, sprechen jedoch folgende Gesichtspunkte: Die Einbeziehung der Landwirtsehegatten in die Alterssicherung der Landwirte stellt eine besondere Fallkonstellation dar, die dadurch gekennzeichnet ist, daß eine Vielzahl von Personen – ohne daß sich an ihren persönlichen Verhältnissen etwas geändert hätte – versicherungspflichtig wurde. Der entsprechende Personenkreis war – wie der vorliegende Fall zeigt – nicht immer leicht zu ermitteln; zudem konnte bereits die Versicherungspflicht – und nicht erst die Möglichkeit einer Befreiung – von nicht unmittelbar offensichtlichen Umständen (Hofgröße, Getrenntleben der Ehegatten, Erwerbsunfähigkeit) beeinflußt werden. Bei dieser Ausgangssituation kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe eine Gestaltungsfrist (hier: die Antragsfristen nach § 85 Abs 3 Satz 2 Nr 3 und Abs 3a Satz 1 Nr 4 ALG) eingeräumt und gleichzeitig in Kauf genommen, daß sie auch von solchen Landwirtsehegatten wahrgenommen werden mußte, deren Versicherungspflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt war. Im Gegenteil geht der Senat davon aus, daß der Gesetzgeber eine derartige Ausschlußfrist nur dann einräumt, wenn die Betroffenen auch eine realistische Möglichkeit haben, diese einzuhalten.
Der Gesetzgeber des ASRG-ÄndG vom 15. Dezember 1995 (Entwurf eingebracht durch BT-Drucks 13/2747 vom 24. Oktober 1995) hat augenscheinlich zu optimistische Erwartungen an den Verwaltungsvollzug geknüpft und nicht einkalkuliert, daß die Alterskassen bis zum Ablauf der datumsmäßig festgelegten Ausschlußfrist zum 30. Juni 1996 noch nicht einmal die seit 1. Januar 1995 bestehende Versicherungspflicht aller Landwirtsehegatten bescheidmäßig feststellen konnten. Hierfür spricht auch, daß § 85 Abs 5 und 6 ALG idF des ASRG-ÄndG denjenigen dieselbe Frist bis zum 30. Juni 1996 einräumt, die sich vor Inkrafttreten des ASRG-ÄndG von der Versicherungspflicht hatten befreien lassen, dies jedoch wegen der Verbesserungen der Neufassung des Gesetzes (insbesondere § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG: Anrechnung der Wartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung) wieder rückgängig machen wollten. Dies aber ist ein Personenkreis, der bereits intensive Kontakte (in der Regel: Versicherungspflichtbescheid/Befreiungsantrag/Befreiungsbescheid) zu den Alterskassen hatte. Vergleicht man im übrigen die Gestaltungsfristen nach § 85 Abs 3 und 4 ALG idF des ASRG (jeweils ein Jahr, verlängert durch das ASRG-ÄndG um ein weiteres Vierteljahr) mit der Frist nach Abs 3a idF des ASRG-ÄndG (ein halbes Jahr), liegt die Annahme nahe, daß auch der Gesetzgeber von einer verwaltungsmäßigen Abwicklung des § 1 Abs 3 ALG jedenfalls bis zum 31. Dezember 1995 ausging. Dann verblieb den durch § 85 Abs 3 und 4 ALG Betroffenen zumindest ein Vierteljahr Überlegungsfrist zur Beantragung der Befreiung – jenes Vierteljahr, das auch die Vorschrift des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht einräumt. Damit aber ist auch gerechtfertigt, dem Personenkreis, der die Klägerin angehört, zumindest eine gewisse Überlegungsfrist zwischen Feststellung der Versicherungspflicht und Befreiungsantrag einzuräumen.
Die Klägerin hat ihren Befreiungsantrag bereits fünfzehn Tage nach dem Bescheiddatum gestellt und damit insoweit ohne schuldhaftes Zögern gehandelt. Der Senat kann daher offenlassen, ob ihr hierfür (wie nach § 34 Abs 2 Satz 3 ALG) ein voller Dreimonatszeitraum zur Verfügung gestanden hätte.
Der Beklagten ist zuzugeben, daß eine entsprechende Handhabung dann zu Schwierigkeiten führen kann, wenn die Adressaten bestreiten, den Bescheid über die Versicherungspflicht erhalten zu haben. Derartige Schwierigkeiten können jedoch immer dann entstehen, wenn Bescheide durch einfachen Brief versandt werden, und stellen kein besonderes Argument gegen die Lösung des Senats dar.
Im übrigen beugt die hier befürwortete Rechtsanwendung jedem Vorwurf vor, die Beklagte habe den Bescheid über die Versicherungspflicht bewußt verzögert, um die Befreiungsmöglichkeit zu vereiteln.
Ein Ansatzpunkt, die Rückwirkung des Befreiungsantrages in Anwendung des Rechtsgedankens des § 34 Abs 2 Satz 3 ALG im Falle der Klägerin wegen einer von ihr zu vertretenden Verspätung des Befreiungsantrages (vgl § 34 Abs 2 Satz 4 ALG) scheitern zu lassen, besteht nicht. Das LSG hat – von der Revision unwidersprochen – festgestellt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Klägerin die für sie bestehenden Möglichkeiten zur Aufklärung und Information grob fahrlässig nicht genutzt haben könnte; insbesondere hätten die an die aktenkundigen versicherungsbefreiten landwirtschaftlichen Unternehmer versandten Informationsblätter der Beklagten aus dem Jahre 1995 die hier maßgebende Befreiungsmöglichkeit nicht enthalten. Dann aber kann nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin habe die Verspätung ihres Befreiungsantrages selbst zu vertreten.
Auf dieser Grundlage läßt der Senat – wie bereits in seinem Urteil vom 25. November 1998 – B 10 LW 19/98 R – (Umdruck S 17) – weiterhin offen, ob der Ausschluß einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 85 Abs 3 Satz 3 ALG, auf den der hier anzuwendende Abs 3a Satz 2 verweist, gleichwohl insoweit die Zubilligung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zuließe. Dies läßt sich nicht allein unter Hinweis auf die vom LSG angeführte Rechtsprechung des BVerwG und des BSG bejahen; aus beiden insoweit angeführten Entscheidungen (BVerwG vom 18. April 1997 – 8 C 38/95 –, NJW 1997, 2966 ff; BSG vom 15. Dezember 1994, SozR 3-2600 § 58 Nr 2) ergibt sich nicht, daß ein ausdrücklicher Ausschluß der Wiedereinsetzung über die Anwendung der Grundsätze zum Herstellungsanspruch (teilweise) überwunden werden könne. Der Senat braucht sich jedoch auch nicht mit der Rechtsprechung des 13. Senats des BSG auseinanderzusetzen, der – ohne nähere Begründung – davon ausgeht, daß zwar die Nachentrichtungsvorschrift des § 1418 Reichsversicherungsordnung nach Sinn und Zweck eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließe, dies jedoch einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nicht entgegenstehe (Urteile vom 25. August 1993 – 13 RJ 27/92 –, BSGE 73, 56 = SozR 3-1200 § 14 Nr 9 und – 13 RJ 43/92 – = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 7 sowie vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 69/95 –, SozR 3-1200 § 14 Nr 22).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen