Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersrente. Verfolgter. Versicherter. Auslandsrente. Auslandswohnsitz, verfolgungsbedingter. Einwendung, rechtshindernde. Erhaltenkönnen. Ermessen. Kompetenz, verpflichtende. Einwendungsausschluß. Displaced Persons
Leitsatz (amtlich)
1. Ein verfolgungsbedingt im Ausland lebender Versicherter kann zum Ausgleich der ihm durch den Auslandswohnsitz entstehenden Rechtsnachteile grundsätzlich Rente wie Verfolgte erhalten, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten (Fortführung von BSGE 63, 282, 288 f = SozR 2200 § 1251 a Nr. 2).
2. Verfolgungsbedingt im Ausland befinden sich grundsätzlich und in aller Regel auch sogenannte Displaced Persons, die nach Kriegsende im Reichsgebiet nach dem Stand vom 31.12.1937 nur in entsprechenden Lagern aufgenommen waren und das Verfolgungsgebiet vor dem 1.1.1950 verlassen haben.
3. Das „Verlassen” des Reichsgebiets setzt „Freiwilligkeit” nicht voraus (Aufgabe von BSG SozR 2200 § 1321 Nr. 2).
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1, 4; AVG § 25 Abs. 5, § 94 ff (= RVO § 1248 Abs. 5 §§ 1315 ff); SGB VI § 110 ff.; SozSichAbk USA Art. 2, 9, 4-5, 7; SozSichAbkSchlProt USA Nr. 8; FRG § 17 Abs. 1 S. 1 Buchst. b (Fassung: 18.12.1989); WGSVG §§ 1, 18
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Mai 1995 unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 1994 wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Mai 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1993 verurteilt, der Klägerin Altersruhegeld ab 1. Januar 1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist das Recht der Klägerin, von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) monatliche Zahlung von Altersruhegeld (ARG) an ihren Wohnsitz in den USA zu verlangen.
Die Klägerin wurde im Oktober 1918 in S. im früheren Ost-Oberschlesien/Polen geboren, das während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg dem Reichsgebiet eingegliedert wurde. Sie ist als rassisch Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt und gehört dem deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht an. In S. war sie vom 1. Juni 1932 bis zum 15. September 1939 entgeltlich beschäftigt; die BfA hat diese Zeiten als Pflichtbeitragszeiten nach § 17 Abs. 1 Buchst b des Fremdrentengesetzes (FRG) sowie die Zeit vom 15. November 1939 bis zum 15. April 1945 als Ersatzzeiten wegen nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt. Am 15. April 1945 wurde die Klägerin im Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit, hielt sich sodann im Lager für Displaced Persons (DP) in Bergen-Belsen und im Durchgangslager Lübeck auf und wanderte am 15. Juli 1945 zunächst nach Schweden und von dort in die USA aus. Seit 1957 besitzt sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und wohnt dort.
Im Dezember 1990 beantragte sie die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) und die Gewährung eines ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach § 25 Abs. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zum frühestmöglichen Zeitpunkt ab 1. Januar 1986. Mit dem streitigen Bescheid vom 22. Mai 1992 lehnte die Beklagte „den Antrag auf Zahlung einer Rente” ab, weil die Klägerin sich gewöhnlich außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 2. Oktober 1990 aufhalte und keine Beitragszeiten im Geltungsbereich des AVG zurückgelegt habe; die Voraussetzungen des Art. 2 § 40 a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) und der §§ 18, 19 WGSVG seien nicht erfüllt. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage lehnte sie auch die beantragte Nachentrichtung von Beiträgen ab. Beide Entscheidungen bestätigte sie mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1993.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die gegen beide Ablehnungen gerichteten Klagen durch Urteil vom 4. Oktober 1994 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat auf die Berufung der Klägerin die Beklagte verpflichtet, sie zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 21 iVm § 10 WGSVG zuzulassen; Zulassung und Nachentrichtung sind während des Revisionsverfahrens erfolgt. Im übrigen hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 23. Mai 1995), Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die BfA habe lediglich einen „Anspruch auf Auszahlung von ARG an den ausländischen Wohnsitz” abgelehnt, aber nicht darüber entschieden, ob der Klägerin ein Anspruch auf ARG ab 1. Januar 1986 dem Grunde nach zustehe; deshalb müsse das Berufungsgericht auch nur einen Auszahlungsanspruch prüfen. Dieser bestehe nicht; die im Ausland wohnende Klägerin habe keine Bundesgebietsbeiträge. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 WGSVG, der zu einer Gleichbehandlung mit im Inland wohnenden Versicherten führen könne, lägen nicht vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Auswanderung im Jahre 1945 noch einen Wohnsitz in S. gehabt habe; jedenfalls setze § 18 Abs. 2 WGSVG einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Verfolgten im Reichsgebiet nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 oder im Gebiet der Freien Stadt Danzig voraus. Anderenfalls könnte es zu keiner „verfolgungsbedingten Flucht” (Hinweis auf Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 2200 § 1321 Nr. 12 S 19 und auf § 4 BEG) kommen. Nur so könnten Zufallsergebnisse ausgeschlossen werden; die Zugehörigkeit zum begünstigten Personenkreis könne nicht davon abhängen, ob ein Verfolgter sich bei Kriegsende in einem Konzentrationslager in Polen oder in den vorgenannten Gebieten befunden habe.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin, das Berufungsgericht habe § 18 WGSVG verletzt. Der Wortlaut des § 18 Abs. 2 WGSVG verlange keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt; dieses Erfordernis dürfe auch nicht hineininterpretiert werden. Die Vorschrift solle Verfolgte begünstigen, die sich in den westlichen Besatzungszonen bzw dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als DP oder anderweitig aufgehalten hätten. Auch die Beklagte habe in ihrer bisherigen Verwaltungspraxis wie auch die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hamburg Renten aufgrund von Fremdrentenzeiten gezahlt, falls sich DP auch nur kurzfristig in einem DP-Lager in Deutschland aufgehalten hätten. Im übrigen habe die Klägerin es nach ihrer Befreiung ausdrücklich abgelehnt, an ihren früheren Wohnsitz in S. zurückzukehren. Sie habe im DP-Lager bzw Übergangslager einen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Gehe man hingegen davon aus, sie habe ihren Wohnsitz in S. nicht verloren, so sei § 18 Abs. 1 WGSVG anzuwenden.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Mai 1995 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Mai 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1993 zu verurteilen, der Klägerin ein Altersruhegeld ab 1. Januar 1986 zu gewähren und in die USA zu zahlen, und zwar unter Berücksichtigung von glaubhaft gemachten Fremdrentenzeiten iS des § 17 Abs. 1 Buchst b FRG/RRG 1992 vom 1. Juni 1932 bis zum 15. September 1939 sowie Verfolgtenersatzzeiten des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG vom 15. November 1939 bis zum 15. April 1945.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, es sei darüber zu entscheiden, ob Verfolgte das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 iS von § 18 Abs. 2 WGSVG verlassen haben, wenn sie sich vorher in einem DP-Lager aufgehalten haben. Das LSG habe zu Recht die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Auszahlungsanspruch verneint. Ein „einfacher Aufenthalt” des Verfolgten reiche nicht aus; einen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz habe die Klägerin nach dem 8. Mai 1945 im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 bzw der Freien Stadt Danzig nicht begründet. § 18 Abs. 2 WGSVG bezwecke die Begünstigung derjenigen Verfolgten, die an einer Auswanderung während der Naziherrschaft gehindert gewesen seien und nach Kriegsende – wegen der erlittenen Verfolgung – die in dieser Vorschrift genannten Gebiete verlassen hätten. Nur diejenigen würden begünstigt, die ohne die Verfolgung in diesen Gebieten einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründet oder beibehalten hätten. Zu Recht habe das LSG darauf hingewiesen, daß es ohne dieses Erfordernis von den jeweiligen – auf Zufälligkeiten beruhenden – individuellen Verfolgungsschicksalen abhänge, ob § 18 Abs. 2 WGSVG eingreife.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Das LSG hätte ihrer Berufung gegen das ihre Rentenklage abweisende Urteil des SG stattgeben und der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (dazu unter A) zum Erfolg verhelfen müssen. Denn die Klägerin hat für Bezugszeiten ab Januar 1986 das Recht (dazu unter B), von der Beklagten monatlich Zahlung von ARG/Regelaltersrente wie eine Verfolgte zu verlangen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WGSVG; dazu unter C).
Das Revisionsgericht hat nur noch darüber zu befinden, ob der Klägerin das umstrittene Recht auf ARG ab Januar 1986 zusteht, nachdem das LSG die Beklagte rechtskräftig verpflichtet hat, die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen zuzulassen, und dies inzwischen geschehen ist.
A. Die sog kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist statthaft. Das Begehren der Klägerin (iS von § 123 SGG) ist darauf gerichtet, die Beklagte unter Aufhebung des dies ablehnenden Bescheides vom 22. Mai 1992 zur monatlichen Zahlung von ARG für Zeiten ab Januar 1986 zu verurteilen.
1. Unzutreffend ist das LSG davon ausgegangen, die Beklagte habe keine mit der Anfechtungsklage angreifbare Entscheidung über das subjektive Recht (sog Stammrecht) der Klägerin auf ARG getroffen, aus dem grundsätzlich monatliche Ansprüche auf Rentenzahlung entstehen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die „Erbringung von Leistungen an Berechtigte im Ausland/außerhalb des Geltungsbereichs des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫” (§§ 94 ff AVG; §§ 110 ff des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫ regeln iS von (materiell-rechtlich) rechtshindernden Einwendungen die (negativen) Voraussetzungen, unter denen aus einem subjektiven Recht auf Rente, einem sog Rentenstammrecht, (aus der Berufsunfähigkeits- ≪BU≫ Versicherung, der Erwerbsunfähigkeits- ≪EU≫ Versicherung oder der Altersversicherung) monatliche Rentenzahlungsansprüche entgegen den allgemeinen, für Versicherte mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland (§ 30 Abs. 1 und 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) gültigen Bestimmungen (§§ 32 ff AVG; §§ 64 ff SGB VI) nicht oder in geringerer Höhe entstehen (stellvertretend BSG SozR 3-2200 § 1321 Nr. 1). Der die Entstehung monatlicher Zahlungsansprüche hindernde Umstand liegt vor, solange der Berechtigte sich im Ausland gewöhnlich aufhält oder wohnt und keine (hinreichenden) sog Bundesgebietsbeitragszeiten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) hat. Deshalb enthält die Ablehnung einer (irreführend sog) „Auslandsrente” stets eine Entscheidung über das subjektive Recht auf Rente und die daraus herleitbaren monatlichen Ansprüche.
So hat auch die Beklagte in dem streitigen Bescheid nicht in Frage gestellt, daß die Klägerin Versicherte ist und das 65. Lebensjahr bereits 1983 vollendet sowie die Wartezeit, dh eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten, iS von § 25 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 3 AVG erfüllt und damit ein subjektives Recht auf Altersruhegeld erlangt hat. Der angefochtene Bescheid hält dieser Rechtsposition der Klägerin entgegen, aus ihrem subjektiven Recht könnten monatliche Rentenzahlungsansprüche seit 1986 bis zur – inzwischen erfolgten – Nachentrichtung von Beiträgen wegen ihres Wohnsitzes im Ausland und des Fehlens von Bundesgebietsbeiträgen nicht entstehen. Hiergegen richtet sich die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG).
2. Die Klägerin hat sie nach § 54 Abs. 4 SGG zulässigerweise mit der Leistungsklage verbunden. Ein Recht auf Zahlungen von ARG (je Monat) gibt monatlich einen „Rechtsanspruch”; hierfür kommt es allein darauf an, ob die vom Rechtsschutz suchenden Bürger begehrte Rechtsfolge im Gesetz ihrer Art. nach als Rechtsanspruch ausgestaltet ist. Unerheblich für die richtige Klageart ist hingegen, ob – was im Blick auf § 18 Abs. 1 und 2 WGSVG nicht zutrifft (dazu unten) – die Ausübung eines „Gegenrechts” in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt ist. Denn der Bürger, der aus seinem Rentenstammrecht erwachsende („Einzel”-)Ansprüche auf monatliche Rentenzahlungen geltend macht, die als Rechtsansprüche ausgestaltet sind (vgl. dazu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr. 3 S 5 und Urteil des Senats vom 22. Februar 1995 – 4 RA 88/94), muß bei der Konkretisierung seines Rechtsschutzbegehrens (§ 123 SGG) nicht berücksichtigen, ob der Leistungsträger meint, ein in seinem Ermessen stehendes „Gegenrecht” zu haben; dies ist vielmehr ggf vom Gericht im Rahmen der sog Spruchreife zu prüfen.
B. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist die Klage begründet. Die Klägerin hat ein subjektives Recht auf Altersrente, aus dem ihr (jedenfalls seit dem 1. Januar 1986) monatliche Ansprüche auf Zahlung gegen die Beklagte entstanden sind. Nach § 25 Abs. 5 AVG, der hier gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI weiterhin anwendbar ist, erhält der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs. 7 Satz 3 aaO erfüllt hat, ARG.
Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes (§ 30 Abs. 1 SGB I) anwendbar. Hierbei bedarf keiner Darlegung, daß dies sich bereits daraus ergibt, daß §§ 94 ff AVG (110 ff SGB VI) die Berechtigtenstellung, dh die Innehabung eines subjektiven Rechts auf Rente, auch den Versicherten ausdrücklich zuerkennen, die Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben; denn zugunsten der Klägerin greift vorrangig (§ 30 Abs. 2 SGB I) Art. 4 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976 idF des Zusatzabkommens vom 2. Oktober 1986 (DASVA) ein. Die Klägerin ist Staatsbürgerin der Vereinigten Staaten (Art. 3 Buchst a DASVA) und hält sich gewöhnlich in den USA auf, so daß sie bei Anwendung der rentenrechtlichen (Art. 2 Abs. 1 Buchst a DASVA) Rechtsvorschriften Deutschlands den deutschen Staatsangehörigen gleichsteht. Sie erfüllt für Zeiten ab November 1983 die Voraussetzungen für das subjektive Recht auf ARG nach § 25 Abs. 5 AVG: Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 FRG stehen die anerkannten Fremdbeitragszeiten der Klägerin aufgrund entgeltlicher Beschäftigung entsprechenden nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich; die Anwendbarkeit des § 15 FRG auf die von Juni 1932 bis Mitte September 1939 in Polen in der polnischen Sozialversicherung zurückgelegten Beitragszeiten ergibt sich aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Buchst b Halbs 2 und Abs. 3 FRG in der bis zum 31. Dezember 1991 gültigen, mit Wirkung vom 1. Januar 1990 durch Art. 15 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) eingeführten Fassung. Denn die Ansprüche der Klägerin gegen den nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung waren nach der „Eingliederung” Ost-Oberschlesiens aufgrund der nationalsozialistischen Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten (sog Ostgebietsverordnung) vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777) ausgeschlossen gewesen (zur Beseitigung dieses nationalsozialistischen Unrechts vgl. Begründung zum Entwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S 218 und BT-Drucks 11/5530 S 29). Da die Beklagte diese Beitragszeiten nach dem FRG bindend (§ 77 SGG) vorgemerkt bzw vor dem SG anerkannt hat, sind hierzu weitere tatsächliche Feststellungen, die dem Berufungsgericht vorbehalten wären, nicht zu treffen. Damit ist das Recht auf ARG zum November 1983 entstanden.
Der rechtliche Zuweisungsgehalt eines solchen subjektiven Rechts (sog Stammrechts) auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht hauptsächlich darin, daß der Berechtigte für die Dauer des Bestehens dieses Rechts grundsätzlich (im Erlebensfall) zu Beginn jedes Monats vom Rentenversicherungsträger Zahlung des Rentenbetrages verlangen kann, soweit rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendungen oder aufschiebende oder dauerhafte Einreden dem nicht entgegenstehen. Dies ist hier nicht der Fall. Die von der Beklagten geltend gemachte Einwendung greift nicht durch (unter C.); im Blick auf die Einrede der Anspruchsverjährung lag es in der Verfügungsmacht der Klägerin, ihr Klagebegehren auf den frühesten Rentenbeginn nach § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG iVm der Verjährungsvorschrift des § 45 Abs. 1 und Abs. 3 SGB I, also auf Bezugszeiten ab Januar 1986 zu beschränken.
C. Die im genannten Sinn rechtshindernde Einwendung der Beklagten, die Klägerin wohne im Ausland und habe keine Bundesgebietsbeitragszeiten zurückgelegt, greift nicht durch:
1. Zwar kann Berechtigten, die im Inland wohnen, grundsätzlich nicht rechtshindernd entgegengehalten werden, ihnen fehlten Bundesgebietsbeitragszeiten; für sie gelten die allgemeinen Bestimmungen über die Entstehung von Ansprüchen zum jeweiligen Monatsersten. Demgegenüber können für Berechtigte – wie die Klägerin – mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, solange sie dort wohnen oder sich gewöhnlich aufhalten, monatliche Rentenansprüche nur insoweit entstehen, als dies in den §§ 95 ff AVG zugelassen ist (vgl. §§ 110 ff SGB VI). In jedem Fall, dh gleich ob der Berechtigte Deutscher oder Ausländer ist, setzt darnach die Entstehung von monatlichen Rentenansprüchen nach Rentenversicherungsrecht Beitragszeiten voraus, die im Geltungsbereich des AVG zurückgelegt wurden (sog Bundesgebietsbeitragszeiten); es reicht nicht aus, wenn ausschließlich Fremdbeitragszeiten vorliegen. Die Klägerin hat bis zur Nachentrichtung von Beiträgen während des Revisionsverfahrens keine Bundesgebietsbeitragszeiten erworben. Nach Maßgabe der Vorschriften des AVG (und des SGB VI) greift die Einwendung somit durch.
Es kann hierbei dahingestellt bleiben, wann genau und in welcher Höhe die Klägerin jetzt Beiträge nachentrichtet hat, die als Bundesgebietsbeiträge gelten; denn diese Beiträge können nicht so behandelt werden, als seien sie vor dem 1. Februar 1990 oder sogar schon während der Zeit entrichtet worden, für welche sie nachentrichtet wurden (näher dazu Urteile des Senats vom 29. August 1996 – 4 RA 122/94, zur Veröffentlichung vorgesehen, und 4 RA 76/95). Beiträge begründen Beitragszeiten erst, wenn sie wirksam entrichtet, dh tatsächlich gezahlt worden sind (BSGE 63, 195, 200 = SozR 2200 § 1290 Nr. 22). Eine „Rückwirkung” einer Beitragsnachentrichtung für Zeiträume vor Zahlung der Beiträge tritt nur ausnahmsweise ein oder soweit dies spezialgesetzlich geregelt ist (stellvertretend BSG SozR 3-6485 Art. 12 Nr. 6 mwN). Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil das Revisionsgericht diese neuen Tatsachen nicht berücksichtigen darf.
2. Die Anwendbarkeit der Einwendung des Auslandswohnsitzes und der fehlenden Bundesgebietsbeiträge wird auch nicht durch Art. 4 Abs. 1 oder Art. 5 DASVA ausgeräumt. Die Inländergleichstellung durch Art. 4 Abs. 1 aaO führt nur dazu, daß die für im Ausland lebende Deutsche maßgeblichen Vorschriften (§§ 98, 99 AVG ≪§ 114 SGB VI≫ anwendbar sind, die aber auch Bundesgebietsbeitragszeiten voraussetzen. Die Gebietsgleichstellung des Art. 5 DASVA, nach der ua deutsche Rechtsvorschriften, nach denen ein Anspruch auf oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängen, nicht für amerikanische Staatsbürger gilt, die sich gewöhnlich in den USA aufhalten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach Nr. 4 Buchst a des Schlußprotokolls zum DASVA bleiben die deutschen Rechtsvorschriften über Geldleistungen aus Versicherungszeiten, die nicht nach Bundesrecht zurückgelegt sind, unberührt. Die in Art. 7 Abs. 1 DASVA geregelte „Zusammenrechnung” deutscher und amerikanischer Versicherungszeiten bedeutet keine Gleichstellung der amerikanischen Versicherungszeiten mit im Bundesgebiet zurückgelegten Beitragszeiten. Jedoch steht gemäß Nr. 8 des Schlußprotokolls zum DASVA dieses Abkommen der Anwendung der deutschen Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts nicht entgegen.
3. Gleichwohl ist die rechtshindernde Einwendung des Auslandswohnsitzes ohne Bundesgebietszeiten nicht anwendbar. Denn die Klägerin kann ihr nach § 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 Satz 1 WGSVG den Einwendungsausschluß durchgreifend entgegenhalten, daß ihr Rente wie Verfolgten zusteht, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des WGSVG haben:
a) Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG können Verfolgte, die zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 das Gebiet des Deutschen Reiches oder der Freien Stadt Danzig verlassen haben, um sich einer von ihnen nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen, oder die aus den gleichen Gründen nicht in das Gebiet des Deutschen Reiches oder der Freien Stadt Danzig zurückkehren konnten, Rente wie die Verfolgten erhalten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben. Nach Abs. 2 aaO gilt Abs. 1 entsprechend für Verfolgte, die nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 1. Januar 1950 das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 oder das Gebiet der Freien Stadt Danzig verlassen haben. Hierzu bestimmt Abs. 4 aaO, daß die Renten nach den Abs. 1 bis 3 aaO nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit (iS von § 1 SGB I) gelten. Es handelt sich nämlich um Entschädigung.
b) Diese Vorschriften sind gemäß § 1 Abs. 1 WGSVG auf die Klägerin anzuwenden. Danach gilt dieses Gesetz für Versicherte, die Verfolgte iS des BEG sind und durch die Verfolgung Schaden in der (deutschen) Sozialversicherung erlitten haben. Zweck der Vorschriften des WGSVG ist, den Versicherten, die – wie die Klägerin – Verfolgte iS von § 1 BEG sind, den vollen Ausgleich des durch die nationalsozialistische Verfolgung erlittenen Schadens ua in ihrer Rentenversicherung zu ermöglichen (BSGE 63, 282, 288 f = SozR 2200 § 1251 a Nr. 2 mwN). Hierzu gehört ua auch, die Beeinträchtigungen der Rechtsposition des Verfolgten in der deutschen Rentenversicherung auszugleichen, die sich daraus ergeben, daß er (im wesentlichen) aufgrund der Verfolgung sich im Ausland aufhält oder dort wohnt; diese Entschädigung bewirken §§ 18, 19 WGSVG „kraft Gesetzes” durch die Gleichstellung mit im Inland wohnenden Verfolgten.
Alle Entschädigungsregelungen des WGSVG, auch § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 aaO, setzen aber einen durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen verursachten Schaden in einem Rentenstammrecht, in einem Rentenanspruch, in einer Rentenanwartschaft oder einem zuerkannten rentenversicherungsrechtlichen Vorteil voraus. Da die Verfolgung mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, also vor dem 9. Mai 1945 beendet worden ist, kann nur die Beeinträchtigung einer solchen Rechtsposition in der deutschen Rentenversicherung wiedergutmachungsrechtlich von haftungsbegründender Bedeutung sein, die aufgrund eines vor dem 9. Mai 1945 zurückgelegten Erwerbstatbestandes entstanden und durch einen Verfolgungseingriff bis Kriegsende verletzt worden ist. Hingegen ist es eine Frage des Umfanges der Entschädigung, inwieweit mittelbare Nachwirkungen der Verfolgung, vor allem in der Zeit nach dem 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1949, wesentliche Ursachen einer Vertiefung oder Ausweitung des Schadens geworden sind. § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WGSVG umschreiben, unter welchen Voraussetzungen der Einwand des Auslandswohnsitzes einem Verfolgten nicht entgegengehalten werden darf, dessen Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland im wesentlichen auf dem nationalsozialistischen Verfolgungszugriff bzw dessen Nachwirkungen beruht.
c) Der Einwendungsausschluß zugunsten der Klägerin ergibt sich allerdings nicht aus § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG. Sie hat nämlich das Gebiet des Deutschen Reiches (in seiner jeweiligen Ausdehnung) nicht schon zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 verlassen. Zwar gibt der Senat die Ansicht auf (BSG SozR 2200 § 1321 Nr. 2 S 2), das „Verlassen” müsse „freiwillig” erfolgt sein; denn die Versicherten, die sich ab dem 30. Januar 1933 im jeweiligen Reichsgebiet und damit in der unmittelbaren Zugriffssphäre des NS-Regimes befanden und zu den Personen gehörten, die typischerweise oder im Einzelfall verfolgt wurden, waren in der Regel nicht mehr in der Lage, aus „freiem” Willen über eine „Auswanderung” (vgl. § 4 BEG) zu entscheiden. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Klägerin aus dem in das Deutsche Reich „wiedereingegliederten” S. in Lager verschleppt wurde, die im jeweiligen Reichsgebiet lagen. Sie gehört damit zu dem besonders betroffenen Personenkreis derjenigen, dem – anders als den von § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG (in direkter Anwendung) Begünstigten – es nicht mehr gelang, dem nationalsozialistischen Zugriff zu entfliehen.
4. Für sie gilt jedoch gemäß § 18 Abs. 2 WGSVG der Einwendungsausschluß des Abs. 1 Satz 1 aaO „entsprechend”. Sie ist Verfolgte und hat nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 1. Januar 1950, nämlich am 15. Juli 1945, das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 verlassen, als sie aus Bergen-Belsen über Lübeck nach Schweden zog. Zutreffend macht die Revision geltend, die Klägerin habe den im Wortlaut von Abs. 2 aaO umschriebenen Tatbestand erfüllt. Insbesondere stellt das Gesetz – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht das Erfordernis auf, der Verfolgte müsse nach dem 8. Mai 1945 im Reichsgebiet nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt genommen oder einen verfestigten Aufenthalt erlangt haben, bevor er das dort umschriebene Gebiet verließ. Dies ergibt sich auch nicht als – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – aus der gebotenen entsprechenden Anwendung von Abs. 1 aaO.
a) Zwar ist der Beklagten insoweit beizutreten, als Verfolgte mit nationalsozialistisch (ns)-bedingtem Schaden in ihrer deutschen Sozialversicherung unzweifelhaft zu dem durch § 18 WGSVG entschädigten Personenkreis gehören, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 1. Januar 1950 bereits Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im „Reichsgebiet” genommen hatten; dies ist aber lediglich eine hinreichende, keine notwendige Voraussetzung für die entsprechende Geltung des Abs. 1 aaO. Auch § 18 WGSVG unterscheidet nämlich nicht zwischen versicherten Verfolgten mit deutscher oder anderer Staatsangehörigkeit oder staatenlosen Verfolgten. Vielmehr werden alle, die dem NS-Zugriff nicht entrinnen konnten und dadurch auch einen Schaden in ihrer deutschen Rentenversicherung erlitten haben, entschädigt, falls sie sich nach dem Krieg vor Ablauf der Überlegungsphase (mit dem 31 Dezember 1949) dazu entschlossen haben, das ehemalige Verfolgungsgebiet zu verlassen. Etwas anderes gilt auch nicht für die DP. Auch sie werden durch die Inlandsgleichstellung nach § 18 Abs. 2 iVm Abs. 1 Satz 1 WGSVG nur entschädigt, wenn sie vor dem 9. Mai 1945 einen (aus heutiger Sicht) die Versicherteneigenschaft in der deutschen Rentenversicherung begründenden Tatbestand erfüllt hatten und durch die nationalsozialistische Verfolgung in ihrer rentenrechtlichen Position beeinträchtigt worden sind (§ 1 Abs. 1 WGSVG). Dies gilt auch für die durch die nationalsozialistische Ostgebietsverordnung Geschädigten, obwohl ihr Schaden erst durch Einfügung von § 17 Abs. 1 Satz 1 Buchst b Halbs 2 FRG zum 1. Januar 1990 gesetzlich anerkannt worden ist; denn die nationalsozialistische Schädigungshandlung war vor dem 9. Mai 1945 wirksam geworden.
b) Entgegen der Ansicht der Revision verlangt die von § 18 Abs. 2 WGSVG angeordnete „entsprechende Geltung des Abs. 1” aaO aber auch die Prüfung, ob der (durch die Inlandsgleichstellung auszugleichende) Schaden in der Sozialversicherung durch einen im wesentlichen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt eingetreten ist. Unzweifelhaft „hat” die Klägerin das ehemalige Verfolgungsgebiet „verlassen”, nämlich den tatsächlichen Aufenthalt dort auf Dauer beendet, als sie im Juli 1945 nach Schweden zog (vgl. dazu schon BSGE 28, 99, 100 = SozR Nr. 2 zu § 1321; SozR 3-5750 Art. 2 § 62 S 44 f). Dies ist im wesentlichen auch verfolgungsbedingt geschehen. In den Fällen der direkten Anwendung von Abs. 1 Satz 1 aaO ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn der Verfolgte das jeweilige Reichsgebiet verlassen hat, „um sich einer von ihm nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen”. Dieser besondere Fluchtgrund liegt rechtsgrundsätzlich und auch faktisch regelmäßig jedenfalls bei dem Personenkreis vor, dem nach der nationalsozialistischen Ideologie Leben oder andere Menschenrechte genommen werden sollten. Befand sich ein solcher Versicherter in den Zeiten seit dem 30. Januar 1933 im jeweiligen Reichsgebiet bzw der Freien Stadt Danzig und hat er diesen Aufenthalt durch Verlassen des Gebietes beendet, ist nur dann nicht von einem verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt auszugehen, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände erweist, daß das Verlassen des Verfolgungsgebietes allein wesentlich auf anderen Umständen als den ns-geprägten politischen Verhältnissen und der durch sie bedingten besonderen Zwangslage beruhte; hierfür ist der Versicherungsträger darlegungspflichtig und objektiv beweisbelastet.
§ 18 Abs. 2 WGSVG setzt ein gleich schweres Verfolgungsschicksal (vgl. von Borries, BArbBl 1971, 153, 156; auch schon BSG SozR 2200 § 1321 Nr. 1 S 3) voraus. Denn § 18 WGSVG (eingeführt durch An 2 § 10 Nr. 1 des Gesetzes vom 27. Juni 1977 ≪BGBl I S 1040≫) soll gerade die Verfolgten entschädigen, die vor Kriegsende nicht auswandern konnten und häufig weit Schlimmeres erdulden mußten als diejenigen, die sich noch rechtzeitig dem Zugriff der Nationalsozialisten entziehen konnten (vgl. Begründung zum Entwurf des WGSVG-ÄndG, BT-Drucks VI/71 5 S 9, 11; BR-Drucks 73/70 S 9 f). Gerade im Blick auf das von den in Abs. 2 aaO Erfaßten ausnahmslos erlittene Verfolgungsschicksal ist hier „erst recht” rechtsgrundsätzlich und faktisch in aller Regel davon auszugehen, daß der in der deutschen Rentenversicherung versicherte Verfolgte und in seiner Rentenberechtigung durch die NS-Verfolgung Geschädigte Nachkriegsdeutschland verfolgungsbedingt verlassen hat. Etwas anderes kann auch hier – wie in den Fällen von Abs. 1 aaO – nur gelten, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles bewiesen ist, daß allein wesentliche Ursache für das Verlassen Deutschlands etwas anderes als das durchlittene Verfolgungsschicksal war; auch hierfür ist der Versicherungsträger darlegungspflichtig und objektiv beweisbelastet.
c) Für DP – wie die Klägerin – ergibt sich nichts anderes deswegen, weil sie eine fremde Staatsangehörigkeit hatten oder staatenlos waren. Denn sie waren (was für verfolgte Deutsche iS von Art. 116 des Grundgesetzes ≪GG≫ außer Frage steht) berechtigt, in Deutschland Wohnung zu nehmen und sich hier gewöhnlich aufzuhalten; sie waren also nicht etwa rechtlich gezwungen, das deutsche Staatsgebiet (alsbald) zu verlassen (vgl. Nehlert, Die Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit, 1948. S 21, 26; von Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, Band I § 36 II 1 a; Brandl, Das Recht der Besatzungsmacht, 1947: Art. II des Kontrollratsgesetzes Nr. 1 vom 20. September 1945; Ziff 2 Buchst d des Besatzungsstatuts vom 10. April 1949, Handbuch des Besatzungsrechts, aaO, Band II § 100 S 21; Hrsg Institut für Besatzungsfragen, Das DP-Problem, Tübingen 1950, S 75 ff sowie eben dort Anlage 7, S 149 ff = Statut der internationalen Flüchtlings-Organisation ≪IRO≫ und Abmachung über die Übergangsmaßnahmen, dort Art. 2 Nr. 1 Buchst b Ziff 1 und Abschn B). Diese Personen haben sich also nach Kriegsende materiell berechtigt in Deutschland aufgehalten und hatten die Befugnis, sich hier dauerhaft niederzulassen.
Durch die Inlandsgleichstellung des § 18 WGSVG werden allerdings auch DP nur entschädigt, wenn sie nicht nur Verfolgte waren, sondern auch die weiteren og Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 WGSVG vor dem 9. Mai 1945 tatbestandlich erfüllt hatten. Daher begünstigt auch § 18 Abs. 2 WGSVG nur geschädigte Versicherte der deutschen Rentenversicherung, nicht Verfolgte schlechthin mit Schäden in ihrer – ausländischen – Altersversorgung.
Wer hingegen erstmals nach dem 8. Mai 1945 einen Tatbestand erfüllt hat, aufgrund dessen ein Versicherungsverhältnis in der deutschen Rentenversicherung entstanden ist, dann aber vor dem 1. Januar 1950 Deutschland verlassen hat, wird von § 18 Abs. 2 WGSVG nicht „entschädigt”. Der die Entschädigungspflicht begründende Tatbestand des § 1 Abs. 1 WGSVG ist nämlich nicht erfüllt, weil die Berechtigung von vornherein dem NS-Zugriff nicht unterlag.
d) Zu Unrecht meinen LSG und Beklagte, § 18 WGSVG setze einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in den bezeichneten Gebieten voraus. Soweit das Berufungsgericht (unter Bezugnahme auf BSG SozR 2200 § 1321 Nr. 12 S 19) einen einer Vertreibung gleichzuerachtenden Verlust der Heimat verlangt, hat es übersehen, daß das BSG (aaO) bei Prüfung von § 19 Abs. 1 WGSVG hinsichtlich der vertriebenen Verfolgten einen „Verlust der Heimat” mit dem verfolgungsbedingten Verlassen hinsichtlich des Erfordernisses einer auf Dauer angelegten Ausreise bzw Abwesenheit von den bezeichneten Gebieten geprüft hat. Die Klägerin hat aber im Juli 1945 Deutschland auf Dauer verlassen. Auch die Bezugnahme auf § 4 BEG trägt nicht. Soweit dort (Abs. 1 Nr. 1 Buchst c und Nr. 2) engere Voraussetzungen für eine Entschädigung aufgestellt worden sind (vgl. aber §§ 149, 150 ff, 160 ff BEG), sind diese in § 18 WGSVG nicht übernommen worden. Insbesondere verwendet das WGSVG nicht den Ausdruck der „Auswanderung”, der in § 4 Abs. 2 BEG als Verlegung des Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts umschrieben ist.
Nicht zu folgen ist der Ansicht des LSG und der Beklagten, ohne das Erfordernis eines „gefestigten Aufenthalts” komme es zu Zufallsergebnissen, die allein davon abhingen, ob der Verfolgte aus einem Konzentrationslager in Polen oder in Deutschland befreit worden ist. Vorrangig ist darauf hinzuweisen, daß § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WGSVG in der Auslegung des Senats Zufallsergebnisse weitgehend ausschließt. Wie ausgeführt, bewirkt § 18 WGSVG selbst und unmittelbar den Ausgleich des Schadens, welcher der deutschen rentenversicherungsrechtlichen Berechtigung eines versicherten Verfolgten dadurch droht, daß er im wesentlichen verfolgungsbedingt Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen hat; die anderen Versicherten gegenüber durchgreifende rechtshindernde Einwendung des Auslandsaufenthalts mit dem sich daraus ergebenden Erfordernis von Bundesgebietsbeiträgen wird für Verfolgte und ns-rentengeschädigte Versicherte im dargelegten Umfang ausgeschlossen. Damit werden alle versicherten Verfolgten mit ns-bedingtem Schaden in ihrer deutschen Rentenberechtigung gleichbehandelt, wenn sie auch noch im wesentlichen verfolgungsbedingt im Ausland leben und deswegen weiteren Schaden hinnehmen müßten. Für diese Entschädigung durch Gleichstellung mit Inlandsbewohnern kommen alle, aber auch nur die versicherten Verfolgten in Betracht, die – aus heutiger Sicht – einen ein Versicherungsverhältnis in der deutschen Rentenversicherung begründenden Tatbestand vor dem 9. Mai 1945 erfüllt hatten, sich in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entweder im jeweiligen Reichsgebiet (einschließlich Danzig) wenigstens tatsächlich aufhielten und von der Verfolgung bedroht waren und deshalb flohen oder aber in dieser Zeit im Ausland waren und wegen einer drohenden Verfolgung nicht zurückkehrten; erst recht gehören hierzu diejenigen versicherten Verfolgten, die vor dem 9. Mai 1945 sich tatsächlich im jeweiligen Reichsgebiet aufhielten und vor dem Verfolgungszugriff nicht mehr fliehen konnten, die glücklicherweise überlebten und sich bis zum Ende der Überlegungszeit (31. Dezember 1949) zum Verlassen Deutschlands entschlossen. Zu diesem Personenkreis gehört auch die Klägerin.
Träfe die Auffassung des LSG und der Beklagten zu, die Klägerin hätte auch nach ihrer Deportation noch Wohnsitz in S. in Ost-Oberschlesien gehabt, liefe dies darauf hinaus, ihrem Entschädigungsanspruch entgegenzuhalten, daß sie dem NS-Zugriff nicht rechtzeitig entflohen ist. Das stellte den entschädigungsrechtlichen Wertungszusammenhang geradezu auf den Kopf, wenn ihr eine Entschädigung für verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt nur dann zuzuerkennen wäre, wenn sie erfolgreich vor dem nationalsozialistischen Zugriff geflohen wäre, nicht aber, wenn sie ihn – wie geschehen – jahrelang durchleiden mußte.
§ 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WGSVG zielt auf eine weitgehende Erfassung der Fälle des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts eines in seiner deutschen Rentenberechtigung ns-bedingt geschädigten Versicherten. Soweit es darüber hinaus im Einzelfall zu zufälligen Ergebnissen kommen sollte, liegt dies an den Folgen des im Einzelfall zufälligen Zugriffs der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, so daß dies den geschädigten Verfolgten nicht entgegengehalten werden darf. Im übrigen ist hier nicht darüber zu entscheiden, ob § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WGSVG auch zugunsten von verfolgten Deutschen iS von Art. 116 GG sowie von vertriebenen Verfolgten (vgl. § 19 WGSVG) einschließlich der dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugehörigen Verfolgten (vgl. § 20 WGSVG) eingreift. Denn die Klägerin gehört dem deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht an.
Nach alledem „kann” (so § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG) die Klägerin die Rente wie eine Verfolgte erhalten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des WGSVG hat.
5. Der Senat konnte gemäß § 130 Satz 1 Regelung 1 SGG die Leistungsklage mit einem Grundurteil bescheiden, das die Beklagte durch Erlaß eines die Höhe der monatlichen ARG-Zahlungsansprüche der Klägerin seit Januar 1986 festsetzenden Verwaltungsaktes ausführen muß. Der Rechtsstreit ist trotz des in § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG gebrauchten Ausdrucks „können” spruchreif. Etwas anderes gälte möglicherweise dann, wenn Abs. 1 Satz 1 aaO den Versicherungsträger ermächtigt hätte, nach seinem Ermessen über Entstehung, Bestand oder Durchsetzbarkeit monatlicher Rentenansprüche zu entscheiden (in diesem Sinne wohl LSG Hamburg, Urteile vom 15. November 1995, L 6 An 147/94, L 6 An 137/95, und vom 12. Mai 1995, L 1 An 46/94; Finke, SGb 1983, 336, 338 ff; Fichte, AVG, § 100 II S V 656; Breuer, AmtlMitt LVA Rheinprovinz 1977, 501 f). Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht jedoch gegen diese Auslegung. Adressat der Rechtsfolge des § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG ist nicht der Rentenversicherungsträger; ihm wird nicht gesagt, daß er etwas tun „könne”. Vielmehr heißt es dort, daß die Verfolgten Rente erhalten können. Das BSG (BSGE 34, 38, 39) hat allerdings im vergleichbaren Zusammenhang des § 100 Abs. 1 und Abs. 5 AVG idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93), der eine im wesentlichen später von § 18 Abs. 1 WGSVG übernommene Regelung enthielt, darauf hingewiesen, der Leistungsträger müsse prüfen, ob der Berechtigte tatsächlich die Leistung in ihrem vollen Wert und zusätzlich zu den Einkünften in dem auswärtigen Staat erhalte; es sei zu beachten, daß durch die erhöhte Leistung nicht lediglich das Devisenaufkommen des auswärtigen Staates gefördert werde; zu klären sei, ob der Aufenthaltsstaat die Leistung auf eigene Leistungen anrechne.
§ 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG verdeutlicht hinreichend, daß der verfolgungsbedingt im Ausland lebende Versicherte die nach den Inlandsbestimmungen berechnete Rente „erhalten können” muß. Mit dieser Vorschrift ist dem Versicherungsträger jedoch kein Ermessen eingeräumt, also nicht die verpflichtende Befugnis erteilt worden, zu prüfen und zu entscheiden, ob er verschiedene rechtmäßige Handlungsmöglichkeiten hat und welche von ihnen erlaubt, den Zweck des Gesetzes möglichst weitgehend zu verwirklichen. Vielmehr erteilt Abs. 1 Satz 1 aaO die verpflichtende Kompetenz, entstandenen monatlichen Zahlungsansprüchen die rechtsvernichtende Einwendung der Zweckverfehlung mittels hoheitlicher Verfügung entgegenzuhalten, wenn sich im Einzelfall herausstellt, daß der Berechtigte den ihm von § 18 WGSVG als Entschädigung zugedachten Rentenvorteil in Wirklichkeit „nicht erhalten kann”. Steht also (ausnahmsweise) vor der Vornahme der Erfüllungshandlung fest (hierfür trägt der Versicherungsträger Darlegungs- und objektive Beweislast), daß die monatliche Zahlung der Rente (in Höhe einer solchen wie bei einem Verfolgten mit gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes) dem Berechtigten nicht zugutekommt, weil der Staat, in dem er lebt, sich den Rentenvorteil zueignet, muß der Leistungsträger, solange dieser Umstand gegeben ist, die wegen Zweckverfehlung vernichteten monatlichen Ansprüche durch hoheitliche Regelung versagen. Ein Ermessen steht ihm nicht zu. Vielmehr muß er – als Ausnahme von der Ausnahme – einwenden, daß der Einwendungsausschluß des § 18 Abs. 1 Satz 1 WGSVG nicht durchgreift. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts dafür ausreichen zu erkennen, daß eine derartige Zweckverfehlung angesichts der Regelungen des DASVA in den USA nicht droht; die darlegungspflichtige Beklagte hat hierzu auch nichts vorgetragen und keine solche Versagungsentscheidung getroffen.
Nach alledem ist das Begehren der Klägerin, aus ihren FRG-Beitragszeiten von Juni 1932 bis 15. September 1939 und den anerkannten Verfolgungsersatzzeiten, nicht aber aus den später nachentrichteten Beiträgen ARG ab Januar 1986 zu erhalten, begründet. Ihre Revision mußte daher Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 954097 |
BSGE, 113 |
SozSi 1997, 197 |