Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsfreiheit - Student (Werkstudent) - Hausverbot - Beurlaubung - Hochschule
Leitsatz (redaktionell)
Versicherungsfreiheit als Werkstudent besteht nicht für einen Studenten, der von der Hochschule für ein Semester Hausverbot erhalten hat und beurlaubt worden ist und der während dieses Semesters mehr als vier Monate vollschichtig beschäftigt gewesen ist (Anschluß an BSG vom 16.7.1971 - 3 RK 68/68 = SozR Nr 13 zu § 172 RVO).
Normenkette
AFG § 169 Nr. 1 Fassung: 1969-06-25, Nr. 6 Fassung: 1969-06-26; RVO § 1228 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; AFG § 169b S. 1 Nr. 2 Fassung: 1988-12-20; RVO § 172 Abs. 1 Nr. 5 Fassung 1975-06-24; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3 Fassung 1988-12-20
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob in Beschäftigungsverhältnissen Versicherungs- und Beitragsfreiheit bestand.
Der 1965 geborene Kläger studierte seit 1986 Elektrotechnik an einer Fachhochschule. Wegen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Dozenten wurde ihm von der Hochschule ein Hausverbot erteilt, das bei fortbestehender Einschreibung zu seiner Beurlaubung für das vom 1. September 1988 bis zum 28. Februar 1989 dauernde Wintersemester 1988/89 führte. In dieser Zeit konnte der Kläger das Lehrangebot der Hochschule nicht wahrnehmen. Im Sommersemester 1989 setzte er das Studium fort.
Während des Wintersemesters 1988/89 war der Kläger aufgrund unbefristeter Arbeitsverträge vom 11. Oktober bis 26. Dezember 1988 und vom 2. Januar bis 28. Februar 1989 bei zwei Firmen jeweils vollschichtig beschäftigt. Die Firmen zahlten Beiträge zur Krankenversicherung, zur Rentenversicherung der Arbeiter und zur Bundesanstalt für Arbeit an die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle.
Der Kläger vertrat die Ansicht, er sei als Student in den Beschäftigungsverhältnissen versicherungsfrei gewesen, so daß die Beiträge zu erstatten seien. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 1. August 1989 fest, daß der Kläger in den Beschäftigungsverhältnissen versicherungs- und beitragspflichtig gewesen sei, weil er nach seinem Erscheinungsbild nicht Student, sondern Arbeitnehmer gewesen sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1990).
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (Beigeladene zu 1) und die Bundesanstalt für Arbeit (Beigeladene zu 2) beigeladen. Mit Urteil vom 20. Juni 1991 hat es die Klage abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat das Landessozialgericht (LSG) auch die beiden Firmen beigeladen (Beigeladene zu 3 und 4). Der Kläger hat vor dem LSG zuletzt beantragt, das Urteil des SG und den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben sowie festzustellen, daß er während seiner Erwerbstätigkeiten im Urlaubssemester 1988/89 versicherungsfrei gewesen ist. Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 6. Februar 1992 zurückgewiesen. Der Kläger sei versicherungs- und beitragspflichtiger Arbeitnehmer gewesen.
Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung der Vorschriften, die die Versicherungs- und Beitragsfreiheit sogenannter Werkstudenten in Beschäftigungsverhältnissen begründen, und außerdem eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 6. Februar 1992, das Urteil des SG vom 20. Juni
1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. August 1989 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 1990 aufzuheben sowie
festzustellen, daß er (der Kläger) während der Zeit seiner
Erwerbstätigkeit im Urlaubssemester 1988/89 in
sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht wie ein Student zu behandeln ist.
Die Beklagte und die beigeladenen Versicherungsträger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.
Die beigeladenen Firmen haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das LSG hat den angefochtenen Bescheid mit zutreffenden Gründen für rechtmäßig gehalten. Der Kläger war aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses im Jahre 1988 nach § 165 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses im Jahre 1989 nach § 5 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) krankenversicherungspflichtig. In der Rentenversicherung der Arbeiter war er nach dem während beider Beschäftigungsverhältnisse noch geltenden § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO ebenfalls versicherungspflichtig. In der Arbeitslosenversicherung bestand Beitragspflicht in den beiden Beschäftigungsverhältnissen nach § 168 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
Der Kläger war nicht deswegen versicherungs- und beitragsfrei, weil er während der Dauer seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule gegen Entgelt beschäftigt war. Für diesen Personenkreis der sogenannten Werkstudenten sah bis Ende 1988 § 172 Abs 1 Nr 5 RVO Versicherungsfreiheit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses in der Krankenversicherung und entsprechend § 169 Nr 1 aF AFG Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung vor. Ab 1989 galt das gleiche nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V für die Krankenversicherung und nach § 169b Satz 1 Nr 2 AFG für die Arbeitslosenversicherung. Auch in der Rentenversicherung der Arbeiter war für den genannten Personenkreis in § 1228 Abs 1 Nr 3 RVO Versicherungsfreiheit vorgesehen (ebenso seit dem 1. Januar 1992 nach § 5 Abs 3 SGB VI).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich in zahlreichen Entscheidungen mit der Frage befaßt, wann hiernach ausnahmsweise Versicherungs- und Beitragsfreiheit von sogenannten Werkstudenten besteht und wann es bei dem Grundsatz der Versicherungs- und Beitragspflicht der abhängig Beschäftigten bleibt. Es hat hierzu in den Urteilen vom 22. Februar 1980 (BSGE 50, 25, 26 = SozR 2200 § 172 Nr 14) und vom 19. Februar 1987 (SozR 2200 § 172 Nr 19) zusammenfassend ausgeführt: Die Beschäftigung sei versicherungsfrei, wenn sie "neben" dem Studium, dh ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet, ausgeübt werde, das Studium also die Haupt-, die Beschäftigung die Nebensache sei. Umgekehrt sei derjenige, der seinem "Erscheinungsbild" nach zum Kreis der Beschäftigten gehöre, durch ein gleichzeitiges Studium nicht versicherungsfrei; Versicherungsfreiheit bestehe vielmehr nur für Personen, deren Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium beansprucht werde. In dem weiteren Urteil vom 23. Februar 1988 (SozR 2200 § 172 Nr 20) ist dieses erneut bestätigt und darauf hingewiesen worden, daß Versicherungs- und Beitragsfreiheit nicht allein aus der Immatrikulation hergeleitet werden kann. Hieran wird festgehalten.
Beim Kläger des vorliegenden Verfahrens war das Studium im Wintersemester 1988/89 im wesentlichen auf den Fortbestand der Einschreibung reduziert. Wegen des Hausverbots und der Beurlaubung konnte er an den Lehrveranstaltungen der Hochschule nicht teilnehmen und ihre Einrichtungen für sein Studium nicht nutzen. Damit fiel das Semester für einen geregelten Fortgang seines Studiums aus. Seine Zeit und Arbeitskraft wurde überwiegend nicht durch ein geordnetes Studium, sondern durch die vollschichtigen Beschäftigungen beansprucht, die er während des verwaltungsmäßig sechs Monate dauernden Semesters (September 1988 bis Februar 1989) fast viereinhalb Monate lang (von Mitte Oktober 1988 bis Ende Februar 1989) und damit auch während der von Ende September 1988 bis Ende Januar 1989 dauernden Vorlesungszeit ausgeübt hat.
Das Wintersemester 1988/89 ist beim Kläger nicht wie Semesterferien zu behandeln. In ihnen kann, soweit sie von Studienanforderungen frei sind (vgl BSG SozR 2200 § 172 Nr 20 S 46), eine vollschichtige Beschäftigung ausgeübt werden, ohne daß das Erscheinungsbild als Student entscheidend beeinträchtigt wird. Dieses beruht jedoch darauf, daß während der Semesterferien Lehrveranstaltungen nicht angeboten werden und die Erledigung von Studienaufgaben in der Regel nicht gefordert wird, entsprechende Freizeiten mithin im Rahmen eines ordnungsgemäßen Studiums liegen und für eine Erwerbstätigkeit genutzt werden können. Anders verhält es sich demgegenüber während der Vorlesungszeit, in der die Hochschule ein Studienangebot mit entsprechenden Anforderungen macht, die im Rahmen eines geregelten Studiums zu erfüllen sind. Wenn jemand, der als Student eingeschrieben ist, hiervon aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, keinen Gebrauch machen kann und statt dessen einer vollschichtigen Beschäftigung nachgeht, ist er seinem Erscheinungsbild nach Arbeitnehmer und nicht Student.
Mit dem LSG sieht auch der erkennende Senat im Ergebnis keinen entscheidenden Unterschied zu dem Urteil des BSG vom 16. Juli 1971 (SozR Nr 13 zu § 172 RVO). In dem damals zu beurteilenden Sachverhalt hatte ein Student am Ende eines Wintersemesters die Semesterprüfung nicht bestanden, war, weil er sie erst im folgenden Oktober wiederholen konnte, aus der Hochschule (Polytechnikum) ausgeschieden und hatte die "Zwangspause" von Mitte Februar bis Ende September durch eine Beschäftigung als Arbeiter überbrückt. Damals hat das BSG ebenfalls Versicherungspflicht aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses angenommen und dargelegt, aus welchen Gründen das Ausscheiden aus dem Polytechnikum infolge Nichtbestehens der Prüfung nicht mit dem Ruhen des Schulbetriebes während der Semesterferien verglichen werden konnte. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von dem früheren lediglich unwesentlich insofern, als der Grund für die Nichtteilnahme am Studienangebot der Hochschule während des Semesters hier ein anderer war (Hausverbot, Beurlaubung) als damals ("Zwangspause" nach nicht bestandener Prüfung) und daß hier die Einschreibung an der Hochschule formal weiterbestanden hat.
Die Rüge des Klägers, das LSG habe die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt, greift nicht durch. Das LSG brauchte sich nicht gedrängt zu fühlen, Ermittlungen dazu anzustellen, worauf die Tätigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme ausgerichtet war und ob er sein Studienziel damals weiterverfolgen wollte oder nicht. Es konnte vielmehr wegen des Hausverbots und der Beurlaubung einerseits sowie der längeren Ausübung vollschichtiger Beschäftigungen aufgrund unbefristeter Arbeitsverträge andererseits ohne weitere Beweiserhebung davon ausgehen, daß der Kläger seinem Erscheinungsbild nach Arbeitnehmer war.
Hiernach erwies sich die Revision als unbegründet, soweit mit ihr die Aufhebungsklage weiterverfolgt wurde. Wenn der Kläger außerdem erstmals im Revisionsverfahren die Feststellung beantragt, daß er während der Zeit seiner Erwerbstätigkeit im Urlaubssemester 1988/89 in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht wie ein Student zu behandeln sei, so ist dieser Antrag nur bei einem Erfolg der Aufhebungsklage sinnvoll und als gestellt anzusehen. Ist jedoch die Aufhebungsklage, wie dargelegt, unbegründet, so war der Kläger für die Dauer der Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungsrechtlich Arbeitnehmer und nicht Student. In der Krankenversicherung ging die Versicherungspflicht als Arbeiter einer Versicherungspflicht als Student vor (§ 165 Abs 6 Satz 2 RVO; § 5 Abs 7 Satz 1 SGB V), wenn diese - worüber hier nicht zu entscheiden ist- auch während des Urlaubssemesters bestanden haben sollte.
Demnach war die Revision zurückzuweisen und über die Erstattung außergerichtlicher Kosten nach § 193 SGG zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 60300 |
RegNr, 20547 (BSG-Intern) |
USK, 9260 (LT1) |
Breith 1993, 267 (L1) |
DBlR 3985a, AFG/§169 (LT1) |
Die Beiträge 1993, 57-60 (LT1) |
SozR 3-2500 § 6, Nr 2 (LT1) |