Entscheidungsstichwort (Thema)
Student - Werkstudent - Versicherungsfreiheit - Beitragsfreiheit - Erweiterungsstudium
Leitsatz (redaktionell)
Zur Versicherungsfreiheit von Werkstudenten, wenn die Beschäftigung nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluß während eines Erweiterungsstudiums ausgeübt wird (Fortführung von BSG vom 31.10.1967 - 3 RK 77/64 = BSGE 27, 192 = SozR Nr 3 zu § 1228 RVO; BSG vom 19.12.1974 - 3 RK 64/72 = BSGE 39, 41 = SozR 2200 § 405 Nr 2; BSG vom 26.6.1975 - 3/12 RK 14/73 = BSGE 40, 93 SozR 2200 § 172 Nr 3).
Normenkette
SGB VI § 5 Abs. 3 Fassung 1989-12-18; RVO § 172 Abs. 1 Nr. 5 Fassung 1975-06-24; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3 Fassung 1988-12-20; RVO § 1228 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob in Beschäftigungsverhältnissen Versicherungs- und Beitragsfreiheit bestand.
Die Klägerin ist ein Taxiunternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), zu deren Gesellschaftern mit einem Gesellschaftsanteil von je einem Zwanzigstel die Beigeladenen zu 3) und 4) gehörten. Beide wurden von der Klägerin zeitweise als Taxifahrer beschäftigt.
Der Beigeladene zu 3) hatte an der Technischen Universität B studiert und im Mai 1982 vor dem Landesprüfungsamt die Erste Staatsprüfung für das Amt des Studienrats in den Fächern Geschichte und Französisch abgelegt. Er studierte anschließend als weiteres Fach Deutsch. Im Mai 1984 wurde er zum Studienreferendar ernannt. Im Juli 1984 bestand er vor dem Landesprüfungsamt im Fach Deutsch die Erweiterungsprüfung zur Ersten Staatsprüfung für das Amt des Studienrats.
Der Beigeladene zu 4) hatte an der Freien Universität B studiert und im Juni 1982 die Erste Staatsprüfung für das Amt des Studienrats in den Fächern Geschichte und Englisch abgelegt. Er studierte anschließend als weiteres Fach Deutsch, ohne jedoch in diesem Fach einen Abschluß zu erwerben. Im Mai 1984 wurde er zum Studienreferendar ernannt.
Nach einer Betriebsprüfung forderte die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse als Einzugsstelle mit Bescheid vom 22. Dezember 1987 von der Klägerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 9.349,68 DM für Zeiten, in denen die Beigeladenen zu 3) und 4) zwischen Januar 1983 und Mai 1984 als Taxifahrer beschäftigt gewesen waren. Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, die Beschäftigten seien als Studenten versicherungs- und beitragsfrei gewesen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1989 zurück, weil die Beschäftigten nach der Ersten Staatsprüfung, die zum Eintritt in den Vorbereitungsdienst befähigt habe, keine "ordentlichen Studierenden" mehr gewesen seien.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 15. März 1990 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 19. Dezember 1990).
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 172 Abs 1 Nr 5 und des § 1228 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 169 Nr 1 aF des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 19. Dezember 1990 und das Urteil des SG vom 15.
März 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 1987
(hinsichtlich der Beitragsforderung) in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1989 aufzuheben.
Die Beklagte und die beigeladenen Versicherungsträger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist iS einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Ob der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen. Es bedarf dazu weiterer Feststellungen.
Die Beigeladenen zu 3) und 4) waren während ihrer Beschäftigung als Taxifahrer bei der Klägerin in der Zeit zwischen Januar 1983 und Mai 1984 grundsätzlich als Arbeitnehmer versicherungspflichtig. Dieses ergab sich damals für die Rentenversicherung der Arbeiter aus § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO (heute § 1 Satz 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung- ≪SGB VI≫) und für die Krankenversicherung aus § 165 Abs 1 Nr 1, Abs 2 Satz 1 RVO (heute § 5 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - ≪SGB V≫). Ebenso bestand grundsätzlich Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG. Die Beigeladenen zu 3) und 4) waren abhängig beschäftigt und nicht selbständig tätig. Bei einem Gesellschaftsanteil von je einem Zwanzigstel hatten sie nach den Feststellungen des LSG keinen beherrschenden Einfluß auf die klagende GmbH (vgl zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit bei Gesellschaftern und Geschäftsführer einer GmbH BSGE 66, 69, 71 = SozR 4100 § 104 Nr 19; BSGE 66, 168, 170 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1).
Personen, die grundsätzlich versicherungspflichtig beschäftigt waren, konnten jedoch in der Rentenversicherung nach § 1228 Abs 1 Nr 3 RVO (heute § 5 Abs 3 SGB VI), in der Krankenversicherung nach § 172 Abs 1 Nr 5 RVO (heute § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V) versicherungsfrei und - der Krankenversicherung entsprechend - in der Arbeitslosenversicherung nach § 169 Nr 1 aF AFG (heute § 169b Satz 1 Nr 2 AFG) beitragsfrei sein, wenn sie "während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule" gegen Entgelt beschäftigt waren. Für die Beigeladenen zu 3) und 4) traf das, als sie bei der Klägerin Taxi fuhren, im hochschulrechtlichen Sinne zu, weil sie an Universitäten als Studenten eingeschrieben waren. Dieses hat die Rechtsprechung allerdings allein für die Anwendung des Versicherungsfreiheits-Tatbestandes nicht genügen lassen, sondern gefordert, daß das Studium Zeit und Arbeitskraft ganz oder überwiegend in Anspruch nimmt und der Betreffende damit auch seinem Erscheinungsbild nach Student ist (BSGE 50, 25 = SozR 2200 § 172 Nr 14; SozR aaO Nrn 19, 20). Ein solches Erscheinungsbild kann auch noch bestehen, wenn bereits ein Studium mit einer Prüfung abgeschlossen worden ist, etwa während eines Zweitstudiums. Das gleiche läßt sich auch für ein Erweiterungsstudium nicht ausschließen, wie es die Beigeladenen zu 3) und 4) nach der Ersten Staatsprüfung (Mai bzw Juni 1982) im Fach Deutsch durchgeführt haben, um die späteren Einstellungs- und Verwendungsaussichten zu verbessern.
Versicherungsfreiheit während eines Erweiterungsstudiums ist auch nach der Entwicklung der gesetzlichen Regelung nicht von vornherein zu verneinen. Gemäß § 1235 Nr 3 und § 172 Nr 3 idF der Neubekanntmachung der RVO vom 15. Dezember 1924 (RGBl I 779) waren Personen versicherungsfrei, die "während der wissenschaftlichen Ausbildung für ihren zukünftigen Beruf" (Rentenversicherung) bzw "zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf" (Krankenversicherung) gegen Entgelt tätig waren. Diese Regelung wurde für die Krankenversicherung durch die Erste Vereinfachungs-Verordnung (VereinfVO) vom 17. März 1945 (RGBl I 41) geändert. Nach § 172 Abs 1 Nr 5 RVO waren hier nunmehr sogar Personen versicherungsfrei, "die zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig" waren. Dieses galt auch für die Rentenversicherung (§ 1226 Nr 1 RVO idF des Art 3 Abs 1 VereinfVO), soweit nicht regional § 1235 Nr 3 aF RVO weitergalt. Damit reichte die Versicherungsfreiheit über die Zeit des Studiums hinaus und war etwa für wissenschaftliche Assistenten umstritten, ferner für Rechtsreferendare, die als wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigt waren (vgl BSGE 39, 41 = SozR 2200 § 405 Nr 2; BSGE 40, 93 = SozR 2200 § 172 Nr 3).
Die Rentenreform 1957 führte zu einer Einschränkung. Nach dem Gesetzentwurf sollte zwar noch die bisherige weite Fassung übernommen werden (in § 1228 Abs 1 Nr 3 RVO nF, vgl BT-Drucks zu II/2437 S 7). Demgegenüber schlug der Bundesrat eine engere Fassung vor (BT-Drucks II/2437 Anlage 1 S 2): Der Kreis der versicherungsfreien Beschäftigten solle wieder auf seinen ursprünglichen Umfang, nämlich auf die sogenannten Werkstudenten beschränkt werden. Die Rechtsprechung der letzten Jahre habe den Begriff der wissenschaftlichen Ausbildung iS der entsprechenden bisher geltenden Vorschriften stetig weiter ausgedehnt. In zunehmendem Maße würden insbesondere Ärzte und Juristen nach abgeschlossenem Studium in bezug auf Tätigkeiten versicherungsfrei, für die sie zwar ein Entgelt erhielten, die aber auch ihrer weiteren Ausbildung dienten. Dies sei nicht nur deshalb unerwünscht, weil im Einzelfalle die Feststellung, ob es sich um eine wissenschaftliche Ausbildung handele, schwierig sei, sondern auch, weil ein großer Teil dieser Personen lange Jahre in einem Dienstverhältnis bleibe, das ihre Einbeziehung in den Kreis der Rentenversicherten rechtfertige. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren war der Bundestags-Ausschuß für Sozialpolitik ebenfalls der Ansicht, daß nur der ordentliche Studierende, der als Werkstudent während der Dauer seines Studiums gegen Entgelt beschäftigt sei, versicherungsfrei sein solle; die weitergehende wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf (zB die Assistenzarzttätigkeit während der Facharztausbildung) solle der Versicherungspflicht unterliegen; die in der Praxis oft schwierige Abgrenzung des in Betracht kommenden Personenkreises werde damit erleichtert (so der Schriftliche Bericht des Ausschusses zu BT-Drucks II/3080 S 3). Dementsprechend erhielt § 1228 Abs 1 Nr 3 RVO die später Gesetz gewordene Fassung ("wer während der Dauer seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule ... gegen Entgelt beschäftigt ist").
Hiernach sollte, wie vor allem die genannten Beispiele zeigen, die Regelung solche Beschäftigungen nicht mehr erfassen, die zwar noch einer wissenschaftlichen Ausbildung im weiteren Sinne zugerechnet werden konnten, aber erst nach dem Hochschulstudium stattfanden, gegen Entgelt ausgeübt wurden, von längerer Dauer waren und sich inhaltlich eher als Vorstufe der späteren Berufsausübung darstellten. Hiervon konnten sich jedoch eingeschriebene Studenten, die während eines Erweiterungsstudiums eine Beschäftigung aufnahmen, erheblich unterscheiden. Insbesondere wenn diese Beschäftigung (hier: Taxifahrer) dem angestrebten Beruf (hier: Studienrat) fremd war und dieser nicht auf eine spätere Zugehörigkeit zum versicherungspflichtigen Personenkreis hindeutete, konnten sie noch Werkstudenten sein.
Die Versicherungsfreiheit war in der Rentenversicherung auch nicht wegen der Regelung über die Ausfallzeiten (§ 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 4 RVO; heute Anrechnungszeiten, § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b SGB VI) ausgeschlossen. Als Ausfallzeiten kamen nur Zeiten einer abgeschlossenen Hochschulausbildung bis zu einer Höchstdauer von fünf Jahren in Betracht, wobei die Ausfallzeit auf die Zeit bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluß des Hochschulstudiums beschränkt war (BSGE 59, 27 = SozR 2200 § 1259 Nr 92). Anders als die Regelung über die Ausfallzeiten, über deren Anrechenbarkeit im übrigen erst bei Eintritt eines Versicherungsfalls zu entscheiden war, enthielt die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit von Werkstudenten, die nach der Rechtsprechung in vorausschauender Betrachtungsweise zu beurteilen ist (BSG SozR 2200 § 172 Nrn 19, 20), keine Begrenzung nach der Dauer des Hochschulstudiums oder dessen erfolgreichem Abschluß. Daher ging ihr Anwendungsbereich weiter als die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten. Dieses zeigte sich vor allem, wenn ein begonnenes Studium später nicht abgeschlossen wurde und deshalb als Ausfallzeit nicht in Betracht kam, obwohl der Betreffende während des Studiums als Werkstudent versicherungsfrei hatte arbeiten können. Aber auch wenn ein Student länger als fünf Jahre studierte, konnte er noch versicherungsfreier Werkstudent sein, obwohl von vornherein feststand, daß die über fünf Jahre hinausgehende Studienzeit selbst bei erfolgreichem Abschluß des Studiums und Erfüllen weiterer Voraussetzungen (bis zur Rentenreform 1972: Aufnahme einer versicherungspflichtigen Anschlußbeschäftigung; bis zur Rentenreform 1992: Halbbelegung) als anrechenbare Ausfallzeit nicht in Betracht kam. Für eine Begrenzung der Versicherungsfreiheit von Werkstudenten auf Zeiten, die (anrechenbare) Ausfallzeiten waren oder wenigstens als solche in Betracht kamen, fehlt im Gesetzeswortlaut und in den Motiven jeder Anhalt. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die weitere Fassung des Versicherungsfreiheits-Tatbestandes gegenüber dem Ausfallzeit-Tatbestand das Entstehen von Lücken in der Versicherungsbiographie erkennbar in Kauf genommen (so zutreffend und mit eingehender Begründung Krasney, SozVers 1968, 338, 339 - 341, zur damaligen Rechtslage). Neuerdings können die Lücken wegen der Verkürzung der Ausbildungs-Anrechnungszeit in § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI sogar noch größer sein. Dennoch ist das Gesetz dem nicht mit einer Begrenzung des Werkstudenten-Privilegs begegnet, sondern hat das Schließen von Lücken durch die Nachzahlung freiwilliger Beiträge zugelassen (§ 207 SGB VI).
Aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt sich nicht, daß der erste berufsqualifizierende Abschluß, der die anrechenbare Ausfallzeit begrenzte, notwendigerweise auch der weiteren Versicherungsfreiheit als Werkstudent entgegenstand. Dieses läßt sich insbesondere aus den Urteilen vom 31. Oktober 1967 (BSGE 27, 192, 196 = SozR Nr 3 zu § 1228 RVO) und vom 26. Juni 1975 (BSGE 40, 93 = SozR 2200 § 172 Nr 3) nicht herleiten. Sie betrafen wesentlich andere Sachverhalte und haben trotz Hinweises auf einen (engen) Zusammenhang zwischen beiden Regelungsbereichen eine Nahtlosigkeit iS einer Begrenzung des Werkstudenten-Privilegs nach Maßgabe der Anrechnungsgrenzen von Ausfallzeiten nicht hergestellt.
Gegen eine Übernahme der Ausfallzeit-Grenzen spricht auch, daß sie speziell rentenversicherungsrechtlich begründet wäre und für die Krankenversicherung (und auch die Arbeitslosenversicherung) nicht zuträfe. In der Krankenversicherung war es zunächst über die Rentenreform 1957 hinaus bei der erwähnten weiten Fassung des § 172 Abs 1 Nr 5 RVO idF der VereinfVO geblieben ("zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf"). Als im Jahre 1975 über die Einführung der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) beraten wurde, war im Hinblick auf die Einführung der Versicherungspflicht der Studenten eine Streichung des § 172 Abs 1 Nr 5 RVO für nötig gehalten worden (vgl den Gesetzentwurf BT-Drucks 7/2993 S 3 und S 9, jeweils zu Nr 3). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde die Regelung jedoch beibehalten: Die Versicherungspflicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften solle grundsätzlich der KVdS vorgehen; um jedoch einen Wechsel des Versicherungsgrundes während des Studiums möglichst zu vermeiden, sei durch die Änderung des § 172 Abs 1 Nr 5 RVO sichergestellt, daß eingeschriebene Studenten, die neben ihrem Studium einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen, weiterhin als Studenten und nicht als Arbeitnehmer versichert würden (Bericht des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung BT-Drucks 7/3640 S 5 zu § 1 Nr 3). Die Fassung, die § 172 Abs 1 Nr 5 RVO nunmehr erhielt, entsprach wörtlich derjenigen, die § 1228 Abs 1 Nr 3 RVO bei der Rentenreform 1957 erhalten hatte. Das legt es nahe, beide Vorschriften ungeachtet der unterschiedlichen Begründung, die in beiden Zweigen (Rentenversicherung und Krankenversicherung) für die jeweilige Neuregelung gegeben worden ist, einheitlich anzuwenden. Bei einer Ausrichtung dieser Anwendung an der rentenversicherungsrechtlichen Ausfallzeit-Regelung in der Krankenversicherung wäre jedoch der im Jahre 1975 angegebene Zweck für die Beibehaltung des (geänderten) § 172 Abs 1 Nr 5 RVO zum Teil verfehlt worden: Wenn nämlich während eines Erweiterungsstudiums Versicherungsfreiheit von Werkstudenten nicht hätte bestehen können und es bei der Versicherungspflicht aufgrund der Beschäftigung geblieben wäre, hätte diese für die Zeit der Beschäftigung nach § 165 Abs 6 Satz 2 RVO die damals nach Fachstudienzeit oder Alter noch nicht begrenzte Versicherungspflicht eingeschriebener Studenten (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) verdrängt und den Wechsel des Versicherungsgrundes herbeigeführt, den der Gesetzgeber hatte vermeiden wollen. Wie nach neuem Recht das Verhältnis zwischen der nunmehr nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V begrenzten Versicherungspflicht der Studenten und dem jedenfalls vom Gesetzeswortlaut her auch weiterhin nicht begrenzten Versicherungsfreiheits-Tatbestand des § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V zu beurteilen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn sich jedoch in der Krankenversicherung die Grenzen des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V auf § 6 Abs 1 Nr 3 SGB V übertragen ließen, ergäbe sich eine andere Begrenzung des Werkstudenten-Privilegs als bei der Begrenzung der insoweit gleichlautenden Regelung der Rentenversicherung in § 5 Abs 3 SGB VI anhand der Vorschrift über die Anrechnungszeit in § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI. Eine Regelung durch den Gesetzgeber erscheint als angezeigt.
Im vorliegenden Verfahren ist das Urteil des LSG im wesentlichen auf die Begründung gestützt, Versicherungsfreiheit scheide nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluß aus Rechtsgründen aus. Da dieses nicht zutrifft, sind nunmehr tatsächliche Feststellungen dazu erforderlich, ob die Beigeladenen zu 3) und 4) ihrem Erscheinungsbild nach Studenten oder Beschäftigte waren. Dabei werden, wenn das Erscheinungsbild von Studenten auch noch während eines Erweiterungsstudiums bestanden haben soll, einige Anforderungen besonders zu beachten sein, deren nähere Prüfung für die Zeit vor dem Ersten Staatsexamen häufig entbehrlich sein mag. So kann allein das Aufrechterhalten einer Einschreibung nach Abschluß des Studiums nicht zu einer längeren Inanspruchnahme des Werkstudenten-Privilegs führen. Vielmehr muß ein Studium absolviert werden, das in einem geregelten Studiengang auf einen weiteren Abschluß (hier: Erweiterungsprüfung zur Ersten Staatsprüfung) ausgerichtet ist; der Besuch der Hochschule allein zu allgemeiner Fort- oder Weiterbildung genügt nicht. Ferner muß das Erweiterungsstudium Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nehmen; langes Studieren mit geringem Zeit- und Arbeitsaufwand ist nicht ausreichend (vgl schon BSGE 33, 229 = SozR Nr 14 zu § 172 RVO). Anhaltspunkte dafür, ob Zeit und Arbeitskraft überwiegend auf das Erweiterungsstudium verwandt werden müssen und verwandt worden sind, werden sich möglicherweise aus Bestimmungen der Universitäten über den Ablauf und die Anforderungen in dem Erweiterungs-Studiengang sowie aus Unterlagen über dessen konkreten Ablauf bei den betreffenden Studenten entnehmen lassen (Studienbücher, Übungs- und Seminarscheine). Das Erscheinungsbild als Student ist nicht gegeben, wenn nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen das eines abhängig Beschäftigten überwiegt (hierzu insbesondere BSG SozR 2200 § 172 Nrn 3, 19, 20). Soweit sich hiernach das Erscheinungsbild von Studenten nicht feststellen läßt, bleibt es im Zweifel bei der Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung (vgl BSGE 50, 25, 28 = SozR 2200 § 172 Nr 14).
Sollte Versicherungs- und Beitragsfreiheit aufgrund des Werkstudenten-Privilegs ausscheiden, so scheint sie auch wegen geringfügiger Beschäftigung (§ 168, § 1228 Abs 1 Nr 4 RVO, § 169 Nr 1 aF AFG) nicht vorgelegen zu haben, soweit die Höhe der Beitragsforderung auf das vom LSG nicht festgestellte Entgelt schließen läßt. Ob dieses jedoch auch für die Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung wegen Kurzzeitigkeit galt (§ 169 Nr 6 iVm § 102 AFG in den damaligen Fassungen), ist bisher unklar. In der abschließenden Entscheidung ist ferner darüber zu befinden, ob die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben.
Fundstellen
Haufe-Index 60301 |
BSGE 71, 144-149 (LT1) |
BSGE, 144 |
RegNr, 20545 (BSG-Intern) |
USK, 9277 (LT1) |
Breith 1993, 386-391 (LT1) |
DBlR 3984a, AFG/§ 169 (LT1) |
Die Beiträge 1993, 51-57 (LT1) |
EzS, 50/232 (LT1) |
SGb 1993, 369-371 (LT1) |
SozR 3-2200 § 172, Nr 2 (LT1) |
VersR 1993, 903-905 (LT) |