Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Auslandsaufenthalt. Entsendung. Ausstrahlung. Tochterunternehmen. Konzern. Beschäftigungsverhältnis. Rumpfarbeitsverhältnis. Wiederbeschäftigung. zeitlich begrenzt. zeitliche Begrenzung
Leitsatz (amtlich)
Besteht ein Rumpfarbeitsverhältnis zu einem inländischen Arbeitgeber fort und ist die Wiederbeschäftigung des Arbeitnehmers nach seiner Rückkehr vereinbart, so besteht auch während eines von vornherein zeitlich begrenzten Beschäftigungsverhältnisses bei einem ausländischen Arbeitgeber weiterhin Anspruch auf Kindergeld (Aufgabe von BSG SozR 5870 § 1 Nr 7).
Normenkette
BKGG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a, Abs. 1 Nr. 2a, § 1 Nr. 2a, § 1 Abs. 1 S. 2; SGB IV § 4 Abs. 1; BErzGG § 1 Abs. 2; BRRG § 123a
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 29.06.1994; Aktenzeichen L 14 Kg 4/91) |
SG Nürnberg (Urteil vom 22.11.1990; Aktenzeichen S 9 Kg 110/90) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22. November 1990 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. September 1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 1990 aufgehoben.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen drei Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld mit Wirkung ab August 1988 und die Rückforderung der Überzahlung bis Juni 1989.
Der Kläger bezog Kindergeld für seine beiden Töchter Sandra (geboren 1968) und Nicole (geboren 1978). Im April 1989 zeigte er der Beklagten eine Adressenänderung nach Kalifornien, USA, an. Hierauf ermittelte die Beklagte, daß der Kläger seit dem 1. Januar 1988 für ca drei Jahre (im “Auslandsversetzungsvertrag” – Schreiben des Arbeitgebers vom 23. November 1987 – ist insoweit festgehalten: “Beim gegenwärtigen Stand unserer Planungen gehen wir davon aus, daß die Dauer Ihrer Versetzung voraussichtlich 3 Jahre betragen wird”) bei einer Tochtergesellschaft seines deutschen Arbeitgebers tätig war und seinen Wohnsitz in Deutschland im Juli 1988 aufgegeben hatte. Während der Dauer der Beschäftigung in den USA wurden nach Art 6 Abs 5 des deutsch-amerikanischen Abkommens über Soziale Sicherheit für den Kläger als entsandten Versicherten Beiträge zur deutschen gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung abgeführt; Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sieht das Abkommen nicht vor. Nach Angaben des Klägers lebten seine Ehefrau und die Tochter Nicole seit Juli 1988 ebenfalls in den USA, während Sandra und ihr Bruder in der bisherigen Münchener Wohnung verblieben und in München studierten. Das Beschäftigungsverhältnis mit seinem deutschen Arbeitgeber ruhe für die Dauer des Vertrages im Ausland.
Mit Bescheid vom 27. September 1989 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 1990) hob die Beklagte die Kindergeldbewilligung gemäß § 48 Abs 1 Nr 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) für den Zeitraum seit August 1988 auf und forderte das bis Juni 1989 gezahlte Kindergeld im Gesamtbetrag von 1.600,-- DM zurück.
Hiergegen wandte sich der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) ohne Erfolg (Urteile vom 22. November 1990 bzw 29. Juni 1994): Der Kläger habe nach seinem Umzug im Juli 1988 im Inland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mehr gehabt. Kürzere urlaubs-, familiär- oder berufsbedingte Besuche reichten als gewöhnlicher Aufenthalt nicht aus, ebensowenig eine “stellvertretende Innehabung des Wohnsitzes” durch die im Inland verbliebenen volljährigen Kinder. Dem Kläger stehe auch kein Kindergeld in Anwendung des § 1 Abs 1 Nr 2a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zu; im Sinne dieser Vorschrift sei er kein entsandter Arbeitnehmer gewesen. Das LSG schließe sich insoweit der Rechtsprechung des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) an, wonach auch im Kindergeldrecht die Definition der “Ausstrahlung” iS des § 4 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) maßgebend sei. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien jedoch nicht erfüllt, da der Kläger nicht im Rahmen eines im Inland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses entsandt worden, sondern in die Dienste eines rechtlich selbständigen Unternehmens in den USA getreten sei. Damit sei das Beschäftigungsverhältnis im Kern berührt gewesen; auch ein “Rumpfarbeitsverhältnis” zum deutschen Arbeitgeber habe nicht fortbestanden. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X für eine Aufhebung der Kindergeldbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit vor. Der Kläger habe seine Pflicht zur Mitteilung des Umzugs ins Ausland grob fahrlässig nicht beachtet.
Mit der Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 1 Abs 1 Nr 2a BKGG. Diese Vorschrift sei nach der neueren Rechtsprechung des BSG (Urteil des 4. Senats vom 22. Juni 1989, SozR 7833 § 1 Nr 6) dahingehend auszulegen, daß eine Entsendung auch dann vorliege, wenn die Beschäftigung im Ausland von vornherein zeitlich beschränkt sowie ferner die Weiter- oder Wiederbeschäftigung beim “Entsendungsarbeitgeber” im Inland gewährleistet sei. Dagegen sei § 4 Abs 1 SGB IV mit seinen strengeren Voraussetzungen im Rahmen des Erziehungs- und des Kindergeldrechts nicht anwendbar. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsvereinfachung müsse die Rechtsprechung des 10. Senats dem angeglichen werden. Zu Unrecht habe das LSG auch das Vorliegen eines “Rumpfarbeitsverhältnisses” im Sinne der Rechtsprechung des BSG zu § 56 Abs 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) verneint.
Der Kläger beantragt,
die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Aus der Rechtsprechung des BSG zum Anspruch auf Erziehungsgeld bzw bei Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Ausland könne der Kläger keinen Kindergeldanspruch während seiner Auslandsbeschäftigung herleiten.
Entscheidungsgründe
II
Auf die Revision des Klägers waren die angefochtenen Bescheide sowie die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Er hat auch über den Monat Juli 1988 hinaus Anspruch auf Kindergeld. Damit kommt es nicht darauf an, ob für die Entziehung des Anspruchs auf Kindergeld und die Rückforderung die Voraussetzungen des § 48 SGB X vorlagen.
1. Der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum folgt nicht bereits aus § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG in der in diesem Rechtsstreit maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986 (BGBl I 222). Denn er hatte damals im Geltungsbereich dieses Gesetzes keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt. Nach der auch insoweit geltenden Legaldefinition des § 30 Abs 3 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird, und den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend weilt. Diese Voraussetzungen waren vom Kläger nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) Tatsachenfeststellungen des LSG nicht erfüllt. Denn hierfür reichen weder die vom LSG zugunsten des Klägers unterstellten mehrmaligen kurzzeitigen Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken aus noch eine “stellvertretende Innehabung” der Wohnung durch die im Inland verbliebenen volljährigen Kinder (s hierzu BSG vom 12. Dezember 1984 – 10 RKg 6/84 – unveröffentlicht).
2. Der Kindergeldanspruch des Klägers bestand jedoch nach § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG (bis zum 11. BKGG-ÄndG – 1985 – gleichlautend § 1 Nr 2 Buchst a BKGG) auch über den Monat Juli 1988 hinaus. Die zitierte Vorschrift setzt voraus, daß der Kindergeldberechtigte
“von seinem im Geltungsbereich dieses Gesetzes ansässigen Arbeitgeber oder Dienstherrn zur vorübergehenden Dienstleistung in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt, abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist”.
Liegen diese Voraussetzungen vor, wird Kindergeld auch für diejenigen Kinder gewährt, die ihren Wohnsitz mit dem Berechtigten ins Ausland verlegt haben, wenn sie in seinem Haushalt aufgenommen sind (§ 2 Abs 5 Satz 2 BKGG). Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung (a) nicht fest, sondern schließt sich der des 4. Senats zum Erziehungsgeld- und Erziehungszeitenrecht (b) an.
a) Der Senat hat § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG bisher – trotz seines abweichenden Wortlauts – ebenso verstanden wie die Regelung über die Ausstrahlung nach § 4 Abs 1 SGB IV (s zuletzt BSG vom 7. September 1988 – 10 RKg 4/87 unter Hinweis auf die vorhergehenden Urteile vom 14. Januar 1987, SozR 5870 § 1 Nr 11 S 24, vom 30. Juli 1981, SozR 5870 § 1 Nr 9 und vom 28. Februar 1980, SozR 5870 § 1 Nr 7; s auch BSG vom 12. Dezember 1984 – 10 RKg 6/84). Nach § 4 Abs 1 SGB IV gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen,
“auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im voraus zeitlich begrenzt ist.”
Von diesem Ausgangspunkt hat der Senat bisher im Rahmen des § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG einen Kindergeldanspruch für solche “Entsandte” verneint, die bei einem im Ausland ansässigen Unternehmen beschäftigt waren. Sowohl § 4 Abs 1 SGB IV als auch § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG setzten ein “in seinem Kern nicht berührtes Beschäftigungsverhältnis … im Inland” voraus. Daß der Senat diese Voraussetzungen auch nicht bei – dem Fall des Klägers entsprechenden – “Entsendungen” innerhalb eines Konzerns annehmen wollte, zeigt das Urteil vom 7. September 1988 – 10 RKg 4/87 –, dem eine entsprechende Fallgestaltung zugrundelag, wie sich zwar nicht aus dem BSG-Urteil, wohl aber aus dem Berufungsurteil (Bayerisches LSG vom 23. Oktober 1986 – L 4 Kg 20/85) ergibt.
b) Diese Rechtsprechung hat sodann der 4. Senat in seiner früheren Zuständigkeit für das Erziehungsgeldrecht “fortgeführt”, sich zugleich jedoch von ihr abgegrenzt. § 1 Abs 2 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) verwies in seiner ursprünglichen Fassung vom 6. Dezember 1985 (BGBl I 2154) auf § 1 (Abs 1) Nr 2 BKGG:
“§ 1 Nr 2 des Bundeskindergeldgesetzes ist sinngemäß anzuwenden; dies gilt auch für den Ehegatten einer hiernach berechtigten Person, wenn die Ehegatten in einem Haushalt leben.”
(Mit Wirkung ab 1. Juli 1989 wurde die Verweisung auf § 1 Nr 2 BKGG in § 1 Abs 2 BErzGG zugunsten einer eigenständigen Regelung aufgelöst, die aber wiederum die Regelung des BKGG übernahm – § 1 Abs 2 Satz 1 BErzGG idF durch das Bundeserziehungsgeld-Änderungsgesetz vom 30. Juni 1989, BGBl I 1297; hierzu BT-Drucks 11/4687, S 6 zu Nr 1b).
Diese Voraussetzungen sah der 4. Senat (Urteil vom 22. Juni 1989, SozR 7833 § 1 Nr 6) in einem Fall erfüllt, in dem der Ehemann der Klägerin bei der deutschen Konzernmutter beschäftigt war und für die Zeit von August 1984 bis voraussichtlich Juli 1986 zu einem Tochterunternehmen nach Dänemark “versetzt” worden war; für die Dauer der Versetzung habe das Beschäftigungsverhältnis zur Konzernmutter “geruht”. In diesem Urteil hielt der 4. Senat § 4 Abs 1 SGB IV nicht für anwendbar, da sich der sachliche Geltungsbereich des SGB IV nicht auf das Kindergeldrecht erstrecke. Die Vorschriften des § 4 Abs 1 SGB IV und § 1 Abs 1 Nr 2a BKGG seien auch weder nach Wortlaut noch nach Inhalt deckungsgleich; insbesondere fehle im Kindergeld- (und damit auch im Erziehungsgeld-) Recht der Passus “im Rahmen eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses”. Es sei auch weder geboten noch angebracht, diesen einengenden Begriffskomplex in das Kindergeld- und Erziehungsgeldrecht hineinzuinterpretieren. Denn das BErzGG stelle auf den Erziehungsort, nicht auf den Ort der Beschäftigung ab. Insoweit sei kein im Inland weiter “bestehendes Beschäftigungsverhältnis” erforderlich, sondern lediglich, daß der Arbeitnehmer aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im Inland in das Ausland zur vorübergehenden Dienstleistung “entsandt” worden sei mit der Folge, daß er seinen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verloren habe. Es werde also hier eine mit der Entsendung durch den Arbeitgeber verbundene gewisse Zwangslage nur bei abhängig Beschäftigten als Grund für eine Verdrängung des Territorialitätsprinzips angenommen. Damit müsse während der “Entsendung” der “Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses” nicht im Inland verbleiben. Es reiche, wenn zum einen die Entsendungsdauer von vornherein begrenzt und zum anderen die Weiter- oder Wiederbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber im Inland gewährleistet sei.
Die insoweit für das Erziehungsgeldrecht begründete Rechtsprechung setzte der 4. Senat dann – einheitlich – auch für das Recht der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung fort (Urteile vom 17. November 1992, BSGE 71, 227 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 und vom 25. Januar 1994 – 4 RA 48/92 = AmtlMittLVA Rheinprovinz 1994, 274, 276). Es sei nicht erforderlich, daß, wie im Fall der Entsendung nach § 4 SGB IV, das inländische Beschäftigungsverhältnis während des Auslandesaufenthaltes mit allen Rechten und Pflichten aufrechterhalten bleibe und lediglich zusätzliche Vereinbarungen für die Dauer des Auslandsaufenthaltes getroffen würden; es müsse jedoch ein “Rumpfarbeitsverhältnis” fortbestehen, aus dem während des Auslandsaufenthaltes wechselseitige Rechte und Pflichten erwüchsen; der Auslandsaufenthalt müsse ferner von vornherein durch Vertrag zeitlich begrenzt sein; danach müsse das Arbeitsverhältnis auch mit den Hauptpflichten wieder aufleben. Mit diesen Ausführungen präzisierte der 4. Senat seine Auffassung ausdrücklich auch zu § 1 Abs 2 BErzGG (BSGE 71, 227, 234 f). Eine Divergenz (§ 41 Abs 2 SGG) zu einer vorherigen Entscheidung des 5. Senats (vom 28. November 1990, BSGE 68, 24 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 11) sah der 4. Senat nicht: Im Fall des 5. Senats sei eine zeitliche Begrenzung des ausländischen Beschäftigungsverhältnisses nicht vorgesehen gewesen. Für einen derartigen Fall lägen auch nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für eine Kindererziehungszeit nicht vor (BSGE 71, 227, 236).
3. Der Senat schließt sich der hierin zum Ausdruck kommenden einheitlichen Auffassung zur Berücksichtigung von Auslandszeiten für die Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung und für das Erziehungsgeld auch mit Wirkung für das Kindergeldrecht an.
Er geht damit nicht mehr davon aus, daß die Grundsätze zur Ausstrahlung (§ 4 Abs 1 SGB IV) mit denen des § 1 Abs 1 Nr 2a BKGG übereinstimmen. Für die vom Senat nunmehr vertretene Auffassung spricht entscheidend, daß die Kollisionsnormen des § 4 Abs 1 SGB IV einerseits und § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG andererseits unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben. § 4 Abs 1 SGB IV ist eine Regelung über die Versicherungspflicht und -berechtigung aufgrund einer Beschäftigung: Die Rechtswirkungen des im Inland fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses werden auf eine Auslandstätigkeit ausgedehnt. Demgegenüber kommt es im Kindergeldrecht (ebenso wie beim Erziehungsgeld) nicht wesentlich auf ein Beschäftigungsverhältnis an und damit auch nicht darauf, wo dieses seinen Schwerpunkt haben könnte. Vielmehr ist zu entscheiden, wo der Schwerpunkt der durch die Sozialleistung des Kindergeldes (bzw des Erziehungsgeldes) auszugleichenden Sachverhalte liegt. Hierzu ist an den Zweck der entsprechenden Sozialleistungen anzuknüpfen. Dies legt nahe, Kindergeld (zum Zweck dieser Leistung s zB Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 7. Mai 1968, BVerfGE 23, 258, 263 f) auch dann weiterzugewähren, wenn Kinder, die voraussichtlich in Deutschland verbleiben werden und denen von ihren Eltern auch schwerpunktmäßig hier eine Heimstatt geboten wird, vorübergehend infolge eines Auslandsaufenthaltes der Eltern dort erzogen werden (s hierzu auch Hepting, IPrax 1990, 222 ff).
Diese Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG führt nicht zu Doppelleistungen, wird doch eventuell zustehendes ausländisches Kindergeld auf das deutsche Kindergeld angerechnet (§ 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm Abs 2 BKGG).
Das LSG weist zwar zu Recht darauf hin, daß nach der Begründung zu dem ab 1. Januar 1975 geltenden § 1 Nr 2 Buchst a BKGG die hiervon erfaßten “Arbeitnehmer, Beamte und Soldaten … unter Fortbestand des Arbeits- oder Dienstverhältnisses zu ihrem inländischen Arbeitgeber oder Dienstherrn für diesen vorübergehend im Ausland tätig werden” (BT-Drucks 7/2032 S 8 zu § 1 Nr 2). Hieraus kann jedoch nicht zwingend abgeleitet werden, daß der Abschluß eines (weiteren) Dienstverhältnisses zu einem rechtlich selbständigen ausländischen Arbeitgeber einer Anwendung dieser Vorschrift von vornherein entgegenstünde. So stellt die Begründung des Entwurfs (aaO) in ihrem Eingangssatz ganz allgemein darauf ab, daß durch die Regelung Personen in das Kindergeldsystem einbezogen werden sollen, “die zwar im Geltungsbereich des Gesetzes weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, aber hier anderweitig verwurzelt sind, und zwar insbesondere durch Arbeits- und Dienstverhältnisse sowie auf hierauf zurückgehende Versorgungsberechtigungen.” Eine derartige “Verwurzelung” aber ist auch im Rahmen eines fortbestehenden Rumpfarbeitsverhältnisses denkbar.
Dies wird auch dadurch deutlich, daß der Gesetzgeber – mit Wirkung ab 1. Januar 1990 – § 1 Abs 1 BKGG den Satz 2 hinzugefügt hat, wonach dem Abgeordneten iS des Satzes 1 Nr 2 Buchst a derjenige gleichsteht, dem nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) eine Tätigkeit bei einer Einrichtung außerhalb des Anwendungsbereichs jenes Gesetzes zugewiesen ist. Hiermit trug der Gesetzgeber dem zum selben Zeitpunkt geschaffenen beamtenrechtlichen Institut der Zuweisung Rechnung.
§ 123a BRRG hat folgenden Wortlaut:
“(1) Dem Beamten kann im dienstlichen oder öffentlichen Interesse mit seiner Zustimmung vorübergehend eine seinem Amt entsprechende Tätigkeit bei einer öffentlichen Einrichtung außerhalb des Anwendungsbereichs dieses Gesetzes zugewiesen werden. Die Zuweisung einer Tätigkeit bei einer anderen Einrichtung ist zulässig, wenn dringende öffentliche Interessen dies erfordern; die Entscheidung trifft die oberste Dienstbehörde.
(2) Die Rechtsstellung des Beamten bleibt unberührt. Für Bezüge, die der Beamte aus der Verwendung nach Abs 1 erhält, gilt § 9a Abs 2 des Bundesbesoldungsgesetzes.”
Mit der Zuweisung ist im Beamtenrecht ein neues Institut geschaffen worden, das erlaubt, Beamte öffentlichen, aber auch privaten (§ 123a Abs 1 Satz 2 BRRG) ausländischen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Hierdurch wird zwar – nach Abs 2 Satz 1 – die Rechtsstellung des Beamten nicht berührt; faktisch werden jedoch die Bindungen zum bisherigen Dienstherrn stark eingeschränkt: Der Beamte untersteht nunmehr der Anordnungsbefugnis der Einrichtung, der er zugewiesen wird; sein deutscher Dienstherr beschränkt sich auf die “Mantel-Weisung”, den Anordnungen seiner Vorgesetzten in dieser Einrichtung Folge zu leisten. Der Anspruch des Beamten auf seine vollen Bezüge bleibt zwar bestehen, hierauf werden jedoch die Leistungen der aufnehmenden Einrichtung angerechnet, so daß der inländische Besoldungsanspruch für die Zeit der Zuweisung auch gänzlich aufgezehrt werden kann (zur Regelung des § 123a BRRG s Hoffmann, ZTR 1990, 327 sowie Kottula, ZBR 1995, 168).
Damit aber ist ein Personenkreis in das Kindergeldsystem ausdrücklich einbezogen, dessen Rechtsstellung demjenigen zumindest sehr ähnelt, der im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senats unter Fortbestand eines “Rumpfarbeitsverhältnisses” auf Veranlassung seines Arbeitgebers vorübergehend ins Ausland geht. Die – im übrigen in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 11/6835 S 55 f – zu Art 1 Nr 01 und 8a, Art 1b bis 1f – letztere Vorschrift betraf die Änderung des BKGG, aaO S 26) nicht näher begründete – Erweiterung des § 1 Abs 1 BKGG um seinen Satz 2 macht deutlich, daß auch nach Auffassung des Gesetzgebers der Kindergeldanspruch für diejenigen erhalten bleiben soll, die nicht lediglich aufgrund des inländischen Arbeits- oder Dienstverhältnisses im Ausland tätig werden, sondern zugleich unter Begründung selbständiger rechtlicher Beziehungen zu einem ausländischen Dienstherrn bzw Arbeitgeber.
Der Anwendung des § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG in diesem Sinne steht nicht entgegen, daß die Regelung des § 1 Abs 1 Satz 2 BKGG erst mit Wirkung ab 1. Januar 1990 in das Gesetz eingefügt worden ist, während im vorliegenden Fall ein Zeitraum bereits ab August 1988 im Streit steht. Denn die Neuregelung des § 1 Abs 1 Satz 2 BKGG muß nicht als Erweiterung einer ursprünglichen, engeren Regelung gewertet werden, sondern als Klarstellung, daß auch entsprechende Fallgestaltungen von § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG erfaßt werden. Daß der Gesetzgeber hierdurch nichts grundlegend Neues schaffen wollte, kann auch dem Umstand entnommen werden, daß er insoweit eine gesonderte Begründung nicht für erforderlich hielt.
4. Die hiernach für die Kindergeldberechtigung nach § 1 Abs 1 Nr 2a BKGG geltenden Voraussetzungen waren im Fall des Klägers erfüllt:
a) Während seines Aufenthalts bestand ein Rumpfarbeitsverhältnis zu seinem deutschen Arbeitgeber fort. Nach den zugrundeliegenden Vereinbarungen im “Auslandsversetzungsvertrag” mit Anlagen, deren Inhalt das LSG durch Bezugnahme auf die vom Kläger eingereichten Unterlagen festgestellt hat, ruhte das Beschäftigungsverhältnis zum Stammhaus für die Dauer der Versetzung; der Kläger blieb jedoch zB verpflichtet, dieses über Erkenntnisse im Rahmen seines Auslandseinsatzes zu informieren – wenn auch über die Geschäftsleitung der ausländischen Tochtergesellschaft. Das Stammhaus – und nicht die ausländische Tochtergesellschaft – sagte dem Kläger für die Dauer seiner Beschäftigung im Ausland bestimmte Leistungen zu (Reisekosten, Überbrückungsbeihilfe, Ausrüstungsbeihilfe, Trennungsentschädigung); die betriebliche Altersversorgung wurde aufrechterhalten; ferner rechnete die Dauer der Versetzung zur ausländischen Gesellschaft als Dienstzeit beim Stammhaus, wenn er nach Abschluß der Auslandstätigkeit unverzüglich dorthin zurückkehrte.
b) Bei Rückkehr im Einvernehmen mit dem Stammhaus war dem Kläger ferner eine angemessene Wiederbeschäftigung zugesichert.
c) Schließlich war der Auslandsaufenthalt des Klägers auch in erforderlichem Maß von vornherein durch Vertrag zeitlich begrenzt. Der “Auslandsversetzungsvertrag” enthält insoweit folgende Regelung: “Beim gegenwärtigen Stand unserer (dh des Stammhauses) Planung gehen wir davon aus, daß die Dauer ihrer Versetzung voraussichtlich drei Jahre betragen wird”. Hieraus kann zwar keine vereinbarte Befristung des Auslandseinsatzes auf – genau – drei Jahre (1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1991) abgeleitet werden. Aus dieser Vertragsbestimmung ergibt sich – iVm den anderen aus Anlaß des Auslandsaufenthaltes getroffenen Regelungen – jedoch mit hinreichender Deutlichkeit, daß nicht nur kein Auslandseinsatz auf Dauer geplant war, sondern darüber hinaus auch eine Rückkehr in absehbarer Zeit.
In dieser Hinsicht wäre ein Rückkehranspruch des Klägers auch – uU gerichtlich – durchsetzbar gewesen. Denn das Stammhaus hat sich durch die zitierte, wenn auch in ihrer Wortwahl bewußt unbestimmt gehaltene, Regelung zur Aufenthaltsdauer zwar einerseits einen Ermessensspielraum vorbehalten, andererseits aber jedenfalls durch Nennung des Zeitraums von (wenn auch voraussichtlich) drei Jahren gebunden. Die Gestaltungsfreiheit, die sich das Stammhaus durch die erwähnte Formulierung vorbehalten hatte, durfte von ihm nur im Rahmen des billigen Ermessens (§ 315 Abs 1 und 3 Bürgerliches Gesetzbuch) ausgeübt werden. Hierbei sind alle wesentlichen Umstände des Falles abzuwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen (Bundesarbeitsgericht ≪BAG≫ vom 23. Juni 1993, AP Nr 42 zu § 611 BGB Direktionsrecht mwN). Der dem Stammhaus hiernach zustehende Entscheidungsspielraum wäre ohne zusätzliche, vertragsändernde Vereinbarung mit dem Kläger immer weiter geschrumpft, je weiter die Frist von drei Jahren bereits überschritten gewesen wäre: Von seiten des Arbeitgebers hätten bei zunehmendem Abstand zum in Aussicht genommenen Rückkehrtermin umso gewichtigere betriebliche Gründe für ein weiteres Verbleiben des Klägers im Ausland nachgewiesen werden müssen.
Dies aber reicht nach Auffassung des Senats aus, um eine von vornherein vereinbarte zeitliche Begrenzung des Auslandsaufenthalts iS des § 1 Abs 1 Nr 2a BKGG (“vorübergehend”) annehmen zu können (im Ergebnis ebenso, wenn auch ohne nähere Begründung, BSG 4. Senat vom 22. Juni 1989, SozR 7833 § 1 Nr 6, wo ebenfalls nur ein “voraussichtlicher” Abschlußtermin des Auslandsaufenthaltes festgestellt war). Hierbei kann der Senat offenlassen, ob bei einer vertraglichen Vereinbarung mit dem hier vorliegenden Wortlaut auch eine exakte äußerste Grenze denkbar ist (etwa bei Überschreitung des genannten Zeitraums um einen weiteren von drei Jahren), nach deren Erreichen der Arbeitnehmer auch ohne Berücksichtigung betrieblicher Belange seine Rückkehr zum Stammhaus verlangen kann.
Bei der Beurteilung, ob ein Auslandsaufenthalt von vornherein durch Vertrag zeitlich begrenzt ist, hat jedenfalls unberücksichtigt zu bleiben, ob der Rückruf des Berechtigten in der Tat in dem vertraglich vorgegebenen Rahmen erfolgt ist oder ob sich nachträglich eine Abweichung vom Vereinbarten ergeben hat. Dies folgt auch aus den Besonderheiten des Kindergeldrechts. Denn das Kindergeld ist eine Sozialleistung, die nicht aufgrund bereits abgeschlossener Sachverhalte gewährt wird; es soll vielmehr vor allem den gegenwärtigen Unterhaltsbedarf der Kinder – teilweise – abdecken. Deshalb kann insoweit nur eine vorausschauende Betrachtungsweise, die der Kindergeldkasse und den sonstigen Kindergeld gewährenden Behörden die sofortige Entscheidung über einen Leistungsantrag ermöglicht, angemessen sein (s das Senatsurteil vom 15. Dezember 1992, BSGE 72, 8, 13 = SozR 3-5180 § 1 Nr 2).
Die im Falle des Klägers vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich deutlich von solchen Fällen, in denen das BSG angenommen hat, daß dem Auslandsaufenthalt eines deutschen Arbeitnehmers keine von vornherein vereinbarte zeitliche Begrenzung zugrunde lag, wie etwa in dem vom 5. Senat am 28. November 1990 (BSGE 68, 24 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 11) entschiedenen Fall, in dem nach den vertraglichen Vereinbarungen auch ein dauernder Verbleib im Ausland denkbar war und lediglich vorgetragen wurde, daß der deutsche Arbeitgeber seine Mitarbeiter regelmäßig nach dreijährigem Auslandsaufenthalt zurückgerufen habe, oder vom Sachverhalt des Urteils des 11. Senats vom 4. Mai 1994 – 11 RA 55/93 – (USK 9435), in dem ein Auslandsaufenthalt von “vorerst” 24 Monaten vorgesehen war, der sich vorbehaltlich einer Kündigung durch eine der Vertragsparteien automatisch um jeweils ein Jahr verlängern sollte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 956126 |
SozSi 1997, 319 |