Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. März 1991 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (BU/EU).
Der im Jahre 1933 geborene Kläger hat das Malerhandwerk erlernt und im September 1964 die Meisterprüfung abgelegt. Von 1965 an war er als Malermeister selbständig tätig. Beiträge zur Rentenversicherung wurden bis Januar 1971 entrichtet. Am 5. September 1978, am 18. März 1986 und am 10. Juli 1987 erlitt der Kläger Arbeitsunfälle.
Seinen im April 1987 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27. April 1987 ab mit der Begründung, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a Reichsversicherungsordnung (RVO) und der Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) seien nicht erfüllt. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. November 1987, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Hannover vom 5. April 1990, Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen ≪LSG≫ vom 6. März 1991). Das LSG ist der Beklagten darin gefolgt, daß der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a RVO nicht erfülle. Er sei nicht, wie es diese Vorschrift voraussetze, zuletzt vor dem behaupteten Eintritt der Berufsunfähigkeit versicherungspflichtigt beschäftigt oder tätig gewesen. Eine derartige Versicherung sei selbst dann erforderlich, wenn er durch einen Arbeitsunfall berufsunfähig geworden sein sollte. Dies ergebe sich aus dem Regelungszusammenhang zwischen dem Abs 1 und dem Abs 2a der §§ 1246 und 1247 RVO. Im übrigen sei durch den Arbeitsunfall vom März 1986 keine Behinderung bewirkt worden, die zur Berufsunfähigkeit geführt habe. Auch die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG hätten nicht vorgelegen. Der Kläger sei bis 30. Januar 1984 nicht berufsunfähig gewesen; dafür spreche ua, daß der Kläger nach seinen eigenen Angaben über das Jahr 1986 hinaus als Malermeister erwerbstätig gewesen sei.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine unzureichende Sachaufklärung durch das LSG (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und trägt dazu vor, das LSG habe es versäumt auf die Folgen des Arbeitsunfalls vom Juli 1987 einzugehen. Eine weitere medizinische Sachaufklärung hätte ergeben, daß er seinen Beruf wegen der Folgen der beiden Arbeitsunfälle nicht mehr habe ausüben können. Weiter rügt der Kläger die Auslegung des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO durch das LSG und trägt dazu vor, für die Anwendung dieser Vorschrift genüge, daß die Berufsunfähigkeit durch einen Tatbestand des § 1252 RVO, also insbesondere einen Arbeitsunfall, eingetreten sei.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des LSG Niedersachsen vom 6. März 1991 und das Urteil des SG Hannover vom 5. April 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. April 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 1987 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen BU/EU ab 1. August 1987 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält den Sachverhalt für ausreichend geklärt und das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung begründet.
Rechtsgrundlage für den erhobenen Anspruch sind die §§ 1246, 1249 und 1252 RVO. Zwar sind diese Vorsschriften mit Inkrafttreten des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zum 1. Januar 1992 außer Kraft getreten. Nach § 300 Abs 2 SGB VI sind sie jedoch ua noch auf Ansprüche anzuwenden, die vor Inkrafttreten des SGB VI geltend gemacht worden sind, was hier zutrifft.
Dem LSG ist insoweit zu folgen, als es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO verneint hat.
Der Kläger hat seinen letzten Pflichtbeitrag im Jahre 1971 entrichtet. Ab 1984 hat er weder freiwillige Beiträge geleistet noch eine der in § 1246 Abs 2a S 2 RVO genannten Streckungszeiten zurückgelegt. Unzutreffend ist jedoch die Auffassung des LSG, daß diese Voraussetzungen auch zu fordern seien, wenn die Voraussetzungen von § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO vorliegen. Es ist nicht erkennbar, aus welchem Regelungszusammenhang das LSG diese Folgerung ableiten will. § 1246 Abs 2a RVO definiert, wann „zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden” ist. Dabei nennt das Gesetz in Satz 1 Nrn 1 und 2 zwei Fallgruppen in denen es die Voraussetzung der vorangegangenen versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit als gegeben ansieht. Diese beiden Fallgruppen sind deutlich durch ein „oder” getrennt und damit als echte Alternativen gekennzeichnet (s auch hM: VDR-Komm RVO § 1246 RdNr 18 Anm 4 S 59; Hennies in Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst AVG § 23 Anm A, I, 3; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung § 1246 RVO Anm II, 2, B, c). In den Fällen der Nr 1 werden 36 Monate innerhalb der letzten 60 Kalendermonate als ausreichend bezeichnet, wobei die in Satz 2 genannten Streckungszeiten diesen Zeitraum ausweiten können.
In den Fällen der Nr 2 wird auf § 1252 RVO Bezug genommen, dessen Anwendung lediglich die Entrichtung eines Beitrages vor Eintritt der BU durch die dort genannten Ereignisse voraussetzt (vgl VDR-Komm § 1252 RVO RdNr 4; Zweng/ Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung § 1252 Anm I). In § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO ist auch der Arbeitsunfall genannt. Diese Regelung hat der Gesetzgeber in § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 2 RVO ohne Einschränkungen übernommen; er fingiert die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit einmal durch die Beitragsleistung (Nr 1) und zum anderen durch einen Vorbeitrag und die Wartezeitfiktion des § 1252 RVO (Nr 2). Diese beiden versicherungsrechtlichen Erfordernisse stehen gleichrangig nebeneinander. Eine vor Eintritt des Versicherungsfalles zeitnah ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit fordert zwar jetzt § 35 SGB VI. Dieser gilt jedoch erst für Versicherungsfälle ab dem 1. Januar 1992 (§ 300 SGB VI).
Nach allem kommt es darauf an, ob der Kläger berufsunfähig ist und die von ihm erlittenen Arbeitsunfälle hierfür die wesentliche Ursache sind. Insoweit rügt der Kläger zu Recht eine unzureichende Sachaufklärung. Das LSG hat sich nämlich nur mit den Folgen des Unfalls vom 18. März 1986, nicht aber mit dem Unfall vom 10. Juli 1987 befaßt, auf den der Kläger hingewiesen hatte. Es muß diese Ermittlungen noch nachholen.
Bei der danach anstehenden Entscheidung wird es außerdem berücksichtigen müssen, daß BU oder EU nicht nur dann Folge eines Arbeitsunfalls sind, wenn sie allein durch die Unfallfolgen bedingt sind, sondern auch dann, wenn das (eingeschränkte) Leistungsvermögen des Klägers vor den Unfällen die Grenze der BU noch nicht erreicht hatte, diese Grenze jedoch durch die Unfallfolgen überschritten wurde. In diesem Falle wären die Unfälle wesentliche Ursache für den Eintritt der Berufsunfähigkeit mit der Folge, daß § 1252 Abs 1 Nr 1 RVO anwendbar wäre. Hierzu fehlen ebenfalls noch ausreichende Feststellungen des LSG.
Der erkennende Senat vermag dem LSG schließlich auch insoweit nicht zu folgen, als es BU mit dem Hinweis darauf verneint, daß der Kläger noch bis 1986 und darüber hinaus tatsächlich als Malermeister erwerbstätig gewesen sei. Zwar ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ein wichtiges Indiz gegen das Vorliegen von BU; doch ist es einem Selbständigen wie dem Kläger unter Umständen durchaus möglich, den Umfang seiner Tätigkeit erheblich zu reduzieren. Den Umfang der vom Kläger geleisteten Arbeiten hat das LSG aber nicht geprüft. Ferner ist nicht auszuschließen, daß der Kläger seinen Beruf auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat. Auch hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen.
Da noch weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen sind, die das BSG nicht selbst treffen kann (§ 163 SGG), war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen