Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit von Werbemaßnahmen der Krankenkassen. Eine KK hat keinen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihr aus unzulässigen Werbemaßnahmen einer anderen Krankenkasse erwächst.
Beteiligte
AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz, Virchowstraße 30, 67304 Eisenberg, Klägerin und Revisionsbeklagte |
Barmer Ersatzkasse, Untere Lichtenplatzer Str. 100-102, 42289 Wuppertal, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
In der Zeit zwischen August 1991 und Juli 1992 verbreitete ein Mitarbeiter der beklagten Ersatzkasse zu Werbezwecken in verschiedenen Betrieben im Raum Bad Kreuznach eine von ihm verfaßte "Gegenüberstellung der Leistungsunterschiede der Barmer Ersatzkasse gegenüber der AOK" mit teilweise unrichtigem, irreführendem bzw diskriminierendem Inhalt. Nach Abmahnung durch die Klägerin verpflichtete sich die Beklagte, die beanstandete Werbung bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung verwirkten Vertragsstrafe in Höhe von 10.000,- DM zu unterlassen. Die von der Klägerin zusätzlich geforderte Verpflichtung, über den Umfang der Verteilung der "Gegenüberstellung" Auskunft zu geben, den aus der unlauteren Werbung entstandenen und künftig entstehenden Schaden zu ersetzen, der Veröffentlichung der strafbewehrten Unterlassungserklärung auf Kosten der Beklagten in der Hauszeitschrift der Klägerin zuzustimmen sowie die durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten in Höhe von 1.456,80 DM zu tragen, lehnte sie ab.
Während das Sozialgericht (SG) die hierauf gerichtete Klage abgewiesen hat, hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Den Einwand, für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche gebe es im Sozialgesetzbuch (SGB) keine Rechtsgrundlage, hat es nicht gelten lassen. Die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen der Krankenkassen beurteile sich zwar grundsätzlich nach öffentlichem Recht; doch schließe das eine analoge Anwendung der im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) getroffenen Regelungen zur Unterbindung und Ahndung von Wettbewerbsverstößen nicht aus. Da die beanstandete Mitgliederwerbung erkennbar irreführend gewesen sei, habe die Beklagte der Klägerin entsprechend § 13 Abs 6 Nr 1 UWG den dadurch entstandenen Schaden einschließlich der zu seiner Geltendmachung und zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs erforderlichen Aufwendungen zu ersetzen.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger untereinander und die sich daraus ergebenden Ansprüche seien im SGB abschließend geregelt. Damit verbiete sich schon aus rechtssystematischen Erwägungen eine ergänzende Heranziehung von Schadenersatzvorschriften des UWG oder des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Auch ein vertragsähnliches öffentlich-rechtliches Treueverhältnis bestehe nicht. Selbst wenn die Kosten der anwaltlichen Abmahnung unter dem Gesichtspunkt öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag verlangt werden könnten, seien sie mit Rücksicht auf den durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad der Abmahnung unverhältnismäßig. Dies gelte auch für den behaupteten Veröffentlichungsanspruch im Hinblick darauf, daß durch das Werbeverhalten der Beklagten lediglich ein kleiner, eng begrenzter Personenkreis erreicht worden sei.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. März 1995 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 26. Mai 1993 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die von der Rechtsprechung als Grundlage für den Anspruch auf Unterlassung wettbewerbswidrigen Verhaltens einer Krankenkasse herangezogene Vorschrift des § 86 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) müsse im Sinne einer umfassenden wettbewerbsrechtlichen Anspruchsgrundlage verstanden werden. Einen isolierten Unterlassungsanspruch gebe es im Wettbewerbsrecht nicht.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils erster Instanz. Für die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche besteht keine rechtliche Grundlage.
Das LSG hat seine zusprechende Entscheidung mit einer analogen Anwendung wettbewerbsrechtlicher Normen und Rechtsgrundsätze begründet und sich insbesondere auf § 1 und § 13 Abs 6 UWG bezogen. Nach diesen Bestimmungen kann ein Wettbewerber von seinem Konkurrenten nicht nur die Unterlassung eines sittenwidrigen oder irreführenden Wettbewerbs, sondern bei schuldhaftem Handeln zusätzlich Schadenersatz verlangen. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der Abwehr weiterer Beeinträchtigungen (Unterlassung) als auch unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung eines fortwirkenden Störungszustandes (Schadenersatz) können sich Ansprüche auf Veröffentlichung einer vom Verletzer abgegebenen Unterlassungserklärung bzw auf Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten ergeben (BGHZ 99, 133, 136 f = GRUR 1987, 189, 191 f mwN; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl 1997, S 303). Zum Schaden in diesem Sinne werden auch die Anwaltskosten für eine außergerichtliche Abmahnung gerechnet, die dem Verletzten zur Vermeidung von Prozeßkosten obliegt (BGH LM Nr 188 zu § 3 UWG = GRUR 1982, 489; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 19. Aufl 1996, Einl UWG RdNr 553); als verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage hierfür kommen außerdem die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht (BGHZ 115, 210, 212 = GRUR 1992, 176, 178 mwN). Auf der Grundlage von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wird schließlich dem Verletzten gewohnheitsrechtlich ein Anspruch auf Auskunft oder Rechnungslegung zugebilligt, der ihn in die Lage versetzen soll, sonstige Vermögensschäden zu beziffern und ersetzt zu bekommen (BGH GRUR 1980, 227, 232; BGHZ 125, 322, 329 = GRUR 1994, 630, 636). Dieses für das gewerbliche Wettbewerbsrecht entwickelte Instrumentarium von deliktischen, negatorischen und ergänzenden Ansprüchen, die auf die Beseitigung eines durch unlautere Werbemaßnahmen verursachten Schadens abzielen, kann indessen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auf die Rechtsbeziehungen und den Wettbewerb zwischen gesetzlichen Krankenkassen nicht übertragen werden.
Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen untereinander werden vom öffentlichen Recht geprägt, dem infolgedessen auch die Regeln für die Mitgliederwerbung zu entnehmen sind. Zum Rechtszustand vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankkenversicherung (SGB V) am 1. Januar 1989 hat dies das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden (BSGE 36, 238 = SozR Nr 64 zu § 51 SGG; BSGE 56, 140 = SozR 1500 § 51 Nr 84; BSG SozR 1500 § 55 Nr 31; BSGE 63, 144 = SozR 2200 § 517 Nr 11 ); der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) hat sich dem mit Beschluß vom 10. Juli 1989 (BGHZ 108, 284 = SozR 1500 § 51 Nr 53) angeschlossen und für Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung zwischen Krankenkassen den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig erklärt. An dieser Beurteilung hat sich durch die seitherige Rechtsentwicklung nichts geändert. Mit der Umgestaltung der Vorschriften über die Kassenzuständigkeit (Neufassung der §§ 173 bis 175, Streichung der §§ 178 bis 185 SGB V) durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) hat der Gesetzgeber die Wahlrechte der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zwar deutlich erweitert und infolgedessen den Wettbewerb der Kassen um Mitglieder verschärft. Da auch das bis dahin geltende Recht Wahlmöglichkeiten, insbesondere für Angestellte in bezug auf die Ersatzkassen, vorgesehen hatte, liegt darin jedoch keine qualitative, sondern nur eine quantitative Veränderung. Durch die Ausweitung des Wettbewerbs mag sich der Handlungsspielraum der Kassen und zugleich die Gefahr von Auswüchsen bei der Mitgliederwerbung vergrößert haben; von einem Paradigmenwechsel, der es erlauben würde, den Kassenwettbewerb nunmehr dem allgemeinen Wettbewerbsrecht zu unterstellen (in diesem Sinne: Köhler, NZS 1998, 153 ff), kann aber keine Rede sein. Denn unbeschadet des in einem gegliederten System der Krankenversicherung mit Kassenwahlfreiheit bestehenden Konkurrenzverhältnisses bleiben die Krankenkassen als Organe mittelbarer Staatsverwaltung auch bei ihren Werbemaßnahmen der gemeinsamen öffentlichen Aufgabe der gesundheitlichen Daseinsvorsorge verpflichtet. Dürften die Belange der Allgemeinheit dem Interesse an der Mitgliederwerbung untergeordnet werden, wäre ihre ordnungsgemäße Erfüllung nicht mehr sichergestellt. Deshalb müssen die Grenzen des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen anhand des gesetzlichen Auftrags und der zu seiner Verwirklichung erlassenen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs bestimmt werden; diese und nicht die Normen des privatrechtlichen Wettbewerbsrechts sind anzuwenden, wenn über Ansprüche aus unzulässigen Werbemaßnahmen einer Krankenkasse zu entscheiden ist (so auch zuletzt: Beschluß des BGH vom 15. Januar 1998 - I ZB 20/97 - in WRP 1998, 624). Nur soweit eine eigene Rechtsgrundlage für solche Ansprüche im Recht der Krankenversicherung vorhanden ist, können wettbewerbsrechtliche Regelungen und die dazu von den ordentlichen Gerichten entwickelten Rechtsgrundsätze als Auslegungshilfe ergänzend herangezogen werden.
Beschränkungen hinsichtlich Form und Inhalt von Maßnahmen der Mitgliederwerbung ergeben sich insbesondere aus der Pflicht der Kassen zur Aufklärung, Beratung und Information der Versicherten (§§ 13 bis 15 SGB I) sowie dem Gebot, bei der Erfüllung dieser und anderer gesetzlicher Aufgaben mit den übrigen Sozialversicherungsträgern zusammenzuarbeiten (§ 15 Abs 3 SGB I; § 86 SGB X). Daß speziell die Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zur Zusammenarbeit untereinander verpflichtet sind, wird in § 4 Abs 3 SGB V nochmals hervorgehoben. Wie bei jeder Handlungspflicht korrespondiert damit eine Pflicht zur Unterlassung von Tätigkeiten, die dem vorgegebenen Handlungsziel zuwiderlaufen. Wird deshalb bei der Werbung die Pflicht zur sachbezogenen Information und zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger nicht beachtet, kann sich daraus im Umkehrschluß ein Anspruch des beeinträchtigten Trägers auf Unterlassung der unzulässigen Werbemaßnahmen ergeben (BSG SozR 1500 § 55 Nr 31 S 31; BSGE 63, 144, 145 f = SozR 2200 § 517 Nr 11 S 30 f; GmS-OGB BGHZ 108, 284, 288 = SozR 1500 § 51 Nr 53 S 110). Dem hat die Beklagte hier Rechnung getragen, indem sie die von der Klägerin geforderte Unterlassungserklärung abgegeben hat. Darüber hinausgehende Schadenersatz- und Folgenbeseitigungsansprüche der betroffenen Krankenkasse, wie sie nunmehr mit der Klage geltend gemacht werden, lassen sich dagegen aus den angeführten Bestimmungen und der darin geregelten Kooperationspflicht der Krankenkassen selbst bei weitester Auslegung nicht herleiten. Solche Ansprüche sind im SGB auch an anderer Stelle weder ausdrücklich noch sinngemäß vorgesehen, so daß es an einer entsprechenden Haftungsgrundlage fehlt.
Das Gesetz enthält bezüglich der streitigen Ansprüche auch keine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung von Vorschriften des Wettbewerbsrechts oder des bürgerlichen Rechts geschlossen werden könnte. Ein gesetzgeberisches Konzept des Inhalts, daß Verstöße gegen die Pflicht der Krankenkassen zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Rücksichtnahme regelmäßig Ausgleichsansprüche der beeinträchtigten Kasse auslösen sollen, ist nicht zu erkennen. Während die Zusammenarbeitspflicht der Sozialleistungsträger im allgemeinen und der Krankenkassen im besonderen an zahlreichen Stellen des SGB präzisiert und zu konkreten Handlungspflichten verdichtet wird (vgl dazu die Übersicht bei Seewald, Kasseler Komm, Stand Januar 1998, § 86 SGB X RdNrn 15 bis 29), sind Sanktionen für den Fall der Nichtbeachtung solcher Pflichten nur vereinzelt vorgesehen. Schadenersatzansprüche zwischen Sozialleistungsträgern hat der Gesetzgeber nur im Zusammenhang mit Pflichtverletzungen beim Einzug und der Weiterleitung von Sozialversicherungsbeiträgen im Hinblick auf das dort zwischen der Einzugsstelle und den Fremdversicherungsträgern bestehende Treuhandverhältnis ausdrücklich normiert (§ 28r SGB IV; § 255 Abs 2 Satz 3 SGB V). Die auf diese besondere Materie zugeschnittenen Regelungen sind wegen ihres Ausnahmecharakters nicht verallgemeinerungsfähig. Ihre Existenz in Verbindung mit der Tatsache, daß vergleichbare Vorschriften in anderen Bereichen fehlen, spricht dafür, daß gerade keine generelle Schadenersatzpflicht bei Rechtsverletzungen im Verhältnis der Sozialleistungsträger zueinander begründet werden sollte. Speziell das Fehlen einer wettbewerbsrechtlichen Haftungsgrundlage kann nicht auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhen. Dieser hat mit der Einführung der Kostenerstattungsmöglichkeit für freiwillige Mitglieder aller gesetzlichen Krankenkassen, der Ausweitung der Wahlfreiheit der Versicherten, der Erweiterung von Möglichkeiten der Vereinigung von Krankenkassen und der Verbesserung der Gestaltungsmöglichkeiten der Kassen im Leistungsbereich durch das GSG und das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-NOG) vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520) zahlreiche neue Wettbewerbselemente in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführt. Wenn er gleichwohl in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG und des GmS-OGB auf die Kodifizierung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche verzichtet hat, kann dies nur als "beredtes Schweigen" gewertet werden. Für die Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ist unter diesen Umständen kein Raum.
Eine Rechtsfortbildung durch Schaffung eigener wettbewerbsrechtlicher "Ausgleichsansprüche" der Krankenkassen in Analogie zu den entsprechenden Instituten des privaten Wettbewerbsrechts hat aber auch deshalb auszuscheiden, weil die Bedeutung des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen auf der einen und zwischen Konkurrenten in der gewerblichen Wirtschaft auf der anderen Seite nicht vergleichbar und deshalb kein analogiefähiger Tatbestand gegeben ist. Während das Interesse der privaten Wettbewerber darauf gerichtet ist, die eigene Marktposition zu Lasten der Konkurrenten auszubauen und diese nach Möglichkeit ganz vom Markt zu verdrängen, haben die Krankenkassen zusammenzuarbeiten, um eine zweckmäßige, wirtschaftliche und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung aller Versicherten zu den gesetzlich festgelegten Bedingungen einer sozialen Krankenversicherung zu gewährleisten. Diesem Ziel - und nicht der gegenseitigen Ausgrenzung - dient auch der Wettbewerb zwischen ihnen. Der Gesetzgeber erwartet sich davon positive Auswirkungen im Sinne von mehr Effektivität und Flexibilität des Verwaltungshandelns, besserer Kundenorientierung, eines permanenten Ansporns zur Innovation und eines Drucks auf Preise und Beiträge. Dagegen soll verhindert werden, daß durch Wettbewerb Zugangsprobleme zum sozialen Krankenversicherungsschutz entstehen, daß es zu einer Risikoselektion kommt oder daß unnötige Leistungen erbracht werden (vgl Seehofer, SozVers 1993, 263 ff). Von daher steht nicht die Marktposition der einzelnen Kasse oder Kassenart und die Abwehr dagegen gerichteter Angriffe konkurrierender Kassen im Vordergrund, sondern die Funktionsfähigkeit des Systems als Ganzes. Die in der Begründung zum Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) formulierte Absage an ein reines Marktmodell im Gesundheitswesen (vgl BT-Drucks 11/2237 S 147 = BR-Drucks 200/88 S 147) hat deshalb auch nach der Einführung zusätzlicher Wettbewerbselemente in die gesetzliche Krankenversicherung durch das GSG und das 2. GKV-NOG weiterhin Gültigkeit.
Die Situation der um Mitglieder konkurrierenden Krankenkassen ist mit derjenigen eines Wettbewerbers im privaten Geschäftsverkehr auch im Hinblick auf das Schadensrisiko nicht vergleichbar. Denn während dieser einen durch unlautere Werbung verursachten Schaden nicht abwälzen kann, schreibt das Gesetz für die Krankenkassen die Durchführung eines jährlichen Risikostrukturausgleichs vor, durch den die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden in der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder, der Zahl der mitversicherten Familienangehörigen und der Verteilung der Versicherten auf nach Alter und Geschlecht getrennte Versichertengruppen ausgeglichen werden sollen (§ 266 Abs 1 SGB V idF des GSG). Diese Regelung ist - ebenso wie die bis 31. Dezember 1993 geltende Vorgängerregelung über den Finanzausgleich auf Landesebene (§ 266 SGB V idF des GRG) - darauf ausgerichtet, die wirtschaftlichen Folgen abzumildern, die sich aus der unterschiedlichen Risikostruktur der Kassen ergeben. Sie deckt im Grundsatz auch Risikoverschiebungen aufgrund der An- und Abwerbung von Mitgliedern durch andere Kassen mit ab. Wenn der Finanzausgleich auch pauschal unter allen beteiligten Krankenkassen vorgenommen wird und nicht notwendig deckungsgleich mit einem individuellen Wettbewerbsschaden ist, führt die Anwendung des § 266 SGB V doch im Ergebnis dazu, daß Nachteile aufgrund unzulässiger Werbemaßnahmen konkurrierender Kassen mit ausgeglichen werden. In Anbetracht dieser auch in bezug auf das Schadensrisiko grundlegend anderen Ausgangslage ist es nicht zulässig, die dem individuellen Schadensausgleich dienenden Vorschriften des privatrechtlichen Wettbewerbsrechts ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung auf Wettbewerbsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen zu übertragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHTAz: B 1 KR 9/95 R
Verkündet am 31. März 1998
Fundstellen
Haufe-Index 518853 |
BSGE, 78 |
NJW 1999, 892 |
MDR 1998, 1487 |
MedR 1998, 267 |
MedR 1999, 532 |
SGb 1999, 365 |
KVuSR 1999, 18 |
KVuSR 2000, 183 |