Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER HIGH COURT OF IRELAND. GLEICHES ENTGELT FUER MAENNER UND FRAUEN. Sozialpolitik. Männliche und weibliche Arbeitnehmer. Gleiches Entgelt. Artikel 119 EWG-Vertrag. Anwendungsbereich. Niedrigeres Entgelt für eine höherwertige Arbeit. Einbeziehung. Gemeinschaftsrecht. Unmittelbare Wirkung. Unmittelbar geltende Bestimmung des EWG-Vertrags. Verpflichtungen der innerstaatlichen Gerichte
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 119 EWG-Vertrag, der unmittelbar in dem Sinne gilt, daß die betreffenden Arbeitnehmer sich auf ihn vor Gericht berufen können und daß die innerstaatlichen Gerichte ihn als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen müssen, ist dahin auszulegen, daß er ausser dem Fall eines ungleichen Entgelts für die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit auch den Fall erfasst, daß ein Arbeitnehmer, der sich auf diese Vorschrift beruft, um das gleiche Entgelt im Sinne dieser Vorschrift zu erhalten, eine höherwertige Arbeit verrichtet als derjenige, der als Vergleichsperson herangezogen wird.
2. Es ist Sache des nationalen Gerichts, vor dem sich jemand auf eine unmittelbar geltende Vorschrift des EWG-Vertrags beruft, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden; soweit eine solche gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, darf es entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden.
Normenkette
EWGVtr Art. 119
Beteiligte
Tenor
Artikel 119 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er auch den Fall erfasst, daß ein Arbeitnehmer, der sich auf diese Vorschrift beruft, um das gleiche Entgelt im Sinne dieser Vorschrift zu erhalten, eine höherwertige Arbeit verrichtet als derjenige, der als Vergleichsperson herangezogen wird.
Gründe
1 Der irische High Court hat mit Beschluß vom 4. März 1986, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juni 1986, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag und des Artikels 1 der Richtlinie 75/117 des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits, den Frau Mary Murphy und 28 andere Arbeitnehmerinnen gegen ihren Arbeitgeber, die Gesellschaft An Bord Telecom Eireann, angestrengt haben. Diese Arbeitnehmerinnen, die zur Gruppe der Fabrikarbeiterinnen „factory workers”) gehören, und deren Tätigkeit unter anderem darin besteht, Fernsprechgeräte und andere Geräte auseinanderzunehmen, zu reinigen, zu ölen und wieder zusammenzusetzen, machen einen Anspruch auf Entlohnung zum gleichen Tarif wie ein in demselben Betrieb als Lagerarbeiter „stores labourer”) beschäftigter männlicher Arbeitnehmer geltend, dessen Arbeit darin besteht, Geräte und Einzelteile zu reinigen, zusammenzusetzen und auszugeben sowie allgemein nach Bedarf auszuhelfen.
3 Aus den Akten ergibt sich, daß der „Equality Officer”, dem der Antrag nach dem im Anti-Discrimination Pay Act von 1974 vorgesehenen Verfahren zunächst vorgelegt worden war, der Auffassung war, die von den Klägerinnen verrichtete Arbeit sei insgesamt höherwertig als die von dem betreffenden männlichen Kollegen verrichtete Arbeit und stelle daher keine „gleiche Arbeit” im Sinne des genannten Gesetzes dar. Der „Equality Officer” war daher der Meinung, er könne schon aus diesem Grund nicht empfehlen, daß die Klägerinnen nach dem gleichen Tarif entlohnt würden wie ihre männlichen Kollegen, und brauche nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der gerügte Unterschied bei der Entlohnung eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeute.
4 Nachdem diese Auffassung im Rechtsmittelverfahren vom Labour Court bestätigt worden war, wandten die Klägerinnen sich mit einer Rechtsbeschwerde an den High Court. Dieser folgte zwar der vom „Equality Officer” und vom Labour Court vorgenommenen Auslegung des Anti-Discrimination Pay Act, fragte sich aber, ob die nationalen Rechtsvorschriften mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über das gleiche Entgelt vereinbar seien. Der High Court hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt :
„1) Fällt unter den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit auch ein Antrag auf gleiches Entgelt aufgrund gleichwertiger Arbeit, wenn die Arbeit des Antragstellers höher bewertet worden ist als die derjenigen Person, mit der der Antragsteller verglichen werden wollte?
2) Bei Bejahung der ersten Frage: Beruht diese Antwort auf Artikel 1 der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und ...